Sprung in den Tod
1980 floh der Student Kemal Altun vor der türkischen Militärregierung nach West-Berlin. Obwohl er als politisch Verfolgter anerkannt wurde, wollte die Bundesregierung ihn an die Türkei ausliefern. Während der Gerichtsverhandlung sprang der verzweifelte Mann in den Tod.
"Du Staat, du deutscher, pass auf! Ich muss dir ein paar Zeilen sagen: Es ist AUS zwischen uns. Heut früh ist einer aus dem Fenster gesprungen, der … zu uns kam und der nichts wollte, als bleiben dürfen, leben können, atmen, der sprang heute aus deinem Fenster ."
Franz Xaver Kroetz brachte als Dramatiker auf den Punkt, was nach dem Tod von Cemal Kemal Altun Zehntausende europaweit empörte – der Selbstmord eines jungen Mannes, der offenbar keinen anderen Ausweg mehr wusste. Am 30. August 1983 sprang der türkische Flüchtling aus dem sechsten Stock des Berliner Verwaltungsgerichts in den Tod. Er war 23 Jahre alt und gilt als erstes bekannt gewordenes Todesopfer deutscher Asylpolitik. Wolfgang Wieland – Sprecher für Innere Sicherheit der grünen Bundestagsfraktion und damals Altuns Anwalt – erinnert sich:
"Das Gericht war noch nicht da. Cemal Altun saß zwischen mir und dem Dolmetscher und dann sprang er auf, und als ich mich dann umdrehte, war er schon in einer einzigen Bewegung auf die Fensterbank gesprungen und ohne zu Zögern ins Freie."
Die Vorgeschichte: Im November 1980 floh Cemal Kemal Altun vor der türkischen Militärregierung. Der politisch aktive Student hatte miterlebt, wie linke Oppositionelle verhaftet wurden. Er selbst war mehrmals von Schergen der Junta körperlich attackiert worden. Seine Flucht endete in Westberlin. Als er dort erfuhr, dass er in der Türkei wegen angeblicher Mittäterschaft an einem Attentat gesucht wurde, beantragte er Asyl – eine fatale Entscheidung. In einer Dokumentation über den Fall schreibt Wolfgang Wieland:
"Statt sein Asylbegehren zu bearbeiten, leiten die Behörden diese Angaben über Interpol nach Ankara weiter, gleich verbunden mit der Frage, ob entsprechende 'Anträge' gestellt werden."
Die Türkei stellte die Auslieferungsanträge umgehend. Im Juli 1982 kam Altun in Auslieferungshaft. Am 16. Dezember erklärte das Kammergericht die Auslieferung für zulässig – ohne Altun vorher anzuhören. Im März 1983 wurde der junge Mann mit den Worten aus der Zelle geholt:
"Jetzt geht es nach Frankfurt…"
Mithilfe der Europäischen Kommission für Menschenrechte konnte der Anwalt die Auslieferung stoppen. Er konnte nicht verhindern, dass Altun zwischen zwei voneinander unabhängigen Verfahren mit gegensätzlichen Zielen zerrieben wurde: Auslieferung gegen Asylanspruch. Denn als ihm das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 23. Juni 1983 die Asylberechtigung für Kemal Altun aussprach, war das nur ein scheinbarer Sieg für Altun, denn der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten klagte gegen den positiven Bescheid. Trotz Anerkennung als politisch Verfolgter seitens des Bundesamtes blieb der junge Türke also in Haft und musste weiter mit Auslieferung rechnen. Ein juristische Paradoxon, das Wolfgang Wieland im Juli 1983 in einem Radiointerview so beschrieb:
"Die Bundesregierung hat nun gegen diese - sozusagen eigene Entscheidung - geklagt. Die rechte Hand des Staates klagt gegen die linke Hand und das Ganze wird ausgefochten vor dem Verwaltungsgericht Berlin."
Das Ergebnis der Verhandlung über seinen Asylanspruch konnte Cemal Kemal Altun wohl nicht mehr abwarten. Zermürbt von 13 Monaten Haft und der ständigen Angst vor Auslieferung sprang er in die Tiefe. Auch die europaweite Protestbewegung – angeführt von Prominenten wie Wolf Biermann und Petra Kelly hatte ihn nicht retten können. Dass sein Asylgesuch posthum bewilligt wurde, nützte ihm nichts mehr. Der Fall Altun sei politisch motiviert gewesen, kritisierten seine Unterstützer. Besonders der damalige CSU-Innenminister Friedrich Zimmermann habe auf die Auslieferung Altuns gedrängt um die, wie er dem Justizminister schrieb, "gute Zusammenarbeit mit der Türkei auf polizeilichem Gebiet" nicht zu gefährden.
"… die, die so taten, als könnte man mit der Türkei normal umgehen, das sind die Schuldigen an seinem Tod."
Franz Xaver Kroetz brachte als Dramatiker auf den Punkt, was nach dem Tod von Cemal Kemal Altun Zehntausende europaweit empörte – der Selbstmord eines jungen Mannes, der offenbar keinen anderen Ausweg mehr wusste. Am 30. August 1983 sprang der türkische Flüchtling aus dem sechsten Stock des Berliner Verwaltungsgerichts in den Tod. Er war 23 Jahre alt und gilt als erstes bekannt gewordenes Todesopfer deutscher Asylpolitik. Wolfgang Wieland – Sprecher für Innere Sicherheit der grünen Bundestagsfraktion und damals Altuns Anwalt – erinnert sich:
"Das Gericht war noch nicht da. Cemal Altun saß zwischen mir und dem Dolmetscher und dann sprang er auf, und als ich mich dann umdrehte, war er schon in einer einzigen Bewegung auf die Fensterbank gesprungen und ohne zu Zögern ins Freie."
Die Vorgeschichte: Im November 1980 floh Cemal Kemal Altun vor der türkischen Militärregierung. Der politisch aktive Student hatte miterlebt, wie linke Oppositionelle verhaftet wurden. Er selbst war mehrmals von Schergen der Junta körperlich attackiert worden. Seine Flucht endete in Westberlin. Als er dort erfuhr, dass er in der Türkei wegen angeblicher Mittäterschaft an einem Attentat gesucht wurde, beantragte er Asyl – eine fatale Entscheidung. In einer Dokumentation über den Fall schreibt Wolfgang Wieland:
"Statt sein Asylbegehren zu bearbeiten, leiten die Behörden diese Angaben über Interpol nach Ankara weiter, gleich verbunden mit der Frage, ob entsprechende 'Anträge' gestellt werden."
Die Türkei stellte die Auslieferungsanträge umgehend. Im Juli 1982 kam Altun in Auslieferungshaft. Am 16. Dezember erklärte das Kammergericht die Auslieferung für zulässig – ohne Altun vorher anzuhören. Im März 1983 wurde der junge Mann mit den Worten aus der Zelle geholt:
"Jetzt geht es nach Frankfurt…"
Mithilfe der Europäischen Kommission für Menschenrechte konnte der Anwalt die Auslieferung stoppen. Er konnte nicht verhindern, dass Altun zwischen zwei voneinander unabhängigen Verfahren mit gegensätzlichen Zielen zerrieben wurde: Auslieferung gegen Asylanspruch. Denn als ihm das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 23. Juni 1983 die Asylberechtigung für Kemal Altun aussprach, war das nur ein scheinbarer Sieg für Altun, denn der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten klagte gegen den positiven Bescheid. Trotz Anerkennung als politisch Verfolgter seitens des Bundesamtes blieb der junge Türke also in Haft und musste weiter mit Auslieferung rechnen. Ein juristische Paradoxon, das Wolfgang Wieland im Juli 1983 in einem Radiointerview so beschrieb:
"Die Bundesregierung hat nun gegen diese - sozusagen eigene Entscheidung - geklagt. Die rechte Hand des Staates klagt gegen die linke Hand und das Ganze wird ausgefochten vor dem Verwaltungsgericht Berlin."
Das Ergebnis der Verhandlung über seinen Asylanspruch konnte Cemal Kemal Altun wohl nicht mehr abwarten. Zermürbt von 13 Monaten Haft und der ständigen Angst vor Auslieferung sprang er in die Tiefe. Auch die europaweite Protestbewegung – angeführt von Prominenten wie Wolf Biermann und Petra Kelly hatte ihn nicht retten können. Dass sein Asylgesuch posthum bewilligt wurde, nützte ihm nichts mehr. Der Fall Altun sei politisch motiviert gewesen, kritisierten seine Unterstützer. Besonders der damalige CSU-Innenminister Friedrich Zimmermann habe auf die Auslieferung Altuns gedrängt um die, wie er dem Justizminister schrieb, "gute Zusammenarbeit mit der Türkei auf polizeilichem Gebiet" nicht zu gefährden.
"… die, die so taten, als könnte man mit der Türkei normal umgehen, das sind die Schuldigen an seinem Tod."