Hoffnung in bleierner Stille
Lethargie, Angst, Misstrauen. Noch immer sind in Sri Lanka die Folgen des 30-jährigen Bürgerkrieges zu spüren. Fünf Jahre nach dem Sieg der singhalesischen Regierung über die tamilischen Rebellen ist kaum Aufbruchsstimmung zu erleben.
Kilinochi, eine Stadt im Norden Sri Lankas. Ein Ausbildungszentrum für Automechaniker und Elektriker. Aufmerksam lauschen junge Frauen und Männer einem Ausbilder, der die Funktion eines Autogetriebes erklärt. Sie üben an Schleif- und Schweißgerät, mit Kühlern und Motoren.
Nebenan zerlegen zwei Mädchen einen Röhrenfernseher; ihre Elektriker-Kollegen hantieren mit Steckdosen, Leiterplatten und Messgerät. Hell und freundlich wirken die Werkstätten – in etwas irritierendem Kontrast zu den ernst dreinblickenden jungen Menschen. Sie alle haben ihre Kindheit in einem 30-jährigen Bürgerkrieg verbracht, der erst 2009 endete. Bis heute wirken sie traumatisiert und verängstigt, sprechen nur stockend über ihr Leben:
"Als Kind habe ich vom Krieg nichts gemerkt. Wir hatten genug Reis und Fisch zu essen; niemand behelligte uns. Ab Mitte 2008 aber schlugen überall hier Granaten ein. Einer meiner Cousins verlor ein Bein; ein anderer wurde von der Rebellenorganisation Tamil Tigers zwangsrekrutiert und tauchte nie wieder auf. Zwei Jahre lebten wir in einem Lager; dann bekamen wir von der Regierung ein neues Haus." – "Ich bin inzwischen 23 Jahre alt und helfe einem Nachbarn, Stromleitungen zu verlegen. In diesem Zentrum will ich jetzt meinen Abschluss als Elektriker machen und einen eigenen Betrieb eröffnen. Dann werde ich endlich ein gutes Leben haben."
Sri Lanka: weiße Strände, antike Ruinenstädte, eine faszinierende Bergwelt. Seit Jahrtausenden leben hier aus Indien stammende Singhalesen und Tamilen zusammen - gemeinsam mit später zugewanderten Muslimen und Abkömmlingen tamilischer Teearbeiter.
Ein langwieriger Konflikt der Volksgruppen
Die meist hinduistischen Jaffna-Tamilen im Norden stellen zwölf Prozent der Bevölkerung, die meist buddhistischen Singhalesen 74 Prozent. Den Konflikt zwischen den Volksgruppen säten britische Kolonialherren. Sie besetzten die meisten Jobs mit Tamilen – zum Verdruss der Singhalesen, die nach dem Abzug der Briten 1948 die Diskriminierung umkehrten: Singhalesisch wurde alleinige Amtssprache, der Buddhismus Staatsreligion. 1975 gründete daraufhin Velupillai Prabhakaran die "Befreiungstiger von Tamil Eelam", die LTTE. Das Ziel: ein unabhängiger Tamilen-Staat im Norden und Osten Sri Lankas.
Es folgte ab 1983 ein Bürgerkrieg, der 130.000 Menschenleben forderte; zahllose Tamilen wurden vertrieben; Friedensverhandlungen blieben ohne Erfolg. 2008 schließlich begann Präsident Mahinda Rajapakse einen Vernichtungsfeldzug gegen die Tamil Tigers, in dem binnen weniger Monate 40.000 tamilische Zivilisten starben. Im Mai 2009 war die LTTE besiegt; die Leichen ihrer Anführer wurden im Fernsehen präsentiert, der Norden unter strikte Militärkontrolle gestellt.
Fünf Jahre später ist das 2009 völlig zerbombte Rebellenzentrum Kilinochi ein schmuckes Städtchen. Die nagelneue vierspurige Hauptstraße ist gesäumt von Blumenrabatten, neuen Gebäuden, Läden voller Haushaltsbedarf und Kinderspielplätzen. Ein Bahnhof an der komplett renovierten Eisenbahnlinie zwischen der Tamilen-Hauptstadt Jaffna und Colombo wurde soeben eingeweiht.
Auch die reich verzierten Hindu-Tempel, wo Gläubige bei Festen Blumen und Nahrungsmittel opfern, erstrahlen in frischen Farben. Rubawathi Ketheeswaran, Chefin der Distriktverwaltung in Kilinochi, gibt stolz auf den raschen Wiederaufbau ein Interview, erlaubt allerdings nicht, sie wörtlich zu zitieren.
Die Verwaltungschefin erzählt, wie ihre Behörde Zehntausende Vertriebene rücksiedelte und mit neuen Papieren ausstattete. Wie sie, unterstützt von Indien, neue Schulen baute – und 14.000 Häuser. Wie sie Saatgut und Dünger an heimgekehrte Bauern verteilte. Stolz ist Ketheeswaran auch auf zahlreiche Kultur- und Sportaktivitäten. Viele Jugendliche aus dem Süden hätten sich den Norden angeschaut – und umgekehrt. Außerdem sei da das Harmonie-Zentrum in Kilinochi.
Ein bezaubernd angelegter Park. Springbrunnen, Skulpturen, beschattete Tische und Bänke entlang gepflegter Kieswege. In einem Bürgerzentrum helfen freundliche Damen beim Umgang mit Behörden. Veranstaltungsräume, Sporthalle und Freiluftkino laden ein zu aktiver Gemeinschaft.
Das Harmonie-Zentrum als bizarres Symbol
Das Problem: Abgesehen von den offiziellen netten jungen Damen ist kein Mensch zu sehen in dieser vom Militär betriebenen schönen neuen Welt. Das Harmonie-Zentrum, gedacht als weithin sichtbares Symbol der Versöhnung im einstigen Hauptquartier der Rebellen – dieses Zentrum erstarrt zum Geisterpark; zum bizarren Symbol jener abgrundtiefen Kluft, die augenscheinlich nach wie vor zwischen Singhalesen und Tamilen klafft.
Sri Lankas Regierung sehe in jedem Tamilen einen potentiellen Terroristen, meint Bürgerrechtler Paikiasothy Saravannamuttu, mit dem der Besucher vorsichtshalber per Telefon spricht. Die Regierung setze den Tamilen neue Straßen und Gebäude vor die Nase, ohne zu fragen, ob sie diese überhaupt wollen. Saravannamuttu beschreibt die Tamilen Nord-Sri Lankas als traumatisiert und verunsichert. Und völlig zu Recht seien sie höchst misstrauisch gegenüber der Regierung:
"Was sind die tatsächlichen Prioritäten der Regierung? Geht es darum, im Interesse der lokalen Bevölkerung Entwicklung voranzutreiben? Oder geht es um Kontrolle und, einmal mehr, Kolonisierung. Werden also, unter dem Vorwand wirtschaftlicher Entwicklung, Singhalesen aus dem Süden in den Norden umgesiedelt?"
An der frisch asphaltierten Straße zwischen Kilinochi und Jaffna sind die Spuren des Krieges bis heute sichtbar: zerschossene und ausgebrannte Ruinen, überwuchert von Unkraut; Autofriedhöfe, auf denen auch geborstene Panzer vor sich hin rosten; Menschen auf Krücken oder im Rollstuhl – und, nicht zuletzt: Soldaten.
Keine Checkpoints mehr, aber Fahrradpatrouillen und, versteckt unter Bäumen, kleine Militärcamps. Derweil ist in die jahrzehntelang verminte und verödete Landschaft die landwirtschaftliche Betriebsamkeit zurückgekehrt: Zahlreiche Menschen arbeiten auf Reis- und Maisfeldern, auf kleinen Bananen- und Kokosplantagen, zwischen Mango- und Neembäumen.
Mühsamer Aufbau einer neuen Existenz
In einem Dorf schöpft Bäuerin Kunaratnam Kalebawani Wasser aus einem Brunnen: braunes Wasser. Der Regen des Nord-Ost-Monsuns sei 2013 ausgeblieben, erzählt die Bäuerin. Der Klimawandel habe auch den Norden Sri Lankas erreicht. Eine resolute Frau, die, sagt sie, die Nase voll hat vom Streit der Politiker. Jetzt endlich will sie sich und ihrer Familie eine Existenz aufbauen:
"2007 mussten mein Mann, die Kinder und ich Hals über Kopf fliehen, weil überall hier Granaten einschlugen. Fast fünf Jahre lebten wir in Vertriebenenlagern, wo ich mit meinem Pickup Sachen für andere Leute transportierte. Seit 2012 sind wir wieder zuhause. Und zum Glück haben wir auch unser Land zurückbekommen. Letztes Jahr habe ich dann, obwohl mein Mann Bedenken hatte, zwei Kühe gekauft – Kreuzungen zwischen einer lokalen Rasse und Hochertragskühen aus Australien. Jetzt bringe ich täglich fünf, sechs Liter Milch zu dieser Sammelstelle, wo sie mir rund 60 Rupien pro Liter zahlen. Damit kann ich die Ausbildung meiner Kinder finanzieren."
Die Sammelstelle – das ist, außerhalb des Dorfs, ein kleines Ziegelgebäude mit blinkenden Stahltanks und einem Labor voller Messgerät. Ein offenbar hochmodernes Milchzentrum; betrieben von einem süd-sri-lankischen Lebensmittelunternehmen und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Rund 500 Bauern liefern hier täglich ihre Milch ab und erhalten, je nach Fettgehalt, bis zu 35 Eurocent pro Liter.
Die Nachfrage nach Milchprodukten wächst rapide in Sri Lanka. Eine große Chance für die tamilischen Bauern des Nordens mit seinen weitläufigen Weideflächen. Traditionell halten diese Bauern nur ein oder zwei Kühe, die wenig mehr als einen Liter Milch täglich geben. Um effizient Milchvieh zu halten, müssen die Bauern ihre Kühe kreuzen mit Hochertragsrindern; sie müssen gutes Gras anbauen und zu Heu verarbeiten für die Trockenzeit – und zu Silage, vergorenem Grünfutter. Sie müssen ihre Kühe hegen und pflegen.
Drei Veterinäre und ein Agrarberater des Milchzentrums versuchen, die Bauern zu motivieren, und unterstützen sie mit tierärztlicher Hilfe und Informationsveranstaltungen in den Dörfern. Immer mehr junge Menschen suchen dennoch ihre Zukunft in der Stadt. Dort hängen viele Jugendliche ohne Ausbildung arbeitslos herum; andere mit gutem Schulabschluss wollen studieren. Manche aber haben erkannt, dass eine solide handwerkliche Ausbildung die vielleicht besten Perspektiven eröffnet. Sie bewerben sich bei Handwerkerschule in Kilinochi.
Erziehung zu Toleranz und sozialem Engagement
Hundert Frauen und Männer zwischen 16 und 36 absolvieren hier eine zweijährige Ausbildung als Automechaniker und Elektriker, gefolgt von einem einjährigen Praktikum in der Industrie. Die Ausbildung soll auch zu Toleranz und sozialem Engagement erziehen. Sie soll helfen, schlimme Kriegserlebnisse zu vergessen und nach vorn zu blicken – so wie die Elektrikerinnen Jenoji und Kishandi:
"Ich habe einen sehr guten Schulabschluss, für den meine Eltern große Opfer gebracht haben. Jetzt will ich sie und meine sechs jüngeren Geschwister unterstützen, so gut ich kann. Ich solle in der neuen Textilfabrik hier als Näherin arbeiten, haben mir einige Leute geraten. Aber als Elektrikerin finde ich bestimmt einen besser bezahlten Job. Kommt dann die Zeit zum Heiraten, werden mir meine Eltern hoffentlich einen Mann aussuchen, der mir erlaubt, weiter zu arbeiten."
"Meine Mutter hat als Gelegenheitsarbeiterin meine beiden Schwestern und mich großgezogen. Ich bin jetzt ihre Hoffnung, aus der Armut herauszukommen. Davon abgesehen macht mir die Elektrik Spaß. Und ich werde meinen Beruf auf keinen Fall aufgeben, wenn ich heirate. Meine Mutter muss mir halt einen Mann finden, der dafür Verständnis hat."
Sorgen um einen Job müssen sich Jenoji und Kishandi nicht machen: Unternehmen, die am Wiederaufbau mitwirken, suchen händeringend Fachkräfte. Desgleichen Firmen aus dem Süden, die im Norden Verkaufs- und Service-Filialen eröffnet haben. Männliche Handwerker bekommen überdies Angebote, im Mittleren Osten zu arbeiten. Andererseits wächst die Wirtschaft in Sri Lankas Norden bis heute deutlich langsamer als die Infrastruktur. Finanzstarke Tamilen aus der Diaspora haben noch so gut wie gar nicht investiert. Anlass zu Hoffnung geben aber einige einheimische Investoren.
Langsam rattert der Zug aus betagten kobaltblauen Waggons über die neuen Schienen zwischen Jaffna und Kilinochi. In den Polstern der ersten Klasse ernst blickende Aktentaschenträger. Eine Familie mit sehr wohlgenährten Kindern – Zeichen des jungen Wohlstands.
Atmosphäre aus Lethargie und Angst
Trotzdem ist kaum Aufbruchsstimmung zu spüren, eher eine bleiern bedrückende Atmosphäre aus Lethargie, Angst, Misstrauen und bisweilen Paranoia. Tatsächlich, meinen Bürgerrechtler wie Paikiasothy Saravannamuttu, wittere die Armee hinter jedem Busch einen Terroristen, sie kontrolliere, verhöre und verhafte willkürlich:
"Kürzlich, zum Beispiel, behauptete die Regierung, militante Auslandstamilen seien nach Sri Lanka eingedrungen, um die LTTE neu aufzubauen. Und eine bekannte Menschenrechtsaktivistin in Jaffna hätte diese Leute in ihrem Haus versteckt. Die Frau wurde festgenommen und sitzt bis heute im Gefängnis."
Viele Tamilen sprechen mit Ausländern nur im Flüsterton gesprochen – unruhigen Blicks, als fühlten sie sich ständig beobachtet. "Wir erleben den Wiederaufbau als Kolonisierung", haben einige gesagt. Gleichzeitig mutiere auch im Süden die einst pulsierende Demokratie Sri Lankas zur Diktatur, berichten besorgte Singhalesen.
Die Regierung sei unter Präsident Mahinda Rajapakse zum Familienbetrieb degeneriert. Drei Brüder des Präsidenten haben Schlüsselministerien inne; per Verfassungsänderung hat Rajapakse durchgesetzt, 2015 für eine dritte Amtszeit kandidieren zu dürfen. Die ihm lästige Präsidentin des Obersten Gerichtshofes wurde ihres Amtes enthoben.
Auch die in Sri Lanka früher selbstverständliche Meinungsfreiheit hat der Präsident beseitigt: Während der letzten Kriegsjahre verschwanden fast tausend Oppositionelle, Menschenrechtler und Journalisten. Heute ist die Opposition schwach und zersplittert. Websites werden bei Bedarf blockiert. Zeitungen zensieren sich selbst. Oppositionsparteien und Organisationen der Zivilgesellschaft werden engmaschig überwacht. Bürgerrechtler Saravannamuttu sieht erste Anzeichen einer Militärdiktatur:
"Zum ersten Mal in Sri Lankas Geschichte ist die Armee einer der stärksten politischen Akteure im Lande – mit der Macht, nahezu jede Entscheidung zu blockieren. 400.000 Bewaffnete haben wir momentan. Und wir können sie nicht demobilisieren, weil wir keine Arbeitsplätze für sie haben. Auch deshalb betätigt sich unsere Armee zunehmend als Wirtschaftskonzern. Sie pflanzt und verkauft Gemüse. Sie betreibt Restaurants, Golfplätze, Hotels, Transportunternehmen und so weiter."
Außenpolitische Isolation des Landes
Der militärische Sieg der Regierung gegen die Tamil Tigers könnte sich noch als Pyrrhussieg erweisen, meint in Colombo der Politikwissenschaftler Sunil Wijesiriwardena. Außenpolitisch ist Sri Lanka wegen seines Vorgehens im Tamilenkonflikt weitgehend isoliert. Nur China kooperiert, aus strategischen Gründen, eng mit der Regierung. Innenpolitisch klaffen, unverändert tief, Misstrauen und Sprachlosigkeit zwischen der Regierung und der singhalesisch-buddhistischen Mehrheit einerseits sowie Tamilen und auch Muslimen andererseits. Die jüngsten Übergriffe singhalesisch-buddhistischer Extremisten auf Muslime im Süden dokumentierten dies einmal mehr; und es gebe auch bis heute keine sri-lankischen Medien – nur singhalesische, tamilische und muslimische Medien:
"Leider ist die nationale Identität sehr schwach ausgeprägt in Sri Lanka – gegenüber der ethnischen und auch religiösen Identität einzelner Volksgruppen. Wir sind schlichtweg gescheitert beim 'nation building', beim Aufbau eines Nationalbewusstseins nach der Kolonialzeit. Damals hätte es entschiedene Anstrengungen geben müssen, eine sri-lankische Identität in der Bevölkerung zu verankern. Leider haben das die damals herrschenden Klassen nicht gesehen; und deshalb gründet Politik in Sri Lanka bis heute auf ethnischer Identität."