Wer macht den Dax so fett?
Kurs-Gewinn-Verhältnis, Niedrigzinspolitik und Einbahnstraßen - das aktuelle Börsenhoch hat seine ganz eigenen Grundsätze. Ein Blick auf große und kleine Abhängigkeiten und Regeln der Anleger und Investoren.
Es wird geklingelt an der Börse, jeden Tag. Aber nur, wenn es morgens losgeht. Nicht wenn die Kurse steigen oder die Wende nach unten beginnt. Da ist der Anleger allein. Er bleibt es, auch wenn er sich Rat von Fachleuten holt:
"Das Bauchgrummeln, das fängt jetzt natürlich an", sagt Chris Oliver Schickentanz, der Anlagestratege fürs Privatkundengeschäft der Commerzbank, zur aktuellen Lage. Manfred Hübner dagegen, der mit seiner Analysefirma Sentix ständig die Stimmung am Aktienmarkt misst, macht Mut: "Aus Sicht eines Börsianers ist das erst einmal ein sehr positives Umfeld."
Wahrscheinlich haben beide Recht. Ohne Käufer und Verkäufer gäbe es keinen Handel. Das ist bei Aktien nicht anders als bei Kartoffeln. Jeder muss Gründe für sein Tun haben.
Vor allem gute Argumente für Käufer
Seit langem überwiegen an der Börse die Argumente für die Käufer. Allein seit Jahresbeginn hat der Deutsche Aktienindex, befeuert durch die Kursentwicklung der 30 größten börsennotierten Unternehmen, gut 20 Prozent zugelegt. Im Mai 2013 stand er noch bei 8.000 Punkten. Im Juni 2014 schloss er erstmals höher als 10.000 Punkte. Im Februar 2015 waren die 11.000 Punkte geschafft, einen Monat später die 12.000. Fidel Helmer vom Bankhaus Hauck & Aufhäuser, der schon 40 Jahre an der Börse handelt, weiß, dass der Aufschwung keine Einbahnstraße ist: "Deswegen ist ein Rückschlag durchaus möglich. Aber er wird nicht sehr dramatisch sein. Denn zu viele wollen einsteigen."
Natürlich werden Sonderfaktoren berücksichtigt. Dass die Versorger RWE und E.ON mit der Energiewende nicht zurechtkommen, wird abgestraft. Das zeigt sich im Kurs. Noch bleiben es Einzelfälle. Geht es also mal vorsichtig um ein, zwei Prozent runter, kommt alles andere Sorge auf: "Ich bin glücklich, dass es nach unten geht", sagt Robert Halver, der Börsenexperte der Baader Bank. Denn: "Diese Einbahnstraße ist nicht gesund. Auch mal Märkte zu haben, die auch mal eine andere Richtung kennen, ist gesund. Dann können nämlich die Anleger, die noch nicht im Markt sind, überlegen, ob man noch einsteigen sollte."
Es steigen nicht viele Anleger ein. Aber große. Derzeit vor allem amerikanische Investoren, die ihren eigenen Markt für zu teuer halten und sich von Europas Wirtschaftsentwicklung gerade wegen des schwachen, also exportfördernden Euro viel erhoffen. Ihr Währungsrisiko, wenn sie den schwachen Euro in Dollar zurücktauschen müssen, sichern sie am Terminmarkt ab. So nähert sich der ausländische Anteil am Eigentum deutscher Aktiengesellschaften langsam der Marke von 50 Prozent. Einheimischen Privathaushalten gehören nur gut 13 Prozent. Das entspricht dem Anteil der Aktienbesitzer an der Bevölkerung: rund 13 Prozent, Tendenz fallend.
Es mangele vor allem an Wissen über wirtschaftliche Zusammenhänge, sagt Christine Bortenlänger, die Chefin des Deutschen Aktieninstituts, über die Börsenabstinenz der Deutschen: "Ich glaube, es hat mindestens zwei Gründe. Das eine ist dieses Grundwissen zur Geldanalage, was da in der Wirtschaft passiert und wie ich als Anleger darauf reagiere. Das andere ist die Regulierung, die ja momentan bestrebt ist, mehr Sicherheit in den Markt zu bringen – was richtig ist. Hier glauben wir aber, dass zum Teil falsche Instrumente angewendet werden: das Beratungsprotokoll, Produktinformationsblätter, also ein ziemlich großer Aufwand, der viel Bürokratie bedeutet, aber auch für den Anleger, der da einfach mit viel Papier konfrontiert wird, das er unterschreiben muss und bestimmt nicht immer genau weiß, was er unterschreibt, weil er eben genau auf der anderen Seite diese fehlende Bildung hat."
Das Problem der Niedrigzinspolitik
Wer statt Aktien Anleihen besitzt oder ein Sparbuch oder Tagesgeldkonten, hat vor allem eins: ein Problem mit der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank. Diese Sparformen werfen keinen Zins mehr ab. Georg Fahrenschon, der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, wettert schon lange gegen die Zinspolitik der EZB, die er als Enteignung der Sparer wertet:
„Konkret bedeutet das, dass momentan bei dieser niedrigen Zinssituation all diejenigen Sparerinnen und Sparer – und zwar in ganz Europa -, die fürs Alter vorgesorgt haben, allein in Deutschland 15 Milliarden Euro verlieren. Das sind – vom Baby bis zum Großvater – 200 Euro pro Kopf pro Jahr. Und das ungefragt. Und das Geld fehlt. Es ist weg, und es im Alter nicht vorhanden, weil der Zins- und Zinseszinseffekt, auf den man eigentlich gesetzt hat, der dreht sich ins Negative."
Für aktienaffine Anleger gilt: Alles ist relativ. Bei Nullzins auf anderen Märkten, steigt das Interesse an Aktien. Auch wer nicht auf Kursgewinne setzt, kann auf Rendite hoffen. Denn Aktiengesellschaften schütten Dividenden aus. Zwei, drei Prozent Dividendenrendite sind durchaus drin. Wer auch jetzt noch mit dieser Vorsicht einsteigt, ist nicht allein, weiß Manfred Hübner aus seinen Umfragen vom Analysehaus Sentix. "Wir haben es ja nicht mit Anlegern zu tun, die auf den DAX schauen und sagen: ‚Toll, da habe ich jetzt kräftig mitverdient. Von dem Geld kaufe ich mir jetzt mal was Schönes.' Sondern die Leute schauen auf den DAX und sagen: ‚Mein Gott, wo geht der hin? Ich bin nicht dabei. Wenn er so hoch steht, er kann ja jetzt nur fallen.' Aber das ist eine defensive Haltung. Und nicht die Haltung, die man üblicherweise am Ende einer Bewegung findet, sondern die man eher in der Mitte einer Bewegung findet, wenn der erste Schwung gekommen ist und dann so langsam die entgangenen Gewinne an den Nerven der Anleger nagen."
Keine Frage: Aktien sind nach jahrelangem Aufschwung teuer. Sie kosten derzeit gut das fünfzehnfache eines Jahresgewinns pro Aktie. Beim letzten riesengroßen Crash zur Jahrtausendwende war dieses Kurs-Gewinn-Verhältnis auf mehr als 28 gestiegen. So gesehen ist ein Einstieg noch möglich, auch wenn die großen Kursgewinne schon vorbei sind. Spätestens wenn am Biertisch alle mit ihren Aktienengagements prahlen, ist das Ende der Bewegung gekommen. Die hochnäsigen Börsianer sagen: Man muss raus sein, bevor die Milchmädchen kommen.