Spurensuche
"Ein Stück von mir fehlt", schreibt die 1971 geborene Journalistin Johanna Adorjan in ihrem Buch <papaya:addon addon="d53447f5fcd08d70e2f9158d31e5db71" article="137180" text=""Eine exklusive Liebe"" alternative_text=""Eine exklusive Liebe"" />. Sie meint damit ihre jüdischen Großeltern, die den Holocaust überlebten, sich in den 90er-Jahren das Leben nahmen und nie über ihre Vergangenheit sprachen.
Zitat aus "Eine exklusive Liebe":
"Am 13. Oktober 1991 brachten meine Großeltern sich um. Es war ein Sonntag. An Sonntagen rufen Verwandte an, Bekannte wollen vorbeikommen, um gemeinsam mit dem Hund spazieren zu gehen, ein Montag zum Beispiel erschiene mir viel geeigneter."
Vor dem Berliner Gebäude der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" wird gebaut. Der Lärm dringt durch das gekippte Fenster in das Büro von Johanna Adorjan. Lärm, der umso störender ist, als sie über die traurige Geschichte ihrer Großeltern sprechen möchte.
Johanna Adorjan schließt das Fenster. Es ist, als sähe man jeden Muskelstrang und jede Sehne ihres Unterarms. Die 37-jährige Journalistin wirkt zugleich angespannt und freundlich; sie trägt schwarze Stiefel; auf ihrem Mund leuchtet ein orangefarbener Lippenstift. Ihre Augenbrauen sind so geschwungen, dass man denken könnte, sie seien permanent hochgezogen. Wie die Augenbrauen ihrer Großmutter.
"Komischer Weise, wenn ich an meine Großeltern denke, hat das immer etwas mit Gerüchen zu tun. Zum Beispiel eben Zigarettenrauch, ich bin so oft in meinem Leben, in irgendwelche Räume gekommen, wo andere Leute denken, es stinkt, und ich denke: 'Ach, hier riecht's nach meinen Großeltern.' Oder auch komischer Weise der Geruch von Pumpernickel oder feuchtem Holz. Die hatten so Holzbrettchen, wenn man die wohl wäscht, all das scheint sich vermischt zu haben. Und Parfums erinnern mich auch an meine Großmutter."
Johanna Adorjans Großeltern überlebten als ungarische Juden den Holocaust, nahmen sich ein halbes Jahrhundert später in Dänemark das Leben. Die Erinnerung an das Konzentrationslager behielten sie genauso für sich wie die eigene Liebe. Fragt sich, ob auch die Enkelin ähnlich wenig von sich preisgibt.
"Nee, ich glaube, ich bin total anders. Das ist jetzt sehr privat: Aber ich glaube nicht, dass ich so symbiotisch in einer Paarbeziehung je war, wie meine Großeltern das waren."
1971 wurde Johanna Adorjan als Kind zweier Flötisten geboren. Ihr Vater, der Sohn jener Großeltern, über die Johanna Adorjan das Buch schrieb, spricht fließend sechs, die Mutter fünf Sprachen.
"Also mein Vater wollte uns Ungarisch beibringen. Aber da er Solist ist und so viel immer gereist ist, dass bis er wieder da war, wir fast alles wieder vergessen hatten, blieb es irgendwann dabei, dass das einzige Wort, das ich mir auf Ungarisch gemerkt hatte über einen längeren Zeitraum, 'ló' war – das heißt 'Pferd'. Dann hat mein Vater gesagt: 'Ungarisch ist ganz einfach. 'Ló' heißt 'Pferd' und so weiter.' Und deshalb wurde das dann leider nicht mehr."
"In Ermangelung einer anderen Idee", wie sie selbst sagt, studierte Johanna Adorjan Theater und Opernregie in München. Bald schrieb sie für das Jugendmagazin der "Süddeutschen Zeitung". Der Journalismus lag ihr mehr. Seit 2001 arbeitet sie in der Feuilletonredaktion der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Parallel veröffentlichte sie das Theaterstück "Die Lebenden und die Toten" und schrieb zusammen mit Heike Makatsch das Drehbuch zum Kinofilm "Schwesterherz". Darin sagt eine junge Frau:
"'Immer wenn ich ins Theater gehe oder in die Oper, denke ich darüber nach, ob ich unter den Toten wäre, wenn der Kronleuchter runterfällt.' Das hatte ich immer. Also ich war immer froh, aber früher, wenn ich hinten saß, weil ich dachte: 'Wenn das Ding runterkracht, werde ich das überleben.'"
Ihre Großeltern wollten dagegen unbedingt sterben. Sie beschafften sich einen Bestseller mit Tipps zum sicheren Selbstmord. Bei den Recherchen zum Buch "Eine exklusive Liebe" hat Johanna Adorjan herausgefunden, dass auch ihre Großmutter sich so allein gefühlt hat wie sie selbst. Sonst gebe es kaum Gemeinsamkeiten. Johanna Adorjan streicht mit den Fingern über ihren linken Unterarm. Die filigrane Goldkette am Handgelenk bewegt sich leicht.
"Du hast einen Bruder oder mehrere?"
"Zwei Brüder. Ist das Therapie hier?!"
"Nein, wieso?"
"Weil es kommt mir so vor."
Zitat Buch "Eine exklusive Liebe":
"War sie müde oder hatte, Gott bewahre, schlechte Laune, konnte die allgemeine Stimmung ins Bedrückte kippen."
Johanna Adorjan über ihre Großmutter. Plötzlich ist auch die Stimmung im Büroraum gekippt. Schon die einfache Frage nach den Familienverhältnissen ist ihr zu privat. Wie privat sind wohl die Fragen der Journalistin Johanna Adorjan?
"Ich glaube nicht, dass ich über eine Grenze des Privaten hinausgehe. Also ich glaube, ich ziehe die Grenze noch, bevor die mein Gegenüber zieht, ehrlich gesagt."
Ob das der Schauspieler Robert Downey jr. genauso empfunden hat? Als ihn Johanna Adorjan nach seiner einstigen Drogenzeit fragte und er nicht mehr darüber sprechen wollte, hakte sie viermal nach. "Da atmeten zwei Menschen auf", in einem Zimmer, "in dem die Temperatur in der Zwischenzeit auf deutlich unter null Grad gesunken war" resümierte Johanna Adorjan das Ende dieses Interviews. Ähnlich kühl ist es nun in ihrem Büro. 33 Minuten Interview sind überstanden. Was bleibt, ist ein schönes Buch über ihren Großvater und ihre Großmutter:
Zitat Buch "Eine exklusive Liebe":
"Später, da war sie schon tot, fing ich an zu rauchen, und ich glaube, es war vor allem ihrem Andenken geschuldet. [...] Solange ich rauchte, dachte ich, war ich ihr nahe. Irgendwann habe ich dann doch aufgehört. Die Angst vor Falten war stärker."
Johanna Adorjan zündet sich eine Zigarette an. Die Welt steht Kopf. Der Baulärm draußen wirkt plötzlich freundlich.
"Am 13. Oktober 1991 brachten meine Großeltern sich um. Es war ein Sonntag. An Sonntagen rufen Verwandte an, Bekannte wollen vorbeikommen, um gemeinsam mit dem Hund spazieren zu gehen, ein Montag zum Beispiel erschiene mir viel geeigneter."
Vor dem Berliner Gebäude der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" wird gebaut. Der Lärm dringt durch das gekippte Fenster in das Büro von Johanna Adorjan. Lärm, der umso störender ist, als sie über die traurige Geschichte ihrer Großeltern sprechen möchte.
Johanna Adorjan schließt das Fenster. Es ist, als sähe man jeden Muskelstrang und jede Sehne ihres Unterarms. Die 37-jährige Journalistin wirkt zugleich angespannt und freundlich; sie trägt schwarze Stiefel; auf ihrem Mund leuchtet ein orangefarbener Lippenstift. Ihre Augenbrauen sind so geschwungen, dass man denken könnte, sie seien permanent hochgezogen. Wie die Augenbrauen ihrer Großmutter.
"Komischer Weise, wenn ich an meine Großeltern denke, hat das immer etwas mit Gerüchen zu tun. Zum Beispiel eben Zigarettenrauch, ich bin so oft in meinem Leben, in irgendwelche Räume gekommen, wo andere Leute denken, es stinkt, und ich denke: 'Ach, hier riecht's nach meinen Großeltern.' Oder auch komischer Weise der Geruch von Pumpernickel oder feuchtem Holz. Die hatten so Holzbrettchen, wenn man die wohl wäscht, all das scheint sich vermischt zu haben. Und Parfums erinnern mich auch an meine Großmutter."
Johanna Adorjans Großeltern überlebten als ungarische Juden den Holocaust, nahmen sich ein halbes Jahrhundert später in Dänemark das Leben. Die Erinnerung an das Konzentrationslager behielten sie genauso für sich wie die eigene Liebe. Fragt sich, ob auch die Enkelin ähnlich wenig von sich preisgibt.
"Nee, ich glaube, ich bin total anders. Das ist jetzt sehr privat: Aber ich glaube nicht, dass ich so symbiotisch in einer Paarbeziehung je war, wie meine Großeltern das waren."
1971 wurde Johanna Adorjan als Kind zweier Flötisten geboren. Ihr Vater, der Sohn jener Großeltern, über die Johanna Adorjan das Buch schrieb, spricht fließend sechs, die Mutter fünf Sprachen.
"Also mein Vater wollte uns Ungarisch beibringen. Aber da er Solist ist und so viel immer gereist ist, dass bis er wieder da war, wir fast alles wieder vergessen hatten, blieb es irgendwann dabei, dass das einzige Wort, das ich mir auf Ungarisch gemerkt hatte über einen längeren Zeitraum, 'ló' war – das heißt 'Pferd'. Dann hat mein Vater gesagt: 'Ungarisch ist ganz einfach. 'Ló' heißt 'Pferd' und so weiter.' Und deshalb wurde das dann leider nicht mehr."
"In Ermangelung einer anderen Idee", wie sie selbst sagt, studierte Johanna Adorjan Theater und Opernregie in München. Bald schrieb sie für das Jugendmagazin der "Süddeutschen Zeitung". Der Journalismus lag ihr mehr. Seit 2001 arbeitet sie in der Feuilletonredaktion der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Parallel veröffentlichte sie das Theaterstück "Die Lebenden und die Toten" und schrieb zusammen mit Heike Makatsch das Drehbuch zum Kinofilm "Schwesterherz". Darin sagt eine junge Frau:
"'Immer wenn ich ins Theater gehe oder in die Oper, denke ich darüber nach, ob ich unter den Toten wäre, wenn der Kronleuchter runterfällt.' Das hatte ich immer. Also ich war immer froh, aber früher, wenn ich hinten saß, weil ich dachte: 'Wenn das Ding runterkracht, werde ich das überleben.'"
Ihre Großeltern wollten dagegen unbedingt sterben. Sie beschafften sich einen Bestseller mit Tipps zum sicheren Selbstmord. Bei den Recherchen zum Buch "Eine exklusive Liebe" hat Johanna Adorjan herausgefunden, dass auch ihre Großmutter sich so allein gefühlt hat wie sie selbst. Sonst gebe es kaum Gemeinsamkeiten. Johanna Adorjan streicht mit den Fingern über ihren linken Unterarm. Die filigrane Goldkette am Handgelenk bewegt sich leicht.
"Du hast einen Bruder oder mehrere?"
"Zwei Brüder. Ist das Therapie hier?!"
"Nein, wieso?"
"Weil es kommt mir so vor."
Zitat Buch "Eine exklusive Liebe":
"War sie müde oder hatte, Gott bewahre, schlechte Laune, konnte die allgemeine Stimmung ins Bedrückte kippen."
Johanna Adorjan über ihre Großmutter. Plötzlich ist auch die Stimmung im Büroraum gekippt. Schon die einfache Frage nach den Familienverhältnissen ist ihr zu privat. Wie privat sind wohl die Fragen der Journalistin Johanna Adorjan?
"Ich glaube nicht, dass ich über eine Grenze des Privaten hinausgehe. Also ich glaube, ich ziehe die Grenze noch, bevor die mein Gegenüber zieht, ehrlich gesagt."
Ob das der Schauspieler Robert Downey jr. genauso empfunden hat? Als ihn Johanna Adorjan nach seiner einstigen Drogenzeit fragte und er nicht mehr darüber sprechen wollte, hakte sie viermal nach. "Da atmeten zwei Menschen auf", in einem Zimmer, "in dem die Temperatur in der Zwischenzeit auf deutlich unter null Grad gesunken war" resümierte Johanna Adorjan das Ende dieses Interviews. Ähnlich kühl ist es nun in ihrem Büro. 33 Minuten Interview sind überstanden. Was bleibt, ist ein schönes Buch über ihren Großvater und ihre Großmutter:
Zitat Buch "Eine exklusive Liebe":
"Später, da war sie schon tot, fing ich an zu rauchen, und ich glaube, es war vor allem ihrem Andenken geschuldet. [...] Solange ich rauchte, dachte ich, war ich ihr nahe. Irgendwann habe ich dann doch aufgehört. Die Angst vor Falten war stärker."
Johanna Adorjan zündet sich eine Zigarette an. Die Welt steht Kopf. Der Baulärm draußen wirkt plötzlich freundlich.