St. Pauli sucht die Superstars

Von Vincent Neumann |
Das Reeperbahn-Festival gehört zu einem der wichtigsten Branchentreffs für Europas Musikszene. Zehntausende Besucher strömten in die Clubs, Theater, Kirchen oder sogar Bankfilialen, in denen sich junge deutsche Talente und internationale Topstarts die Bühnen teilten.
Wer dieser Tage auf dem Hamburger Spielbudenplatz steht, der hat buchstäblich die Qual der Wahl: rund 70 Veranstaltungsorte, fast alle in unmittelbarer Nähe, zahllose Aktionen, Ausstellungen und mehr als 350 Bands aus aller Welt – selten hat die Stadt ihren vielbeschworenen Beinamen "Das Tor zu Welt" so verdient wie während der vier Tage des Reeperbahn-Festivals. Nicht nur als Branchentreffen und internationaler Marktplatz für Musiker (auf dem unter dem Titel "Wunderkinder" auch junge deutsche Bands explizit für den ausländischen Markt angeboten werden); Profiteur dieser unglaublichen Vielfalt ist in erster Linie der Besucher, zum Beispiel in einem der etwas abseits gelegenen Clubs, dem legendären "Indra".

Gestern Abend stand dort im Rahmen der "Wunderkinder"-Reihe die junge Berliner Band "Abby" vor einem begeisterten Publikum auf der Bühne. Ein Auftritt, der symptomatisch ist für das Konzept, aber auch für eins der großen Probleme beim Reeperbahn-Festival, wie Geschäftsführer Alexander Schulz erklärt:

"Das war in den ersten Jahren schon schwierig, deutlich zu machen: Hallo, liebe Leute, kauft euch mal ein Ticket für Künstler, die Ihr zu 90 Prozent sowieso nicht kennt und glaubt mal dran, dass wir Euch da schon ein schönes Programm hinbasteln."

Junge Talente sollen gefördert werden
Dank Fördergeldern von Land und Bund kann man es sich inzwischen sogar leisten, prominente Namen wie James Blunt oder Jack Savoretti in kleinen Läden mit nicht einmal 100 Plätzen auftreten zu lassen. Der Schwerpunkt liegt aber weiterhin eindeutig auf jungen Talenten, die das Reeperbahn-Festival in vielen Fällen für die Veröffentlichung ihres Debüt-Albums nutzen. Wobei diese Newcomer nicht immer in die Kategorie "jung" passen, wie der Musikkritiker Eric Pfeil, der mit Mitte 40 die Seiten gewechselt und sein Erstlingswerk "Ich hab mir noch nie viel aus dem Tag gemacht" vorgestellt hat:

"Ich hab mich ja auch früher oft gefragt, wenn ich was über jemanden schreibe, wie findet der das dann? Und ich merke jetzt, da kann man ziemlich gut mit leben, wenn man seine eigene Musik mag und weiß, man macht das, weil es – ich sage das hippiehaft – von Herzen kommt. Ich bin ein Song-Mann. Ich bin im wesentlichen der Typ, der aus dem Gebüsch springt, wenn ein Liebespaar vorbeiläuft, und sagt: Darf ich Euren romantischen Ausflug untermalen?"

Neue Band von Fernsehmoderator Klaas Heufer-Umlauf
Mit großer Spannung wurde am Donnerstag Abend – auch hier aus der Kategorie "Nicht mehr ganz junge Newcomer" – der erste offizielle Auftritt von "Gloria" erwartet, der gemeinsamen Band von "Wir sind Helden"-Bassist Mark Tavassol und Fernseh-Tausendsassa Klaas Heufer-Umlauf – ein Projekt, das trotz, oder vielleicht gerade wegen des Promi-Bonus auch beim Reeperbahn-Festival unter besonderer Beobachtung stand:

"Es gibt so ein für und wider. Also man kann’s vor allem nicht ignorieren, das ist ganz klar. Mark wird assoziiert mit 'Wir sind Helden', was für eine weitere musikalische Karriere logisch erscheint; ich werde assoziiert mit jeder Menge Schwachsinn, was erstmal unlogisch erscheint, wenn man mit einer zumindest in der Idee substanziellen Platte daherkommt. Was wir definitiv haben ist ein Schuss frei, also es werden sich auf jeden Fall viele Leute anhören. Die Aufmerksamkeit, die da ist – teils aus Interesse, teils aus Voyeurismus, da muss man sich nichts vormachen – dass man erstmal gehört wird, ist ein großer Vorteil."

Ein Vorteil, den – wenn auch in verschiedenen Maßen – alle Bands auf dem diesjährigen Reeperbahn-Festival mit seinen fast 30.000 Besuchern genießen durften. Und von vielen dieser Bands wird man auch in Zukunft sicherlich noch hören.