Sportreporterin Claudia Neumann

Pionierin in einer Männerbastion

07:06 Minuten
Claudia Neumann beim Spiel FC Bayern München gegen FC Schalke 04
Sie habe immer versucht, ihren eigenen Weg zu gehen, sagt ZDF-Sportreporterin Claudia Neumann. © imago / ActionPictures
Claudia Neumann im Gespräch mit Jörg Degenhardt |
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Als ZDF-Sportreporterin erlebte Claudia Neumann Beleidigungen und Beschimpfungen. Für ihre Verdienste um die Gleichstellung von Mann und Frau wurde sie nun kürzlich ausgezeichnet. Beim Gendern sei sie aber "noch ein bisschen ambivalent unterwegs".
Jörg Degenhardt: Vor einer Woche haben wir an dieser Stelle im Nachspiel-Magazin an das "Tor des Monats" erinnert, das am 28. März seinen 50. Geburtstag hatte – und zwar mit dem Hinweis auf den ersten Treffer, für den eine Frau geehrt wurde, Bärbel Wohleben war das, 1974. Und so wurde sie in diesem Jahr im "Sportstudio" anmoderiert:

"Weil es zum ersten Mal eine Frau ist, haben wir natürlich die Blumen. Wie ist es denn bei Kopfbällen, gerade wenn ich an die Frisur denke? Man ist frisch onduliert, kommt vom Friseur, will abends noch ein bisschen ausgehen. Wie steht es mit Kopfbällen bei Frauen?"

Und so hat Bärbel Wohlleben darauf geantwortet:

"Da hab ich mich gefragt, was hat denn die Frisur mit den Kopfbällen zu tun?"

Die Sprache - ein Lernprozess für alle

Degenhardt: Das klingt wie aus einem anderen Jahrhundert, und man möchte Bärbel Wohleben beipflichten. Was hat das eine mit dem anderen zu tun. Heute sind wir viel weiter. Frauen im Sport, Frauen im Fußball. Nicht zuletzt Frauen im Fernsehen, im Sportjournalismus. Da ist sehr viel in Bewegung geraten die letzten Jahrzehnte.
Wer kann das besser bezeugen als Claudia Neumann, die erste Frau, die live bei einer Männer-EM kommentierte, die Beleidigungen und Beschimpfungen erlebte. Die ZDF-Fußballkommentatorin ist unlängst als Vorbild und Pionierin in einer sogenannten Männerbastion mit dem Marie-Juchacz-Preis des Landes Rheinland-Pfalz ausgezeichnet worden. Marie Juchacz hielt 1919 als erste Frau eine Rede in der Weimarer Nationalversammlung. Damit sind wir schon beim gesprochenen Wort und bei Claudia Neumann.
Frauen am Fußballmikrofon, es gibt sie in Deutschland, wenn auch nicht so zahlreich. Müssen Sie ihre Worte eigentlich genauer wägen als die männlichen Kollegen?
Claudia Neumann: Ich glaube nicht, dass wir da geschlechterspezifisch unterscheiden sollten und auch nicht tun, glaube ich nicht. Jeder hat da so seinen eigenen Stil und seine eigene, wenn es denn wirklich geht, auch seine authentische Herangehensweise, so einen eigenen Duktus.
Aber was wir natürlich alle im Moment sehr, sehr deutlich spüren, ist, dass sich Sprache insgesamt verändert, und dass man da durchaus so einen kleinen Minenwald vor sich haben kann. Und dass man sich sehr genau überlegt, was man heute sagt, und was man besser nicht sagt. Das ist ein Lernprozess, in dem wir alle da gerade drinstecken.

"Es gibt nicht nur diesen einen Stil"

Degenhardt: Angenommen wir haben auf Feld jetzt eine Rudelbildung wegen einer Schiedsrichterentscheidung. Könnte da die Sprache zum Beispiel von einer Kommentatorin Neumann vielleicht deeskalierender sein als die eines männlichen Kollegen, der vielleicht etwas anders da rangeht?
Neumann: Das bin ich auch schon öfter gefragt worden. Ich habe mir das auch versucht irgendwie bewusst zu machen, ob ich gewisse Dinge tatsächlich ein bisschen anders sehe, bin aber in vielerlei Hinsicht darauf gekommen, dass das aufgrund meines Geschlechts ganz sicher nicht der Fall ist, weil ich eben in einer Zeit fußballsozialisiert wurde, die ich einfach irgendwann dann auch für mich adaptiert habe.
Aber, und das ist der entscheidende Punkt: Erstens finde ich, dass jüngere Kolleginnen sich das durchaus überlegen dürfen, ob sie da andere Aspekte mit reinbringen. Und dass die Zuhörer- oder Zuschauerschaft sich durchaus daran gewöhnen sollte, dass es nicht nur diesen einen Stil gibt, sondern durchaus mehrere. Das ist sehr spannend und auch eine absolute Bereicherung.
Und das andere, das ist das Beispiel mit Rudelbildung oder mit Fehlerbenennung, wie ich es artikuliere. Das habe ich schon ein bisschen feinjustiert und nachgezogen, aber aufgrund der gemachten journalistischen Erfahrungen und der Lebensreife, wenn man das so sagen darf: Dass man sich natürlich überlegt, wie ich eine Schiedsrichterfehlentscheidung tituliere, wie ich sie gewichte und mit welchen Worten ich sie begleite.
Das ist, glaube ich, definitiv sorgsamer bei mir geworden in den letzten Jahren, weil ich das für richtig halte. Und wir brauchen keine Menschen am Pranger.

"Immer versucht, meinen eigenen Weg zu gehen"

Degenhardt: Gehen wir doch mal zurück zum Einstieg in den Beruf. Was mich immer interessiert, und was ich spannend finde: Man sucht sich meist Vorbilder. Das können aber in Ihrem Metier, Frau Neumann, nur Männer gewesen sein. Wie groß ist dann die Gefahr, dass man dann später so klingen möchte wie ein bekannter Kollege, dessen Art zumal beim Zuschauer offensichtlich gut ankommt?
Neumann: In meinem Fall würde ich jetzt sagen, nicht wirklich. Ich habe von vorneherein immer versucht, meinen eigenen Weg zu gehen, vor allen Dingen authentisch zu bleiben. Auch wenn ich einige Kollegen hervorragend finde. Vorbilder wäre definitiv zu viel gesagt.
Aber natürlich schaut man, was andere Kollegen machen, vor allen Dingen auch früher. Und ich fand da ganz tolle, herausragende Leistungen von einigen Kollegen, aber ich habe nie versucht, zu kopieren, weil ich genau weiß, das bringt nichts. Man muss einen eigenen Stil entwickeln."

Beim Gendern noch "ambivalent unterwegs"

Degenhardt: Gehört zu diesem Stil auch das gendergerechte Sprechen beim Reportieren? Geht das überhaupt?
Neumann: Das ist jetzt ganz neu. Sie haben netterweise zu Beginn den Marie-Juchacz-Preis angesprochen. Ich habe natürlich sofort die Vorjahresgewinnerin, die Vorjahrsausgezeichnete angeschrieben, Marlies Krämer, die sich um die Gendersprache seit vielen, vielen Jahren verdient gemacht hat und die mir dann sofort auch ihre Haltung präsentiert hat. Ich bin da noch ein bisschen ambivalent unterwegs, muss ich gestehen.
Ich verstehe das, dass es Frauen gibt, die sich wiederfinden möchten, auch in der Sprache, total. Ich weiß nur nicht, ob sie für jede Lebenssituation im Moment schon zwingend ist. Mir ist es hundertmal lieber, dass jemand, der sich um Geschlechtergerechtigkeit bemüht, das auch wirklich von innen heraus lebt.
Ich brauche nicht die E-Mail-Anschrift oder –Anspreche, wenn die Kollegen für die Fußballreporter am Samstag wichtige Infos verteilen, dass man mich da immer heraushebt. Ich finde das ein nettes Bemühen. Ich persönlich brauche es nicht, aber ich verstehe, dass Sprache bei uns sehr viel bewirken kann. Und wenn man damit Menschen überzeugt, worauf es ankommt, dann soll mir das auch recht sein. Ich werde versuchen, das peu à peu zu lernen und auch einzubauen in meine Kommentare."

"Ich muss mich da an diesen Lernprozess andocken"

Degenhardt: Das lassen wir so stehen. Aber zum Schluss möchte ich nochmal auf den eingangs erwähnten "Minenwald" zu sprechen kommen, von dem Sie sprachen. Wo lauern denn aktuell die größten Gefahren beim freien Sprechen und Reportieren?
Neumann: Ich nenne Ihnen jetzt ein ganz simples Beispiel, das ist mir vor ein paar Monaten passiert. Tatsächlich habe ich eine Redewendung gesucht für irgendwo, wer die Schuld denn hat, so ungefähr. Und da habe ich gesagt: Ihm sollte man jetzt nicht den Schwarzen Peter zuschustern. Und wer war im Bild? David Alaba. Und dann hat mich mein Redakteur sofort in den Magen geboxt und mir fiel es wie Schuppen von den Augen.
Da hätte vor zehn, 15 Jahren wirklich kein Hahn nach gekräht. Aber ich möchte das tatsächlich in Zukunft auch nicht mehr sagen. Ich muss mich da an diesen Lernprozess andocken, den wir alle da machen müssen. Das will ich nicht mehr tun.
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