Sprachunterricht in Deutschland

Wie die Türkei deutsche Schüler beeinflusst

Die Lehrerin Hava Kolbasi (l) unterrichtet am Dienstag (19.02.2008) an der Katharina-Henoth Gesamtschule in Köln in einer 11. Klasse türkischstämmige Schüler in ihrer Muttersprache. An der Schule wird Türkisch im Unterricht als zweite Fremdsprache angeboten.
Eine Lehrerin beim Türkisch-Unterricht an einer Gesamtschule in Köln. © picture alliance / dpa / Oliver Berg
Von Kemal Hür |
An staatlichen deutschen Schulen wird Türkisch unterrichtet. Den Inhalt geben nicht die deutschen Behörden, sondern die türkischen Konsulate vor. Wie hoch ist der Einfluss der aktuellen türkischen Regierung auf die Türkisch-Lehrer an deutschen Schulen?
Der Betriebswirt Nazim Gündüz hat in der Türkei studiert und spricht ein perfektes Türkisch. Er hat einen 10-jährigen Sohn und eine achtjährige Tochter. Damit auch sie ein gutes Türkisch in Wort und Schrift beherrschen, haben die Gündüz ihre Kinder für den muttersprachlichen Türkischunterricht angemeldet. Aber der Sohn habe neulich plötzlich gesagt, er habe keine Lust mehr auf den Unterricht, berichtet Nazim Gündüz. Gündüz, der mit seiner Familie in Berlin lebt, möchte lieber Türkisch sprechen, weil er sich darin besser ausdrücken kann als auf Deutsch, sagt er.
"Wir sind dahinter gekommen, dass der Lehrer den Kindern einen Film über den Dardanellenkrieg gezeigt hat. Das hat unser Kind abgeschreckt. Wie viele andere Eltern erlauben auch wir unseren Kindern nicht, unter der Woche fernzusehen. Es ist natürlich nicht förderlich, den Kindern im Muttersprachenunterricht einen Kriegsfilm zu zeigen. So einen Film kann ich als Erwachsener kaum ertragen."
Die Schlacht um die Meeresenge Dardanellen während des Ersten Weltkrieges wird in der Türkei glorifiziert und als Sieg über die Feinde der Türkei gefeiert. Sie ist fester Unterrichts-Bestandteil in den Grundschulen. Nazim Gündüz hat seinen Sohn nach dem Vorfall mit dem Film aus dem türkischen Konsulatsunterricht abgemeldet. Denn die Lehrer seien offenbar staatstreu und konservativ. Für ihn habe Politik oder Religion in diesem Unterricht aber nichts zu suchen, sagt er.
"Ich schicke mein Kind nicht dorthin, damit ihm eine bestimmte politische Meinung eingeimpft wird. Es sollte ausschließlich um das Erlernen der türkischen Sprache gehen. Von daher müssen die Lehrer daran arbeiten, dass die Kinder die türkische Sprache schätzen und lieben lernen, aber eben nur die Sprache."
Die Berliner Schulverwaltung möchte zu diesem Thema zurzeit kein Interview geben. Schriftlich teilt sie mit:
"Den muttersprachlichen Ergänzungsunterricht gibt es derzeit an ca. 150 Grundschulen. Er wird von ca. 50 Lehrern außerhalb der regulären Unterrichtszeit in den Nachmittagsstunden angeboten. Die Lehrer werden für bis zu fünf Jahre aus der Türkei nach Deutschland geschickt. Für den Lehrplan und die Lehrmaterialien sind türkische Behörden verantwortlich. Aktuell werden in Berlin Daten erhoben, wie viele Schüler an dem Unterricht teilnehmen und welche Erfahrungen die Schulen mit dem Unterricht machen."

Türkisch als reguläres Fach

Berin Arukaslan, die Bundesvorsitzende der Föderation der türkischen Elternvereine, macht die Bundesländer für die bestehenden Probleme verantwortlich.
"Wenn man sich einer Sache nicht annimmt, dann hat man tatsächlich das Problem, dass andere sich diese Aufgabe aufbürden und es dann mehr schlecht als recht übernehmen und dadurch diese Diskussionen entstehen. Anstatt dieses Thema zu politisieren, sollte die deutsche Regierung irgendwann auch nachhaltig eine Lösung für dieses Problem finden, wo seit mehr als 30 Jahren Migrantenorganisationen schreien: So geht das nicht. Das haben wir euch schon Anfang der 90er gesagt."
Der Elternverein fordert genauso wie der Türkische Bund Berlin-Brandenburg seit langem, dass Türkisch für muttersprachliche Kinder als reguläres Fach angeboten werden solle – unter staatlicher Kontrolle und von Lehrkräften, die in Deutschland ausgebildet werden.
Die neue Berliner Koalition aus SPD, Linken und Grünen hat das in ihrer Koalitionsvereinbarung bereits festgeschrieben – und zwar für Türkisch, Arabisch, Kurdisch und osteuropäische Sprachen. Ein erster Schritt, den die beiden Verbände begrüßen. Nun müsse die Koalition die Vereinbarung schnellstens umsetzen und der Konsulatsunterricht in seiner bisherigen Form müsse beendet werden, sagt Safter Cinar vom Türkischen Bund.
"Unsere Vorbehalte haben zwei Gründe. Die Lehrkräfte – auch wenn es gute Lehrkräfte sein sollten – sind in der Türkei ausgebildet, um nach den sozialen und psychologischen Verhältnissen der Türkei Kinder zu unterrichten. Und sie wissen naturgemäß nicht, wie das Innenleben, wie das Leben der Kinder hier ist. Das gilt ähnlich auch für die Bücher. Die Bücher sind für den Unterricht in der Türkei konzipiert."

Kinder entwickeln Verständnis für Herkunftsland

Ismet Dertli hat einen Sohn in der fünften Klasse, der den muttersprachlichen Türkischunterricht besucht.
"Der Grund war für uns, dass er auch die Muttersprache gut beherrschen und auch mit der Muttersprache aufwachsen soll. Denn die Muttersprache ist der wichtigste Schlüssel für seine Zukunft. Und wenn er seine Muttersprache gut beherrschen würde, dann würde er auch die Fremdsprachen sehr gut beherrschen und auch richtig lernen."
Dertli findet es nicht problematisch, dass neben der türkischen Sprache auch Landeskunde unterrichtet wird. Im Gegenteil: die Kinder würden dadurch mehr Verständnis für das Herkunftsland ihrer Eltern entwickeln.
"Weil wir im Sommer in die Türkei verreisen und dort unseren Urlaub machen, die Familie besuchen, damit er mit der Kultur, der Geschichte, mit den Traditionen und mit der Sprache klarkommen sollte."
Ismet Dertli war einige Jahre lang Lehrer für den alevitischen Religionsunterricht. Dieses freiwillige Fach findet außerhalb der regulären Unterrichtszeit statt wie auch der muttersprachliche Konsulatsunterricht Türkisch, sagt Dertli. Die Eltern hätten das Recht, in diesen Fächern zu hospitieren. Von dieser Möglichkeit würde er selbst sofort Gebrauch machen, wenn er den Verdacht hätte, dass sein Sohn im Türkischunterricht politisch oder religiös beeinflusst würde. Der Unterricht müsse neutral sein, betont er. Und er ist beruhigt: Denn sein Sohn habe bislang nichts Negatives über den Unterricht oder den Lehrer erzählt.
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