Rente und Mindestlohn - auch hinter Gittern
Häftlinge arbeiten hinter Gittern für einen Hungerlohn. Warum aber ist Arbeit weniger wert, wenn sie von einem Gefangenen verrichtet wird? Diese Frage stellte sich Oliver Rast, als er im Gefängnis saß - und gründete die Gefangenengewerkschaft.
"Ja, mein Name ist Oliver Rast, bin 42 Jahre, gebürtiger Westberliner, was vielleicht nicht ganz unwesentlich ist, wenn man dann aus der Stadt Berlin kommt, ähem, 20 Jahre im Märkischen Viertel aufgewachsen. Märkisches Viertel ist vielleicht noch so ein Begriff, also die Westberliner Platte, was dann auch als so genannter sozialer Brennpunkt viele, viele Jahrzehnte galt."
"Anarchisten und Sozialrevolutionäre", "Klassenkampf gegen Völkerkampf", "Der Traum der Republik", "Kritik und Krise", "Alle Macht den Räten – nicht der Partei", "Antiautoritäre Erziehung": Oliver Rast hebt eine von vielen Bananenkisten mit Büchern auf den Tisch, packt aus. Im Roten Antiquariat in Berlin arbeitet er schon seit vielen Jahren. Seit rund einem Jahr ist der gelernte Buchhändler mit den millimeterkurz geschorenen Haaren auch Sprecher der noch jungen Gefangenengewerkschaft.
Sie fordert Mindestlohn und Rentenversicherung für arbeitende Gefangene. Die bekommen jetzt zwischen acht und 15 Euro pro Tag, und rutschen nach dem Gefängnis oft in die Armut. Schlechte Voraussetzung für eine Resozialisierung.
Oliver Rast weiß, wovon er spricht. Saß selbst eineinhalb Jahre im Knast.
"Also ich bin im Jahre 2007 und zwar im Sommer 2007 festgenommen worden. Hintergrund war beziehungsweise ist weiterhin ein Ermittlungsverfahren nach dem Paragraph 129, der besagt: Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Das ist so ein typischer Staatsschutzparagraf, der seit den 70er-Jahren in dieser Republik hinlänglich bekannt sein sollte."
Er meint die RAF Geschichte. Um den Terrorismus zu bekämpfen, wird 1976 der Straftatbestand "Bildung einer terroristischen Vereinigung" in das Strafgesetzbuch aufgenommen. Kritiker sagen, mit dem Paragraphen 129a werde politische Aktivität unter Strafe gestellt.
"Und, der eigentliche Hintergrund dieser Festnahme waren Observationen im Zuge dieser Anschlagsvorbereitungen. In diesem kleinen Städtchen Brandenburg an der Havel sind wir dann von dem besagten mobilen Einsatzkommando festgesetzt worden und fanden uns dann im märkischen Sand wieder."
Oliver Rast wird wegen versuchtem Brandanschlag auf Bundeswehrfahrzeuge und Mitgliedschaft in der "Militanten Gruppe" zu dreieinhalb Jahren verurteilt. Davon eineinhalb Jahre hinter Gittern, im geschlossenen Vollzug.
Mitglied bei den "industrial workers of the world"
In der JVA Tegel arbeitet er in der Buchbinderei und gründet im Mai 2014 die Gefangenengewerkschaft.
"Ich komm' aus einem ganz klassischen sozialdemokratischen Haushalt, aus einem Arbeiter-/Angestellten-Haushalt. Mein Vadder war Kraftfahrer bei den Wasserwerken hier in Berlin, meine Mutter kaufmännische Angestellte; beide sind verrentet. Innerfamiliär waren so zwei Kernlinien einfach klar: Nazis sind scheiße, Krieg ist scheiße, das war für meine Eltern so ein Ansatzpunkt, sozialdemokratisch zu wählen."
Und er selbst?
"Auch wenn ich ursprünglich bei den Jusos war, dann bei dem Grünenableger, der Alternativen Liste hier in Westberlin, und dann für mich irgendwann die Enge des Parlamentarismus wahrgenommen habe, und ich mich dann eher in sozialen Bewegungen engagiert habe."
"Die Solidarität organisieren", "Macht und Recht im Betrieb", "Karl Liebknecht Studien Band 1", "Tu was", "Demokratie im Fadenkreuz", "Vorhang auf für die Revolution": Seit Jahren ist Oliver Rast in der linken Szene Berlins unterwegs, bezeichnet sich selbst als "Rätekommunist". Er weiß viel über linke Politikgeschichte. Hier wurzelt seine Überzeugung und sein Engagement.
"Also ich bin Mitglied unter anderem bei 'industrial workers of the world', die abgekürzt Wobblis genannt werden, einer sehr militanten Basisgewerkschaft, die 1905 gegründet wurde, wo weltweit ..., eine der ersten Strukturen, wo farbige Menschen, wo Frauen, wo Deklassierte zusammengekommen sind und sich sehr positiv von den etablierten Gewerkschaftsstrukturen, die immer sehr weiß, sehr männlich waren, abgrenzen."
Kaum eine Gruppe hat eine kleinere Lobby in der Gesellschaft als die von ihr Eingesperrten. Und dennoch steht die Gefangenengewerkschaft mit ihrer Forderung nach Rentenversicherung für arbeitende Gefangene nicht allein. Im Dezember vergangenen Jahres hat Die Linke dazu einen Antrag im Bundestag eingereicht. Und vor kurzem hat sogar Uta-Maria Kuder, CDU Justizministerin in Mecklenburg-Vorpommern, sich dafür ausgesprochen, dass Gefangene künftig in die Rentenversicherung einzahlen dürfen. Das gehöre zur Resozialisierung, so die Ministerin. Auf ihren Antrag hin prüfen jetzt die Justizminister der Länder das Anliegen.
"Ja, herzlich Willkommen zur kleinen feinen Kundgebung der Gefangenengewerkschaft / Bundesweite Organisation. So ist das schön laut: So herzlich willkommen zur ersten kleinen feinen Kundgebung der GG/BO. Unser Anlass ist heute hier, den Mindestlohn für alle zu fordern und natürlich auch für die inhaftierten Beschäftigten. Deshalb unser Motto: Mindestlohn für alle, auch hinter Gittern."