St. Pauli bei Lichte besehen
Hohe Mieten, fehlendes Geld, enge Auflagen. Dass St. Pauli am Abgrund steht, erfährt die interessierte Öffentlichkeit in großer Regelmäßigkeit alle Jahre wieder. Dass man es St. Pauli abgeschminkt und nur am Tage ansieht, ist auch nicht neu. Und dennoch ändert sich wirklich was auf der verruchten deutschen Amüsiermeile. Es ist das Sterben der legendären Musikclubs und die damit verbundene Befürchtung, dass neue internationale Trends um die Hansestadt einen großen Bogen machen.
St. Pauli.
Kass: "Wichtiger Laden, ... das Molotow, wichtiger Club, Hamburg, Reeperbahn, Spielbudenplatz."
Das Molotow ist gerettet.
Kass: "Ich glaub´ ja."
"Möchtest Du mal reinkommen? ... Halbe Stunde Zeit, hast mal Lust?, komm´ mal rein."
Kass: "Das Übel & Gefährlich, das ist genau genommen ja auch St. Pauli, ... Knust ist dann auch St. Pauli, Große Freiheit natürlich, Indra, Angie´s Nightclub, der Ganze Kram da auf der Reeperbahn, ... Headcrash in der Talstraße, und da sind natürlich jede Menge Kneipen auch obendrauf, ne, Rosie`s Bar, das Ex-Spar, ich weiß nicht, ob´s das noch gibt, Roschinsky´s, also wie Sand am Meer."
"Hallöchen. Also ich würde sagen, wir beide gehen jetzt mal schön hoch zu mir ins Studio."
"Astra-Stube ist auch noch St. Pauli, stimmt, genau, also direkt an der Grenze, aber ja, super Laden."
Unter der Bahn ...
"Ja, ´n Laden, den ich besonders im Winter tatsächlich ganz toll finde, wenn unter der Bahn-Linie, direkt daneben der Wagenbau, so´n Techno- und Drum&Bass- und Dub-Step und so Schuppen und Astra-Stube, auch so´n alter Rammelladen, ziemlich ab und runter und wenn Du im Winter da bist, und es regnet, und dann kommen die Autos von zwei Richtungen auf Dich zu und über Dir die Bahn hat das so was urbanes, find´ ich super."
"Egal-Bar, hier auch St. Pauli, Karo-Viertel, auch voll mit Bars und Kneipen, Yokomono, usw."
Kass: "Mir geht´s gut, ja. Hab´ gut geschlafen, bin ausgeruht."
St. Pauli.
Zwischen Glacischaussee, der Elbe und der Holstenstraße, bis zur Messe und zur Max-Brauer-Allee.
St. Pauli-Süd, St. Pauli-Nord, das Schanzen- und das Karolinenviertel. 2,6 Quadratkilometer, 26 Millionen Besucher jedes Jahr auf 26.000 Einwohner.
Einer davon ist Corny Littmann.
Littmann wird demnächst 58 und ist sowohl Besitzer zweier Theater, beide am Spielbudenplatz, als auch Präsident des FC St. Pauli, momentan Tabellen vierter der 2. Fußball-Bundesliga.
Im Rücken seiner Theater, ...
"Im alten Brauerei-Viertel, in dem sogenannten Brauerei-Viertel, ja."
... wurde in den letzten Jahren gebaut. Ein Viertel im Viertel. Auf dem Gelände der dort abgerissenen St. Pauli-Bavaria-Brauerei, Hauptmarke "Astra", zwischen Hopfen- und Davidstraße, zwischen Bernhard-Nocht-Straße und Zirkusweg: Das Bavaria-Center. 30 % der Neubauten sind Wohnungen, der Rest der Fläche Restaurants, Bars, Büros mit starker Ausprägung von Gewerbe im Hochpreissegment sowie ein Vier-Sterne Hotel, dem Empire Riverside.
St. Pauli verändere sich, sagten Kritiker.
Littmann: "Ich glaube, dass es keine Bauvorhaben hier geben kann, und es wird ja noch etliche geben, am Ende der Reeperbahn auf der einen und auf der anderen Seite, die die soziale Struktur wirklich entscheidend beeinflussen können. Was sich entwickelt, natürlich drum rum, um ein solches Viertel, dort leben vielleicht 1500, 2000, 2500 Menschen, irgendwie in dieser Größenordnung, was sich natürlich darum entwickelt, ist ein gastronomisches Angebot, was sich unterscheidet, was neu ist, was qualitativ und preislich auch in der Konsequenz dann sicher im Bereich der mittleren bis gehobenen Gastronomie ist, das ist nicht zum Schaden des Viertels, das ist, wie ich finde, ne sinnvolle Ergänzung, aber das nimmt auch nichts weg von dem Alten, sondern das lässt was Neues entstehen, ich finde, das kann das Viertel verkraften, wie im übrigen die Reeperbahn in ihrer Geschichte viele Bewegungen in die eine und andere Richtung eigentlich sehr gut verkraftet hat."
Wo geht Sabine Koppe gerne hin?
"Wo ich gerne hingehe, das ist der Saal II, ... die Sofa-Bar an der Schanzenstraße finde ich interessant, oder das Goldfisch-Glas, ... und dann geht´s weiter auf´n Kiez, also auf die Reeperbahn, oder auch gerne ins Übel & Gefährlich, in den Bunker, an der Feldstraße."
Alle auf St. Pauli.
"Ich denke, die Wahl der Stadt ist ´ne ganz wichtige. Also diese, diese Stadt, die ich mir auswähle, um zu leben, das geht natürlich in erster Linie häufig nach dem Job, also wo gibt es Arbeit, wo gibt es was, wo ich mich weiter entwickeln kann, denn Arbeit ist ´n wichtiger Faktor zur Selbstverwirklichung, und diese Wahl der Stadt ist einfach wirklich ganz entscheidend, und dieser ganze Lebensstandard und das Kreative ist ´n wichtiger Aspekt."
Sabine Koppe, 30 Jahre alt und Mitarbeiterin des Trendbüros, einem Hamburger "Beratungsunternehmen für gesellschaftlichen Wandel".
"Wir definieren Trends als ´gemeinsame Anpassungsstrategien von Menschen an eine sich verändernde Umwelt`, also Dinge verändern sich, Werte verändern sich, die Gesellschaft verändert sich, wir reden hier von Veränderungen im Bereich ökonomische Veränderungen, soziale Veränderungen, technologische Veränderungen und kulturelle Veränderungen. Und auf diese Veränderungen reagieren die Leute, sie haben ja Hoffnungen, Ängste, Sehnsüchte und gehen in unterschiedlichem Masse damit um, und daraus entstehen eigentlich Trends."
Als Unterschied zu Moden, als Unterschied zum Adjektiv ´trendy`.
Und wenn sie sich nun in Hamburg umsieht?
Zudem unter der messbaren Einbeziehung der drei Ts: Talente, Technologie, Toleranz.
Sabine Koppe ist Berlinerin.
"Und man hat herausgefunden, dass Berlin wirklich wahnsinnig kreatives Potential hat, ... und Hamburg versteht es aber tatsächlich besser als Berlin, diese kreative Energie auch in Wohlstand umzusetzen. Also hier geht es den Leuten überdurchschnittlich gut."
Seine Geschäftszimmer hat das Trendbüro im "Haus zur Seefahrt", einen Steinwurf entfernt von den St. Pauli Landungsbrücken, gegenüber der Speicherstadt,
Hinter der Speicherstadt: Die Hafen-City, die größte Baustelle Europas.
Die drei Ts, Talente, Technologie und Toleranz, kann man die auf St. Pauli herunter brechen?
"Kann man sie auf St. Pauli runter brechen? Also das ist ´ne wirklich schwierige Frage, ... wir haben das erste T., Talente, die sind sicherlich in St. Pauli vorhanden, das heißt, viele kreative Leute entscheiden sich, nach St. Pauli zu ziehen, und leben da und schöpfen auch aus dieser kreativen Energie und aus dieser Dynamik, die da herrscht, also Kiez, das Nachtleben auf der Reeperbahn, so´n bisschen dieses Schmuddelimage, was es irgendwie auch hat, das ist sicherlich interessant für die Talente und da werden sicherlich auch Talente geboren. Technologie sehe ich nicht in St. Pauli, ... und Toleranz, ähm, dafür steht St. Pauli sicherlich auch. ... Es ist ne wahnsinnige Energie, die hat man sonst in Deutschland nirgendwo."
"Ja St. Pauli is´ vor allen Dingen Vielfalt. Angefangen vom Wohnquartier, das aber auch in sich schon sehr unterschiedlich ist, sehr vielfältig, ... spürt man doch sehr große Unterschiede, von der Wohnqualität her, von dem sozialen Status der Menschen, wobei ich sagen muss, ich kenn´ kaum ´n Stadtteil, wo es trotz allem so tolerant zugeht. Also Arm und Reich wohnen hier direkt nebeneinander, ohne sich gegenseitig zu behaken oder großartig neidisch aufeinander zu sein."
Wo wohnt Arm?
"Quasi direkt gegenüber. Nebenan. Genau so wie Reich."
Und wie sieht Reich aus?
"Ist von Außen oftmals nicht mehr so zu sehen und es ist auch nicht nur ne Frage des Geldes allein, oder des durchschnittlichen Einkommens. Armut ist ja nun wesentlich vielfältiger geworden in den Ausprägungen, also bis hin zu sozialer Armut, wo die Kontakte einfach sich immer mehr einschränken, Menschen einsam sind, vor allen Dingen auch im Alter, ..."
St. Pauli ist ein Stadtteil alter Menschen ...
"... aber auch im Bereich Bildung, ... kulturelle Armut, ne, obwohl hier das Angebot groß ist, sind doch recht viele ausgeschlossen, die es sich nicht leisten können, und damit schließt sich der Kreis wieder zum Geld."
Christian Homfeldt, 38.
In der Hein-Hoyer-Straße, in St. Pauli-Nord. Im St. Pauli-Museum.
Links des St. Pauli-Museums ist das "Crazy Horst", rechts davon, seit 1958, die Bäckerei Rönnfeld.
Eine Wohnstraße.
"Es wird wesentlich bunter, liegt aber auch daran, dass St. Pauli, genau so auch wie die Schanze wesentlich attraktiver geworden sind, Studenten, junges Bildungsbürgertum. Ne. Da ist dann auch die Nachfrage für solch ein Gewerbe. Mit den neuen Bewohnern St. Paulis, die ja auch willkommen sind, eher jüngeres, Einkommen starkes Publikum, ändert sich natürlich auch das Angebot hier im Stadtteil und vor allem auch die Preise. Und das birgt Risiko für die, die eher sozial schwach sind."
Davon gibt es auf St. Pauli einige. Christian Homfeld:
"Veränderungen müssten halt gerade hier, wo sich viele kleine Biotope befinden, im menschlichen Sinne, doch mit sehr viel Feingefühl vollzogen werden."
Homfeldt ist Leiter des St. Pauli-Museums.
Das St. Pauli-Museum wiederum ist ein Verein, in erster Linie bestückt mit Arbeiten jeglicher Art von Günter Zint, Hausfotograf des Star-Clubs, erster Herausgeber St. Pauli-Nachrichten, damals, Ende der 60er, ein linkes Boulevardblatt, Buchautor und Fotoreporter der Studentenproteste in Paris, Berlin und Hamburg, der Ostermärsche und der Anti-Atomkraft-Demonstrationen etwa in Brokdorf.
Der andere Teil dieses Museums ...
"Guten Morgen. Morgen Erwin."
... gehört Erwin Ross. Maler.
"Ja, unser Erwin Ross, ... Reklame-, Pin-Up-Maler. Ja."
Erwin Ross, 82, hat hier sein Atelier.
"Das gehört zusammen einfach, und Erwin gehört eben zu St. Pauli und ..."
Ross begann 1955 auf St. Pauli, im "Tabu".
"Ein Kabarett."
Vornehm ausgedrückt.
"Ja, na ja, vornehm, selbstverständlich, was gibt´s hier sonst außer Kabarett?"
Die Öl-Bilder, besser gesagt: Die Damen, die er malt, sind meist...
"Wunschgemäß."
Das auch ...
"Der Kunde, der bestellt das, oder sagt, so was in der Richtung möcht´ ich haben, und dann fertige ich das an."
Die Geschmäcker seiner Kunden gleichen sich, denn die erwähnten Damen sind immer leicht bekleidet.
"Ja, so wird das verlangt."
Wenn sich eines auf St. Pauli nicht verändert hat, sind es seine Bilder. Und St. Pauli ist immer auch Vergangenheit.
Zurück in die Gegenwart:
"Es darf nicht zu perfekt werden, es darf nicht alles saniert und modernisiert und neu gemacht werden, sondern es muss diese Räume der kreativen Entfaltung lassen. Und es muss tolerant bleiben und es darf nicht nur eine Stadt sein für die reichen Leute, die haben´s hier sehr gut und da gibt´s ganz tolle Läden, sondern es muss eben auch diese Möglichkeit geben, diese jungen Leute zu fördern und ihnen auch die Orte zu geben, wo sie sich entfalten können, wo sie ihre Läden aufmachen können und Büroflächen geben, Existenzgründern ´ne Chance geben, sich hier zu entfalten und es muss sicherlich auch was dafür tun, dass es hier ein bisschen mehr kulturelles, spannendes Angebot gibt."
Sabine Koppe, die Mitarbeiterin des Trendbüros.
Kurt Reinken wohnt in Ottensen, der 47-Jährige hat es zehn Minuten mit dem Fahrrad bis nach St. Pauli in die Schanzenstrasse. Reinken arbeitet bei der steg, der Stadterneuerungs- und Stadtentwicklungsgesellschaft Hamburg mbH.
"Wir haben uns ja so ´n bisschen spezialisiert auf Existenzgründerzentren, Gründerzentren, kreative Immobilien, Musikzentrum, Game-City-Port, Sprungschanze, Hafenkrankenhaus, und da sehen wir natürlich auch, dass die Häuser alle voll sind, wir haben über 110 kleine Einheiten, der Bedarf ist irre groß, und da kennen wir das Bild eigentlich, dass für diese Leute kaum noch Platz ist in diesem Stadtteil. Also da brauchen wir eigentlich Flächen, die Mietpreis günstig sind und nicht irgendwie bei 13 Euro 40 anfangen, sondern eher irgendwie in dem unteren Segment, 10 Euro, noch zu halten sind."
Reinken hält St. Pauli für einen der interessantesten Stadtteile Deutschlands, bezüglich der so genannten Kreativwirtschaft.
"Und die suchen Büroraum, der vielleicht nur 30 qkm groß ist, und das wird nicht mehr angeboten von den, sage ich jetzt mal, Investoren, die hier Flächen auch anbieten, die vielleicht ne Größe haben ab 3, 400 qkm. Und eigentlich sich dann nicht auf diese Mischung, die wir hier im Quartier haben, sich orientieren, sondern dann natürlich ein Profitgeschäft dann auch wittern."
Und die Befürchtung hat er.
Dass die Mieten ungewöhnlich hoch gestiegen sind, kann er zwar nicht bestätigen.
Dass St. Pauli aber zu, sagen wir, den Berliner Hackeschen Höfen wird ...
"Also die Entwicklung ist ja da, ... in Hamburg gibt es eigentlich relativ wenig Stadtteile, die so´n interessantes ... Großstadtgefühl auch zum Ausdruck bringen. Das ist Ottensen, das ist St. Georg und das ist St. Pauli, ... der Druck ist einfach da, so, und dann kann man sich eigentlich über die Jahre auch ausrechnen, was dann passieren wird, so dass dann vielleicht doch der Hackesche Hof hier auch irgendwo entstehen wird. Die Chancen sind eher groß als klein."
Platz ist kaum noch vorhanden.
"Platz ist kaum noch vorhanden."
Zumal die Liegenschaftspolitik der Stadt nach dem Höchstgebotsverfahren handelt. Und nicht verbunden mit einem Konzept oder strategischen Ansatz. Weder verbunden mit neuen Wohnformen noch mit städtebaulichen Konzepten.
Hamburg hat den Nachteil, keine Mietpreis günstigen Flächen mehr zu haben. Und wenn man über Kreativwirtschaft redet, wie es der Senat versucht, muss auch über Immobilien geredet werden.
"Dieser Trend, sage ich jetzt mal, wenn man auch Musikstadt werden will in Hamburg, das ist jetzt auch ein Thema, was sich die Stadt auf die Fahnen geschwungen hat, ist natürlich auch noch mal: Wie gehe ich mit den Musikclubs um, brauchen wir mehr? Wenn ja, wo sollen die auch entstehen, sollen die auf St. Pauli entstehen? Oder soll der Bestand, den wir jetzt haben, auch gehalten werden?"
"Es ist ja so: Also das Über & Gefährlich wird von Leuten gemacht, die vorher die Weltbühne gemacht haben, und die Weltbühne war auch ´n ganz toller Club auf St. Pauli, in ´nem Haus, was mittlerweile nicht mehr existiert, und da war´n noch allerhand anderer Läden drin, das gibt´s nicht mehr. In so fern, da fehlt schon was, und dafür sind Leute, die da drin Techno gemacht haben, abgewandert anteilig nach Altona und so."
Ruben Jonas Schnell, 40, ursprünglich aus Hannover, ist einer der erwähnten Kreativen.
"Sie meinen hier mit diesem Projekt byte.fm?"
Ja. Mit seinem Internetradio im sogenannten Medienbunker an der Feldstraße.
"Ja, byte.fm fällt wohl da drunter, unter das, was gemeinhin als kreatives Projekt oder Kreativwirtschaft behandelt wird ..."
"... ich persönlich find´ mich nur so mittelkreativ aber byte.fm wahrscheinlich ein kreatives Projekt."
St. Pauli.
Aus der ehemaligen Eisengießerei in der Simon-von-Utrecht-Straße, ein verfallenes Industriegebäude, wurde das east, ein Vier-Sterne Design-Hotel.
Die Bauträger des east waren die einzigen, die zusagten, die alte Fassade und Teile des Inneren zu erhalten.
An der Reeperbahn 1, oben am Millerntor, im Mandarin, dort wo der Mojo-Club seine Häuslichkeiten hat, werden die "Tanzenden Türme" entstehen – mit Verbleib des Mojo-Clubs im neuen Bau.
Denn ohne die Auftrittsmöglichkeiten, die die diversen Clubs schaffen, kann es keine lebendige Musik-Szene in Hamburg geben. Zumal die Clublandschaft von St. Pauli zentrales Element ist.
Die Reeperbahn ist in Bewegung.
Corny Littmann noch einmal:
"Die Reeperbahn ist in Bewegung, und sie war immer in Bewegung, da gab es Ausschläge nach unten und wieder mal nach oben. Ich finde es wichtig, dass eine Bewegung erhalten bleibt. ... Das macht die Reeperbahn auch so interessant, die Vielfältigkeit der Reeperbahn, die Bewegung, zur Bewegung gehört Leben und Tod dazu und es gibt genau so viele Betriebe, Initiativen, die sterben, genau so viele neue gibt es dann wieder, insofern betrachte ich das eigentlich, sofern die Bewegung erhalten bleibt, ganz optimistisch für die Zukunft."
Das tut Andy Grote letztlich auch.
Auf Grotes Initiative, er ist stadtentwicklungspolitischer Sprecher der SPD und Vorsitzender der SPD-St. Pauli, konnte das Molotow erhalten bleiben und das Cocoon, das am Spielbudenplatz schließen musste, in der Talstraße wieder eröffnet werden. Zudem soll demnächst eine Definition für nachhaltige Rahmenbedingungen der existierenden sowie der möglichen neuen Live-Clubs diskutiert werden.
Die Lampen gehen, bei Lichte betrachtet, auf St. Pauli nicht aus?
"Nein, das glaube ich nicht, also... die Bedeutung von Musik, von Live-Musik nimmt wieder zu, die öffentliche Wahrnehmung, auch das Bewusstsein dafür, dass das ´ne Bedeutung hat, auch in den Hamburger Behörden, ist schon stärker geworden. ... Und deshalb glaube ich, dass bei allen Risiken, am Ende die Chancen doch überwiegen."
Die Lampen bleiben an ...
"Ab und an flackert es ein bisschen."
Oder eine der Birnen platzt.
Und wo geht Grote gerne hin?
"Also, ich gehe am allerliebsten in den Silbersack in der Silbersackstraße...ich geh´ auch gerne mal in die Washington-Bar, oder bei mir in der Strasse in die Makrele oder jetzt ins neue Coccon, auch mal ins Mandarin,...eigentlich sehr gemischt, mit´n paar Vorlieben, die ich eben gesagt hab´."
Spielen sie im Silbersack zu gegebener Zeit noch immer "Auf der Reeperbahn nachts um halb eins"?
"Nein, das läuft immer dann, wenn es in der Jukebox jemand drückt, und die Jukebox ist unverändert in den Kernbestandteilen."
Kass: "Wichtiger Laden, ... das Molotow, wichtiger Club, Hamburg, Reeperbahn, Spielbudenplatz."
Das Molotow ist gerettet.
Kass: "Ich glaub´ ja."
"Möchtest Du mal reinkommen? ... Halbe Stunde Zeit, hast mal Lust?, komm´ mal rein."
Kass: "Das Übel & Gefährlich, das ist genau genommen ja auch St. Pauli, ... Knust ist dann auch St. Pauli, Große Freiheit natürlich, Indra, Angie´s Nightclub, der Ganze Kram da auf der Reeperbahn, ... Headcrash in der Talstraße, und da sind natürlich jede Menge Kneipen auch obendrauf, ne, Rosie`s Bar, das Ex-Spar, ich weiß nicht, ob´s das noch gibt, Roschinsky´s, also wie Sand am Meer."
"Hallöchen. Also ich würde sagen, wir beide gehen jetzt mal schön hoch zu mir ins Studio."
"Astra-Stube ist auch noch St. Pauli, stimmt, genau, also direkt an der Grenze, aber ja, super Laden."
Unter der Bahn ...
"Ja, ´n Laden, den ich besonders im Winter tatsächlich ganz toll finde, wenn unter der Bahn-Linie, direkt daneben der Wagenbau, so´n Techno- und Drum&Bass- und Dub-Step und so Schuppen und Astra-Stube, auch so´n alter Rammelladen, ziemlich ab und runter und wenn Du im Winter da bist, und es regnet, und dann kommen die Autos von zwei Richtungen auf Dich zu und über Dir die Bahn hat das so was urbanes, find´ ich super."
"Egal-Bar, hier auch St. Pauli, Karo-Viertel, auch voll mit Bars und Kneipen, Yokomono, usw."
Kass: "Mir geht´s gut, ja. Hab´ gut geschlafen, bin ausgeruht."
St. Pauli.
Zwischen Glacischaussee, der Elbe und der Holstenstraße, bis zur Messe und zur Max-Brauer-Allee.
St. Pauli-Süd, St. Pauli-Nord, das Schanzen- und das Karolinenviertel. 2,6 Quadratkilometer, 26 Millionen Besucher jedes Jahr auf 26.000 Einwohner.
Einer davon ist Corny Littmann.
Littmann wird demnächst 58 und ist sowohl Besitzer zweier Theater, beide am Spielbudenplatz, als auch Präsident des FC St. Pauli, momentan Tabellen vierter der 2. Fußball-Bundesliga.
Im Rücken seiner Theater, ...
"Im alten Brauerei-Viertel, in dem sogenannten Brauerei-Viertel, ja."
... wurde in den letzten Jahren gebaut. Ein Viertel im Viertel. Auf dem Gelände der dort abgerissenen St. Pauli-Bavaria-Brauerei, Hauptmarke "Astra", zwischen Hopfen- und Davidstraße, zwischen Bernhard-Nocht-Straße und Zirkusweg: Das Bavaria-Center. 30 % der Neubauten sind Wohnungen, der Rest der Fläche Restaurants, Bars, Büros mit starker Ausprägung von Gewerbe im Hochpreissegment sowie ein Vier-Sterne Hotel, dem Empire Riverside.
St. Pauli verändere sich, sagten Kritiker.
Littmann: "Ich glaube, dass es keine Bauvorhaben hier geben kann, und es wird ja noch etliche geben, am Ende der Reeperbahn auf der einen und auf der anderen Seite, die die soziale Struktur wirklich entscheidend beeinflussen können. Was sich entwickelt, natürlich drum rum, um ein solches Viertel, dort leben vielleicht 1500, 2000, 2500 Menschen, irgendwie in dieser Größenordnung, was sich natürlich darum entwickelt, ist ein gastronomisches Angebot, was sich unterscheidet, was neu ist, was qualitativ und preislich auch in der Konsequenz dann sicher im Bereich der mittleren bis gehobenen Gastronomie ist, das ist nicht zum Schaden des Viertels, das ist, wie ich finde, ne sinnvolle Ergänzung, aber das nimmt auch nichts weg von dem Alten, sondern das lässt was Neues entstehen, ich finde, das kann das Viertel verkraften, wie im übrigen die Reeperbahn in ihrer Geschichte viele Bewegungen in die eine und andere Richtung eigentlich sehr gut verkraftet hat."
Wo geht Sabine Koppe gerne hin?
"Wo ich gerne hingehe, das ist der Saal II, ... die Sofa-Bar an der Schanzenstraße finde ich interessant, oder das Goldfisch-Glas, ... und dann geht´s weiter auf´n Kiez, also auf die Reeperbahn, oder auch gerne ins Übel & Gefährlich, in den Bunker, an der Feldstraße."
Alle auf St. Pauli.
"Ich denke, die Wahl der Stadt ist ´ne ganz wichtige. Also diese, diese Stadt, die ich mir auswähle, um zu leben, das geht natürlich in erster Linie häufig nach dem Job, also wo gibt es Arbeit, wo gibt es was, wo ich mich weiter entwickeln kann, denn Arbeit ist ´n wichtiger Faktor zur Selbstverwirklichung, und diese Wahl der Stadt ist einfach wirklich ganz entscheidend, und dieser ganze Lebensstandard und das Kreative ist ´n wichtiger Aspekt."
Sabine Koppe, 30 Jahre alt und Mitarbeiterin des Trendbüros, einem Hamburger "Beratungsunternehmen für gesellschaftlichen Wandel".
"Wir definieren Trends als ´gemeinsame Anpassungsstrategien von Menschen an eine sich verändernde Umwelt`, also Dinge verändern sich, Werte verändern sich, die Gesellschaft verändert sich, wir reden hier von Veränderungen im Bereich ökonomische Veränderungen, soziale Veränderungen, technologische Veränderungen und kulturelle Veränderungen. Und auf diese Veränderungen reagieren die Leute, sie haben ja Hoffnungen, Ängste, Sehnsüchte und gehen in unterschiedlichem Masse damit um, und daraus entstehen eigentlich Trends."
Als Unterschied zu Moden, als Unterschied zum Adjektiv ´trendy`.
Und wenn sie sich nun in Hamburg umsieht?
Zudem unter der messbaren Einbeziehung der drei Ts: Talente, Technologie, Toleranz.
Sabine Koppe ist Berlinerin.
"Und man hat herausgefunden, dass Berlin wirklich wahnsinnig kreatives Potential hat, ... und Hamburg versteht es aber tatsächlich besser als Berlin, diese kreative Energie auch in Wohlstand umzusetzen. Also hier geht es den Leuten überdurchschnittlich gut."
Seine Geschäftszimmer hat das Trendbüro im "Haus zur Seefahrt", einen Steinwurf entfernt von den St. Pauli Landungsbrücken, gegenüber der Speicherstadt,
Hinter der Speicherstadt: Die Hafen-City, die größte Baustelle Europas.
Die drei Ts, Talente, Technologie und Toleranz, kann man die auf St. Pauli herunter brechen?
"Kann man sie auf St. Pauli runter brechen? Also das ist ´ne wirklich schwierige Frage, ... wir haben das erste T., Talente, die sind sicherlich in St. Pauli vorhanden, das heißt, viele kreative Leute entscheiden sich, nach St. Pauli zu ziehen, und leben da und schöpfen auch aus dieser kreativen Energie und aus dieser Dynamik, die da herrscht, also Kiez, das Nachtleben auf der Reeperbahn, so´n bisschen dieses Schmuddelimage, was es irgendwie auch hat, das ist sicherlich interessant für die Talente und da werden sicherlich auch Talente geboren. Technologie sehe ich nicht in St. Pauli, ... und Toleranz, ähm, dafür steht St. Pauli sicherlich auch. ... Es ist ne wahnsinnige Energie, die hat man sonst in Deutschland nirgendwo."
"Ja St. Pauli is´ vor allen Dingen Vielfalt. Angefangen vom Wohnquartier, das aber auch in sich schon sehr unterschiedlich ist, sehr vielfältig, ... spürt man doch sehr große Unterschiede, von der Wohnqualität her, von dem sozialen Status der Menschen, wobei ich sagen muss, ich kenn´ kaum ´n Stadtteil, wo es trotz allem so tolerant zugeht. Also Arm und Reich wohnen hier direkt nebeneinander, ohne sich gegenseitig zu behaken oder großartig neidisch aufeinander zu sein."
Wo wohnt Arm?
"Quasi direkt gegenüber. Nebenan. Genau so wie Reich."
Und wie sieht Reich aus?
"Ist von Außen oftmals nicht mehr so zu sehen und es ist auch nicht nur ne Frage des Geldes allein, oder des durchschnittlichen Einkommens. Armut ist ja nun wesentlich vielfältiger geworden in den Ausprägungen, also bis hin zu sozialer Armut, wo die Kontakte einfach sich immer mehr einschränken, Menschen einsam sind, vor allen Dingen auch im Alter, ..."
St. Pauli ist ein Stadtteil alter Menschen ...
"... aber auch im Bereich Bildung, ... kulturelle Armut, ne, obwohl hier das Angebot groß ist, sind doch recht viele ausgeschlossen, die es sich nicht leisten können, und damit schließt sich der Kreis wieder zum Geld."
Christian Homfeldt, 38.
In der Hein-Hoyer-Straße, in St. Pauli-Nord. Im St. Pauli-Museum.
Links des St. Pauli-Museums ist das "Crazy Horst", rechts davon, seit 1958, die Bäckerei Rönnfeld.
Eine Wohnstraße.
"Es wird wesentlich bunter, liegt aber auch daran, dass St. Pauli, genau so auch wie die Schanze wesentlich attraktiver geworden sind, Studenten, junges Bildungsbürgertum. Ne. Da ist dann auch die Nachfrage für solch ein Gewerbe. Mit den neuen Bewohnern St. Paulis, die ja auch willkommen sind, eher jüngeres, Einkommen starkes Publikum, ändert sich natürlich auch das Angebot hier im Stadtteil und vor allem auch die Preise. Und das birgt Risiko für die, die eher sozial schwach sind."
Davon gibt es auf St. Pauli einige. Christian Homfeld:
"Veränderungen müssten halt gerade hier, wo sich viele kleine Biotope befinden, im menschlichen Sinne, doch mit sehr viel Feingefühl vollzogen werden."
Homfeldt ist Leiter des St. Pauli-Museums.
Das St. Pauli-Museum wiederum ist ein Verein, in erster Linie bestückt mit Arbeiten jeglicher Art von Günter Zint, Hausfotograf des Star-Clubs, erster Herausgeber St. Pauli-Nachrichten, damals, Ende der 60er, ein linkes Boulevardblatt, Buchautor und Fotoreporter der Studentenproteste in Paris, Berlin und Hamburg, der Ostermärsche und der Anti-Atomkraft-Demonstrationen etwa in Brokdorf.
Der andere Teil dieses Museums ...
"Guten Morgen. Morgen Erwin."
... gehört Erwin Ross. Maler.
"Ja, unser Erwin Ross, ... Reklame-, Pin-Up-Maler. Ja."
Erwin Ross, 82, hat hier sein Atelier.
"Das gehört zusammen einfach, und Erwin gehört eben zu St. Pauli und ..."
Ross begann 1955 auf St. Pauli, im "Tabu".
"Ein Kabarett."
Vornehm ausgedrückt.
"Ja, na ja, vornehm, selbstverständlich, was gibt´s hier sonst außer Kabarett?"
Die Öl-Bilder, besser gesagt: Die Damen, die er malt, sind meist...
"Wunschgemäß."
Das auch ...
"Der Kunde, der bestellt das, oder sagt, so was in der Richtung möcht´ ich haben, und dann fertige ich das an."
Die Geschmäcker seiner Kunden gleichen sich, denn die erwähnten Damen sind immer leicht bekleidet.
"Ja, so wird das verlangt."
Wenn sich eines auf St. Pauli nicht verändert hat, sind es seine Bilder. Und St. Pauli ist immer auch Vergangenheit.
Zurück in die Gegenwart:
"Es darf nicht zu perfekt werden, es darf nicht alles saniert und modernisiert und neu gemacht werden, sondern es muss diese Räume der kreativen Entfaltung lassen. Und es muss tolerant bleiben und es darf nicht nur eine Stadt sein für die reichen Leute, die haben´s hier sehr gut und da gibt´s ganz tolle Läden, sondern es muss eben auch diese Möglichkeit geben, diese jungen Leute zu fördern und ihnen auch die Orte zu geben, wo sie sich entfalten können, wo sie ihre Läden aufmachen können und Büroflächen geben, Existenzgründern ´ne Chance geben, sich hier zu entfalten und es muss sicherlich auch was dafür tun, dass es hier ein bisschen mehr kulturelles, spannendes Angebot gibt."
Sabine Koppe, die Mitarbeiterin des Trendbüros.
Kurt Reinken wohnt in Ottensen, der 47-Jährige hat es zehn Minuten mit dem Fahrrad bis nach St. Pauli in die Schanzenstrasse. Reinken arbeitet bei der steg, der Stadterneuerungs- und Stadtentwicklungsgesellschaft Hamburg mbH.
"Wir haben uns ja so ´n bisschen spezialisiert auf Existenzgründerzentren, Gründerzentren, kreative Immobilien, Musikzentrum, Game-City-Port, Sprungschanze, Hafenkrankenhaus, und da sehen wir natürlich auch, dass die Häuser alle voll sind, wir haben über 110 kleine Einheiten, der Bedarf ist irre groß, und da kennen wir das Bild eigentlich, dass für diese Leute kaum noch Platz ist in diesem Stadtteil. Also da brauchen wir eigentlich Flächen, die Mietpreis günstig sind und nicht irgendwie bei 13 Euro 40 anfangen, sondern eher irgendwie in dem unteren Segment, 10 Euro, noch zu halten sind."
Reinken hält St. Pauli für einen der interessantesten Stadtteile Deutschlands, bezüglich der so genannten Kreativwirtschaft.
"Und die suchen Büroraum, der vielleicht nur 30 qkm groß ist, und das wird nicht mehr angeboten von den, sage ich jetzt mal, Investoren, die hier Flächen auch anbieten, die vielleicht ne Größe haben ab 3, 400 qkm. Und eigentlich sich dann nicht auf diese Mischung, die wir hier im Quartier haben, sich orientieren, sondern dann natürlich ein Profitgeschäft dann auch wittern."
Und die Befürchtung hat er.
Dass die Mieten ungewöhnlich hoch gestiegen sind, kann er zwar nicht bestätigen.
Dass St. Pauli aber zu, sagen wir, den Berliner Hackeschen Höfen wird ...
"Also die Entwicklung ist ja da, ... in Hamburg gibt es eigentlich relativ wenig Stadtteile, die so´n interessantes ... Großstadtgefühl auch zum Ausdruck bringen. Das ist Ottensen, das ist St. Georg und das ist St. Pauli, ... der Druck ist einfach da, so, und dann kann man sich eigentlich über die Jahre auch ausrechnen, was dann passieren wird, so dass dann vielleicht doch der Hackesche Hof hier auch irgendwo entstehen wird. Die Chancen sind eher groß als klein."
Platz ist kaum noch vorhanden.
"Platz ist kaum noch vorhanden."
Zumal die Liegenschaftspolitik der Stadt nach dem Höchstgebotsverfahren handelt. Und nicht verbunden mit einem Konzept oder strategischen Ansatz. Weder verbunden mit neuen Wohnformen noch mit städtebaulichen Konzepten.
Hamburg hat den Nachteil, keine Mietpreis günstigen Flächen mehr zu haben. Und wenn man über Kreativwirtschaft redet, wie es der Senat versucht, muss auch über Immobilien geredet werden.
"Dieser Trend, sage ich jetzt mal, wenn man auch Musikstadt werden will in Hamburg, das ist jetzt auch ein Thema, was sich die Stadt auf die Fahnen geschwungen hat, ist natürlich auch noch mal: Wie gehe ich mit den Musikclubs um, brauchen wir mehr? Wenn ja, wo sollen die auch entstehen, sollen die auf St. Pauli entstehen? Oder soll der Bestand, den wir jetzt haben, auch gehalten werden?"
"Es ist ja so: Also das Über & Gefährlich wird von Leuten gemacht, die vorher die Weltbühne gemacht haben, und die Weltbühne war auch ´n ganz toller Club auf St. Pauli, in ´nem Haus, was mittlerweile nicht mehr existiert, und da war´n noch allerhand anderer Läden drin, das gibt´s nicht mehr. In so fern, da fehlt schon was, und dafür sind Leute, die da drin Techno gemacht haben, abgewandert anteilig nach Altona und so."
Ruben Jonas Schnell, 40, ursprünglich aus Hannover, ist einer der erwähnten Kreativen.
"Sie meinen hier mit diesem Projekt byte.fm?"
Ja. Mit seinem Internetradio im sogenannten Medienbunker an der Feldstraße.
"Ja, byte.fm fällt wohl da drunter, unter das, was gemeinhin als kreatives Projekt oder Kreativwirtschaft behandelt wird ..."
"... ich persönlich find´ mich nur so mittelkreativ aber byte.fm wahrscheinlich ein kreatives Projekt."
St. Pauli.
Aus der ehemaligen Eisengießerei in der Simon-von-Utrecht-Straße, ein verfallenes Industriegebäude, wurde das east, ein Vier-Sterne Design-Hotel.
Die Bauträger des east waren die einzigen, die zusagten, die alte Fassade und Teile des Inneren zu erhalten.
An der Reeperbahn 1, oben am Millerntor, im Mandarin, dort wo der Mojo-Club seine Häuslichkeiten hat, werden die "Tanzenden Türme" entstehen – mit Verbleib des Mojo-Clubs im neuen Bau.
Denn ohne die Auftrittsmöglichkeiten, die die diversen Clubs schaffen, kann es keine lebendige Musik-Szene in Hamburg geben. Zumal die Clublandschaft von St. Pauli zentrales Element ist.
Die Reeperbahn ist in Bewegung.
Corny Littmann noch einmal:
"Die Reeperbahn ist in Bewegung, und sie war immer in Bewegung, da gab es Ausschläge nach unten und wieder mal nach oben. Ich finde es wichtig, dass eine Bewegung erhalten bleibt. ... Das macht die Reeperbahn auch so interessant, die Vielfältigkeit der Reeperbahn, die Bewegung, zur Bewegung gehört Leben und Tod dazu und es gibt genau so viele Betriebe, Initiativen, die sterben, genau so viele neue gibt es dann wieder, insofern betrachte ich das eigentlich, sofern die Bewegung erhalten bleibt, ganz optimistisch für die Zukunft."
Das tut Andy Grote letztlich auch.
Auf Grotes Initiative, er ist stadtentwicklungspolitischer Sprecher der SPD und Vorsitzender der SPD-St. Pauli, konnte das Molotow erhalten bleiben und das Cocoon, das am Spielbudenplatz schließen musste, in der Talstraße wieder eröffnet werden. Zudem soll demnächst eine Definition für nachhaltige Rahmenbedingungen der existierenden sowie der möglichen neuen Live-Clubs diskutiert werden.
Die Lampen gehen, bei Lichte betrachtet, auf St. Pauli nicht aus?
"Nein, das glaube ich nicht, also... die Bedeutung von Musik, von Live-Musik nimmt wieder zu, die öffentliche Wahrnehmung, auch das Bewusstsein dafür, dass das ´ne Bedeutung hat, auch in den Hamburger Behörden, ist schon stärker geworden. ... Und deshalb glaube ich, dass bei allen Risiken, am Ende die Chancen doch überwiegen."
Die Lampen bleiben an ...
"Ab und an flackert es ein bisschen."
Oder eine der Birnen platzt.
Und wo geht Grote gerne hin?
"Also, ich gehe am allerliebsten in den Silbersack in der Silbersackstraße...ich geh´ auch gerne mal in die Washington-Bar, oder bei mir in der Strasse in die Makrele oder jetzt ins neue Coccon, auch mal ins Mandarin,...eigentlich sehr gemischt, mit´n paar Vorlieben, die ich eben gesagt hab´."
Spielen sie im Silbersack zu gegebener Zeit noch immer "Auf der Reeperbahn nachts um halb eins"?
"Nein, das läuft immer dann, wenn es in der Jukebox jemand drückt, und die Jukebox ist unverändert in den Kernbestandteilen."