"Man arbeitete und spielte zusammen"
Die Spielvereinigung Erkenschwick feiert ihren 100. Geburtstag. Der Verein spielt heute in der 5. Liga und ist in der 30.000-Einwohner-Stadt im Ruhrgebiet verankert: Bergbau, Ort und Verein waren einst zu einem großen Ganzen verschmolzen.
"Ich bin in Erkenschwick geboren, das Elternhaus ist keine hundert Meter vom Stimbergstadion entfernt, von der Haupttribüne. Und als Kind haben wir natürlich immer am Platz im Stadion gespielt. Von klein auf damit verbunden, ganz klar."
In seinem verlängerten Kinderzimmer, dem Erkenschwicker Stimbergstadion, war Alfons Manikowski später dann Pressesprecher und kurz auch einmal Geschäftsführer. Die Spielvereinigung Erkenschwick ist in der 30.000-Einwohner Stadt am grünen Nordrand des Ruhrgebietes fest verankert, seit nunmehr einhundert Jahren. Der Bergbau, die Stadt und der Verein verschmolzen zu einem großen Ganzen. Ein Beispiel hierfür ist Günter Reinhardt. 1950 in den Verein eingetreten, hat er gerade erst – mit 79 Jahren – als Physiotherapeut der ersten Mannschaft aufgehört.
"Goldenen Jahre waren durch die Zechen"
"Ich bin damals Berglehrling angefangen und kam dann durch den Fußball wieder nach oben über Tage, weil ich das nicht geschafft hab. Und hab dann da oben mich weiter gebildet. Hab Erste Hilfe gemacht, dann Masseur, dann Physio – alles, was so drum und dran war die ganzen Jahre. Die goldenen Jahre waren ja hier durch die Zechen. Alle hier ringsum. Zumal die ganzen Vorsitzenden ja auch alle hier auf dem Bergwerk waren, ne."
Anton Stark war damals der starke Mann vor Ort. Bergwerksdirektor und Vorsitzender der Spielvereinigung. Vor dem Finale um die Amateurmeisterschaft 1969 sorgte er dafür, dass Erkenschwick für einen Tag einen Bahnhof hatte. Alfons Manikowski war als Kind dabei:
"Ja, was hat unser Zechendirektor und erster Vorsitzender Anton Stark gemacht? Er hat die Zechenbahnlinie umfunktioniert zur Personenstrecke, hat von seinen Azubis einen Bahnsteig bauen lassen, keine hundert Meter hinterm Stimbergstadion. Da ging eine Zechentrasse her, wo die Kohle Richtung Duisburg transportiert wurde. Und da fuhr ein Sonderzug mit über tausend Fans nach Jülich ab. Das erste und das einzige Male, nur durch den Fußball."
"Die Bude vollgehauen"
Eine dieser heute fast unglaublich klingenden Geschichten und eine Ewigkeit entfernt wie die großen Erfolge nach dem Krieg, als Dortmund, Schalke und Rot Weiß Essen von Erkenschwicks Stürmerlegende Jule Ludorf salopp gesagt "die Bude vollgehauen" bekamen. Und was heute neudeutsch "Teambuilding" heißt, war damals selbstverständlich: man arbeitete und spielte zusammen, verließ sich aufeinander – unter Tage und im Stadion in Sichtweite des Förderturms. Der ist längst Geschichte, die Bindung an den Bergbau auch, sagt Andreas Giehl, der zweite Vorsitzende der Spielvereinigung. Und von den Zweitligajahren um 1980, vom damaligen Spieler, dem heutigen Regisseur Sönke Wortmann, redet auch niemand mehr.
"Das ist absolut nur Nostalgie. Selbst der damalige Bergwerksdirektor Anton Stark, der hier jahrelang Vorsitzender war, kommt hier nur noch ganz selten zu den Heimspielen. Es bestehen da ganz ganz wenige Kontakte noch zu irgendwelchen Zuliefererfirmen, die uns heute noch unterstützen aus damaliger Zeit. Aber es wird auch von Jahr zu Jahr weniger."
250 Zuschauer kommen im Schnitt
Vor fast 25 Jahren schloss die Zeche, die Stadt verlor die Existenz- Grundlage. Immer noch stehen Läden leer, Billig-Filialen siedeln sich an und die wenigen bunten Fassaden können das Grau dahinter kaum verbergen. Parallel dazu schlingerte die Spielvereinigung in die Fünftklassigkeit. Mit kleinem Etat, der sie nunmehr zum dritten Mal auf den Aufstieg verzichten lässt. 250 Zuschauer kommen im Schnitt noch, das Publikum wird immer älter.
"Also grundsätzlich, sag ich mal, kann man sich für die Tradition, die der Verein hat, nichts mehr kaufen. Das ist Geschichte, das hilft uns aktuell in keinster Weise weiter. Der einzige Vorteil, den man vielleicht daraus zieht, aus alter Verbundenheit, das ist der FC Schalke, der uns dahingehend unterstützt, seine Nachwuchsmannschaft hier spielen zu lassen. Das ist aber auch so der einzige Berührungspunkt, den man noch zu den jetzigen Profimannschaften hat."
Das Familiäre zeichnet die Spielvereinigung Erkenschwick aber auch heute noch aus. Fans und Mannschaft treffen sich schon vor den Spielen vor dem Vereinsheim. Die einen ziehen sich dann um, die anderen feuern an, so wie Alfons Manikowski.
"Ich wohn' mittlerweile über hundert Kilometer weg. Aber das ist immer wieder schön, alte Bekanntschaften hier zu sehen. Also da gibt's immer ein Schwätzchen, natürlich über die Spielvereinigung und, ja, das ist immer wieder schön, nach Hause zu kommen, ne?"