Sprung in ein visuelles Universum

Von Kathrin Hondl |
David Lynch hat in den vergangenen 40 Jahren kontinuierlich an seinem künstlerischen Werk gearbeitet. Neben seinen Filmen zählen dazu auch zahlreiche Zeichnungen, Gemälde und Fotografien. 800 seiner Arbeiten sind unter dem Titel "The air is on fire” nun in der Fondation Cartier in Paris zu sehen.
"The air is on fire” – Die Luft brennt. Der Titel-Satz der Pariser Ausstellung steht auf einer Filzstiftzeichnung: kleines Format, etwa 10 auf 15 cm, links im Bild eine Struktur, die ein Haus sein könnte – rechts Zacken wie Berge oder eben Flammen. Und der Satz: "The air is on fire”. David Lynch:

"Das ist ein bisschen wie ein Schock – es ist ein Sprung hinein in etwas Sensationelles."

Ein Sprung in ein visuelles Universum, an dem Lynch in den letzten 40 Jahren kontinuierlich gearbeitet hat. Parallel zu seinen Filmen. An die 800 Arbeiten sind jetzt in der Fondation Cartier zu sehen, von kleinen Zeichnungen auf gelben Post-it-Klebezetteln oder Papierservietten über großformatige Gemälde und Collagen bis zu Rauminstallationen und Fotografien.

"”Was mich fasziniert sind Ideen. Alles, was wir tun, beginnt mit einer Idee. Manchmal sind das Ideen für Malerei, manchmal für Musik, manchmal für Filme. Aber alles fängt mit einer Idee an. Also suchen wir nach Ideen, wir versuchen diese Ideen einzufangen und manchmal verlieben wir uns.""

Eine geradezu obsessive Verliebtheit in bestimmte Motive sieht man zum Beispiel Lynchs Foto-Serien an. So hat er immer wieder alte Fabrikgebäude in Osteuropa und Amerika fotografiert: Dunkle Schwarz-Weiß-Aufnahmen von verlassenen Orten und Räumen, von stillgelegten Maschinen, schmutzigen Rohren und rostenden Leitungen.

"Schauen Sie sich das an. Das sieht doch aus wie ein Aquarell oder? Wie die Natur da ihr Werk tut – auf dem Stahl, den Backsteinen, auf dem Beton. Das ist einfach unglaublich schön! Eine neue Fabrik ist etwas Schönes, aber eine alte Fabrik erst! Durch die ganze Arbeit, die da geleistet wurde. Da entstehen so viele Flecken, Veränderungen und all das. Und dazu kommt noch das Werk der Natur – das alles ergibt phänomenale Oberflächenstrukturen."

Diese Liebe für unterschiedliche Materialien und Patina zeigt sich auch in der Malerei von David Lynch: Großformatige Bilder in Mischtechnik, auf denen er unter anderem mit Klebstoff, Kleidungsstücken, Reisig und Fotografien kleine Geschichten erzählt.

"Do you want to know what I really think?" – Willst Du wissen, was ich wirklich denke? – so heißt zum Beispiel ein Bild aus dem Jahr 2003: Zu sehen sind ein Mann und eine Frau in einem Raum. Links, stehend der Mann, ein gezücktes Messer in der Hand, rechts die Frau, fast nackt auf einem gelben Sofa sitzend. "No" antwortet die Frau auf die Frage des Mannes. Die Szene wirkt wie ein Echo auf die düstere Anfangsszene in Lynchs letztem Film "Inland Empire", wo sich eine Prostituierte und ihr Kunde seltsam kopflos begegnen.

Dann gibt es da eine ganze Reihe von Bildern, auf denen ein gewisser Bob im Mittelpunkt steht. Narrative Bilder mit Titeln wie: "Bob findet sich wieder in einer Welt, die er nicht versteht" – "Bob liebt Sally bis sie blau ist im Gesicht" - Oder: "Bob verbrennt Baum". Hat dieser geheimnisvolle Bob der gemalten Bilder etwas zu tun mit dem geheimnisvollen Bob der Filmbilder von "Twin Peaks", Lynchs Fernsehserie aus den frühen 90ern?

"Das ist ein anderer Bob. Es gibt viele Menschen auf der Welt, die Bob heißen. Ich mag diesen Namen, den Klang dieses Namens. Und dieser spezielle Bob hat etwas, was mich stimuliert. Bob ist jemand, der verschiedene Erfahrungen macht in der Welt. Und er führt mich, er gibt mir viele Ideen für die Serie der Bob-Bilder. Ich mag Bob sehr. In gewisser Weise identifiziere ich mich mit Bob."

David Lynch hat etwas von einer Sphinx, als er sich auf der Pressekonferenz in der Fondation Cartier den Fragen der zahllosen Journalisten und Kunstkritiker aus aller Welt stellt. Majestätisch elegant sitzt er da in weißem Hemd und schwarzem Mantel auf der Bühne, hört sich geduldig jede Frage an, antwortet lakonisch und lächelnd, ohne jemals das Geheimnis seiner fremden, seltsamen Welt preiszugeben.

"Alles was ich sagen kann ist, was Sie sehen können. Was Sie sehen, ist das, was ich sagen kann. Die Arbeiten sprechen für sich selbst. Es sind unbewegte Bilder – außer in den Filmen natürlich. Die Zeit steht still in diesen Bildern. Und für mich ist jedes Objekt – jedes Gemälde oder Aquarell, jede Zeichnung oder Fotografie eine Welt, in die wir hineingehen können, die wir erfahren können. Aber vieles davon ist wortlos."

Wortlos aber nicht geräuschlos. David Lynch hat für die Bilder seiner Ausstellung einen Soundtrack komponiert.

"Einige der Sounds in der Ausstellung sind Industriegeräusche, andere nicht. Aber sie schaffen eine bestimmte Atmosphäre, eine Stimmung. Die Geräusche sind überall – so entsteht eine Art fließende Stimmung."

Eine Stimmung, die eine unwiderstehliche Anziehungskraft entfaltet, eine Atmosphäre, die die Besucher verführt und hineinzieht in die fremde, seltsame Welt von David Lynch.

Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen. Wie der seltsame Auftritt einer französischen Schauspielerin bei der Pressekonferenz zeigte, die sich bei David Lynch um eine Rolle bewarb – in einem Remake von "Blue Velvet".