Sportjournalist David Walsh

"Ich habe nicht damit gerechnet, dass er jemals erwischt wird"

Der amerikanische Radsportler Lance Armstrong guckt kritisch
Es dauerte sehr lange, bis der amerikanische Radsportler Lance Armstrong des Dopings überführt wurde. © picture alliance / dpa / Ncy
David Walsh im Gespräch mit Susanne Burg |
David Walshs Buch "Seven Deadly Sins" bildete die Grundlage für den neuen Film "The Program – Um jeden Preis", der von dem Dopingskandal um Lance Armstrong erzählt. Sportjournalist Walsh wusste früh, dass Armstrong dopte - nur glaubte ihm niemand, wie er in "Vollbild" eindringlich erzählt.
Susanne Burg: Alle lügen, davon ist David Walsh überzeugt. Der britische Sportjournalist begleitet 1999 für die "Sunday Times" die Tour de France. Und glaubt nicht an dieses Sommermärchen, dass Lance Armstrong eine Etappe nach der anderen gewinnt. Er versucht, den Betrug aufzudecken. Und rennt immer wieder gegen Wände – Wände aus Schweigen und Vertuschungen.
David Walsh hat ein Buch über die Zeit geschrieben: "Seven Deadly Sins". Und es ist die Grundlage für den neuen Film von Stephen Frears, "The Program – Um jeden Preis", der jetzt in den Kinos ist. Ben Foster spielt darin den vom Siegeswillen getriebenen Lance Armstrong – und anders als ein Journalist es kann, hat ein Spielfilm natürlich auch die Freiheit, hinter die Kulissen zu schauen – zum Beispiel in den Tourbus, in dem sich Lance Armstrong und seine Teamkollegen während des Dopens fröhlich unterhalten.
Filmausschnitt: "The Program – Um jeden Preis"
So hätte ein Film vielleicht aussehen können, aber nun gibt es eben einen ganz anderen, "The Program – Um jeden Preis". Ich habe David Walsh getroffen, eben jenen Sportjournalisten, der so lange um Aufklärung in Sachen Doping gekämpft hat, der so lange gegen den Strom geschwommen ist – bis dann doch die ersten Doping-Geständnisse kamen. Ich habe ihn erst Mal gefragt, ob er sich vor zehn Jahren hätte vorstellen können, dass es mal so kommen würde.
David Walsh: Nein. Ehrlich gesagt, ich habe nicht damit gerechnet, dass er jemals erwischt wird. Ich kannte die Wahrheit, und meine Kinder und meine Frau haben mal zu mir gesagt, ja, du, wir glauben dir, aber gib doch zu, er wird davonkommen. Das wird niemals rauskommen. Und ich habe ihnen gesagt, ja, ihr habt recht, der wird davonkommen.
Ehrlich gesagt, nachdem er sich 2005 erst einmal zurückgezogen hatte, seine sportliche Karriere beendet hatte und niemals erwischt worden war, sah es auch ganz danach aus. Nur, weil er sein Comeback unbedingt wollte, ist eine Art Unfall passiert, und dadurch kam dann die ganze Geschichte raus, und das hat was sehr Ironisches, weil wenn wir uns so Hollywood-Filme angucken über Gangster, über Bankräuber, über Juwelendiebe, dann ist das immer so, die machen ihren Job so perfekt, sie schaffen es immer, das Geld zu klauen, sie kriegen immer die Juwelen, sie machen das so super, dass man sich als Zuschauer irgendwie auch mit ihnen identifiziert, sie in einer gewissen Weise eben auch bewundert für das, was sie da tun. Und dann irgendwann sagen sie, wenn ich genug Geld habe, wenn ich den letzten Job gemacht habe, dann gehe ich in Rente. Und Lance Armstrong hat mal wirklich zu irgendeiner Pressekonferenz gesagt: Jungs, in drei oder vier Jahren sitze ich am Strand und mache ein Bier auf, und ihr sitzt immer noch hier und redet über Doping. Ihr seid Idioten.
Und das war eigentlich die Perspektive, die ich hatte, aber dann kommt jetzt wieder der Hollywood-Film. Plötzlich ist der Gangster derjenige, der sich zur Ruhe gesetzt hat, und dann kommt ein alter Kumpane und sagt, komm, wir drehen ein letztes Ding, komm noch mal wieder. Und das ist genau der Fehler. Lance Armstrong hat sein Comeback versucht, und es ist schief gegangen, er ist erwischt worden. Und ich habe Glück gehabt als Journalist. Sonst wäre es so gewesen, dass nur eine Hand voll Leute gewusst hätten, dass ich eigentlich recht hatte und gesagt hätten, na ja, du hast einen guten Job gemacht, hat aber leider geklappt. Und nun wissen alle, dass ich meinen Job so gemacht habe wie immer, so, wie es sich gehört.
Burg: Warum ist er zurückgekommen? War es wirklich die Langeweile, die Sie eben beschrieben haben, oder auch das Gefühl, dass er eigentlich unbesiegbar ist, weil es so lange gut gegangen war?
"Als Dritter bist du nicht mehr so geschützt"
Walsh: Langeweile hat da sicherlich eine große Rolle gespielt, und auch der Glaube an seine eigene Unbesiegbarkeit. Lance hat immer geglaubt, für ihn gebe es keine Kugel. Alle anderen werden erwischt, nur ich nicht. Und dann darf man nicht vergessen, Lance hat, bevor er sich zurückgezogen hat, unglaublich viel Geld verdient. Es war klar, dass er bei einem Comeback noch mal wahnsinnig viel Geld verdienen würde. Auch das war eine Motivation, aber bestimmt nicht die einzige. Als er sozusagen in Rente gegangen war, war es am Ende dann doch nicht so cool, es war doch nicht so spaßig, es war doch nicht so fun, wie er sich das vorgestellt hat. Er stand nicht mehr im Rampenlicht. Er war keine Ikone mehr. Er bekam keinen Applaus. Und er brauchte diesen Wettbewerb, er brauchte diesen Adrenalinkick, er will im Zentrum stehen, er will, dass die Leute nur über ihn reden, und das konnte er nur tun, wenn er ein Comeback anstrebt.
Aber dann ist eben etwas passiert, mit dem er nicht gerechnet hat. Er war plötzlich nicht mehr der Sieger der Tour de France. Er ist nur noch Dritter geworden, und als Dritter bist du nicht mehr so geschützt, da halten dir nicht mehr alle den Rücken frei wie bei einem vier-, fünf-, sechs-, siebenmaligen Tour-de-France-Gewinner.
Burg: Wie sehr haben auch die Journalisten ihm Schutz gegeben?
Walsh: Lance hat auch von Journalisten sehr viel Schutz erfahren. Da waren nicht nur seine Sponsoren wie Nike. Die haben einfach weggeschaut. Oder der UCI, der Radsportweltverband, hat weggeschaut, dieTour-de-France-Organisatoren haben weggeschaut. Es waren auch Journalisten, die es nicht wahrhaben wollten. Und es waren vor allem Fernsehjournalisten, weil sie wollten den großen Namen, sie wollten den Star, sie wollten gute Einschaltquoten. Und als ich zusammen mit einem Kollegen 2004 dieses Buch geschrieben habe, "L.A. Confidential", wo eigentlich ganz klar war, dass Lance Armstrong dopt und dass er betrügt, das wollten sie gar nicht lesen, die Kollegen. Und es gibt ja in dem Film diese Schlüsselszene der Pressekonferenz, wo Lance Armstrong auf das Buch Bezug nimmt und sagt, Riesenanschuldigungen müssen mit Riesenbeweisen fundiert werden, und diese Riesenbeweise existieren einfach nicht.
Dann hat er Journalisten wirklich gedankt, hat gesagt, ich danke euch für eure SMS, ich danke euch für eure E-Mails, ich danke euch für eure Nachrichten, die ihr mir auf dem Anrufbeantworter gelassen habt, wie ihr mir gesagt habt, du hast bei diesem Buch nichts zu befürchten. Ich habe diese Pressekonferenz dann verlassen, weil ich befürchtete, jetzt würden sie auch noch applaudieren. Und ich bin dann raus aus der Pressekonferenz, wollte zusammen mich in ein Auto setzen mit einem Kollegen, bei dem ich seit 20 Jahren im Auto sitze, und er sagt plötzlich zu mir, du, David, es tut mir leid, ich kann jetzt mit dir nicht in einem Auto gesehen werden. Er ist immer noch ein Freund, wir haben uns deswegen nicht verkracht, aber er hat so entschieden. Er wollte nicht, dass ich mit ihm in einem Auto sitze, weil er als Journalist sonst seinen Job nicht hätte machen können.
Burg: Vor zwei Jahren kam ein Dokumentarfilm über Lance Armstrong heraus von Alex Gibney, "The Armstrong Lie". Er hatte Armstrong seit 2009 begleitet und wollte eigentlich einen Film über sein Comeback machen. Da gab es dann aber schon längst die Dopingvorwürfe. Gibney konfrontiert ihn immer wieder damit, und Armstrong sagt nichts. Was ich so interessant finde an dem Film, ist, dass Gibney auch davon erzählt, wie Armstrong mit seinem Charisma, seiner Art, seiner Intelligenz auch ihn immer wieder in den Bann zog. Wie ist es Ihnen ergangen? Können Sie das nachvollziehen?
"Da gibt es noch sehr viel aufzuarbeiten"
Walsh: Also ich kann es in gewisser Weise nachempfinden, aber was ich Ihnen jetzt sagen werde, mag vielleicht ein bisschen hart klingen. Ich glaube nicht, dass es das Charisma von Lance Armstrong war. Ich glaube auch nicht, dass es seine Persönlichkeit war, sondern es war einfach der Ruhm. Und Alex Gibney, der fand das wahrscheinlich in dem Moment total aufregend, dass er so nahe an Lance herankommen konnte, und hat sich dann selbst auch ganz toll gefühlt und ist in gewisser Weise von Lance Armstrong verführt worden.
Ich habe Alex Gibney ein Interview gegeben zu seinem Dokumentarfilm, das war 2009. Ich war kurz davor, nach Südafrika zu einem Rugby-Spiel zu fahren. Und Alex Gibney führte das Interview nicht selbst, sondern er hat Kollegen aus London damit beauftragt, und wir haben das irgendwo in Heathrow geführt, zwei bis drei Stunden, und das Problem war, als ich dieses Interview gab, da hat Alex Gibney noch an Lance geglaubt. Und ich mache also das Interview für diese Kollegen, und nach dem Interview sagen mir die beiden Kollegen, die es aufgenommen haben, wir glauben dir. Es ist ganz eindeutig, Lance Armstrong ist ein Betrüger, wir glauben dir hundertprozentig.
Und Alex Gibney schaut sich dieses Interview an, und er ist nicht überzeugt. Er will die Wahrheit immer noch nicht wissen. Erst in dem Moment, wo die Wahrheit sich so aufgedrängt hat, dass keiner sie mehr ignorieren konnte, erst in dem Moment setzt bei ihm das Umdenken ein, und ich muss ganz ehrlich sagen, ich war enttäuscht von ihm. Er hat gewusst, dass ich nicht lüge, und hat mir nicht geglaubt. Lance war ein Betrüger, und so viele Leute haben eben weggesehen, und eben auch Alex Gibney. Die wollten die Wahrheit ganz lange nicht wahrhaben.
Burg: Jetzt geht es dem Radrennsport durch diese ganzen Skandale nicht so gut. Er hat unglaublich an Popularität verloren, viele Sender die vorher übertragen haben, haben sich zurückgezogen. Wie viel gibt es im Radrennsport dennoch noch aufzuräumen?
Walsh: Ich glaube, da gibt es noch sehr viel aufzuarbeiten. Ein guter Freund hat einmal zu mir gesagt, Doping im Sport, gerade im Radsport, das ist wie ein Monster, dem man den Kopf abschlägt, aber die Köpfe wachsen immer wieder nach. Und genau das passiert, glaube ich, wirklich. Es mag ja sein, dass sich vieles gebessert hat, dass die Tour vielleicht in den letzten drei, vier, fünf Jahren sauberer geworden ist. Aber es wird nach wie vor gedopt. Es gibt nach wie vor Leute, die versuchen, diesen Kampf mit den Anti-Doping-Agenturen aufzunehmen und irgendwie besser zu dopen.
Ich glaube, wenn man diesen Job macht, und es ist ein sehr schwerer Job, so einer Anti-Doping-Agentur anzugehören, dann darf man das nicht als Job betreiben, sondern es muss einem zur Mission werden. Und jemand, den ich wirklich sehr bewundere, er ist der Leiter der amerikanischen Anti-Doping-Agentur Usada, das ist Travis Tygart, der hat diese Mission. Aber ihm geht es nicht darum, den Doper zu erwischen. Ihm geht es darum, die sauberen Athleten zu schützen, die es ja auch gibt. Und darum muss es gehen, darum muss es in diesem Job gehen, dass man die sauberen Sportler beschützt vor denen, die dopen.
Burg: Sagt der Sportjournalist David Walsh. Sein Buch "Seven Deadly Sins" hat die Grundlage für Stephen Frears neuen Film gebildet, "The Program – Um jeden Preis", er läuft ab jetzt im Kino.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema