Wie die EU-Staaten mit Sputnik V umgehen - lesen Sie auch unser großes Dossier zum Thema: In der EU ist der russische Impfstoff Sputnik V noch nicht zugelassen. Wie reagiert die EU-Kommisson? Wie groß ist die Nachfrage? Welche Länder impfen den Stoff bereits?
Russischer Impfstoff bald made in Germany?
27:05 Minuten
Im bayerischen Illertissen soll bald der russische Impfstoff Sputnik V produziert werden. Der hat zwar in der EU noch keine Zulassung, ist aber bereits in über 60 Ländern der Welt stark nachgefragt. Das kleine Illertissen könnte zum Global Player im Impfgeschäft werden.
Ein leerer Spielplatz am Stadtrand von Illertissen: Hinter den Büschen ein großes, graues Gebäude mit schwarzen Fenstern, davor ein hoher Metallzaun, ganz oben mit Stacheldraht versehen. Es könnte eine moderne Kaserne sein, ist es aber nicht.
Das Produktionsgebäude der Pharmafirma R-Pharm ist abgeschirmt. Man darf nur mit Erlaubnis auf das Gelände. Journalisten waren bisher unerwünscht – wir dürfen jedenfalls trotz unserer Anfragen nicht rein. R-Pharm gehört zu einem russischen Konzern und ist in der 18.000 Einwohner zählenden Stadt Illertissen einer der größten Arbeitgeber.
Nun steht die Pharmafirma ungewollt im Rampenlicht, zusammen mit der Stadt Illertissen, weil aus Russland die Nachricht kommt, dass hier im bayerisch-schwäbischen Landkreis Neu-Ulm bald der russische Impfstoff Sputnik V produziert werden soll.
Illertissen macht Schlagzeilen wegen Sputnik V
Es ist im Mai 2021, es gießt in Strömen in Illertissen. Die Diskussion um den russischen Impfstoff Sputnik V ist gerade voll im Gange, denn die Europäische Arzneimittelagentur EMA lässt ihn in der EU immer noch nicht zu.
Manche mutmaßen, das könnte politische Gründe haben. Andere versichern, dass man Sputnik V nicht prüfen könne, weil Russland die Daten nicht Preis gibt.
Wir treffen uns vor dem Rathaus in Illertissen mit Karl-Heinz Brunner. Wir wollen die Stadt näher kennenlernen. Der 68-Jährige wartet mit Regenschirm. Brunner ist seit 2013 Bundestagsabgeordneter der Region für die SPD und ein bekanntes Gesicht in der Stadt: Zwölf Jahre war er Erster Bürgermeister in Illertissen, vor zwei Jahren hat er sogar kurzzeitig für den Bundesvorsitz der SPD kandidiert, letztes Jahr hat er sich als homosexuell geoutet.
Illertissen hat in den letzten Wochen einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht wegen der Sputnik-Debatte. Brunner verfolgt das natürlich. Er lobt seine Heimatstadt.
"Schwäbische Landstadt, gemütlich. Direkt an der Achse zwischen Paris und Budapest und zwischen Neapel und Dänemark. Nein, eine wunderschöne Kleinstadt, die aber mit großstädtischem Flair und hervorragender Infrastruktur punkten kann."
Die Stadt im bayerischen Teil Schwabens liegt direkt an der Iller. Der Fluss entspringt im rund 100 Kilometer entfernten Oberstdorf im Allgäu. An schönen, klaren Tagen – wenn es nicht so wie heute regnet - kann man von hier die Alpen sehen. Wir gehen die Hauptstraße entlang, vorbei am historischen Gasthof Krone, der wohl schon um die 400 Jahre alt ist und mit seinem Fachwerkbau sofort auffällt.
Der Wirtschaft geht’s gut. Der Stadt auch.
Russische Pharmafirma hält sich bedeckt
Obwohl es eine Umgehungsstraße gibt, fahren immer noch viele Autos den alten Verkehrsweg durch die Innenstadt – aus Gewohnheit, sagt Brunner. Hier gilt zwar Tempo 20, aber eine klassische Fußgängerzone sucht man vergebens.
"Illertissen lebt wie viele Städte zum einen vom Einkommenssteueranteil und überdeutlich natürlich vom Gewerbesteueraufkommen, also der Steuer, die die Unternehmen mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erwirtschaften. Geht’s der Wirtschaft gut, dann geht’s der Stadt auch gut. Geht’s der Illertisser Wirtschaft schlecht, dann muss auch die Stadt ein bisschen durchatmen. "
Die Pharmafirma R-Pharm, die derzeit noch Arzneimittel verpackt, aber bald Sputnik V produzieren soll, gehört zu den wichtigsten Firmen, auch wenn es wohl nicht mehr ganz die Nummer 1 ist.
"Wenn einem die Gemeinde am Herzen liegt, wenn einem die Stadt am Herzen liegt, dann will man so einen Gewerbesteuerzahler nicht verlieren. Aber es ist nicht nur der Gewerbesteuerzahler. Sondern es ist auch die Verbindung Illertissens als guter Pharmaziestandort in Deutschland, den ich mit hochwertigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gerne erhalten möchte. Denn gut bezahlte, hochqualifizierte Kräfte erbringen auch Kaufkraft für den Einzelhandel, für alles, was so ein Gemeinwesen als solches mit sich bringt."
Karl-Heinz Brunner durfte als Bundestagsabgeordneter die Firma schon mal besuchen – im Gegensatz zu uns Journalisten. Er hat sie "als sehr aufgeräumt erlebt", sagt er. Die Mitarbeiter seien zufrieden.
"Die einzige Einschränkung, die ich hatte, war, dass die Aussage war: ‚Bitte nur an den Stellen fotografieren, an denen wir sagen, dass es OK ist, damit keine Patente verletzt werden. Und wenn es geht, keinen Bericht über den Besuch in der Presse.'"
Eigentlich könnte das Unternehmen jetzt in die Offensive gehen und groß werben damit, dass es demnächst womöglich einen bedeutenden Impfstoff produzieren wird, der in alle Welt exportiert wird. Wir hätten gerne ein Interview mit der Firma gehabt.
Doch bisher heißt es nach wie vor: Darüber entscheidet der Firmensitz in Moskau.
Auskünfte gibt's nur in Moskau
Karl-Heinz Brunner kann uns in Illertissen mit der geheimnisvollen Firma nicht näher in Kontakt bringen, geschweige denn in Moskau. Also versuchen wir es auf anderem Wege.
Stephan Laack, Korrespondent im ARD Studio Moskau, erzählt von großen Plänen, die Russland mit Sputnik V verbindet – ähnlich wie damals in der Raumfahrt. Daher auch der Name.
"Russland war das erste Land weltweit, das mit einer Impfkampagne gestartet ist. Dass man diesem Impfstoff ausgerechnet den Namen Sputnik gegeben hat soll auch unterstreichen, dass Russland in der Impfstoffentwicklung wirklich eine führende Rolle eingenommen hat."
Russland verschickt seit Monaten Sputnik V in die ganze Welt. Allerdings ist der Impfstoff zuhause im eigenen Land nicht besonders populär. Es fehlt die Transparenz, der offene Umgang auch mit Rückschlägen. Impfskepsis, Misstrauen gegenüber der Regierung, mangelnde Disziplin sind die Folgen.
Die Zahl der Neuinfektionen steigt, sagt Laack. Im Kreml ist man darüber alles andere als glücklich.
"Moskau hat zumindest reagiert, indem für die Betriebe und Unternehmen im Dienstleistungsbereich eine Impfpflicht eingeführt wurde. Von Bürgermeister Sabjonin gab es nun die Ansage, dass dort eine Impfquote von mindestens 60 Prozent erreicht werden muss."
So der Stand heute in Russland.
Bayern bestellt schon mal vorab 2,5 Millionen Dosen
In Deutschland nimmt die Impfkampagne seit dem Frühsommer Fahrt auf – auch ohne Sputnik V. Die Europäische Arzneimittelbehörde entscheidet immer noch nicht über eine Zulassung. Auch hier fehlt die Transparenz, immer noch fehlen Daten. Nicht nur in Illertissen, auch in Moskau ist man zugeknöpft.
Überraschend ist deshalb, dass der bayerische Ministerpräsident Markus Söder bereits Impfstoff in Illertissen bestellt hat – vorsorglich. Nach einer Kabinettssitzung im April verkündet er:
"Der bayerische Gesundheitsminister kam die letzten Tage auf mich zu und hat einen Vorvertrag, den er heute unterzeichnen wird, mit einer Firma in Illertissen gemacht. Dort geht es um die Lieferung von Sputnik. Sollte Sputnik zugelassen werden in Europa, dann wird Bayern mit dieser Firma und über diese Firma, die in Bayern in Illertissen tätig ist, zusätzliche Impfdosen, ich glaub es sind 2,5 Millionen Impfdosen, wohl im Juni dann erhalten."
Der Juni ist nun vorbei, R-Pharm produziert noch lange nicht, aber der Name "Illertissen" ist in den überregionalen Medien präsent.
Bettina von Westphalen betreibt einen kleinen Buchladen, mitten in Illertissen, gegenüber vom Marktplatz in einer Seitenstraße. Wer hier ein Buch kauft, kann sich gleich auf eine der Bänke unter die Baumreihe vor dem Laden setzen.
Rechts vom Eingang stehen viele Rad- und Wanderkarten aus der Umgebung, die durch die Nähe zum Allgäu und zur A7 auch für Touristen sehr attraktiv ist. Von der Impfstoffproduktion hat die Buchhändlerin gehört.
"Ja, das ist beim R-Pharm, wie es so schön heißt, und unser Ministerpräsident hat ja gleich mal was reserviert. Bei dem Wettlauf um den Impfstoff wäre es auch schön, wenn hier was produziert werden könnte. "
Wir verabschieden uns aus dem Buchladen. Auf der Hauptstraße ist heute mehr los als bei unserem ersten Besuch.
Auf den Schuss Wodka kommt es an
Der Lockdown ist vorbei, die Sonne brennt und draußen sitzen die Illertisser endlich wieder im Café neben dem Marktplatz oder kaufen sich in der Mittagspause bei der Metzgerei Maucher eine Leberkässemmel.
Wir treffen einen gebürtigen Illertisser, der bei der Frage nach der Impfstoffproduktion ohne lange zu überlegen, antwortet:
"Ja natürlich, das ist ganz in der Nähe, R-PHarm. War ja ganz früher mal die Firma Mack, größter Bienenzüchter Europas, dann die Firma Pfizer. Und was ich zuletzt mitbekommen hab, hat R-Pharm rund 30 Millionen investiert. Kenn mich dort ein bisschen aus, hab ein Weilchen drin gearbeitet."
Was für ein Zufall! Ralph Bossinger hat dort Mitte der Neunzigerjahre als Pharmamechaniker in der Abfüllung und Verpackung gearbeitet, als die Firma dem US-Konzern Pfizer gehörte. Ist die Impfstoffproduktion abseits der Medienberichte überhaupt ein Gesprächsthema?
"In meinem Freundes- und Bekanntenkreis wird das eher so am Rande noch angeschnitten: 'Ja, in Illertissen wollen sie doch jetzt auch den Sputnik V machen.'"
Neben dem historischen Rathaus betreibt Tobias Walter ein Fotostudio. Auf die Frage, ob er sich mit Sputnik impfen lassen würde, breitet sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus: "Wenn der richtige Schuss Wodka dabei ist, ist es schon okay."
Pharmaproduktion begann mit Bienengift
Illertissen hat eine lange Tradition in der Herstellung pharmazeutischer Mittel.
Hoch über der Stadt thront ein Ort, der scheinbar zunächst einmal gar nichts mit Medizin oder gar Impfstoff zu tun hat: das historische Schloss der Adelsfamilie Vöhlin.
Dort befindet sich hinter einer großen, roten Tür das Bayerische Bienenmuseum. Über eine gewundene Treppe steigen wir nach oben.
Dass ausgerechnet in Illertissen ein Bienenmuseum untergebracht ist, ist kein Zufall. Denn auf dem heutigen Gelände der Firma R-Pharm wurde in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts aus Bienengift ein Rheumamittel hergestellt – damals revolutionär. Die Firma hieß "Heinrich Mack Gmbh", in Illertissen jedem ein Begriff.
Ein Teil des Bienenmuseums widmet sich diesem Unternehmen. Der über 80-Jährige Illertisser Hermann Wohlketzetter hat bei der Heinrich Mack GmbH als Leiter der Finanzabteilung gearbeitet.
Wir schauen auf ein altes Schwarz-Bild des heutigen R-Pharm-Geländes, das in einem Schaukasten steht.
"Ja, das ist ein riesiges Gelände, so 800 bis 900.000 Quadratmeter. Das ist eine der naturfreundlichsten Firmen überhaupt, weil einfach viel Grün und Wald und Wasser da ist. Früher sind da auch die Bienen geflogen. Wenn sie da Mittagspause gemacht haben, mussten sie aufpassen, dass sie nicht zu nah an den Bienen sitzen, sonst sind sie gestochen worden. "
Auf einer der größten Bienenfarmen der Bundesrepublik wurde das Rheumamittel Forapin hergestellt, aus dem Gift der Bienen.
1975 schlossen die Amerikaner die Imkerei
"Jeder Sportler hat das gekannt," weiß Wohlketzetter, "wenn sie eine Sportverletzung gehabt haben, haben sie sich eingerieben. Hat gebrannt wie der Teufel. Es war ein gutes Produkt."
Die Firma war in den kommenden Jahrzehnten einer der wichtigsten Arbeitgeber in der Stadt, sagt Wohlketzetter, während wir vor der Vitrine stehen, in der Fotos von den Bienenstöcken aufgereiht sind.
In den Siebzigerjahren kauft der US-Konzern Pfizer die Traditionsfirma Mack in Illertissen, Hermann Wohlketzetter ist für die finanzielle Abwicklung mitverantwortlich. Ein Stück Tradition ist damals verloren gegangen:
"Man hat Honig verkauft, man hat Königinnen verkauft und ein bisschen Bienenwachs. Da haben die Amerikaner dann gemeint, da legt man was drauf. Da hat es geheißen: 'Forget about the bees', also "vergessen Sie die Bienen". 1975 ist die Imkerei dann geschlossen worden."
Auch wenn die Imkerei geschlossen wird – unter Pfizer verliert das Unternehmen als Pharmalieferant zunächst nicht an Bedeutung für die Stadt.
Doch 2014 verkauft das US-Unternehmen Pfizer an die russische Pharmafirma R-Pharm. Die Erleichterung war groß in Illertissen, denn es gab schon Befürchtungen, dass das Werk ganz schließen könnte.
Viele Jobs für Illertissen
Ortswechsel: Eine weiße Mittelklasse-Limousine parkt vor einem Werksgelände in Senden, das nur wenige Kilometer flussabwärts von Illertissen liegt. Auf der Hutablage ein roter Helm, am Heck ein Aufkleber: Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie und Energie.
Er betreut über 120 Firmen in Bayerisch-Schwaben, überwiegend Mittelständler. Auch den Pharmastandort Illertissen kennt Falke gut und hat daran nicht nur angenehme Erinnerungen.
"Es gab damals einen sehr starken Personalabbau, vor 10 Jahren, die damals noch von Pfizer abgebaut wurden, 100-120 Leute waren das damals, das hängt einfach damit zusammen, dass man die Produktion verkleinert hat und an andere Standorte verlagert hatte, das hatte aber auch mit der Pharmaproduktion generell in Deutschland zu tun, weil man doch sehr viel in Billiglohnländer verlagert hatte."
Falke geht es vor allem um hochwertige Jobs und eine entsprechende Produktion. Denn bislang sei R-Pharm vor allem als Lohnhersteller tätig. Die Firma produziere also viel im Auftrag anderer Pharmafirmen, stecke jedoch wenig bis kaum etwas in Forschung und Entwicklung.
"Ich kann über das Management hier in Deutschland nur sagen, dass das absolut korrekte Manager sind, die hier alles auch tun, um mit der Belegschaft nach vorne zu gehen und die auch Investitionen getätigt haben, damit es hier weitergehen kann. Weil: Einfach nur billige Pharmaprodukte herzustellen, die man genauso auch in Billiglohnländern herstellen kann, das kann mal sporadisch funktionieren, aber nicht dauerhaft. Von daher wird das, was jetzt vorgesehen ist, für den Standort in Illertissen auch einen Quantensprung bedeuten.
Doch wann dieser Quantensprung kommt, scheint noch völlig offen. Eigentlich wollte R-Pharm den Impfstoff Sputnik V schon seit Monaten produzieren. Abnehmer gäbe es weltweit genug, überall sucht man Impfstoff.
Die Aussicht auf ein Interview mit der Firma haben wir fast schon verworfen und stellen fest: Es fehlt nicht nur die Zulassung durch die Europäische Arzneimittelagentur, sondern etwas scheinbar viel Profaneres: eine Genehmigung vom Neu-Ulmer Landratsamt, dass dort Arzneimittel produziert und nicht nur verpackt werden dürfen.
Öffentlichkeitsbeteiligung ist vorgeschrieben
Wir haben einen Termin in der "Kupferburg", so wird das Landratsamt wegen seiner auffälligen roten Fassade scherzhaft genannt.
Im zweiten Stock treffen wir Jaquline Makrinius, die für Bau- und Umweltfragen zuständig ist. Auf dem Tisch vor ihr liegt ein dickes, oranges Buch, auf deren Vorderseite in großen Buchstaben "Immissionsschutzgesetz" steht.
Konkret fehlt R-Pharm noch die "Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung zur Herstellung von Arzneimitteln", sagt Makrinius. Was nach typisch deutscher Behördensprache klingt, heißt letztlich, dass geprüft werden muss, ob der Herstellungsprozess des Impfstoffs vor Ort Schaden für Mensch oder Umwelt bedeuten könnte, etwa durch eine mögliche Luftverschmutzung oder Lärm. Das Unternehmen muss dafür noch Unterlagen nachliefern.
Gibt es bei so etwas Wichtigem wie der Impfstoffproduktion keine Möglichkeit, das Verfahren zu kürzen?
"Das tun wir tatsächlich. Wir schöpfen sämtliche Möglichkeiten aus, die wir haben, um das Verfahren abzukürzen. So schnell wie es geht. Wir haben zum Beispiel eine Teilbaugenehmigung erlassen. Die internen Kommunikationswege sind sehr, sehr kurz. Wir bedienen uns digitaler Medien, damit wir auch auf diesen Post-Lauf verzichten können. Wir tun wirklich alles, um es möglichst kurz zu halten."
Einmal wöchentlich gibt es außerdem einen runden Tisch, an dem neben dem Landratsamt auch Vertreter von R-Pharm und des Gesundheitsministeriums sitzen. Doch ein wichtiger Schritt fehlt noch, der wohl mehrere Wochen in Anspruch nehmen wird: Das Gesetz schreibt nämlich bei dieser Art von Genehmigung vor, die Öffentlichkeit zu beteiligen.
"Öffentlichkeitsbeteiligung heißt, dass wir die Antragsunterlagen bis auf Betriebsgeheimnisse den Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung stellen. Diese können sich die Antragsunterlagen anschauen und dann gegebenenfalls auch Bedenken äußern. "
Mindestens zwei Monate kann diese Öffentlichkeitsbeteiligung dauern, die Ende Juni noch nicht einmal angelaufen ist.
Sputnik V wird kommen – aber wann?
Dass Sputnik V für die Impfkampagne in Deutschland überhaupt noch eine Rolle spielen wird, ist unwahrscheinlich. Denn inzwischen gibt es genug andere Impfstoffe, die transparent überprüft wurden und EU-weit zugelassen sind. Die Ständige Impfkommission Stiko hält Sputnik zwar grundsätzlich für einen guten Impfstoff, aber sieht dank der Alternativen nicht unbedingt die Notwendigkeit, ihn in Deutschland einzusetzen.
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek mag sich zu den bereits angefallenen Kosten für die Reservierung von 2,5 Millionen Dosen Sputnik nicht persönlich äußern. Aber die Pressestelle beantwortet unsere Anfrage schriftlich:
"Bayern hat eine Absichtserklärung mit dem Russian Direct Investment Fund und der R-Pharm Germany unterschrieben. Dafür sind keine Kosten entstanden. Für die derzeitige Vorbereitung des Vorvertrags entstehen Kosten ausschließlich für die Rechtsberatung."
Wir kontaktieren noch einmal R-Pharm, ein letzter Versuch. Und diesmal kommt überraschend eine Zusage und wir dürfen endlich hinter den Metallzaun.
Schließlich spricht doch einer
Vor einem Pförtnerhäuschen weisen wir uns aus und bekommen ein Temperatur-Messgerät an die Stirn gehalten. Kurz darauf empfängt uns Felix Schmitt von der Geschäftsleitung. Er führt über das Firmengelände, das hinter hohen Bäumen vor den Blicken der Öffentlichkeit abgeschirmt ist.
Für das Interview nehmen wir einem nüchternen Besprechungsraum Platz. Viele Bereiche der Produktionshallen sind aus hygienischen Gründen nicht einfach so zugänglich.
Die Zusammenarbeit mit dem Landratsamt Neu-Ulm im Hinblick auf Sputnik klappe gut, sagt Schmitt. Auch wenn noch einige Hürden beseitigt werden müssen. Er ist zuversichtlich, dass es in ein paar Monaten losgehen kann.
"Mit den Problemstellungen, die wir im Moment haben, werden wir wahrscheinlich eine Technical Readiness im zweiten Halbjahr erreichen. Würde bedeuten, dass das Gebäude und das Equipment bereit steht, um dann eine kommerzielle Produktion zu starten."
Dass R-Pharm im aktuellen Rennen um einen Impfstoff für Deutschland etwas spät dran ist, sieht Schmitt nicht als Problem. Man wolle langfristig Biotechnologie am Standort aufbauen, auch für Medikamente gegen andere Krankheiten wie Rheuma oder Krebs. Auch für Vakzine gebe es noch großen Bedarf.
"Der Impfstoff Sputnik und der Impfstoff Astrazeneca, den wir hier herstellen können, haben beide sehr viel Potential für Regionen außerhalb von Europa. Zum einen vom Kostengefüge: Sie sind sehr viel billiger als BioNTech oder Moderna und haben eine deutliche anspruchslosere Lieferkette. Das spielt für wärmere Hemisphären eine wichtige Rolle."
Illertissen als Global Player
Sputnik V wird bereits in über 60 Staaten verimpft und Russland kann nicht annähernd so viel liefern wie nachgefragt wird. Hinzu kommen noch Auffrisch-Impfungen und Impfungen, die gegen neue Mutationen wirken. Wie wirksam Sputnik V diesbezüglich ist, muss sich noch zeigen.
Wir verlassen R-Pharm durch ein großes Drehkreuz und geben den in Plastik eingeschweißten Besucherausweis wieder beim Pförtner ab. Auch nach unserem ersten Besuch in der Firma ist klar: Es wird wohl noch dauern, bis in Illertissen tatsächlich Impfstoff produziert werden kann.
Trotzdem: Die bayerisch-schwäbische Kleinstadt hat die Chance, im Fahrwasser der russischen Pharma-Firma R-Pharm zum Global Player zu werden. Oder wie es der Illertisser Bürgermeister Jürgen Eisen uns am Telefon gesagt hat:
"Das wäre für die Stadt wie ein Sechser im Lotto."