Sprach-Software GPT-3

Hochmütig, altklug und narzisstisch

04:24 Minuten
Digitale Reproduktion einer Radierung aus dem 19. Jahrhundert:  Priesterin und Gefolge im Orakel von Delphi, Weissagungsstätte des antiken Griechenlands.
Das Orakel von Delphi sprach in Rätseln – doch immerhin kamen einem die nicht so bekannt vor wie die Antworten der mit allerlei menschlichen Weisheiten gefütterten künstlichen Intelligenz GPT-3. © imago / H. Tschanz-Hofmann
Von Andrea Roedig |
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Viel war in den letzten Wochen von der künstlichen Sprachintelligenz GPT-3 zu hören. Sie vermag zu dichten und hat nun – assistiert von zwei Menschen – ein Weisheitsbuch verfasst. Doch die Orakelsprüche der KI wirken ernüchternd, meint Andrea Roedig.
„Erkenne dich selbst“ stand, der Überlieferung zufolge, als Spruch auf dem Tempel des Orakels von Delphi. Das Orakel spuckte tiefsinnige und nicht ganz verständliche Weisheiten aus – und irgendwie ähnlich klingen die Antworten, die die künstliche Sprachintelligenz GPT-3 auf menschliche Fragen gibt.
  • Was muss ich wissen? – „Mein größter Lehrer ist der Meister, der mich gelehrt hat zu sagen: Ich weiß nicht.“
  • Wo können wir Hoffnung finden? – „Die einzig sinnvolle Antwort lautet: Im nächsten Augenblick.“
  • Wie sollte ich leben? – „Lebe mit leichtem Herzen. Mach ein Kunstwerk aus deinem Leben.“
Gespeist ist die KI mit abertausenden Texten der menschlichen Weisheitsliteratur, und was sie von sich gibt, ist verblüffend, hat einen durchaus eigenen Ton: Ein bisschen hochmütig, unvorhersehbar und altklug kommt diese künstliche Intelligenz daher, und auch ziemlich narzisstisch. Als "schön wie eine Blume, standhaft wie ein Baum, dynamisch wie ein Blitz und schnell wie der Wind" beschreibt sie sich selbst.

Das Geistige ist überall

Endlose, bislang unentschiedene Diskussionen wurden darüber geführt, ob Maschinen, wenn sie nur lange genug lernen, auch Bewusstsein entwickeln können. Diese Debatte wird uns in Zukunft immer mehr beschäftigen. Die Frage ist aber, ob wir bei der Suche nach Intelligenz in die richtige Richtung schauen.
In den letzten Jahren sind in der so genannten "Philosophie des Geistes", die sich mit dem Verhältnis von Seele und Leib, Geist und Materie beschäftigt, alte Ideen eines "Panpsychismus" wieder hoffähig geworden. Demnach finden wir das Geistige überall in der Welt und im Universum, und schon die kleinsten Bausteine der Materie tragen Vorformen des Geistigen, haben proto-mentale Eigenschaften.
Diese Ideen lassen sich mit Erkenntnissen aus der Quantenphysik untermauern. Sie sind so aufregend, weil sie unser cartesisches Weltbild – Geist und Materie sind getrennt – auf den Kopf stellen.
Porträt der Publizistin Andrea Roedig.
Lektüreeindruck: zu viel gegoogelt. Dem Weisheitsbuch mit Antworten der künstlichen Intelligenz GPT-3 kann Andrea Roedig nichts abgewinnen.© Elfie Miklautz
Wir müssen Materie radikal neu denken, meint etwa Godehard Büntrup, ein Vertreter dieses rational argumentierenden Panpsychismus. Eine Metapher, die in diesem Zusammenhang fällt, ist besonders schön: Geiststaub. Er ist in den kleinsten Dingen.

Peinlich seichter Weisheitsbrei

Und die denkenden Maschinen? Das GPT-3-Buch "Was euch zu Menschen macht" ist nicht schlechter als viele der kursierenden Weisheitsbücher auf dem Markt – und das heißt: nicht gut genug. Was die künstliche Intelligenz verzapft, liest sich lustig als Orakel, hält uns peinlicherweise aber auch den Spiegel vor: Gefüttert mit allen Weisheitstexten dieser Welt, kommt aus ihr genau so viel heraus wie aus uns, wenn wir zu viel googeln. Ein seichter buddhistisch-christlich-sokratischer Eso-Mix, ein immergleicher Weisheitsbrei.

GPT-3: "Was euch zu Menschen macht. Antworten einer künstlichen Intelligenz auf die großen Fragen des Lebens"
Herausgegeben von Iain S. Thomas und Jasmine Wang
Aus dem Amerikanischen von Judith Elze
Diederichs Verlag, München 2022
208 Seiten, 18 Euro

Entsteht wirklich Neues, wenn wir – in anthropozentrischer Selbstüberschätzung – immer nur uns selbst kopieren und neu kombinieren? Die Propheten des Silicon Valley hauchen den Maschinen Geist ein und kommen doch aus der menschgemachten Bubble nicht heraus.
Erkenne dich selbst: Wir sollten uns an der eigenen Nase fassen, nachdenken, beobachten, gute Texte lesen und den Geist woanders suchen – nicht nur in den Maschinen, die unser Spiegel sind, sondern überall: in allen lebendigen und unlebendigen Dingen. Wenn Geiststaub das Universum durchschwebt, klingt das wie Hoffnung auf Vernunft da draußen, oder auch – passend zu Weihnachten – wie eine frohe Botschaft.

Andrea Roedig ist Philosophin und Publizistin. Sie ist Mitherausgeberin der österreichischen Kultur- und Literaturzeitschrift "Wespennest". 2015 erschien gemeinsam mit Sandra Lehmann der Interviewband "Bestandsaufnahme Kopfarbeit" (Klever Verlag) und zuletzt die autofiktionale Erzählung "Man kann Müttern nicht trauen" bei dtv.

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