Mathias Kupper ist spielsüchtig. Jahrelang hat der zweifache Familienvater exzessiv gezockt.
"Bei mir war es ja so, ich hab zu jeder Tages- und Nachtzeit gespielt, auch wenn ich mit dem Hund Gassi gegangen bin. Ich hab auch gewettet, wenn ich mit meinen Kindern ins Schwimmbad gehen wollte. Ich hab dann 'ne Wette abgeschlossen, die vorher gestartet ist. Und währenddessen ich da geschwommen bin mit den Kindern, lief die Wette halt."
Meistens wettete er auf Fußballergebnisse. Denn der ehemalige Spieler eines Amateurfußballvereins glaubte, sich damit gut auszukennen. "Das war für mich auch immer wichtig, bevor ich ins Bett gehe, musste halt noch mal 'ne Wette gemacht werden. Das war wie bei 'nem Drogenabhängigen, der sich nochmal 'nen Schuss gibt, damit er weiß: Okay, ich komme jetzt so halbwegs über die Nacht."
Gemeinschaftswetten mit der Fußballmannschaft
Auch im Fußballverein waren Sportwetten immer ein Thema, sagt Mathias Kupper. Oft wurde in der Kabine gesammelt, um große Gemeinschaftswetten abzuschließen. Als er merkte, wie grenzwertig sein Spielverhalten wurde, sperrte er sich selbst. Doch die Wettfirmen hätten trotzdem nicht aufgehört, ihm Werbemails zu schicken. Und sie machten ihm Geldgeschenke, damit er weiterspielt. Sieben Jahre ging das so. Dann war Schluss.
"Ich hab dann quasi gesagt, okay, ich hab hier ein Problem sozusagen. Ich steh mit dem Arsch an der Wand, so wie man's halt sagt."
Mathias Kupper, der seine Sucht die ganze Zeit lang vor Familie und Freunden geheim gehalten hatte, brach schließlich vor seiner Frau zusammen und machte reinen Tisch.
"Ich sage, ja, ich hab' gespielt. Ich hab' alles verzockt und hab' ihr dann so alles gebeichtet. Also da war dann wirklich so die ganze Last, die dann auf mich wirkte sozusagen innerlich, die kam dann mit einem Mal raus. Ich hab' ihr auch dann alles erzählt. Alles, was ich an Schulden gemacht habe. Alle Konten, die ich leer geräumt habe."
Mit professioneller Hilfe aus der Sucht gekommen
Nachdem Mathias Kupper seine Suchterkrankung akzeptiert hatte, holte er sich professionelle Hilfe. Vom "Café Beispiellos", einer Einrichtung der Caritas, wurde ihm ein zwölfwöchiges Programm für Spielsüchtige angeboten, die aussteigen wollen. "Da kann man ein Basisprogramm durchlaufen. Man hat auch Einzelgespräche mit Einzeltherapeuten. Und die setzen sozusagen eine Art Grundstein, dass man rauskommt aus der Spielsucht."
Und das war ausreichend? Hat man Ihnen da Wege gezeigt, die für Sie gangbar waren?
"Das hat mir unheimlich viel gebracht. Danach hat man dann die Option, ob man in die Therapie geht, ambulante, stationäre. Oder ob man halt in eine Selbsthilfegruppe geht. Für mich war dann klar, okay, ich möchte das nicht meinem Arbeitgeber sagen, weil ich nie wusste, wie wird der darauf reagieren? Deshalb habe ich gesagt, ich möchte den Weg der Selbsthilfegruppe gehen. Und dadurch bin ich halt rausgekommen aus der Sucht."
Wettanbieter die wichtigsten Sponsoren für Fußballklubs
Wettanbieter sind mittlerweile die wichtigsten Sponsoren für die europäischen Profi-Fußballklubs. Laut Handelsblatt hat in 16 europäischen Ländern eine Glücksspiel-Firma die Namensrechte für eine nationale Fußballliga gekauft. Die Werbung ist überall: im Stadion, im Fernsehen, im Netz. Nach Angaben des europäischen Fußballverbands UEFA hat die Glücksspielbranche inzwischen den höchsten Anteil beim Trikotsponsoring. Mehr als jeder fünfte Profiverein spielt in Jerseys mit dem Logo eines Glücksspielanbieters auf der Brust.
Wer mit Fußball zu tun hat, kommt an diesem Geschäftsmodell nicht so leicht vorbei. Das Versprechen auf spielend leicht verdientes Geld reicht bis in den Amateur- und Jugendbereich.
Fans von Hertha BSC protestierten im Heimspiel gegen den SV Wehen Wiesbaden gegen das Sponsoring von Sportwetten-Anbietern. Trikot-Sponsor von Hertha ist der Sportwetten-Anbieter Crazybuzzer.© picture alliance / dpa / Soeren Stache
Ich bin jetzt im Wedding in der Charité und bin verabredet mit Stefan Gutwinski. Der ist Suchtexperte und Psychiater. Und ich möchte von ihm wissen, inwiefern sich Süchte unterscheiden. Also ist das etwas anderes, spielabhängig zu sein, als zum Beispiel Alkoholiker zu sein? Und außerdem möchte ich von ihm wissen, ob die Zahl der Erkrankten in den vergangenen Jahren zugenommen hat?
"Erstmal vielleicht zur ersten Frage. Was wirklich problematisch ist, ist dieses immer wieder anbieten. Wir nennen das 'Cues'. Also, wenn ich als Raucher an einer Marlboro-Werbung vorbeigehe - das wissen wir einfach -, dann kriege ich ein kurzes Suchtverlangen und Lust drauf. Und wenn ich als Spielsüchtiger einen Fußballer sehe, im Fernsehen, dann löst das ein kurzes Verlangen aus. Und diese Stimulierung, wenn das ein paar Mal hintereinander stattfindet, kann dazu führen, dass ich dann, wenn ich spielsüchtig bin, genau das zum Anlass nehme zu spielen."
Zahl der Spielsüchtigen nimmt zu
Diese gefährlichen psychologischen Zusammenhänge entfalten nach Stefan Gutwinskis Ansicht ein enormes Suchtpotenzial. Insgesamt deute sich an, dass die Zahl der Spielsüchtigen zunimmt. "Dazu kommt nochmal eine Verschiebung. Durch diese Online-Wettspiele und diese wirklich sehr schlau gemachten App-Anwendungen gehen viele Personen gar nicht mehr ins klassische Wettbüro jetzt z.B., sondern, dass die Online-Spiele machen und was viel schlechter zu erfassen ist. Deshalb ist die Datenlage da gar nicht so gut, und man kann das nicht ganz einsehen."
Ist die Sucht-Rückfallquote bei einem Alkoholiker höher als bei einem Spielsüchtigen, oder ist das ein Wert, der ganz individuell ist und die Unterscheidungen sind da nicht so groß?
"Doch, das ist sehr groß. Also eine der höchsten Rückfallquoten haben wir beim Heroin. Da ist die Rückfallquote zwischen 95 und 97 Prozent, innerhalb des ersten Jahres, nach der ersten Entgiftung, also dem ersten Weglassen. Bei Nikotin ist die Rückfallquote auch um die 95 Prozent. Bei Alkohol ist es in dem ersten Jahr zwischen 60 und 70 Prozent, Rückfallrate. Und bei Spielsüchtigen ist es ähnlich, ungefähr wie bei Alkohol."
Verbindung von Fußball und Sportwetten ist riskant
Stefan Gutwinski ist davon überzeugt, dass sich jede Gesellschaft mit Suchterkrankungen auseinandersetzen und irgendwie damit klarkommen muss. Schon die alten Mayas hätten um irgendwelche Kieselsteine gewettet. Entscheidend sei jedoch, wie der Staat das reguliere, um diejenigen, die besonders gefährdet sind, effektiv zu schützen. Dabei hat der Psychiater vor allem Jugendliche und Menschen im Blick, die schon an Suchterkrankungen leiden. Die Verbindung von Fußball und Sportwetten sei in diesem Zusammenhang extrem riskant.
"Also, Hand aufs Herz. Das ist völlig unzeitgemäß. Und es ist auch fahrlässig. Und es ist überhaupt nicht verständlich, warum der DFB das macht. Es können Einnahmen durch andere Möglichkeiten fließen. Das ist zu ersetzen. Und es ist komfortabel sozusagen, denjenigen, der sich aufdrängt, zu nehmen. Aber es ist nicht gut!"
DFB lässt sich von bwin sponsern
Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat sieben Millionen Mitglieder und lässt sich unter anderen von bwin, einem der großen Player im Wettspielgeschäft, sponsern. Die Deutsche Fußballliga, DFL, setzt auf Konkurrent Tipico. Tipico und Bwin haben - wie viele andere Buchmacher auch -, ihren Firmensitz auf Malta. Sie zahlen dort nur wenig Steuern. Meine Anfrage beim DFB, warum er Geld von Wettanbietern nimmt und gleichzeitig aufwendige Glücksspiel-Präventionskampagnen in den Nachwuchszentren unterstützt, beantwortet der Verband nicht. Auch die DFL hat keine Lust, über das Thema zu sprechen.
Aktuell lassen sich 16 von 18 Erstligisten von Wettfirmen finanzieren. Nur RB Leipzig und Union Berlin derzeit nicht. Das ist jedoch eher Zufall und keine grundsätzliche Ablehnung, wie mir beide Klubs mitteilen.
Tennis Borussia war mal eine große Nummer. Vor 50 Jahren spielten die Berliner in der Bundesliga. Nach zahlreichen Abstiegen und Insolvenzen ist TeBe inzwischen in der Oberliga Nordost gelandet. Wenn es darum geht, Geld für den Spielbetrieb aufzutreiben, waren die Charlottenburger - wie viele andere Klubs auch - nie besonders wählerisch. Die Palette der Investoren reicht von Pelzhändlern über Autohäuser, Musikproduzenten und Baufirmen bis zu dubiosen Finanzinvestoren. Zuletzt war die Trikotbrust allerdings lange blank, bis der Konzertveranstalter Trinity Music einsprang.
"Trinity ist besonders positiv belegt, weil die schon lange mit uns verbunden sind. Jahrzehnte würde ich sagen; auch zu den aktiven Fans gehören." Michael Lachmann ist Vorstandsmitglied bei Tennis Borussia. Der Regionaldirektor einer großen Versicherungsfirma kümmert sich beim Fünftligisten auch um Sponsoren-Akquise. "Also viele Mitarbeiter von Trinity Music sind auch Fans. Von daher passt der Sponsor sehr, sehr gut zu uns. Also ein Sponsor, der Herzblut auch für den Verein hat."
Wettanbieter-Sponsoring erst ab der Dritten Liga
Würden Sie auch einen Wettanbieter als Sponsor nehmen?
"Die Frage stellt sich gar nicht, weil Wettanbieter erst ab Dritte Liga geht. Also ich finde, man sollte nichts ausschließen. Das wäre jetzt unehrlich zu sagen, wir schließen es prinzipiell aus. Da das Thema noch nicht Thema ist, also Spielsucht, von wegen Sponsoren, ist es jetzt noch nicht fallabschließend besprochen. Wir reden drüber, und wir wissen, wenn es so kommen würde, müssten wir mehr tun, als nur den Sponsor nehmen. Sondern der müsste auch deutlich mehr im Jugendschutz tun, als das, was in der Vergangenheit vielleicht getan ist, als Sponsor."
Wissen Sie, ob das bei den Spielern in der Kabine ein Thema ist: Wetten, Sportwetten?
"Also, wenn ich in der Kabine bin, reden wir über Fußball, reden wir über den Gegner. Reden vor und nach dem Spiel. Da ist dieses Thema kein Thema. Was außerhalb der Kabine, außerhalb des Sportplatzes ist, kann ich jetzt nicht beurteilen. Also, mein Eindruck ist: Nein. Aber das trügt natürlich, weil so naiv bin ich auch nicht, dass ich glaube oder nicht glauben kann, dass die jungen Leute, und wir haben ja viele junge Spieler, die 19, 20, 21 sind. Ich glaub schon, dass es Thema sein wird. Ich weiß es aber nicht."
Sportwetten in Berliner Sportvereinen ein Thema
Eine ganz frische, gemeinsame Umfrage des Präventionsprojekts Glücksspiel der pad gGmbH und des Landessportbundes Berlin hat ergeben, dass Sportwetten in Berliner Sportvereinen ein Thema sind. 52 Prozent der 407 Befragten gaben an, mindestens einmal im Monat gewettet zu haben. In einem Pilotprojekt sollen nun Workshops und Schulungen für das Thema sensibilisieren. Sind Wetten also auch bei der U19 von TeBe ein Thema? Um mehr darüber zu erfahren, besuche ich ein Training der 16- bis 19-Jährigen.
"Auf Instagram sehe ich viel von. Und teilweise, wenn ich mal Fußball gucke auch auf den Plattformen. Da sehe ich auch teilweise Werbung von Sportwettanbietern, ja." Marlon Kulobaric ist 18 Jahre alt. Wie viele seiner Kameraden pendelt der Mittelfeldspieler zwischen der U19 und dem Oberliga-Team. Obwohl er die gesamte Vorbereitung bei den Männern mitgemacht und dort auch schon ein paar Mal gespielt hat, läuft er hauptsächlich noch für die Nachwuchsmannschaft von Tennis Borussia auf.
"Ich kenne viele aus der Mannschaft, die auch schon Sportwetten betrieben haben. Ich gehöre selber auch dazu. Also ich habe auch schon - nicht oft -, aber ich habe auch schon gewettet. Nur Fußball. Also keine anderen Sportwetten. Ja. Also ist schon ein Thema. Gerade wenn so große Spiele auch anstehen. Champions-League-Finale, oder sei es WM. Da sind dann viele auch am Tippen."
Mit 17 im Wettbüro
Du würdest sagen, Du hast das total unter Kontrolle? Du bist nicht irgendwie gefährdet, dass Du eventuell auch abhängig werden könntest?
"Nö. Hab ich jetzt nicht das Gefühl. Also ich hatte, wenn ich ehrlich bin, auch schon vorher angefangen, bevor ich 18 war. Da hatte ich auch schon die Möglichkeit, in ein Wettbüro zu gehen. Da war ich 17. Aber ich hab’s im Rahmen gehalten, finde ich. Und jetzt habe ich es das letzte Mal vor drei Wochen oder so gemacht. Also es ist nicht so, dass ich merke, dass ich irgendein Suchtpotenzial entwickelt hab, gar nicht."
Du sagst, Du warst auch schon drin in dem Büro mit 17. Aber offiziell kann man es erst ab 18 machen. Wird das nicht kontrolliert?
"Also, das war so: Bei mir, da ist so ein kleineres Wettlokal. Das ist jetzt kein Großanbieter. Da konnte man einfach reingehen und wurde nicht kontrolliert. Aber…also ich war ein paar Mal drin, über zehn Mal auf jeden Fall schon. Und irgendwann haben die das auch eingeführt. An der Tür war dann jemand, der dann auch Ausweise kontrolliert hat und so. Aber ich denke nicht, dass es jetzt jemand dran hindert, weil auch online hat man ja auch die Möglichkeit, z.B. über Tipico online zu wetten. Und da ist es dann kein Problem, auch minderjährig zu sein."
"Kenne viele Jungs, die dadurch schon gescheitert sind"
"Ich hab noch keine einzige Sportwette gemacht. Weil ich finde, meiner Meinung nach ist das nicht gut. Weil ich kenne viele Jungs, die dadurch schon gescheitert sind. Zum Beispiel paar Freunde aus Hertha, der eine war so mit einer der Stärksten", sagt Baran Daskan. Auch der 18-jährige Verteidiger hatte schon Kontakt zum Männerteam, war dort bei ein paar Testspielen dabei.
"Und deswegen hab ich so in meinem Hinterkopf, dass man halt dadurch sein ganzes Geld verballert oder so. Dann am Ende Schulden hat, viele Familienprobleme kommen. Viele Probleme können dadurch entstehen, deswegen, ja, finde ich das gar nicht gut."
Und die Werbung für Sportwetten? Findest Du, dass das zu viel ist? Nimmst Du die wahr?
"Natürlich ist jedem seins. Aber so ich find schon bisschen übertrieben so. Weil, wenn ich jetzt hier an die Ecke schaue, ist fast überall Sportwetten. Und dann hat jeder halt so Bock drauf, halt ein Mal so´n Schein zu machen. Und dann halt: Wenn es ein Mal ist, passiert es halt immer wieder. Und dann bist halt im Loch, so."
"Also, ich hab viele Freunde, die Sport wetten auf Tipico. Ich hab auch Extremfälle, wo meine Freunde dann teilweise 300 Euro im Minus sind. Sie gehen immer mehr ins Minus mit kleinen Beträgen und dann denken sie, durch eine große Wette kommen sie dann wieder ins Plus. Also, ich kenne sehr viele Leute, die vor allem Sportwetten betreiben." Auch der 18-Jährige Sebastian Lex sagt, dass er noch nie gewettet habe. Das sei nichts für ihn, weil er befürchtet, wenn er verlöre, sich genau wie seine Freunde, die wetten, da immer mehr hineinzusteigern.
Werbung "schwer nicht wahrzunehmen, wenn man Bundesliga guckt"
Und die Werbung für Sportwetten? Nimmst Du die auch wahr?
"Ich glaub, die ist schwer nicht wahrzunehmen, weil ja, wenn man Bundesliga guckt, in jeder Halbzeitpause oder eigentlich durchgehend is irgendwelche Werbung von bwin oder Tipico. Deswegen denke ich, auch wenn man´s nicht direkt aufnimmt, unterbewusst kriegt man das alles immer mit und wird dazu verleitet."
Wenn ich mir z.B. Sportschau angucke in der ARD ab 18 Uhr, da läuft vorne Tipico, in der Mitte Tipico und hinten. Also ist das nicht eigentlich unverantwortlich?
"Eigentlich schon. Und 'ne Altersbegrenzung oder 'ne Uhrzeitbegrenzung wäre ich eigentlich praktisch dafür. Aber es läuft wirklich durchgehend. Und auch auf der Straße siehst du an jeder von diesen Plakatiersäulen sind ja auch immer Wettanbieter, die Werbung machen."
Ist das bei euch im Verein auch ein Thema auf der Ebene der Trainer oder auch sonstigen Vereinsfunktionäre, dass es da Aufklärungskampagnen gibt?
"Also wir hatten jetzt in der Saison oder auch generell in den letzten Saisons hatten wir nie was zum Thema Sportwetten….oder dass das angesprochen wird, kam jetzt noch nie vor."
"Wäre sinnvoll, wenn man über Gefahren aufgeklärt wird"
Wäre das deiner Meinung nach sinnvoll, sowas zu machen?
"Denke schon. Weil also selber als Fußballer oder als Sportler ist man ja interessiert an anderen Sportarten. Und dementsprechend liegt einem die Sportwette nahe, sage ich mal. Und deswegen wäre es eigentlich sinnvoll, wenn man zumindest dadurch durch die Gefahren aufgeklärt wird. Dann kann man noch immer für sich selbst entscheiden, was man damit anstellen will. Aber dass man zumindest als Verein sagen kann, man hat die Spieler aufgeklärt."
Nehmen DFB und DFL die Suchtgefahr der Sportwetten sozusagen als Kollateralschaden hin, weil man auf das Geld, das durch Glücksspielwerbung eingenommen wird, nicht verzichten möchte? Dienen Präventionsmaßnahmen und Gefahrenhinweise im Kleingedruckten lediglich dazu, das schlechte Gewissen, was sich möglicherweise einstellt, zu beruhigen? Warum sind diese Spots in der 18-Uhr-Sportschau, die auch viele Jugendliche schauen, zu sehen?
ARD: Tipico-Werbung gehört zum DFL-Paket
Auf Anfrage verweist die ARD auf die exklusiven Vorrechte von Event- bzw. Verbandssponsoren. Das gelte auch für die Firma "Tipico" als Premium-Partner der DFL. Zeigt die ARD-Sportschau am Samstag ab 18 Uhr also Bundesliga-Fußball, nutzt sie die Medienrechte der DFL. Wie die ARD weiterschreibt, gehört zu diesem Paket auch die "Tipico"-Werbung. Außerdem bestehe durch den vor drei Jahren geänderten Glücksspielstaatsvertrag für Sender und deren Vermarkter keine rechtliche Grundlage mehr, die es gestatten würde, "Tipico" als lizensierten Sportwetten- und Glücksspielanbieter abzulehnen.
"Die Sportwettenanbieter haben eine Erlaubnis. Und wenn sie eine Erlaubnis bekommen haben, müssen sie genau diese Voraussetzungen auch erfüllen, die hohen Spielerschutzmaßnahmen."
Ronald Benter ist Vorstand der Gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder, GGL. Gegründet wurde die GGL 2021 im Zuge der Änderung des Glücksspielstaatsvertrages. Seitdem vergibt die in Halle ansässige Behörde Lizenzen an Anbieter, die damit aus der Illegalität geholt werden sollen. "Ich nenne dort nur die beiden Dateien, die wir hier bei der GGL entsprechend betreiben. Das sind einmal die Limit-Datei, wo ein Anbieter übergreifendes Einzahlungslimit von 1000 Euro überwacht wird. Und auch eine Aktivitätsdatei, wo entsprechend kontrolliert wird, dass nicht parallel gespielt wird."
"Suchtprävention ist das Stichwort"
Unter engen Grenzen gebe es allerdings für Spieler auch Möglichkeiten, das Limit auf Antrag erhöhen zu lassen, räumt Ronald Benter ein. "Das heißt, der Veranstalter darf hier einen Antrag stellen. Und dort prüfen wir entsprechend die Vorgaben bezüglich Leistungsfähigkeit und vergangenes Spiel. Das heißt, Suchtprävention ist da das Stichwort. Aber 1000 Euro ist staatlicherseits das Limit. Und wir plädieren dafür, jeweils eine eigene Entscheidung zu treffen, ob nicht gegebenenfalls eine deutlich geringere Zahl angemessen ist."
Mit rund 80 Mitarbeitern kontrolliert die GGL Markt und Anbieter. Sind Wirtschaftskonzepte plausibel und Geschäftsführer zuverlässig? Ist die IT-Sicherheit gewährleistet? Funktioniert die Zahlungsabwicklung? Solche Aspekte würden geprüft. Auch Hinweisen nach Geldwäsche werde nachgegangen. In den drei Jahren seit Gründung der Behörde sei bisher lediglich dem Anbieter Tipster die Lizenz entzogen worden, sagt Behördenchef Benter. Wegen des Jugendschutzes sieht der Glücksspielstaatsvertrag zwischen 6 und 21 Uhr eine sogenannte Embargozeit vor, in der keine TV-Werbung für virtuelles Automatenspiel, Online Poker und Online Casino Spiele laufen darf. Für Sportwettenanbieter gelte dieses Verbot jedoch nicht, sagt Ronald Benter. Bewerten möchte er diese Ausnahme nicht. Die GGL sei lediglich Vollzugsbehörde.
"Es ist unsere Aufgabe, diese Regelungen einzuhalten. Im Bereich Sportwettenwerbung gibt es derzeit eine gesellschaftliche Diskussion. Das ist gut, dass es diese gesellschaftliche Diskussion gibt. Wir werden das Thema im Rahmen der Evaluierung des Glücksspielstaatsvertrages entsprechend zu bewerten haben. Und dort ist eine Studie vergeben worden, deren Ergebnisse wir abzuwarten haben."
Potenzial der Wettindustrie scheint grenzenlos
Bisher scheint das Potenzial der Wettindustrie grenzenlos zu sein. Nach einer leichten Umsatzdelle infolge der Unterbrechung des Ligabetriebs wegen der Corona-Pandemie nehmen die Umsätze wieder stetig zu. Experten prognostizieren für Großbritannien und die EU bis 2027 allein im Onlinebereich einen Anstieg auf 20 Milliarden Euro. Laut Handelsblatt, das sich auf Daten des Marktanalysten "H2 Gambling Capital" bezieht, würde sich dadurch das Marktvolumen seit 2019 verdoppeln.
Dabei fällt auf, dass die meisten der legalen Wettanbieter, die die Hallenser Glücksspielbehörde auf einer sogenannten "Whitelist" registriert hat, ihren Firmensitz auf der Mittelmeerinsel Malta haben, dem kleinsten EU-Mitgliedsstaat. Ausschlaggebend dafür dürften niedrige Unternehmenssteuern und laxe staatliche Kontrollen in Punkto Geldwäsche, Steuerhinterziehung und Organisierte Kriminalität sein. Um die Sportwettsteuer kämen die in Malta registrierten Firmen aber trotzdem nicht herum, sagt Ronald Benter.
"Wir haben in der Europäischen Union eine Dienstleistungsfreiheit. Das heißt, jedes Unternehmen, was seinen Firmensitz in der EU hat, darf in einem anderen EU-Land entsprechend tätig werden. Das ist der gesetzliche Rahmen. Und Steuern müssen die Sportwettveranstalter - genauso virtuelles Automatenspiel und Onlinepoker - genauso in Deutschland zahlen. Nämlich die sogenannte Sportwettsteuer nach Rennwettlotteriegesetz. Das sind 5,3 Prozentpunkte des Einsatzes."
"Das Geld wird eingepreist schon in die Haushalte. Also man rechnet mit diesem Geld."
André Hahn ist Politiker. Seit 2013 sitzt er im Bundestag. Außerdem ist der 60-Jährige von der Linkspartei langjähriges Mitglied des Sportausschusses.
"Es wird ja nicht zweckgebunden verwandt. Dass ist ja das, was man vielleicht noch irgendwie verstehen könnte. Wenn man genau weiß, wo geht das Geld dann anschließend hin. Nein, es kommt zunächst in den Gesamthaushalt eines Landes oder des Bundes. Und dann wird natürlich der Etat gemacht für Kultur und ein Etat für Sport und für andere Dinge. Und dann sagt der jeweilige Finanzminister: Die Summe ist darin enthalten. Wie viel genau dann wohin geht, das erfahren wir in der Regel als Abgeordnete nicht."
Sportwettenabieter melden 9,4 Milliarden Euro Umsatz
Unter dem Strich geht es um große Summen. 2021 meldeten Sportwettenanbieter laut Handelsblatt einen Rekordwert von 9,4 Milliarden Euro Umsatz an die deutschen Finanzämter. Von diesem Boom profitierte also auch der Staat. Allein im Jahr 2021 nahm er 470 Millionen Euro Sportwettensteuer ein. Der Streit um Sportwetten ist nach André Hahns Überzeugung ähnlich gelagert wie die Debatte um ein Werbeverbot für Alkohol. Wer sich jedoch an der Basis des Sports auskenne, wisse, dass viele Sportstätten von dieser Werbung lebten. Kleine Vereine würden so zum Beispiel über Brauereien das Sportlerheim sponsern. Durch Verbote entzöge man ihnen die Finanzgrundlage, sagt André Hahn.
"Und trotzdem ist es ja eigentlich ein Widerspruch. Wir wissen, welche Gefahren mit dem Alkohol, genau wie mit der Spielsucht verbunden sind. Und trotzdem lässt man es zu, weil der Widerstand sehr groß ist, gerade in den kleinen Vereinen, Trikotsponsoren und so weiter. Und da ist es schwer, Mehrheiten zu finden. Und da will sich die Politik offenbar auch nicht mit dem Sport anlegen."
326 Millionen Euro für Therapien aufgewendet
Aus Sicht der Sportvereine sind diese wirtschaftlichen Argumente natürlich irgendwie verständlich. Aber was ist mit 1,3 Millionen Spielsüchtigen und den Millionen, die an der Schwelle zur Sucht stehen? Meine Fragen nach den sozialen Folgekosten beantwortet das Bundesgesundheitsministerium immerhin schriftlich. Demnach wurden bereits im Jahr 2008 insgesamt 326 Millionen Euro aufgewendet, verursacht zum Beispiel durch stationäre oder ambulante Therapien. Müssten Sportwetten angesichts dieser alarmierenden Bilanz sofort verboten werden?
So ganz einfach ist das, glaube ich, nicht, weil wir noch andere Lottoveranstaltungen haben, also, die jetzt gar nichts mit dem Sport zu tun haben. Sondern, wo man eben auf Zahlen tippt und bestimmte soziale Unterstützungen gegeben werden. Zum Beispiel mit der Glücksspirale und ähnliches, für behinderte Menschen wird Geld damit eingesammelt. Insofern ist ein komplettes Verbot von Glücksspiel wahrscheinlich schwer durchzusetzen."
*In einer früheren Version ist Union Berlin ohne Glücksspielpartner genannt worden. Das stimmt so nicht, Union besitzt als Premium-Sponsor Lotto Berlin. Ein Vertrag mit einem Sportwetten-Anbieter ist dagegen vorzeitig beendet worden.