Sportkurse in der Coronakrise

Intimer Blick in Wohnzimmer beim Pilates

05:44 Minuten
Eine Pilates-Trainerin macht Übungen vor dem Laptop.
Weil Sportkurse in der Coronakrise verboten sind, verlegen immer mehr Anbieter ihre Trainingseinheiten ins Internet. © AA
Von Stefan Osterhaus |
Audio herunterladen
Onlinekurse haben während der Coronakrise Konjunktur – gezwungenermaßen. Die Kurse des Pilatestrainers Thomas Westphal wurden ins Internet verlegt. Das ist nicht immer einfach. Ein Erfahrungsbericht über Sportunterricht per Video.
Mittwochabend, 18:30 Uhr. Thomas Westphal bittet zur Übungsstunde. Eine Stunde Pilates – aber nicht in seinen Räumen in Berlin-Kreuzberg, wo er sonst seine Kurse abhält. Westphal leitet die Lektion virtuell. Via Videokonferenz instruiert er seine Schüler.
Für Westphal ist es eine neue Erfahrung. Notgedrungen, denn die Covid-19-Pandemie macht ein gemeinsames Training in den Räumen unmöglich. Also greift er zur virtuellen Variante, obwohl er zuvor noch gar keine Berührungspunkte mit der Technik hatte:
"Mit den Kursen war ich vor zwei Wochen richtig ausgeschlossen gewesen. Da kam die Anweisung: keine Sportkurse mehr. Da musste ich mir relativ schnell überlegen, was ich mache. Das habe ich dann auch geschafft. Innerhalb von zwei, drei Tagen, habe ich über Freunde ein bisschen erfahren, dass es Videokonferenzen gibt. Ich hatte keine Ahnung, habe mich ein bisschen reingefriemelt und habe das dann relativ schnell hingekriegt, dass ich alle meine Kurse online gesendet habe."

Neue Anforderung an den Trainer

Das Verfahren ist nicht allzu kompliziert. Ein Rechner und ein Internetanschluss werrden gebraucht, am besten per Netzwerkkabel, wie Westphal erklärt, da die Bilder dann ruckelfrei übertragen werden. Die Teilnehmer bekommen dann einen Link, klicken den an und sind dann direkt in Westphals Wohnzimmer - normalerweise.
"Ich kann die alle sehen, auf meinem Laptop sehe ich alle, und die sehen hauptsächlich mich", sagt der Trainer."Sie sehen die anderen auch als kleine Kacheln. Was auch toll war, denn gerade die Älteren, die jetzt ziemlich isoliert waren, haben sich total gefreut, auch die anderen zu sehen. Die haben sich gegenseitig begrüßt. Irgendwann schalte ich die Mikrofone dann aus, weil sonst zu viel Action ist, zu viele Nebengeräusche. Das heißt, die hören nur mich, ich höre sie nicht."
Dabei stellte Westphal schnell fest, dass der Kurs aus der Distanz an ihn als Trainer ganz andere Anforderungen stellt. Die Kommunikation ist erschwert und er bekommt manche Nuancen nicht mit, die ihm sonst, wenn man gemeinsam in einem Raum ist, nicht entgehen würden. "Was auch ein bisschen anders ist im Unterricht, wie ich ihn sonst mache: Ich kriege im Unterricht mit, wer stöhnt, was für eine Stimmung heute ist, wie viel Kraft haben die heute. Was können sie aushalten an Übungen. Das ist jetzt gar nicht. Ich höre nichts. Ich sehe sie nur auf dem Monitor. Ich kann sie zwar korrigieren, ich gehe dann ein bisschen nach vorne an den Laptop rum, und gebe das an Korrekturen durch."

Ältere sind schnell mit dabei

Eine Umstellung für alle. Für die Jüngeren war es nicht sonderlich schwierig, sich auf die neue Variante einzulassen, denn sie waren zum Teil mit der Technik vertraut. Allerdings unterrichtet Westphal nicht nur seinen Pilates-Kurs: "Das ist natürlich gar nicht so einfach gewesen, weil ich auch Rückenschulungen für 70-plus-Schüler habe. Die habe ich dann wirklich in einem Tag von Dienstagmorgen um 11 bis 17 Uhr alle einzeln angerufen und gefragt: Habt ihr die Möglichkeiten, habt ihr Internetzugang oder so? Interessanterweise haben es alle geschafft, bis auf drei von den 35 Schülern, die ich da habe."
Besonders hat ihn erstaunt, dass die älteste Kursteilnehmerin die erste war, die dabei war: "Ja, es war ganz interessant, die 80jährige, die ich da eingeführt hatte, die war die allererste im Raum und schaute in meine Kamera und sagte: ‚Mensch ich seh dich ja!‘ Ich sage: ‚Ja, ist doch super. Du bist ja noch gar nicht im Trainingsanzug.‘ ‚Ja, hätte ich gar nicht gedacht, dass ich das schaffe. Jetzt muss ich in den Klamotten mitmachen.‘ Dann hat sie in den Klamotten den Unterricht morgens mitgemacht."

Bald wieder im realen Leben

Kurse per Videokonferenz seien zwar völlig anders, aber nicht ohne Reiz, sagt Westphal. Denn trotz der Distanz lerne man etwas Neues voneinander kennen: "Das hat auch irgendwie was sehr Privates. Du schaust in die Wohnzimmer der ganzen Leute rein, du siehst die Bücherregale im Hintergrund. Manche, wenn die gestreckte Übungen machen auf dem Boden, sind dann mit dem Füßen unter dem Kleiderschrank und dem Kopf hinten am Schreibtisch dran. Es ist auch sehr intim teilweise, aber eben auch sehr persönlich. Ich kenne meine Schüler alle schon recht lange, das ist noch mal eine Verbindung, wo ich die auch in ihrem Wohnzimmer sehe – genauso wie sie mich auch in meinem sehen."
Bisher ist Westphal mit den Verlauf zufrieden. Doch dabei soll es für ihn bleiben, wenn die Ausgangsbeschränkungen wieder gelockert sind und er endlich wieder Übungsstunden in Kreuzberg anbieten kann: "Ich habe diese Frage auch schon bekommen, also ich konnte mir nicht vorstellen, dass auf Dauer zu machen, weil ich brauche doch diesen persönlichen Kontakt. Wenn du mal einen kleinen Witz machst, dass gleich ein Feedback kommt, das motiviert. Das ist hier jetzt nicht, du machst einen Witz und der ist dann im Hof. Du siehst es nicht wirklich. So, von daher nein. Ich brauch das auf jeden Fall live."
Am liebsten würde Westphal schon morgen wieder zum gewohnten Betrieb zurückkehren. Aber bis es soweit ist, kommen seine Schüler immer wieder am Bildschirm zusammen.
Mehr zum Thema