Sprachkritik
"Bitte Ruhe" heißt in der Regel: Ruhig sein, sonst gibt's Ärger. Das "bitte" dient allein der Höflichkeit. © picture alliance / dpa / Jens Büttner
Wenn Forderungen als Gefallen daherkommen
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„Rufen Sie mich gern an“, heißt es inzwischen oft, wo doch eigentlich gemeint ist: „Rufen Sie mich bitte an.“ Dieser Austausch von zwei kleinen Wörtern verdreht nicht zufällig den Sinn: Hier sollen Zumutungen als Segnungen verkauft werden.
Mit Sprache vollziehen wir die verschiedensten Arten von Handlungen. Indem man etwas sagt, kann man beispielsweise ein Versprechen geben, ein Geständnis ablegen oder sich entschuldigen. Praktischerweise gibt es sprachliche Mittel, mit denen wir zum Ausdruck bringen können, welche Art von Sprechakt wir mit unserer Äußerung zu vollziehen wünschen. Zwei ganz unscheinbare Wörter dieser Art sind „bitte“ und „gerne“.
„Bitte“ gehört zur Klasse der Sprechakte, die in der Theorie „direktive Sprechakte“ heißen. Das sind Äußerungen, mit denen man die Adressatin zu einer Handlung auffordern will. Das Wörtchen „bitte“ bringt sowohl diesen Aufforderungscharakter als solchen zum Ausdruck als auch dessen Modus: Eine Bitte ist ja eine andere Art von Direktiv als beispielsweise ein Befehl. Natürlich wird „bitte“ oft aus reiner Höflichkeit gebraucht, ohne die Härte der Aufforderung tatsächlich abzumildern. Wenn die Behörde mir schreibt, ich solle „bitte“ meine fälligen Gebühren zahlen, ist das ja nicht wirklich eine Bitte, sondern eine Anweisung.
Direktive und kommissive Sprechakte
„Gerne“ hingegen gehört zu einer anderen Gruppe von Sprechakten, die „kommissive Sprechakte“ genannt werden. Das sind solche, mit denen man der Adressatin eine eigene Handlung anbietet, so wie in „Ich kann das gerne für dich übernehmen“. Auch „gerne“ bringt den Modus eines solchen Sprechakts zum Ausdruck: Er besagt, dass die angebotene Leistung freiwillig und freudig erbracht wird.
Der Grundsinn der beiden Worte ist also klar. „Bitte“ signalisiert: Ich erwarte etwas von dir, „gerne“ hingegen, dass ich dir etwas anbiete.
In letzter Zeit jedoch geraten die Dinge durcheinander. Ich erhalte ein Schreiben vom Amt mit der Aufforderung, mich zu melden. Doch statt „Rufen Sie uns bitte umgehend an“ steht da immer häufiger: „Rufen Sie uns gerne umgehend an.“ In der Cafeteria teilt man mir neuerdings mit: „Räumen Sie Ihr Tablett gerne selbst auf den Servierwagen.“
Hier stimmt etwas nicht!
Hier stimmt etwas nicht. Das „gerne“ ist an die Stelle des „bitte“ getreten. Und plötzlich verändern die fraglichen Sätze ihr Gesicht. Sie suggerieren nun, dass ich es bin, der das Amt anrufen oder das Tablett wegräumen will. Plötzlich sieht es so aus, als werde einer Bitte von mir stattgegeben. Wie freundlich! Ich bin so dankbar! Die Tatsache, dass eigentlich ich zu einer Leistung verdonnert werde, wird verschleiert. Das pseudo-generöse „gerne“ verdreht die Fakten darüber, wer hier an den Hebeln sitzt.
Vielleicht ist dieser um sich greifende Sprachgebrauch ganz harmlos zu erklären. Genauso wie als höfliche Aufforderung kann „bitte“ nämlich auch als höfliche Antwort auf ein „Dankeschön“ verwendet werden. Das Wort „bitte“ erfüllt also im Deutschen eine Doppelrolle, für die andere Sprachen zwei verschiedene Worte benutzen, zum Beispiel „please“ im Unterschied zu „you’re welcome“.
Sprachliche Schludrigkeit?
Und in dieser zweiten Rolle kann „bitte“ natürlich problemlos gegen „gerne“ ausgetauscht oder mit ihm kombiniert werden, wie in „Bitteschön, gerne geschehen.“ Es könnte also schlicht sprachliche Schludrigkeit sein, die manche denken lässt, dass es dann wohl grundsätzlich egal sei, ob man nun „bitte“ oder „gerne“ sagt.
Vielleicht liegt die Ursache aber doch tiefer. Die Verdrängung von „bitte“ durch „gerne“ könnte auch ein unbewusst in der Sprache sich zeitigender Effekt einer bestimmten politischen Kultur sein - einer Kultur, die dazu neigt, Forderungen als Einladungen zu verkaufen und offensichtliche Zumutungen als Segnungen. Viele Politiker_innen sind der Ansicht, dass die Menschen in Zukunft wieder länger arbeiten sollen, aber manche würden sich nie dazu herablassen, so etwas zu fordern. Nein, gerne werden sie uns die Möglichkeit geben, länger zu arbeiten! Was werden die Leute sich freuen, Mensch. Denken Sie gerne darüber nach!