Streit ums Gendern

Wir könnten vom Englischen lernen

Ein Landen für Kinderspielzeug mit Leuchtschrift "Kids".
Englisch eröffnet eine Hintertür im Streit ums Gendern - wie beim Begriff "Kids": Mädchen oder Jungen? Egal. © imago images / Dean Pictures / Francis Joseph Dean
Ein Einwurf von Peter Littger · 21.09.2022
Mehr und mehr sind deutsche Alltagssätze vom Englischen durchsetzt. Was Sprachpuristen nervt, könnte im Streit ums Gendern helfen, meint Autor Peter Littger. Denn „kids“, „friends“ oder „coaches“ umfassen ganz selbstverständlich alle Geschlechter.
Dear Ladies and Gentlemen! Die Begrüßung kennt jeder. Und jede – astrein gegendert. 
Auch bei uns werden Frauen und Männer seit Generationen mit "liebe Damen und Herren" angesprochen. So wie "liebe Hörerinnen und Hörer" – ohne gesellschaftliche Kontroverse und ohne Streit. Auch "liebe Leute", was in Berlin die Piepl sind, ist nicht strittig. Gemeint sind selbstverständlich Männer und Frauen. Jede weiß das. Und jeder auch.
Es ist wie mit der Person. Niemand würde behaupten, dass sie immer eine Frau ist. Der Mensch ist auch nicht automatisch ein Mann. Personen und Menschen sind ganz einfach geschlechtslos. Deutlich problematischer ist es hingegen mit den Deutschen. Weil sie nicht eindeutig sind wie die Franzosen und Französinnen. Wie die Amerikaner und Amerikanerinnen. Oder wie die Engländer und Engländerinnen.

Englisch eröffnet Hintertür beim Gendern

Auf Englisch spricht man unterdessen ohne jede Diskussion von the English. Übersetzt: der, die, das Englische. Undenkbar wäre the German. Oder ze Germans. Wenn schon, denn schon: "Ladies and Germans" – eine herrliche und zugleich total dämliche Umgehung des Problems. Und deshalb ebenso wenig eine Lösung wie Deutsche und Deutschinnen.
Dabei eröffnet Englisch tatsächlich eine Hintertür im Streit ums Gendern. Denken Sie nur an die Rabatte für Family and Friends. Oder an die Kids: Mädchen oder Jungen? Egal.
Andere streben nach Fans and Followers. Das sind Anhänger und Anhängerinnen, sowie weibliche und männliche Gefolgsleute. Hauptsache viele! Wenn sie als Masse auftreten, sind sie die Audience. Und als exklusive Truppe die Incrowd. Wieder fragt niemand, ob es sich um Männlein oder Weiblein handelt. Hauptsache cool.
Schon in den Achtzigerjahren war das so, als todernst von V.I.P. und VIPs die Rede war – womit wir wieder bei der, die, das Person wären – very important. Später kamen die Movers und Shakers. Von Moverinnen und Shakerinnen haben wir unterdessen nie gehört. Heute haben wir Business Gurus, Investment Ninjas, Online Marketing Rockstars, Chief Rainmaking Officers, White Angels und alle Arten von Geniuses oder Genii – aber nie Rockstarinnen, Officerinnen oder gar Gurinen, Ninjatas und Genias.

Duden trägt nicht zur Klarheit bei

Nimmt man den Duden zur Hand, trägt er nicht unbedingt zur Klarheit bei. Verzeichnet sind der User und die Userin. Der Manager und die Managerin. Auch der Follower und die Followerin. Oder der Teamchef und die Teamchefin – was genau genommen gar kein Englisch ist, sondern Denglisch, da "chef" ein Chefkoch ist, aber nicht the leader of the team. Oder the Leaderin?
Laut Duden haben wir neben dem Teamleader die Teamleaderin. Sowie die Teamplayerin. Die Influencerin. 
Eine Fanin existiert hingegen nicht. Man muss vom weiblichen Fan sprechen. Dasselbe gilt für Creator, Master, Comedian oder Joker. 

Im Englischen sind weibliche Formen unzeitgemäß

Während die deutsche Muttersprache immer mehr englische Begriffe entlehnt und unser Ausdruck zunehmend hybrid wird, ist es im Englischen völlig unzeitgemäß, weibliche Formen zu bilden. Progressive Medien wie der britische Guardian machen es vor: Bezeichnungen wie Actress sind tabu – weil der Grundsatz vorherrscht, dass sich Gleichheit nur in gleichen Zuschreibungen ausdrückt.
Ein anderes Beispiel ist der Titel Master of … wie im "Master of Wine". Nach Jahren harter Ausbildung tragen ihn rund 400 Männer und Frauen. Eine "Mistress of Wine" gibt es nicht. Alles, was auf Englisch noch gegendert wird, sind Kings and Queens. Ladies und Gentlemen – und andere altmodische Titel. 
Liebe Listeners, liebe Germans und non-Germans, englische Gruppenbezeichnungen könnten vieles vereinfachen, indem sie helfen, Sternchen und Doppelpunkte zu vermeiden, die man nicht aussprechen kann – und Texte, die aussehen wie der Code von Programmiererinnen und Programmierern. Das sind Menschen, die programmieren, richtig? In unserer Lieblingsfremdsprache also Hacker, Coder und Programmer – wenn sie nicht sowieso längst schon Maschinen und Maschininnen sind.

Peter Littger beschäftigt sich als Journalist, Buchautor und Kolumnist vor allem mit dem Thema Sprachkultur. In einem Essay für den Spiegel „Wir können alles außer Deutsch … und Englisch“ forderte er kürzlich, Englisch zur zweiten Landessprache in Deutschland zu machen. Sein neuestes Buch „Hello in Round – Der Trouble mit unserem Englisch und wie man ihn shootet“ ist bei C.H. Beck erschienen.

Porträt des Journalisten und Autors Peter Littger. Er trägt Brille, Hemd und ein dunkles Sakko
© Max Lautenschläger
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