Das vergessene jiddische Theater
Ende des 19. Jahrhunderts gründete Jacob Ber-Gimpel das vermutlich erste unabhängige jiddische Theater Europas mit einer festen Adresse. Eine kleine Gruppe von Musikern aus der Ukraine und Moldawien will nun herauszufinden, was aus dem Theater geworden ist.
Efim Chorny, der große, schlaksige Mann im viel zu weiten Anzug steht auf der Bühne. Er ist eine charismatische Erscheinung mit schmalem Gesicht, tiefen Augen und einer schütteren Mähne aus grau-gekräuseltem Haar. Ein Sänger und Musiker, der seit seinem 6. Lebensjahr Musik macht.
"Ich bin aus Kishinev, in Moldawien."
Efim Chorny spricht osteuropäische Sprachen, Englisch und vor allem: Jiddisch. Er steht auf der kleinen Bühne im Kulturzentrum der Jüdischen Gemeinde Thüringen – einer Station seiner kleinen Tournee. Im Saal sitzen viele ehemalige Einwanderer aus der früheren Sowjetunion. Das Interesse an Jiddischer Musik, sagt Efim Chorny, wird größer und größer – nicht nur hier:
"Da sind mehr und mehr Menschen, die sich für jiddische Musik interessieren. Es ist doch ein Teil der Weltkultur, vor allem aber - ein Part der deutschen Kultur. Denn Juden lebten hier viele Jahrhunderte lang."
"Es war wirklich ein großer Traum von mir"
Er und sein Team haben mehr als ein Jahr in jüdischen Archiven gesucht, ob es Dokumente, Musikverzeichnisse, Berichte über das alte vergessene Jacob-Ber-Gimpel-Theater in Lemberg gibt und: Wer noch etwas erzählen könnte?
"Denn die Gebäude, die gibt es ja noch - in denen damals gesungen und musiziert wurde. Fast 50 Jahre lang von 1889 bis 1939, das alles existiert noch. In einem der Gebäude ist heute noch ein Theater, aber eben kein jüdisches. Und wir hatten genau dort in dem Gebäude in Lemberg vor einigen Jahren zum Klezmer-Festival einen Auftritt, exakt dort, wo einst die Musiker von Ber-Gimpel auftraten. Unglaublich."
Es ist vermutlich erst der Anfang einer Recherche rund um das Archiv und das jüdische Leben in Lemberg, im damaligen Galizien. Einige Texte und Melodien sind erhalten und bilden nun das Repertoire für Efim Chorny und seine Musikerinnen. Mit ihm auf der Bühne ist die moldawische Pianistin Susan Ghergus, die australisch-niederländische Violinistin Vanessa Vromans und die aus Lemberg, dem heutigen Lviv, stammende Sängerin Sasha Somish.
"Es war wirklich ein großer Traum von mir, die Stars der Klezmer-Szene aus der Westukraine, aus Moldawien nach Lviv zu bringen, wo die Wurzeln dieser Musik sind. Und ich war wirklich so glücklich, dass wir das geschafft haben."
"Eine heikle Frage"
Wenn Sasha Somish nicht irgendwo auf der Welt mit Efim Chorny und den Musikerinnen gastiert, singt sie am Theater in Lviv und probt mit ihrer eigenen kleinen Band "Varnishkes", die das jiddische, musikalische Erbe aus dem früheren Lemberg pflegt.
"Das meiste des Repertoires ist auf Jiddisch, und was interessant an unserer Musikgruppe ist, der Jüngste ist 16 Jahre alt und die Älteste 75! Für mich ist das ganz spannend, wie es gelingt, die Generationen zusammen zu bringen auf der Bühne."
Sasha Somish ist Mitglied der Jüdischen Gemeinde im heutigen ukrainischen Lviv und setzt sich dafür ein, dass jüdische Kultur und jiddische Musik ganz selbstverständlich zum Repertoire gehört. Die jüdische Geschichte, sagt sie, ist für viele noch eine unangenehme Aufarbeitung:
"Die meisten Juden von heute kamen von anderen Regionen der Ukraine, so wie eben mein Großvater. Er kam von Kharkov. Es ist wirklich eine heikle Frage. Denn auch damals, die Regierung in der Sowjetunion machte ähnlich grausame Dinge mit den Juden, vergleichbar mit denen, die später stattfanden auf Geheiß der Nazis. Viele Menschen der so genannten Intelligenzja wurden damals drangsaliert und ermordet."
Wenn Sasha Somish heute mit Efim Chorny auf europäischen und amerikanischen Bühnen steht, dann mit der Musik des einstigen Theaters von Jacob Ber-Gimpel.
Stück für Stück kommt alles zurück
Es sind Texte, die von Großmüttern – Bobkelech – erzählen, vom Glück eines guten Lebens, aber auch von den Alltagssorgen des kleinen Mannes. Lieder, die damals – Ende des 19. Jahrhunderts - in Lemberg, später in den Theatern von Berlin, Buenos Aires, Warschau, Moskau und New York gesungen worden sind.
Und heute? Efim Chorny lacht – Stück für Stück kommt alles zurück, die Musik, vor allem aber das Jüdische Leben, auch bei ihm zuhause in Moldawien.
"But we have some Jewish life, come ones and you will see. It still exists."