Andreas Urs Sommer: Werte. Warum man sie braucht, obwohl es sie nicht gibt
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2016
152 Seiten, 19,95 Euro
Wie mit Metaphern Meinung gemacht wird
Einzelne Worte können Meinung manipulieren. Das wissen auch Rechtspopulisten – und sprechen von "Flüchtlingsströmen". Was solche Worte in uns auslösen, erklärt die Hirnforscherin Elisabeth Wehling. Der Philosoph Andreas Urs Sommer weiß, warum das Erstarken von AfD und Co. uns hilft, unsere eigenen Werte zu festigen.
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit: Universelle, auf immer feststehende Werte gibt es gar nicht, sagt der Philosoph Andreas Urs Sommer. Werte seien "regulative Fiktionen", eine gute und nützliche Erfindung. "Werte sind nichts, was es an sich gibt, sondern etwas, das wir geschaffen und fingiert haben", so Sommer. "Etwas, das von uns gemacht ist, was aber unser Leben als Individuum, als Gruppe und als Gesellschaft reguliert."
Rechtspopulisten zwingen einen, die eigenen Werte zu profilieren
Wir müssten uns bewusst werden, dass selbst scheinbar unverrückbare Werte verhandelbar seien. "In dem Moment, indem meine Werte durch andere Werte herausgefordert werden, muss ich mir klar machen, wo ich stehe", sagt Sommer. Deshalb begrüße er die Auseinandersetzung auch mit extremen Gegenpositionen. "Man muss es für das politische Geschäft in diesem Land gar nicht bedauern, dass jetzt etwa Rechtspopulisten starken Zulauf haben, weil solche Bewegungen einen dazu zwingen, die eigenen Werte zu profilieren."
Und wo verläuft die Grenze zwischen Werten, Bedürfnissen und Regeln? Es sei deshalb repräsentativ, wenn in einer Gruppe keine Einigkeit darüber herrsche, was denn eigentlich Werte seien: Freiheit? Sicherheit? Familie? Das Tötungsverbot? Die Sprachwissenschaftlerin und Hirnforscherin Elisabeth Wehling machte deutlich, dass sogar die konkrete Bedeutung eines Wertes wie etwa "Gleichheit" völlig unterschiedlich interpretiert werde. Bedeutet Gleichheit, dass sich jeder nach seinen Möglichkeiten entfalten kann – oder dass Menschen mit schlechteren Startmöglichkeiten besonders gefördert werden?
Und wo verläuft die Grenze zwischen Werten, Bedürfnissen und Regeln? Es sei deshalb repräsentativ, wenn in einer Gruppe keine Einigkeit darüber herrsche, was denn eigentlich Werte seien: Freiheit? Sicherheit? Familie? Das Tötungsverbot? Die Sprachwissenschaftlerin und Hirnforscherin Elisabeth Wehling machte deutlich, dass sogar die konkrete Bedeutung eines Wertes wie etwa "Gleichheit" völlig unterschiedlich interpretiert werde. Bedeutet Gleichheit, dass sich jeder nach seinen Möglichkeiten entfalten kann – oder dass Menschen mit schlechteren Startmöglichkeiten besonders gefördert werden?
"Flüchtlingsstrom" oder "Schutzbedürftige"?
Am International Computer Science Institute leitet Wehling Forschungsprojekte zu Fragen rund um Ideologie und Meinungsbildung. Und zu politischem Framing. "Framing bedeutet: Man nimmt sich ein bestimmtes politisches Themenfeld und wendet darauf seine eigene politische Weltsicht und Wertehaltung an", sagt Wehling. Solche Frames würden für nahezu jedes politische Themenfeld geschaffen. Aktuelle Beispiele seien Worte wie "Flüchtlingsstrom" oder "Flüchtlingswelle". Wehling: "Dieses Framing macht das Phänomen der Zu-uns-Kommenden als eine bedrohliche Wassermasse begreifbar. Also als etwas, das nicht des Schutzes bedarf, sondern vor dem wir uns schützen müssen. Aber das ist natürlich nur eine von vielen möglichen Sichtweisen auf das Thema."
Zwar sei die Ideologie dieser Metapher offensichtlich – man höre 'Flüchtlingstsunami' und denke sich 'Na, da wird ja sprachlich und gedanklich ziemlich weit ausgeholt'. Doch seien schon kleinste sprachliche Nuancen in der Lage, solche Frames im Gehirn zu aktivieren.
Zwar sei die Ideologie dieser Metapher offensichtlich – man höre 'Flüchtlingstsunami' und denke sich 'Na, da wird ja sprachlich und gedanklich ziemlich weit ausgeholt'. Doch seien schon kleinste sprachliche Nuancen in der Lage, solche Frames im Gehirn zu aktivieren.
Elisabeth Wehling: Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht
Halem Verlag, Köln 2016
226 Seiten, 21 Euro
Konservative ekeln sich schneller
Als Beispiele nannte Wehling Begriffe aus der politischen Diskussion um Steuern. Begriffe wie Steueroase, Steuerflucht, Steuerschlupfloch, Steuerlast seien ideologisch geprägt. Und schon das Verb, Steuern zu "zahlen" verwandle Bürger und Staat in Kunden und Dienstleister. Wer dagegen das soziale Zusammenleben betonen wolle, solle eher davon sprechen, Steuern "beizutragen". "Wenn ich sage, 'Susi hat einen Nudelsalat zum Essen beigetragen', oder 'Ich habe hier heute zu diesem Gespräch beigetragen': Sobald ich das Wort 'beitragen' nutze, bin ich automatisch in einem Frame, der die Gruppe und soziales Miteinander und gemeinsames Handeln impliziert."
Typisch für Progressive seien Framings rund um das Thema Fürsorge. Dagegen seien Reinlichkeit und Strenge fest im konservativen Spektrum verankert. Die Hirnforschung habe gezeigt: "Konservative ekeln sich schneller, haben mehr Angst vor Krankheit und beziehen sich im Denken und Sprechen stärker auf die Domäne der Reinheit." Umgekehrt habe die Forschung auch gezeigt, wie Menschen aus der politischen Mitte auf Ekel reagierten. Wenn Probanden einen politischen Fragebogen in einem Raum ausfüllten, in den die Wissenschaftler ekelhafte Gerüche (etwa von verdorbenem Fisch) leiteten, "da gehen Ihnen die Leute sofort nach rechts", so Wehling.
(tmk)
Typisch für Progressive seien Framings rund um das Thema Fürsorge. Dagegen seien Reinlichkeit und Strenge fest im konservativen Spektrum verankert. Die Hirnforschung habe gezeigt: "Konservative ekeln sich schneller, haben mehr Angst vor Krankheit und beziehen sich im Denken und Sprechen stärker auf die Domäne der Reinheit." Umgekehrt habe die Forschung auch gezeigt, wie Menschen aus der politischen Mitte auf Ekel reagierten. Wenn Probanden einen politischen Fragebogen in einem Raum ausfüllten, in den die Wissenschaftler ekelhafte Gerüche (etwa von verdorbenem Fisch) leiteten, "da gehen Ihnen die Leute sofort nach rechts", so Wehling.
(tmk)
Hören Sie den Mitschschnitt unseres "Lesart"-Podiums vom 6. September 2016 im Essener Grillotheater am Samstag, den 10. September ab 11:05 Uhr. Teilnehmer der Diskussion: Andreas Urs Sommer, Elisabeth Wehling und Jens Dirksen, Kulturchef der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung". Moderation: Christian Rabhansl.