Dunja Melčić, geb. 1950 in Kroatien, Philosophin und freie Autorin; lebt seit 1974 in Frankfurt, wo sie 1981 über Martin Heidegger promovierte; setzt sich besonders mit Themen aus Philosophie und internationaler Politik auseinander - mit dem Akzent auf Südosteuropa.
Veröffentlichungen: "Jugoslawien-Krieg. Handbuch zu Vorgeschichte, Verlauf und Konsequenzen" (Hg., 1999, 2007); "Das Denken der Freiheit zwischen gestern und heute. Auf den Spuren Hannah Arendts" (2007); "Jugoslawismus ohne Jugoslawien" (2011).
Internationale Justiz arbeitet politisches Versagen auf
Im Bosnienkrieg besetzen bosnische Serben Srebrenica und ermordeten Männer und Jungen - trotz der Präsenz niederländischer Blauhelmsoldaten. Die Publizistin Dunja Melčić erinnert sich in ihrem "Politischen Feuilleton", wie sie diese Ereignisse erlebte.
Ich weiß genau, wo ich vor zwanzig Jahren war, als die ersten Bilder über den Fall von Srebrenica im Fernsehen gezeigt wurden. Ich stand auf der Terrasse meines damaligen Ferienhauses an der Adria und schaute hinein in das Wohnzimmer, wo ein alter Fernsehapparat aus der Dunkelheit flimmerte.
Zu sehen war der lachende Eroberer der jahrelang belagerten Stadt. Er ließ sich filmen in gutgelaunter Siegerpose – umzingelt von ausgehungerten Kindern, denen er gnädig Bonbons spendierte. Mich ließ diese Szene innerlich schaudern. Diese Inszenierung vor Kameras, ausgestrahlt in alle Welt, entsprach in keiner Weise der grausamen Wirklichkeit im fernen Bosnien.
Der Kontrast hätte nicht größer sein können. Ratko Mladić triumphierte. Und mir war klar, dass seinen Opfern das Schlimmste drohte. War doch offensichtlich, dass weder Weltsicherheitsrat und NATO noch Blauhelm-Kommandeure am Einsatzort ihre Strategie der Nicht-Einmischung aufgeben würden.
Eine Woche lang wurde gemordet
Nicht einmal, nachdem sich die Lage in Srebrenica so zugespitzt hatte. Mladics Befehl, Männer von Frauen und Kindern zu trennen, hätte als das verstanden werden müssen, was er war: als ein Todesurteil. Mehr noch: Das Töten zog sich eine Woche hin. Immer wieder hätte es also aufgehalten werden können.
Die Ohnmacht fühlte sich unerträglich an. Es empörte, wie sich die internationale Gemeinschaft verhielt, aber es überraschte nicht.
Denn die Entscheidungsträger waren derart unentschlossen und unbelehrbar, dass sie für diese Tragödie mitverantwortlich wurden. Man habe die Konfliktparteien, Angreifer wie Angegriffene, auf amoralische Weise gleichgesetzt, räumte Generalsekretär Kofi Annan vier Jahre später das Versagen der UNO selbstkritisch ein.
Falsch verstandene Neutralität verweigerte Hilfe zur rechten Zeit. Sie war zu beobachten, als der Krieg in Kroatien begann, ebenso als serbische Truppen blitzartig große Teile Bosniens besetzten und Hunderttausende vertrieben. Und sie änderte sich auch nicht, nachdem Srebrenica 1993 zur Schutzzone der UNO erklärt worden war.
Aufarbeitung durch engagierte Justiz
Diese Grundhaltung prägte schließlich auch die Resolution, mit der der Weltsicherheitsrat den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien schuf. Die Ankläger jedoch ließen sich von der diplomatischen und politischen Vorgeschichte nicht beeindrucken. Sie nehmen ihr Mandat ernst.
Sie fanden mit internationalen Ermittlungsteams eine Fülle unumstößlicher Beweise, rekonstruierten mit bedrückender Präzision das Massaker von Srebrenica und klagten mit hieb- und stichfesten Schriftsätzen die Verantwortlichen an. Was die Justiz geleistet hat, kann die Öffentlichkeit im Gerichtssaal miterleben und später noch lange in Akten nachschauen.
Ich selbst habe viele Verhandlungen verfolgt und viele Sitzungsprotokolle gelesen. Die Angeklagten wurden in mehreren Prozessen wegen schwerer Kriegsverbrechen schuldig gesprochen, einige auch wegen Völkermords. Der Prozess gegen Ratko Mladic läuft noch.
Dass der Gerechtigkeit genüge getan wurde, werden die Opfer nicht empfinden. Aber die historische Wahrheit von Srebrenica ist im Haager Gericht dokumentiert worden. Und so gelang es engagierter Justiz, wenigstens im Nachhinein dem Versagen der internationalen Politik etwas entgegenzusetzen, nämlich Aufarbeitung und Rechtsgrundsätze.