Springer auf Imagesuche in Amerikas Westen
Unternehmen in Deutschland, so auch der Springer Konzern, schicken gerne Manager nach Kalifornien. Diese sollen sich dort inspirieren lassen. Nach Einschätzung des Kurators der Berliner Ausstellung "The Whole Earth. Kalifornien und das Verschwinden des Außen" ist dies Ausdruck einer Art Hoffnung auf neue Horizonte.
Christine Watty: Kai Diekmann ist der Chef der "Bild"-Zeitung und trägt seit Neustem gerne Kapuzenpulli statt Anzug und tut sich auch kein Gel mehr in die Haare! - Äußerlichkeiten sind das natürlich, allerdings hängt der kleine Stilwechsel des ehemals eher glatt daherkommenden Chefredakteurs zeitlich deutlich mit seinem Aufenthalt im Silicon Valley in Kalifornien zusammen, denn Axel Springer hat dort - genauer: in Palo Alto - eine kleine Entwicklungsdependance aufgebaut.
In der Springer-WG in Kalifornien sollen regelmäßig Menschen in Schlüsselpositionen für den digitalen Umbau des Unternehmens für ein paar Monate residieren. Diekmann war also jetzt da und bringt die neue paywall für Bild.de namens Bild Plus mit, die heute eingeführt wurde. Christoph Keese, Konzerngeschäftsführer "Public Affairs", ist noch da, und wer auch immer aus dem Hause Springer jetzt oder in Zukunft nach Kalifornien reist, der soll sich dort umschauen, der soll sich vernetzen, soll sich beraten mit Universitäten und Start-ups über digitale Strategien. Und vor allem, so scheint es - und da kommen wir wieder zurück zum Anfang und zum Kapuzenpulli: Alle wollen dabei etwas abhaben von der Aufbruchs- und Kreativitätsstimmung in Kalifornien.
Und über eben dieses Gefühl, diese Stimmung wollen wir sprechen mit Anselm Franke, Kurator der Ausstellung "The Whole Earth. Kalifornien und das Verschwinden des Außen", derzeit im Berliner Haus der Kulturen der Welt. Hallo, Anselm Franke, Schönen Guten Tag!
Anselm Franke: Guten Tag!
Watty: Wie würden Sie das beschreiben, was Leute wie zum Beispiel die Springer-Mannschaft in Kalifornien vermeintlich suchen, neben natürlich konkreten Ideen für das Internet und für ihre Printprodukte?
Franke: Ich würde das "spekulierend" beschreiben einerseits, sicherlich suchen sie einen Imagetransfer und einen Imagemehrwert, der eben mit der kalifornischen Utopie zu tun hat. Man könnte vielleicht auch vermuten, dass Springer wie auch andere Medienunternehmen haben es ja nicht ganz leicht, ihre Ökonomiemodelle auf das Internet abzustimmen. Vielleicht ist da sogar ein bisschen Verzweiflung dabei und man sucht sein Heil an der kalifornischen Küste, wo ja das positive Denken bekanntermaßen Programm ist. Der Imagetransfer hat natürlich ganz viel damit zu tun, das, was aus Kalifornien in Silicon Valley geworden ist, ist ja so ein Mix mit verschiedenen historischen Zutaten, der eben von einer permanenten Aufbruchsstimmung und einem bestimmten Unternehmergeist lebt und einer bestimmten Idee einer radikalen Marktdemokratie der Ideen. Das ist ja auch diese Start-up-Kultur, die eine Idee schnell auf den Markt rauf- und genauso schnell wieder wegnimmt, wenn sie nicht erfolgreich ist. Das ist ja eine Idee, die die Vorstellung von Markt in den letzten zwei Jahrzehnten, also eigentlich seit dem Ende des Kalten Krieges global sehr beeinflusst hat und auch heute es noch tut.
Wobei sich in den kalifornischen Modellen durchaus auch große Krisen abgezeichnet haben und selbst Silicon Valley ist heute nicht nur Enthusiasmus ... Das Programm der kalifornischen Ideologie, die eine Utopie sein will, wird sicherlich aufrecht erhalten, ob die paywall allerdings die Antwort ist, das bleibt abzuwarten. Aber natürlich die ideologische Stärke, die Kraft auch der Idee war natürlich, so eine radikal kunsumer-orientierte Ökonomie zu bauen. Das ist diese Idee auch des Marktes der Ideen.
Watty: Ja. Da kommen wir gleich noch mal drauf zurück, weil wir natürlich auch das Beispiel Apple genauer beleuchten müssen. Sie haben sich ja mit der kalifornischen Ideologie beschäftigt, und was Sie gerade genannt haben, diese Neuaufstellung oder Neuinterpretation des Prinzips des Marktes durch diese ganzen Start-ups, ist das direkt anzuschließen als der Teil der kalifornischen Ideologie, den wir als Hippietum bezeichnen würden? Gibt es einen großen Bogen und ist das alles stimmig, die Fortsetzung dieses positiven Denkens, dieser Freiheitsliebe, die man Kalifornien nachsagt? Gehört das alles zusammen?
Franke: Wenn Sie den großen Bogen beschreiben wollen, dann muss man noch weiter zurückgehen, nicht nur zu den Hippies. Da ist der sogenannte frontier spirit, der spirit, der die Go-West-Bewegung historisch bestimmt hat, der erklärtermaßen immer schon mit einem Bruch mit der Vergangenheit, mit dem Bruch mit den Konventionen zusammenhing. Und dieser frontier spirit, der kam ja in Kalifornien sozusagen an sein geografisches Limit. Und was seitdem ... Man kann historisch, und das beschreiben wir auch in der Ausstellung "The Whole Earth. Kalifornien und das Verschwinden des Außen", da ist eine Version dieses Außen einfach das noch nicht eroberte, unbekannte Territorium, das in Kalifornien an das Limit stößt des Pazifik. Daher der spezifisch kalifornische Geist, der lebt immer noch aus diesem frontier spirit, der ein Ausbruch aus den Konventionen ist, ein Weg vom alten Europa und ein spirit der Individuen, die Neuland erobern. Und davon lebt das sicherlich mehr als von den Hippies. Nur werden die Hippies heute in der Regel nicht im Kontext dieses frontier spirits gesehen.
Für uns war interessant, eben noch einen größeren Bogen zu schlagen und zu sehen, in welcher Kontinuität eigentlich die Hippies standen, die ja eigentlich das gesamte Gesellschaftssystem, was sie als Technokratie und als Massengesellschaft, die eindimensionale Menschen hervorbringe, um mit Herbert Marcuse zu sprechen, der ein großer Stern am Bezugshimmel der Hippies war ... Und die Hippies haben ja diese Idee von Gesellschaft als Ganzes abzulehnen versucht und eine neue Zivilisation versucht ins Leben zu rufen. Das ist ihnen in Form der Kommunen nicht so gut gelungen. Dann gab es den Transfer der gleichen Ideen, die zu den Kommunen in der kalifornischen Wüste oder Halbwüste führten, auf die Computerkultur. Das ist Anfang der 70er Jahre geschehen und die Grundideen, die der Personalisierung der Computertechnologie und den sozialen Netzwerken und auch des Netzwerkkapitalismus, wie wir ihn heute kennen - wir hatten ja den Markt schon erwähnt -, die haben sehr viel mit Hippieideen zu tun, nämlich mit der radikalen Ablehnung hierarchischer Macht, mit der radikalen Ablehnung von Ideologie, die sich in hierarchischen Machtverhältnissen ausdrückt. Und was uns natürlich heute historisch interessieren muss, ist: Wann wird ein antiideologisches Programm zur Ideologie?
Watty: Anselm Franke, Kurator der Ausstellung "The whole earth. Kalifornien und das Verschwinden des Außen" im Gespräch im Deutschlandradio Kultur. Kommen wir noch mal zu Apple zurück: Also, wir haben jetzt den Bogen der Ideologie geschlagen, haben aber trotzdem da, finde ich, von außen gedacht, so einen kleinen Stolperstein drin tatsächlich in der Kreation dieses Unternehmens Apple, das einerseits einen Steve Jobs als Chef hatte, dessen Motto zum Beispiel war "stay hungry, stay foolish", also der genau in dieser kalifornischen Ideologie funktioniert hat und gesagt hat, du kannst was erreichen, mach 'was, will 'was, du sollst was von der Welt wollen sozusagen, aber gleichzeitig dann doch nicht mehr konsumorientiert agiert hat, sondern eben geschlossene Systeme auf den Markt gebracht hat. Wie passt das denn?
Franke: Geschlossene Systeme, an was denken Sie?
Watty: Geschlossene Systeme in der Hinsicht, dass es zum Beispiel nicht möglich ist, an diesen Produkten mit zu programmieren, da einzugreifen, und er eben ...
Franke: Richtig, ja.
Watty: Genau.
Franke: Ja, das ist sicherlich eines der vielen Paradoxa oder auch Kippmomente, die wir in der Geschichte der kalifornischen Utopie- und Technologieentwicklung zahlreich finden. "Stay hungry, stay foolish", dieser Satz, den Steve Jobs bei seiner berühmten Rede 2005, wo er so sehr persönlich wurde und die von allen seinen jungen Unternehmeranhängern weltweit immer wieder gelesen wird, bei dieser Rede hat Steve Jobs den "Whole Earth Catalog" als eine seiner großen Inspirationsquellen erwähnt. Und dieser "Whole Earth Catalog", das ist auch der zentrale Gegenstand unserer Ausstellung.
Der "Whole Earth Catalog" ist sozusagen von Steve Jobs in so einen analogen Vorläufer von Google, in so eine Linie gestellt worden, auf einer der Rückseiten dieses Katalogs, das ist ein großer Mail-Order-Katalog, der eben mit zentralen Ideen, die später das Netz bestimmen sollten, und Ideen, wie auch sie Apple formieren sollte, ein Mail-Order-Katalog, der alles seinen Nutzern schuldet und nichts den Produzenten. Und in diesem Mail-Order-Katalog finden wir alle Werkzeuge, die zur Emanzipation und zum Bau der neuen Zivilisation der Hippies notwendig waren. Das ist von der Gartenschaufel über das Kybernetikbuch über das "Daodejing" bis hin zur Wasseraufbereitungsanlage. Und eben auch die frühen Computer, die Synthesizer und so weiter. Also ein Katalog, der seit 1968 wirklich wie Stewart Brand überhaupt immer seiner Zeit ein wenig voraus war, und auf einer der Rückseiten von er Ausgabe von - ich glaube - 1974 steht dieser berühmte Satz, "stay hungry, stay foolish". Und das war sozusagen der Abschied des "Whole Earth Catalog", es sollte der letzte sein.
Es war dann nicht der letzte, es kamen noch viele, bis 2000 wurde er noch publiziert, aber die Phase, wo der "Whole Earth Catalog" zu einem Bezugssystem wurde und quasi wirklich eine neue Kultur begründet hat, deren Stärke es genau war, zwischen Technologiebefürwortern und Naturromantikern zu vermitteln. Und ganz wichtig war dabei auch die psychedelische Erfahrung, weil sozusagen die psychedelische Erfahrung es so nahelegte, dass ... Was die Kybernetik über die Welt sagt, dass alles aus Feedback-Effekten und Informationsflüssen besteht und dass auch wir Menschen eigentlich nur Knoten in elektromagnetischen Ornamenten sind, das schien die psychedelische Erfahrung ja zu beglaubigen.
Watty: Sie haben uns die ganze Ausstellung schon jetzt ins Radio reingebracht, danke schön, Anselm Franke, und vor allem auch ein ganz schönes Stück von der kalifornischen Ideologie. Im Haus der Kulturen der Welt kann man viel, viel mehr noch zum Thema erfahren, die Ausstellung heißt "The Whole Earth" und findet im Haus der Kulturen der Welt statt, habe ich schon gesagt. Vielen Dank, Anselm Franke, für dieses Gespräch, und das lohnt sich auf jeden Fall, das anzugucken!
Franke: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
In der Springer-WG in Kalifornien sollen regelmäßig Menschen in Schlüsselpositionen für den digitalen Umbau des Unternehmens für ein paar Monate residieren. Diekmann war also jetzt da und bringt die neue paywall für Bild.de namens Bild Plus mit, die heute eingeführt wurde. Christoph Keese, Konzerngeschäftsführer "Public Affairs", ist noch da, und wer auch immer aus dem Hause Springer jetzt oder in Zukunft nach Kalifornien reist, der soll sich dort umschauen, der soll sich vernetzen, soll sich beraten mit Universitäten und Start-ups über digitale Strategien. Und vor allem, so scheint es - und da kommen wir wieder zurück zum Anfang und zum Kapuzenpulli: Alle wollen dabei etwas abhaben von der Aufbruchs- und Kreativitätsstimmung in Kalifornien.
Und über eben dieses Gefühl, diese Stimmung wollen wir sprechen mit Anselm Franke, Kurator der Ausstellung "The Whole Earth. Kalifornien und das Verschwinden des Außen", derzeit im Berliner Haus der Kulturen der Welt. Hallo, Anselm Franke, Schönen Guten Tag!
Anselm Franke: Guten Tag!
Watty: Wie würden Sie das beschreiben, was Leute wie zum Beispiel die Springer-Mannschaft in Kalifornien vermeintlich suchen, neben natürlich konkreten Ideen für das Internet und für ihre Printprodukte?
Franke: Ich würde das "spekulierend" beschreiben einerseits, sicherlich suchen sie einen Imagetransfer und einen Imagemehrwert, der eben mit der kalifornischen Utopie zu tun hat. Man könnte vielleicht auch vermuten, dass Springer wie auch andere Medienunternehmen haben es ja nicht ganz leicht, ihre Ökonomiemodelle auf das Internet abzustimmen. Vielleicht ist da sogar ein bisschen Verzweiflung dabei und man sucht sein Heil an der kalifornischen Küste, wo ja das positive Denken bekanntermaßen Programm ist. Der Imagetransfer hat natürlich ganz viel damit zu tun, das, was aus Kalifornien in Silicon Valley geworden ist, ist ja so ein Mix mit verschiedenen historischen Zutaten, der eben von einer permanenten Aufbruchsstimmung und einem bestimmten Unternehmergeist lebt und einer bestimmten Idee einer radikalen Marktdemokratie der Ideen. Das ist ja auch diese Start-up-Kultur, die eine Idee schnell auf den Markt rauf- und genauso schnell wieder wegnimmt, wenn sie nicht erfolgreich ist. Das ist ja eine Idee, die die Vorstellung von Markt in den letzten zwei Jahrzehnten, also eigentlich seit dem Ende des Kalten Krieges global sehr beeinflusst hat und auch heute es noch tut.
Wobei sich in den kalifornischen Modellen durchaus auch große Krisen abgezeichnet haben und selbst Silicon Valley ist heute nicht nur Enthusiasmus ... Das Programm der kalifornischen Ideologie, die eine Utopie sein will, wird sicherlich aufrecht erhalten, ob die paywall allerdings die Antwort ist, das bleibt abzuwarten. Aber natürlich die ideologische Stärke, die Kraft auch der Idee war natürlich, so eine radikal kunsumer-orientierte Ökonomie zu bauen. Das ist diese Idee auch des Marktes der Ideen.
Watty: Ja. Da kommen wir gleich noch mal drauf zurück, weil wir natürlich auch das Beispiel Apple genauer beleuchten müssen. Sie haben sich ja mit der kalifornischen Ideologie beschäftigt, und was Sie gerade genannt haben, diese Neuaufstellung oder Neuinterpretation des Prinzips des Marktes durch diese ganzen Start-ups, ist das direkt anzuschließen als der Teil der kalifornischen Ideologie, den wir als Hippietum bezeichnen würden? Gibt es einen großen Bogen und ist das alles stimmig, die Fortsetzung dieses positiven Denkens, dieser Freiheitsliebe, die man Kalifornien nachsagt? Gehört das alles zusammen?
Franke: Wenn Sie den großen Bogen beschreiben wollen, dann muss man noch weiter zurückgehen, nicht nur zu den Hippies. Da ist der sogenannte frontier spirit, der spirit, der die Go-West-Bewegung historisch bestimmt hat, der erklärtermaßen immer schon mit einem Bruch mit der Vergangenheit, mit dem Bruch mit den Konventionen zusammenhing. Und dieser frontier spirit, der kam ja in Kalifornien sozusagen an sein geografisches Limit. Und was seitdem ... Man kann historisch, und das beschreiben wir auch in der Ausstellung "The Whole Earth. Kalifornien und das Verschwinden des Außen", da ist eine Version dieses Außen einfach das noch nicht eroberte, unbekannte Territorium, das in Kalifornien an das Limit stößt des Pazifik. Daher der spezifisch kalifornische Geist, der lebt immer noch aus diesem frontier spirit, der ein Ausbruch aus den Konventionen ist, ein Weg vom alten Europa und ein spirit der Individuen, die Neuland erobern. Und davon lebt das sicherlich mehr als von den Hippies. Nur werden die Hippies heute in der Regel nicht im Kontext dieses frontier spirits gesehen.
Für uns war interessant, eben noch einen größeren Bogen zu schlagen und zu sehen, in welcher Kontinuität eigentlich die Hippies standen, die ja eigentlich das gesamte Gesellschaftssystem, was sie als Technokratie und als Massengesellschaft, die eindimensionale Menschen hervorbringe, um mit Herbert Marcuse zu sprechen, der ein großer Stern am Bezugshimmel der Hippies war ... Und die Hippies haben ja diese Idee von Gesellschaft als Ganzes abzulehnen versucht und eine neue Zivilisation versucht ins Leben zu rufen. Das ist ihnen in Form der Kommunen nicht so gut gelungen. Dann gab es den Transfer der gleichen Ideen, die zu den Kommunen in der kalifornischen Wüste oder Halbwüste führten, auf die Computerkultur. Das ist Anfang der 70er Jahre geschehen und die Grundideen, die der Personalisierung der Computertechnologie und den sozialen Netzwerken und auch des Netzwerkkapitalismus, wie wir ihn heute kennen - wir hatten ja den Markt schon erwähnt -, die haben sehr viel mit Hippieideen zu tun, nämlich mit der radikalen Ablehnung hierarchischer Macht, mit der radikalen Ablehnung von Ideologie, die sich in hierarchischen Machtverhältnissen ausdrückt. Und was uns natürlich heute historisch interessieren muss, ist: Wann wird ein antiideologisches Programm zur Ideologie?
Watty: Anselm Franke, Kurator der Ausstellung "The whole earth. Kalifornien und das Verschwinden des Außen" im Gespräch im Deutschlandradio Kultur. Kommen wir noch mal zu Apple zurück: Also, wir haben jetzt den Bogen der Ideologie geschlagen, haben aber trotzdem da, finde ich, von außen gedacht, so einen kleinen Stolperstein drin tatsächlich in der Kreation dieses Unternehmens Apple, das einerseits einen Steve Jobs als Chef hatte, dessen Motto zum Beispiel war "stay hungry, stay foolish", also der genau in dieser kalifornischen Ideologie funktioniert hat und gesagt hat, du kannst was erreichen, mach 'was, will 'was, du sollst was von der Welt wollen sozusagen, aber gleichzeitig dann doch nicht mehr konsumorientiert agiert hat, sondern eben geschlossene Systeme auf den Markt gebracht hat. Wie passt das denn?
Franke: Geschlossene Systeme, an was denken Sie?
Watty: Geschlossene Systeme in der Hinsicht, dass es zum Beispiel nicht möglich ist, an diesen Produkten mit zu programmieren, da einzugreifen, und er eben ...
Franke: Richtig, ja.
Watty: Genau.
Franke: Ja, das ist sicherlich eines der vielen Paradoxa oder auch Kippmomente, die wir in der Geschichte der kalifornischen Utopie- und Technologieentwicklung zahlreich finden. "Stay hungry, stay foolish", dieser Satz, den Steve Jobs bei seiner berühmten Rede 2005, wo er so sehr persönlich wurde und die von allen seinen jungen Unternehmeranhängern weltweit immer wieder gelesen wird, bei dieser Rede hat Steve Jobs den "Whole Earth Catalog" als eine seiner großen Inspirationsquellen erwähnt. Und dieser "Whole Earth Catalog", das ist auch der zentrale Gegenstand unserer Ausstellung.
Der "Whole Earth Catalog" ist sozusagen von Steve Jobs in so einen analogen Vorläufer von Google, in so eine Linie gestellt worden, auf einer der Rückseiten dieses Katalogs, das ist ein großer Mail-Order-Katalog, der eben mit zentralen Ideen, die später das Netz bestimmen sollten, und Ideen, wie auch sie Apple formieren sollte, ein Mail-Order-Katalog, der alles seinen Nutzern schuldet und nichts den Produzenten. Und in diesem Mail-Order-Katalog finden wir alle Werkzeuge, die zur Emanzipation und zum Bau der neuen Zivilisation der Hippies notwendig waren. Das ist von der Gartenschaufel über das Kybernetikbuch über das "Daodejing" bis hin zur Wasseraufbereitungsanlage. Und eben auch die frühen Computer, die Synthesizer und so weiter. Also ein Katalog, der seit 1968 wirklich wie Stewart Brand überhaupt immer seiner Zeit ein wenig voraus war, und auf einer der Rückseiten von er Ausgabe von - ich glaube - 1974 steht dieser berühmte Satz, "stay hungry, stay foolish". Und das war sozusagen der Abschied des "Whole Earth Catalog", es sollte der letzte sein.
Es war dann nicht der letzte, es kamen noch viele, bis 2000 wurde er noch publiziert, aber die Phase, wo der "Whole Earth Catalog" zu einem Bezugssystem wurde und quasi wirklich eine neue Kultur begründet hat, deren Stärke es genau war, zwischen Technologiebefürwortern und Naturromantikern zu vermitteln. Und ganz wichtig war dabei auch die psychedelische Erfahrung, weil sozusagen die psychedelische Erfahrung es so nahelegte, dass ... Was die Kybernetik über die Welt sagt, dass alles aus Feedback-Effekten und Informationsflüssen besteht und dass auch wir Menschen eigentlich nur Knoten in elektromagnetischen Ornamenten sind, das schien die psychedelische Erfahrung ja zu beglaubigen.
Watty: Sie haben uns die ganze Ausstellung schon jetzt ins Radio reingebracht, danke schön, Anselm Franke, und vor allem auch ein ganz schönes Stück von der kalifornischen Ideologie. Im Haus der Kulturen der Welt kann man viel, viel mehr noch zum Thema erfahren, die Ausstellung heißt "The Whole Earth" und findet im Haus der Kulturen der Welt statt, habe ich schon gesagt. Vielen Dank, Anselm Franke, für dieses Gespräch, und das lohnt sich auf jeden Fall, das anzugucken!
Franke: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.