Herfried Münkler, geboren 1951 in Friedberg, ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität. Er ist mit zahlreichen Studien zur politischen Ideengeschichte und zur Theorie des Krieges hervorgetreten. Nicht wenige davon sind mittlerweile Standardwerke. Zuletzt erschien: „Marx, Wagner, Nietzsche. Welt im Umbruch“ (Berlin 2021 )
Sprache der Diplomatie
Pins mit Flaggen von Deutschland und anderen Staaten: Die Sprache der Diplomatie bildete sich parallel zu den neuzeitlichen Territorialstaaten heraus, so Herfried Münkler. © imago images / photothek / Thomas Trutschel
Die hohe Kunst des Formulierens
Das Reden von Diplomaten wirkt oft formelhaft, umständlich und uneindeutig. Das ist gut so, sagt der Politikwissenschaftler Herfried Münkler: Denn genau deshalb ist die Sprache, in der Staaten miteinander kommunizieren, geeignet, um Krisen zu lösen.
„Das Auswärtige Amt beehrt sich!“ – Wer so angesprochen wird, spürt, dass er jetzt von seiner Alltagssprache in eine Spezialsprache überwechseln muss.
„Wir hatten einen fruchtbaren Meinungsaustausch“ heißt hier, dass es erhebliche Differenzen gab. Und wenn erklärt wird, man sei bereit „Verantwortung zu übernehmen“, ahnt man, dass erhebliche Belastungen auf das Land zukommen werden.
Die Kunst der diplomatischen Sprache zeigt sich vor allem bei Friedensverhandlungen. Zumindest dort, wo es nicht um das Diktat eines Siegers geht: Beide Seiten könnten den Krieg fortsetzen, haben aber – aus welchen Gründen auch immer – den Diplomaten die Aufgabe übertragen, herauszufinden, wie die Konstellationen eines verlässlichen Friedens aussehen könnten.
Gegensätze und Konkurrierendes verklausulieren
Dazu ist eine Formulierungskunst vonnöten, die Gegensätze und konkurrierende Ansprüche so verklausuliert, dass sie nicht von vornherein als unvereinbar erscheinen. Andererseits darf sie aber die tatsächlichen Interessenunterschiede auch nicht unter den Tisch kehren, sondern muss sie zur Sprache bringen, um belastbare Kompromisse zu finden.
Es sind somit zwei Klippen, die von den Diplomaten umschifft werden müssen: der Abbruch der Verhandlungen, weil die Forderungen beider Seiten einander unversöhnlich gegenüberstehen, und die Aushandlung eines „faulen Friedens“, der nicht lange hält, weil die Interessengegensätze nicht geklärt worden sind.
Was für Soldaten beim Ausfechten von Interessen- und Wertgegensätzen die Waffen sind, ist für Diplomaten eine spezifische Sprache. Ihr ist mitunter etwas Enigmatisches, etwas Rätselhaftes eigen, das nicht so schnell entschlüsselt und verstanden wird.
Verschlossenheit auf mehreren Ebenen
Das dient dazu, dass die Öffentlichkeit beider Seiten nicht bei jedem Schritt, der gemacht wird, mit- und hineinreden kann. Man schottet sich ab, nicht nur räumlich, sondern auch sprachlich. Nur so lassen sich Kompromisslinien ungestört ausloten.
Das hat sich im Übrigen nicht nur bei Friedensverhandlungen bewährt, sondern auch im Umgang von Verbündeten miteinander, wenn es darum geht, unterschiedlich wahrgenommene Herausforderungen miteinander kompatibel zu machen, damit ein gemeinsames Reagieren möglich ist.
Die Sprache der Diplomatie hat sich parallel zur Herausbildung der neuzeitlichen Territorialstaaten entwickelt. Diese Staaten haben sich unabhängig von ihrer Größe und Bevölkerungszahl als prinzipiell gleich angesehen und im diplomatischen Umgang miteinander ihren gegenseitigen Respekt bekundet.
Imperiale Ordnungen funktionieren anders
Das ist nicht so bei imperialen Ordnungen, bei denen ein Überlegener eine Reihe von Abhängigen und Schutzbefohlenen unter seine Herrschaft gebracht hat und sie demgemäß behandelt.
Hier tritt der Botschafter der imperialen Macht weniger als Diplomat denn als Statthalter auf – man denke nur an Moskaus Botschafter in den Warschauer Pakt-Staaten, teilweise aber auch einige US-Botschafter in Deutschland, wenn sie die Washingtoner Erwartungen in die deutsche Öffentlichkeit hinein kommuniziert haben.
Aber was ist mit dem ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk, der seit Wochen in Berlin nicht als Diplomat agiert, sondern die deutsche Politik mit ständig neuen Forderungen vor sich hertreibt?
Ihn haben die Berliner Politiker freilich dazu eingeladen, als sie ihrerseits nicht die Sprache der Diplomatie gepflegt, also über deutsche Interessen und Möglichkeiten zur Unterstützung der angegriffenen Ukraine gesprochen, sondern sich mit „Lernen aus der Geschichte“ und daraus resultierender Nichtlieferung von Waffen in Krisengebiete herausgeredet haben.
Das war derart durchsichtig, dass es den Botschafter zur Demolierung der Schutzbehauptungen provoziert hat. Merke: Wenn sich die Politik eines Landes selbst nicht der Sprache der Diplomatie bedient, darf sie sich nicht wundern, wenn sie ihrerseits undiplomatisch behandelt wird.