Sprachniveau der Jüngeren

Schreiben und Lesen mangelhaft

Eine Gruppe ganz unterschiedlicher Emojiis.
Emojis statt Wörter: Die schriftliche Kommunikation in den sozialen Netzen führt dazu, dass viele das korrekte Schreiben verlernen, beklagt Leon Igel. © Getty Images / Dimitri Otis
Ein Einwurf von Leon Igel · 07.02.2022
Texte im Grundschulstil, die vor Grammatik- und Rechtschreibfehlern nur so strotzen: Der 26-jährige Journalist Leon Igel findet das Schreibniveau seiner Generation zum Schämen. Schlimmer noch: Sie verstehe auch keine komplizierten Texte mehr.
Neulich habe ich mal wieder so eine bemerkenswerte E-Mail bekommen. „Hallo“ beginnt die Mail, dann folgt ein Grinse-Emoticon. Sehr geehrte Damen und Herren oder so ähnlich? Fehlanzeige. Die wenigen Sätze der Mail sind voll von orthografischen und grammatikalischen Fehlern.
Ich lese die Zeilen und schäme mich: Diese Mail ist eine Dienstmail, geschrieben hat sie eine junge Kollegin, ihr Geschreibsel ist auch an unsere Vorgesetzten adressiert. Was sollen die bitte von uns jungen Menschen denken?
Mein Postfach ist voll von Mails im Grundschulstil, ich lese haufenweise grauselige Texte Korrektur. Langsam ahne ich, was sich Professoren fragen: Haben junge Leute heute verlernt, zu schreiben? Meine Antwort lautet: Ja, viele. Aber verübeln kann man es ihnen nicht.

Mails auf Grundschulniveau

Richtig schreiben heißt, sich der Regeln der Schriftsprache korrekt zu bedienen. Das lernt man zum Beispiel durch Nachahmung. Eine Binsenweisheit lautet daher: Wer viel liest, hat weniger Probleme mit dem Schreiben.
Einen Roman zu lesen, ist unter Schülern jedoch ungefähr so angesagt wie Anzug und Krawatte. Laut einer Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest greifen nur noch 40 Prozent aller Gymnasiasten regelmäßig zu einem Buch. 
Viele junge Leute machen also so viele Rechtschreibfehler, weil sie nicht mehr lesen? So einfach ist es nicht. Denn sie lesen ja am laufenden Band. Instagram, Twitter, Whatsapp. Die Alltagskommunikation junger Menschen findet in Textform statt. Es wurde noch nie so viel gelesen wie heute.
Es gibt aber ein Problem: Texte auf diesen Plattformen imitieren überwiegend mündliche Kommunikation. Sie weisen keine komplizierte Syntax auf, folgen nicht zwingend der Rechtschreibung, Kommata sind völlig unbekannt, und sie nutzen Idiome, die im gesprochenen Deutsch zwar gut klingen, aber in der Schriftsprache eben nicht. Sheesh, wie kompliziert!

Sprache im Internet ist mündlich

Die sozialen Medien sind das neue Babel. Schriftsprache: unbekannt. Mündlich verständlich verbindet sich mit schriftlich falsch. In diesem Wirrwarr eine auch schriftlich korrekte Ausdrucksweise zu lernen, ist unmöglich.
Schreibe, wie du liest. Diese alte Weisheit gilt nicht mehr. Für Erwachsene ist das kein Problem. Als sie in das Internet-Babel geworfen wurden, waren ihre lexikalischen Fähigkeiten schon ausgebildet. Ich bin Jahrgang 1995 und befinde mich an der Schwelle. Auf Facebook bin ich, seitdem ich fünfzehn bin. Ich hatte davor genügend Zeit für echte Lektüre.
Wer in den 2000ern geboren wurde, hatte dieses Glück nicht mehr. Die Schwächen beim Schreiben dürfen wir ihnen also nicht verübeln. Wir müssen uns vielmehr überlegen, was wir als Gesellschaft besser machen können, um junge Menschen für die schriftlichen Absonderlichkeiten im Internet zu sensibilisieren.

Lernbegier junger Menschen nutzen

Das hat höchste Priorität, denn ein fehlerhafter Ausdruck ist das eine. Schwerwiegender sind die Probleme beim Verstehen von längeren Texten. In den sozialen Medien gibt es nur kurze Texte. Wer sich aber nie mit langen, komplexen Texten auseinandersetzt, lernt auch nicht, diese zu verstehen.
Wie sollen Schulabgänger, die mit schwierigen Texten nicht souverän umgehen können, in unserer komplexen Welt durchs Leben gehen? Wie sollen sie Lösungen für unsere zahlreichen Probleme finden? Wir müssen junge Menschen wieder für lange und komplizierte Texte begeistern.
Junge Menschen sind lernbegierig, aber bei Literatur denken viele: Das alte Zeug hat mir nichts zu sagen. Prädikat: uncool. Wir sollten besser vermitteln: Literatur hält Wissen bereit! Ohne sie verpassen wir etwas. Durch sie lernen wir, uns auszudrücken und vieles mehr. Das gilt für "Harry Potter" wie für Goethe.

Leon Igel, Jahrgang 1995, stammt aus aus einem Dorf bei Fulda. Er studiert Germanistik und Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim und schreibt neben dem Studium als freiberuflicher Journalist, unter anderem für die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Porträtaufnahme von Leon Igel
© Anna Logue
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