Sprache als Schlüssel zur Identität

Von Sigrid Brinkmann |
Ayman Sikseck ist 28 Jahre alt. Er ist arabischer Israeli. 2010 hat er in Israel seinen ersten, gerade auch ins Deutsche übersetzten Roman veröffentlicht. Im Original heißt das Buch "El Yafo" – "Nach Yafo". Das ist die hebräische Bezeichnung für die 1948 eingemeindete arabische Hafenstadt Jaffa.
Verabredet sind wir am Glockenturm, dem Wahrzeichen von Yafo. Ein schlaksiger, schmaler Mann kommt mir entgegen, Ton in Ton gekleidet, eine Tasche mit Büchern über der Schulter, das Lächeln jungenhaft. Ayman Sikseck ist in Yafo zuhause. Kaum sitzen wir im Café, erzählt er mir, wie froh er ist, dass die Studienzeit in Jerusalem hinter ihm liegt.

"Ich bin ständig zwischen Tel Aviv-Yafo und Jerusalem gependelt, weil ich es in Jerusalem nicht ausgehalten habe. Es gibt dort so viele Gemeinschaften, die nichts mit anderen zu tun haben wollen. Man fühlt sich einfach als Außenseiter. Und dann die massive Präsenz von Sicherheitskräften. Auch auf dem Campus gibt es mehrere Sperren, und wenn man so wie ich eine etwas dunklere Haut hat, wird man besonders gründlich durchsucht."

Den Lebensunterhalt verdient Ayman Sikseck in einer kleinen Internetfirma in Tel Aviv. Er redigiert dort englischsprachige Texte. Wirklich wichtig ist ihm seine literarische Arbeit. Das romaneske Alter Ego seines ersten Buches rebelliert gegen das feste soziale Gefüge in arabischen Familienverbänden.

"Mein Romanheld weiß, dass er die ganze Zeit beobachtet wird, und es fällt ihm nicht leicht, damit umzugehen. Indem er Entscheidungen hinauszögert und alles aufschiebt, wehrt er sich gegen sämtliche Erwartungen, die an ihn gestellt werden."

Die Mentalität der Leute in Yafo findet Ayman Sikseck schon etwas provinziell. Seiner Liebe zu dem Ort tut dies aber keinen Abbruch. Dass er mehrsprachig aufwuchs, war seinen Eltern wichtig.

"Ich bin auf eine Französische Schule gegangen, und habe während der Schulzeit nur sehr wenig Arabisch gesprochen. Ich hatte das Gefühl, es mehr und mehr zu verlernen. Also habe ich vor ein paar Jahren angefangen, Arabisch von Grund auf neu zu lernen, und darüber habe ich die arabische Literatur entdeckt und Philosophen, die in Palästina aufgewachsen sind. Ich liebe die hebräische Sprache. Sie bleibt meine erste Sprache. Auf Hebräisch zuschreiben, ist natürlich auch eine politische Entscheidung: Du willst, dass dich die gesamte israelische Gesellschaft wahrnimmt und Du hast als hebräisch schreibender Autor größere Chancen auf dem Übersetzungsmarkt."

Ayman Sikseck spricht perfekt Englisch. Auch diese Fähigkeit öffnet ihm Türen. Die Welt seiner Eltern war viel geschlossener.

"Ich komme aus einer traditionellen arabischen Familie. Meine Mutter hat kürzlich eine Pilgerreise nach Mekka gemacht. Sie hat viele Jahre in einer Bank gearbeitet, jetzt ist sie im Ruhestand."

Auf seinem Handy zeigt er mir das Video eines syrischen Pianisten, den er verehrt. Malek Jandali spielt die Komposition "Jaffa".

Beim Schreiben hört Ayman Sikseck keine Musik, sondern öffnet die Fenster zur Straße, von der Katzengejaule, Motorengeräusche und Gesprächsfetzen zu ihm hinauf ins Zimmer dringen. Ayman ist das jüngste von vier Kindern. Mit zehn wurde er zum ersten Mal Onkel.

"Ich bin mehr oder weniger allein aufgewachsen und hatte immer das Gefühl, meine Schwestern und mein Bruder kämen aus einer anderen Familie. Da sie außerdem in einem anderen Haus aufgewachsen sind, rückten ihre Geschichten noch weiter weg. Ich habe meine Geschwister erst nach und nach für mich entdeckt."

Für ein paar Monate wurde Ayman Sikseck als Stipendiat nach New York eingeladen. Unvergesslich ist für ihn der Anblick von grasendem Rotwild, das er von seinem Arbeitszimmer aus in einem nahe gelegenen Park beobachten konnte. Auch von Aufenthalten in Prag und Berlin schwärmt er. Er ist 28 Jahre alt und wünscht sich oft, dem anstrengenden Leben im Nahen Osten für eine Weile zu entkommen.

"Meinen Eltern würde es wohl das Herz brechen, aber sie waren auch schon am Boden zerstört, als ich ihnen sagte, dass ich kein Arzt, sondern Schriftsteller werden wollte. Alles, was sie wollten, war, dass ich mich so gut wie möglich in die israelische Gesellschaft integriere – denn ihnen ist das nicht gelungen."

Solange Ayman Sikseck noch in Yafo lebt, schlendert er wie sein Romanheld weiter durch die engen Gassen des Viertels und notiert Alltagsbeobachtungen. Als arabischer Israeli fühlt er sich dennoch an keinen spezifischen Ort gebunden.

"Man braucht nicht soundsoviel Quadratkilometer Land. Es reicht zu wissen, woher man kommt. Wir erleben es doch, dass der Verlauf der Grenze zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten sich durch die ständige Gründung neuer Siedlungen immer wieder verändert. Besser man sucht sich seinen Ort in der Kultur. Sprache ist für mich ein Anker und zugleich der Schlüssel zur Identität."

Ayman Sikseck: Reise nach Jerusalem
Roman. Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama
Arche Literaturverlag, Zürich-Hamburg, Oktober 2012
160 Seiten, 18 Euro.
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