Sprachkritik

Wer „Populismus“ sagt, verharmlost Rechtsextremismus

04:35 Minuten
Ein Plakat bei einer Kundgebung gegen Rechtsextremismus in Sonneberg. Darauf zu lesen ist: "Populismus - zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie ein Geschichtsbuch oder fragen Sie Ihre Großeltern".
Der Begriff "Populismus" spielt nur Rechsextremen in die Hände, meint Hanno Hauenstein. © IMAGO / Müller-Stauffenberg / IMAGO / Müller-Stauffenberg
Anmerkungen von Hanno Hauenstein |
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Der Begriff „Populismus“ wurde in den letzten Jahren inflationär verwendet, dient dabei aber oft als Label, um unterschiedliche Spielarten des Rechtsextremismus zu beschreiben. Doch das Wort ist sehr diffus und vernebelt mehr, als dass es erklärt.
Jemandem „Populismus“ zu bescheinigen, ist nicht als Kompliment gemeint. Der Begriff suggeriert manipulative Sprache und opportunistisches Handeln – Volksnähe um jeden Preis. Linke Theoretiker wie Ernesto Laclau and Chantal Mouffe versuchten, den Begriff aufzuwerten und umzudeuten. Der französische Politiker Jean-Luc Mélenchon gilt etwa gemeinhin als linker Populist.
Die "Encyclopedia of Democracy" definiert Populismus als "politische Bewegung, die die Interessen der einfachen Bevölkerung hervorhebt, im Gegensatz zu denen einer privilegierten Elite".

Rechtsextreme schmücken sich gerne mit dem Populismus-Begriff

Massen-Appeal und Volk gegen Eliten: Kein Wunder, dass Rechtsextreme den Populismus-Begriff seit Jahren als Selbstbezeichnung verwenden. Selbst wenn die liberale Mitte ihn als Schimpfwort versteht, bevorzugen Rechtsextreme das Label “populistisch” zweifellos gegenüber Wörtern wie “rassistisch”, “chauvinistisch” oder “faschistisch” – Begriffe, die ihr ideologisches Fundament zwar besser erfassen, jedoch mit historischem Stigma belegt sind. Ein Stigma, das der Populismus-Begriff effektiv kaschiert.
In einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung erklärte der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland etwa, Populismus sei eine Reaktion auf eine “globalisierte Elite”. Diese verortet er in der UN, in Universitäten, in Stiftungen und Parteien. Diese ominöse Schattenelite kontrolliere Informationen und gebe politisch den Takt vor.
Gauland spricht von einer “Allianz globalistischer Linker und globalem Kapital”, deren Übermacht man – sprich, die AfD – nicht einfach so hinnehmen werde. “Das, meine Damen und Herren, nennt man Populismus … Und deshalb sind wir Populisten“, so Gauland.
Man muss blind sein, um nicht zu sehen, was das Verschwörungskonstrukt der „strippenziehenden Globalisten“ ist: nämlich antisemitisch.

Eine verharmlosende Etikette hilft den Rechtsextremen

Wer sich etwas länger mit der Verwendung des Wortes Populismus beschäftigt, dem drängt sich der Eindruck auf, dass man Rechtsextremen mit dieser verharmlosenden Etikette keinen größeren Gefallen hätte tun können. Allein die semantische Assoziation zum Vox Populi – zur “Stimme des Volkes” – macht rechtsextremen „Populismus“ von demokratischen Forderungen nur schwer unterscheidbar.
Von Populisten zu sprechen, wenn Rechtsextreme gemeint sind, impliziert aber auch, dass Letztere tun, was anderen misslingt: die Wünsche des Volkes ernst zu nehmen, für die “schweigende Mehrheit” zu sprechen.
Ein gravierendes Missverständnis, das eine Entwicklung fördert, die gerade in Deutschland in den letzten Jahren immer deutlicher wurde. Nämlich, dass die extreme Rechte etablierte Parteien mit dem selbst deklarierten „Volkswillen“ vor sich hertreiben, sie in die Defensive bringen und ihnen ihre Agenda aufzwingen.

Der Mythos vom "Volkswillen"

Von Messer- und Freibad-Debatten über Diskussionen rund um Zugehörigkeit und Abschiebungen: die Anzahl der Beispiele, in denen Rechtsextreme hierzulande die Diskurshoheit haben, ist bedrückend. Mit ein Grund dafür: der Mythos, ihre Forderungen seien Ausdruck des Volkswillens.
Die Auslegung des Populismus-Begriffs als „Volkswillen gegenüber einer korrupten Elite“, verdeckt auch die wahren Ursachen sozialer Ungleichheit. Existierende Gräben werden auf ein plattes „Oben versus Unten“ reduziert.
Kurzum: Wer “Populismus” sagt, weil er “Rechtsextremismus” meint, verniedlicht völkische Ideen. Das Wiederaufleben der extremen Rechten in Deutschland ist aber nicht Ausdruck eines genuin rassistischen Volkswillens. Sondern die logische Schlussfolgerung der mehr oder weniger bewussten Manipulation der öffentlichen Meinung zur Durchsetzung reaktionärer Ideen in einem Klima wachsender sozialer Ungleichheit.
Im Namen der demokratischen Verständigung: Lasst uns das Kind „Rechtsextremismus“ doch einfach beim Namen nennen. Der schwammige Populismus-Begriff tut das schon lange nicht mehr.

Hanno Hauenstein war bis Oktober 2022 Ressortleiter bei der “Berliner Zeitung” und unter anderem verantwortlich für die Bereiche Kunst und politisches Feuilleton. Er studierte Philosophie und Literaturwissenschaft zwischen Tel Aviv und Berlin. Als freier Journalist veröffentlichte er unter anderem für "Zeit Online", "Frieze Magazine" und die "taz". 2014 gab er die deutsch-hebräische Kunst- und Literaturzeitschrift “aviv Magazin” heraus.

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