Sprachkritik

Politischer Schwurbel-Sprech als Mogelpackung

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) spricht am 14.11.2014 in Hamburg in der Markthalle bei der Verleihung der Lead-Awards.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) spricht am 14.11.2014 in Hamburg in der Markthalle bei der Verleihung der Lead-Awards. © picture alliance / dpa / Axel Heimken
Von Rolf Schneider · 25.06.2015
Wer sind eigentlich diese oft zitierten "politischen Beobachter"? Und warum wird Politik heutzutage "implementiert" statt einfach umgesetzt? Der Schriftsteller Rolf Schneider nimmt eine politische Schwurbel-Sprache auseinander, die oft nur überdecken soll, was an politischem Gehalt fehlt.
Mitteilungen aus der Politik und Berichte über Politik wollen unterrichten und aufklären. Ihr Mittel ist das Wort. Sprache kann erhellen und verschleiern. Wie verhält sie sich hier?
Nehmen wir den politischen Beobachter. Eigentlich gibt es ihn bloß in der Mehrzahl, gleichsam als Pluraletantum, nach Art der Leute, der Eltern und der Ferien.
Die politischen Beobachter treten in der Bundeshauptstadt Berlin auf. Dort äußern sie Eindrücke, Meinungen, Vermutungen. Sie kommen ausschließlich in medialen Texten vor, in gedruckten oder gesendeten Meldungen, Berichten, Kommentaren. Gesicht und Personennamen haben sie nicht. Anonymität ist das Wesen ihre Existenz.
Wo aber halten sie sich auf? Den politischen Betrieb zu beobachten ist vornehmlich das Geschäft von Journalisten. Da deren Branche geprägt ist durch Eitelkeiten, wäre der Rückzug in die Anonymität ein fast schon perverser Vorgang. Näher liegt die Vermutung, die politischen Bobachter seien in Wahrheit nicht Spanner, sondern Täter im Politikbetrieb, Whistleblower, denen eine namentliche Erwähnung schaden würde. Oder handelt es sich bloß um Gerüchte, um Stimmungen, um Verlegenheitsformeln? Die politischen Bobachter, sagen wir es rundheraus, sind ein Popanz, und ihr Name ist Schwindelei.
Wie erwähnt findet man sie ausschließlich in Medientexten. Die anderen verbalen Unmöglichkeiten werden von der aktiven Politik geteilt.
So das Wort implementieren. Unentwegt wird derzeit implementiert. Der Begriff kommt aus dem Lateinischen und bedeutet ausfüllen oder einbringen. In den modischen Gebrauch gelangte er über den IT-Betrieb; wer ihn verwendet, wähnt sich auf der Höhe der Zeit. Das Lexikon erklärt implementieren als - wörtlich - die „Umsetzung von festgelegten Strukturen und Prozessabläufen in einem System unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen". Dergleichen Geschwurbel dürfte einen zusätzlichen Anreiz für Politikerreden liefern.
Es wird "erzeugt", "generiert" und "hervorgebracht"
Und dort gibt es neuerdings noch das Narrativ. Es bedeutet Erzählung, und auch dieses Wort kam im Politikbereich schon vor, erstmals bei dem gescheiterten SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück. Erzählung steht da für Vergangenheit, Schickaal, Historie, Narrativ steht außerdem für Überzeugungsarbeit. Die sprachliche Verfremdung erklärt nichts, sie verwirrt.
Begeben wir uns nunmehr zur Willkommenskultur. Man weiß, es geht darum, Flüchtlinge ordentlich aufzunehmen und zu versorgen. Das einfache Wort Willkommen würde genügen, doch die Verbindung mit Kultur macht die Sache erhabener. Mit der gleichfalls gern verwendeten Erinnerungskultur verhält es sich ähnlich. Dass pompöse Worthülsen leer sind und ihr gewolltes Ziel darum verfehlen, scheint keinem der Sprecher bewusst.
Gar nicht pompös klingen die Wörter "hervorbringen" und "erzeugen" im Vergleich zu "generieren". Der Begriff ist schon lange ein Schlager unter den verbalen Albernheiten. Seine Karriere, die einst in biologischen Forschungseinrichtungen ihre bescheidenen Anfänge nahm, hat mit den Assoziationen zu tun, die es auslöst: Generalabrechnung und Generalmajor, Generator, Generation und Generalisieren: lauter Bezeichnungen für Rang, Herrschaft und Verfügungsmacht. Generieren klingt dominant und geheimnisvoll. Exakt so möchte die politische Klasse gesehen werden und offenbart eben dadurch das traurige Gegenteil.
Rolf Schneider stammt aus Chemnitz. Er war Redakteur der kulturpolitischen Monatszeitschrift Aufbau in Berlin (Ost) und wurde dann freier Schriftsteller. Wegen "groben Verstoßes gegen das Statut" wurde er im Juni 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen, nachdem er unter anderem in einer Resolution gegen die Zwangsausbürgerung Wolf Biermanns protestiert hatte. Veröffentlichungen u.a. "November", "Volk ohne Trauer" und "Die Sprache des Geldes". Seine politischen und künstlerischen Lebenserinnerungen fasst er in dem Buch "Schonzeiten. Ein Leben in Deutschland" (2013) zusammen.
Der ostdeutsche Schriftsteller Rolf Schneider (2000), Autor des Wenderomans "Volk ohne Trauer"
Der ostdeutsche Schriftsteller Rolf Schneider (2000), Autor des Wenderomans "Volk ohne Trauer" © picture alliance / dpa / Klaus Franke
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