Musikstreaming Vergütung

Wird Spotify durch sein neues Bezahlmodell noch unfairer?

Ein Straßenmusiker in Prag
Auf der Straße musizieren, könnte vielen Künstlerinnen und Künstlern mehr einbringen als ihr Spotify-Stream. © picture alliance / imageBroker / Michael Nitzschke
Schon jetzt beklagen Musikerinnen und Musiker, dass sie per Musikstreaming kaum etwas verdienen. Anfang 2024 ändert Spotify sein Bezahlmodell. Wenig bekannte Künstler und Newcomer könnten es dann noch schwerer haben.
Wird ein Musiktrack weniger als 1.000 Mal im Jahr gestreamt, gibt es kein Geld. Das sieht das neue Bezahlmodell von Spotify vor. Musikerinnen und Musiker laufen Sturm. Sie befürchten, dass gerade Newcomer und Spartenkünstlerinnen auf der Strecke bleiben – und die musikalische Diversität leidet.

Wie sieht das Vergütungsmodell bisher aus?

Nach dem sogenannten Pro-Rata-Modell gehen Streaming-Gelder nicht direkt von den einzelnen Nutzern an die Künstlerinnen und Künstler. Stattdessen kommt es in einen großen Topf. Ein Drittel davon behält – laut Angaben des ZDF – Spotify, einen anderen Teil bekommen Verwertungsgesellschaften wie zum Beispiel die GEMA, die dann die Vergütung übernehmen. Der Rest geht vor allem an die Labels. Wie viel davon am Ende die Musikerinnen und Musiker bekommen, hängt von den Verträgen ab.
Das Abrechnungssystem sei sehr intransparent, kritisiert der Sänger Peter Maffay in der ARD-Doku „Dirty Little Secrets“. Der Streamingdienst und die Musikproduktionsfirmen hätten Verträge geschlossen, „die nicht offengelegt werden, an den Künstlern vorbei. Und was wir wollen, ist genau dort Einblick zu bekommen, um zu wissen, wie da abgerechnet wird.“
Eins ist aber klar: Am Ende kommt ziemlich wenig bei den Künstlerinnen und Künstlern an. In seinen Neujahrsgrüßen für seine Spotify-Nutzerinnen scherzt der US-amerikanische Musiker und Parodist Weird Al Yankovic: „Ich danke euch für die großartige Unterstützung. Soweit ich weiß, hatte ich über 80 Millionen Streams auf Spotify dieses Jahr. Wenn ich richtig rechne, habe ich zwölf Dollar verdient.“ Dafür werde er sich nun ein Sandwich im Restaurant holen.
„Natürlich ist für die Künstlerinnen und Künstler jeder Musik-Streamingdienst keine besonders wichtige Einnahmequelle“, sagt Peter Tschmuck, Professor für Musikwirtschaftsforschung. „Aber es ist eine wichtige PR-Plattform.“ So wichtig, dass selbst Stars wie Taylor Swift nicht auf den Streamingdienst verzichten können. 2017 kehrte sie nach einem mehrjährigen Boykott zu Spotify zurück.

Wie viel Geld erwirtschaftet Spotify?

2022 machte Spotify einen Verlust von 430 Millionen Euro. Auch die Jahre davor schrieb das Unternehmen rote Zahlen. „Spotify hat von Anfang an das Problem, eigentlich nie wirklich in die Gewinnzone zu kommen“, sagt der Musikwirtschaftsforscher Peter Tschmuck.
Statistik: Umsatz und Gewinn bzw. Verlust von Spotify in den Jahren 2008 bis 2022 (in Millionen Euro).
Der Umsatz ist bei Spotify stetig gestiegen und lag 2022 bei knapp 12 Millionen Euro. Gewinne schreibt das Unternehmen trotzdem nicht.© Spotify / Statista
Inflation und wachsende Konkurrenz – unter anderem durch TikTok als neuen Player auf dem Musik-Streaming-Markt – machen es dem Unternehmen nicht einfach. Deswegen hat Spotify 2023 die Abo-Preise in 53 Ländern erhöht.
In den USA muss man beispielsweise rund einen Dollar mehr pro Monat zahlen. Deutschland ist davon vorerst nicht betroffen. Ein Schritt, der lange erwartet wurde. Denn auch die Konkurrenten – Apple Music, Amazon Music und YouTube Music – hatten zuletzt die Preise erhöht.
Und: Auch Apple Music plant offenbar Änderungen an seinem Vergütungssystem vorzunehmen. Demnach könnten dann jene Musikerinnen und Musiker mehr Geld bekommen, die ihre Songs in Dolby Atmos, sprich: in Bestqualität, zum Streamen zur Verfügung stellen.

Was ändert sich 2024 am Bezahlmodell bei Spotify?

Spotify hat angekündigt, sein Abrechnungsmodell zu ändern: Ab 2024 sollen weltweit nur noch Künstlerinnen oder Künstler Geld kriegen, wenn ihr Song mindestens 1.000 Mal im Jahr gestreamt wurde. Wer diese Marke unterschreitet, bekommt nichts für die Abrufe des jeweiligen Tracks.
„Tausend Streams auf einen Song bedeutet ein paar Euro. Das ist bei Spotify so etwas wie zwei, drei, vier Euro“, sagt Christopher Annen vom Verband Pro Musik, Mitgründer der Band AnnenMayKantereit. Das hört sich erst einmal sehr wenig an für den einzelnen Künstler oder die Künstlerin. Insgesamt beliefen sich die unter dieser 1000-Abrufe-Grenze erwirtschafteten Erträge aber – laut Spotify – auf etwa 40 Millionen Dollar pro Jahr.
Dieses nicht ausgezahlte Geld wandert zurück in den Topf, aus dem die Rechteinhaber bezahlt werden. Es profitieren also die Künstlerinnen und Künstler davon, die eher sehr viel gehört werden. Es handele sich also um eine Umverteilung des Geldes, sagt Christopher Annen: von den eher unbekannten Künstlern unten – zu den etablierten Größen im Musikbusiness oben.

Warum ändert Spotify nach eigenen Angaben das Vergütungsmodell?

Die geringen Streaming-Einnahmen für Tracks mit weniger als 1000 Streamingabrufen pro Jahr würden die Rechteinhaber oft gar nicht erreichen, argumentiert Spotify. Denn Labels und Händler würden oft einen Mindestbetrag für die Abhebungen verlangen, auch Banken würden Gebühren für Transaktionen erheben. Allein diese würden die Streaming-Einnahmen übersteigen.
Das Geld – die insgesamt etwa 40 Millionen Dollar – würde also quasi bei den Überweisungen versanden. Durch die Änderungen im Vergütungsmodell könnten nun stattdessen „aufstrebende und professionelle“ Künstlerinnen und Künstler besser unterstützt werden.
Außerdem möchte Spotify mittels dieser Maßnahme gegen künstliche Streams und Geistermusikerinnen und -musiker vorgehen, da „Uploader nicht länger in der Lage sein werden, mittels einer extrem großen Menge an Titeln Geld zu verdienen“. Bei Geistermusikern handelt es sich um Accounts, auf denen relativ günstig herzustellende Musik am laufenden Band veröffentlicht wird – ob nun sanfte Klavierklänge, Walgesänge oder auch nur beruhigendes Rauschen.

Welche Kritik gibt es am neuen Bezahlmodell von Spotify?

Als Armutszeugnis und Mainstream-Strategie bezeichnet Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrates und Präsident des Deutschen Kulturrates, die von Spotify angekündigten Änderungen im Vergütungsmodell. Durch die eingezogene 1000-Streams-Sperre haben es Newcomer und ungewöhnliche Künstlerinnen noch schwerer, Fuß zu fassen. „Was vermeintlich in der Nische sitzt, kann auch nicht entdeckt werden.“
Dabei geht es nicht nur um die wenigen Euro, die sich mit den Streamingabrufen bei Spotify verdienen lassen. „Es ist auch Teil von Aufmerksamkeit, die damit erzeugt wird und die dann auf Konzertreisen und weitere Einspielungen, Radioauftritte und so weiter einspielt.“
Ganz davon abgesehen sei es auch eine Frage der fairen Vergütung, so Höppner. „Wir können von einem Unternehmen wie Spotify auch erwarten, dass er seiner gesellschaftlichen Mitverantwortung als großer Player gerecht wird“.
Ähnlich sieht das Musiker Christopher Annen von der Band AnnenMayKantereit – und verweist darauf, wie wichtig nachhaltiges Handeln auch in Bezug auf die Kulturbranche sei. Sonst könnten viele Bestandteile wegbrechen. „Das können Spielstätten sein, das können aber auch die Musikschaffenden sein, die dann einfach sagen: Es geht nicht mehr. Ich muss mir etwas anderes suchen. Die machen dann im Zweifel keine Musik mehr.“
Das Argument Spotifys, das Geld für die Mini-Vergütungen würde sonst im Überweisungsprozess quasi versanden, findet Annen in Zeiten von Micropayment „komisch“. Und selbst wenn dies zutreffen würde: „Dann muss ja nicht die Lösung sein zu sagen, dann vergüten wir überhaupt nicht mehr für Songs, wenn keine 100 Streams drauf sind. Dann könnte man ja sagen: Wir sammeln das Geld und schütten es dann aus, wenn eine Schwelle von, ich sage mal, fünf Euro erreicht ist.“

Welche Alternativen gibt es zu Spotify?

Spotify ist der größte Musik-Streaming-Anbieter. Etwa 30 Prozent Marktanteile hatte das Unternehmen im 2. Quartal 2022 weltweit laut dem Marktanalyse-Portal midiaresearch.
Statistik: Marktanteile der einzelnen Anbieter an den zahlenden Abonennten von Musikstreaming weltweit im 2. Quartal 2022.
Spotify ist Marktführer unter den Musikstreamingdiensten. Aber es gibt viel Konkurrenz.© Midia Research / Statista
Aber es gibt zahlreiche Konkurrenten: Apple Music, Amazon Music und der chinesische Streamingdienst Tencent Music liegen bei etwas über 13 Prozent Marktanteil weltweit, YouTube Music bei knapp neun Prozent. Weitere Streamingdienste sind Netease aus China (etwa sechs Prozent), Yandex (etwa zwei Prozent) aus Russland oder Deezer (1,5 Prozent) aus Frankreich.
Und: Mit TikTok ist nun ein weiterer, ernst zu nehmender Konkurrent ins Musik-Streaming-Geschäft eingestiegen.

lkn