Sprache

Man knickste, stillte und stand seinen Mann

Die Schriftstellerin Anna Seghers 1961
Anna Seghers bei einem Schriftstellertreffen in Berlin 1961 © dpa / picture alliance
Von Dagmar Just |
Die Sprache der frauenfreundlichen Diktatur in der DDR war machistisch. Sprachemanzipatorisch war "Frau Puppendoktor" vermutlich schon das Höchste der Gefühle. Und auch Anna Seghers kämpfte nicht für geschlechtergerechte Sprache oder das Binnen-I.
Schnappschuss eins: das man
Als Kinder störte es uns nicht, dass wir alle Schüler, Lehrling, Student, Schwimmer oder Laiendarsteller waren − dabei mussten die Jungen zur Begrüßung noch Diener und wir Knicks machen. Vielleicht wunderten wir uns, dass es keine Kindergärtner und Krankenbrüder gab, oder dass alle Welt von Selbstmördern und Versagern sprach, als ob das Männerdomänen waren. Aber ansonsten machte jeder sein Ding und war seines Glückes Schmied, nie ihres Glückes und nie Schmiedin. Apropos Glück: Natürlich gehörten Kinder dazu, die man ein halbes oder dreiviertel Jahr stillte. Lange Zeit war auch dieses man kein Problem. Eher ein gutes Versteck, ein Stück Geborgenheit. Ein Trickwort, um dahinter zu irgendwas Frivolem, Frechem oder Unsagbarem auszuholen. Doch dann kam Christa Wolfs Roman "Nachdenken über Christa T.", der das zum ersten Mal hinterfragte. Stichwort: "Über die Schwierigkeit, ich zu sagen." Und seitdem ist das man entzaubert.
Schnappschuss zwei: Brechts Frauen
Brecht war nicht nur als Dichter ein Genie, sondern auch als Partner. Er liebte kreative, eigensinnige Frauen, forderte und förderte sie und blieb dennoch immer der Chef des Ganzen. So ähnlich wie die DDR-Funktionäre. Auch sie pflegten – natürlich nur aus ökonomischem Zwang – eine frauenfreundliche Diktatur. Dazu gehörte Arbeit für alle. Als Pflicht, aber auch das Recht darauf. Auch Frauenförder-und Weiterbildungsprogramme, die Gratis-Pille, legaler Schwangerschaftsabbruch, bezahlter Haushaltstag. Und das Netz der Krippen und Kitas. Das Binnen-I gehörte nicht dazu. Wieso auch? Schließlich saßen alle im selben Boot, und dort zeigte sich praktisch, wes Geistes Kind man war. Beim Rudern, nicht beim Reden erwies sich, ob einer einen achtete oder übersah.
Schnappschuss drei: Frau Puppendoktor Pille
Weißer Kittel, dunkle dicke Zöpfe, große schwarze Brille und am Ende ihres Auftritts stets der finale Spruch "Habt ihr Kummer, habt ihr Sorgen, schreibt gleich morgen an Frau Puppendoktor Pille mit der großen runden Brille". Sie tauchte meistens mittwochs beim Sandmännchen auf. Arztsprechstunde für Kinder vorm Schlafengehen mit Tipps fürs Zähneputzen, Spielen, Puppenerziehen. Sprachemanzipatorisch war diese Frau Puppendoktor vermutlich schon das Höchste der Gefühle: die Kombination aus weiblicher Anrede und männlichem Titel. In allen anderen Beziehungen war sie wie unsere Mütter: berufstätig, schlau und alltagstauglich. Keine Rebellin und kein Mauerblümchen. Keine Göttin und kein Fußabtreter.
Schnappschuss vier: Role Model Anna Seghers
Schöne Alternative zu den drei klassischen Frauenrollen Gattin, Männerfresserin und Pretty Woman: Anna Seghers. Ein Mädchen, das studiert und promoviert. Aufs reiche Erbe pfeift und sich statt dessen für die Liebesheirat entscheidet. Ihr Mann – ein mittelloser Ungar. Jude und Kommunist. Es kommen Kinder. Ihr Eintritt in die Partei. Und ihre Arbeit. Unermüdliche Arbeit. Novellen, Romane, Essays. Ihre Sprache ist herb, kühn und kühl, mehr Schweigen als Gefühl. Dafür kriegt sie mit 28 bereits den Kleistpreis. Fünf Jahre später: Aufbruch ins Exil. Auch dort publiziert sie weiter. Alle zwei Jahre ein neuer Roman. Einschüchternde Produktivität, die zuweilen auch die Familie über Wasser hält. Und als Hollywood ihr "Siebtes Kreuz" verfilmt, wird sie unsterblich. Kaum vorstellbar, dass diese Frau für eine geschlechtergerechte Sprache auf die Barrikaden geht oder dem Binnen-I gesellschaftsverändernde Kräfte zubilligt.
Schnappschuss fünf: Was bleibt?
Angela Merkel, Christa Wolf, Sibylle Berg, Corinna Harfouch, Sarah Wagenknecht, Katharina Witt. Fünf prominente Frauen aus dem Osten, die es, wie man sagt, geschafft haben. Die Frage ist nur: Mit, durch oder gegen die machistische Sprache der frauenfreundlichen DDR-Diktatur?