Deutsche Spar- und Schuldendebatten

Warum Staatsschulden kein "Teufelszeug" sind

Ein oranger Pfeil weist nach oben. Im Hintergrund sind Geldscheine und eine Deutschlandfahne zu sehen. Symbolbild zum Thema Neuverschuldung, Staatsverschuldung, Staatsschulden in Deutschland.
Sparen ist gut? Schulden sind böse? Über die Verschuldung des Staats wird in Deutschland oft sehr emotional diskutiert. © picture alliance / Zoonar / DesignIt
Staatsschulden haben in Deutschland einen schlechten Ruf. Das liegt auch an unpassenden Vergleichen von staatlichen mit privaten Schulden. Der deutsche Diskurs über Sparsamkeit und Schulden lässt sich bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen.
Die deutsche Debatte über die Schuldenbremse zeigt es wieder einmal: Wenn hierzulande die Staatsverschuldung steigen soll, sorgt dies meist für erbitterten Streit. Politische Mehrheitsmeinung war viele Jahre lang die Haltung der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die 2008 in Stuttgart die berühmt gewordenen Worte mit Blick auf die öffentlichen Finanzen sagte: „Man hätte einfach nur die schwäbische Hausfrau fragen sollen. Sie hätte uns eine Lebensweisheit gesagt: Man kann nicht auf Dauer über seine Verhältnisse leben.“
Dieser – nach Meinung von vielen Ökonomen unpassende – Vergleich zwischen privaten und staatlichen Schulden prägte die Debatten. Mittlerweile ist allerdings auch Angela Merkel, die als Kanzlerin 2009 die Aufnahme der Schuldenbremse ins Grundgesetz unterstützte, für höhere Schulden, um mehr für Verteidigung auszugeben. Umfragen zeigen, dass auch in der Bevölkerung die Zustimmung zu höheren Staatsschulden steigt.

Wie finanzieren sich Staaten?

Staaten nehmen Steuern und Abgaben ein. Wenn der Staat sich zusätzlich dazu verschuldet, gibt er Staatsanleihen heraus, also Schuldscheine, die dann von Investoren gekauft werden. Die Käufer sind überwiegend professionelle Investoren, also Banken, Versicherungen oder Pensionsfonds – aber auch Anleger.
Deutsche Staatsanleihen gelten als sichere Anlagen. Die Zinssätze sind relativ gering. Das liegt eben daran, dass die Investoren darauf vertrauen, ihr Geld auch zurückzukriegen. Zinsen steigen absehbar bei steigenden Schulden. Daran können Staaten auch scheitern – wenn die Zinslast so hoch ist, dass man sie durch normales Wirtschaftswachstum nicht mehr ausgleichen kann.
Beispiele für sogenannte Staatspleiten in den vergangenen Jahrzehnten waren mehrfach Argentinien sowie der De-Facto-Bankrott von Griechenland in der Euro-Krise ab 2010. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages betont allerdings, dass ein Staat „sowohl aus wirtschaftlicher, als auch aus juristischer Sicht nicht insolvent werden kann“, weil er das Besteuerungsrecht hat und nicht wie eine Firma liquidiert werden kann. Argentinien – zum Beispiel – ist immer noch da.

Warum nehmen Staaten Schulden auf?

„Es ist wichtig zu verstehen, dass Schulden ein wichtiges Gestaltungsmittel sind“, sagt der Wirtschaftshistoriker Florian Schui von der Universität St. Gallen. In der langen historischen Sicht hätte sich die Wirtschaft, wie wir sie jetzt kennen, ohne Schulden nicht entwickelt. Schulden seien „nicht per se ein Teufelszeug, sondern ein wichtiges ökonomisches Instrument“.
Die Schwierigkeiten bei Schulden seien „eigentlich politisch hausgemacht“ gewesen, sagt Schui und nennt die Probleme Griechenlands und anderer Staaten in Folge der Weltfinanzkrise von 2008. „Das hatte ganz viel damit zu tun, dass man seitens der Finanzmärkte Zweifel daran hatte, ob die Europäische Zentralbank diese Länder hinreichend unterstützen würde.“
Der Wirtschaftshistoriker Florian Schui
Der Historiker Florian Schui betrachtet Schulden als wichtigen Entwicklungsfaktor.© picture alliance / Erwin Elsner
Die Geschichtswissenschaft hat in ihren Forschungen die tiefe Verwurzelung von Schulden in unserer Zivilisation beleuchtet. Schulden sind eng verbunden mit den historischen Ursprüngen des Geldes. Geld war zuerst ein Schuldentilgungsmittel und wurde erst später auch zum Tausch genutzt.

Was sind Unterschiede zwischen privaten und staatlichen Schulden?

Bei Staaten, betonen Ökonomen, läuft Verschuldung anders als bei Privatpersonen – sonst würden Länder wie die USA und Japan mit ihren hohen Verschuldungsquoten längst keine Kredite mehr bekommen. Der Markt vertraut ihnen aber offenbar noch immer – was eine Bank bei einer Privatperson, die nach immer mehr Geld fragt, niemals tun würde.
Bei Japan etwa „gab es nie Zweifel an der Zahlungsfähigkeit, weil immer klar war, dass die Bank of Japan natürlich hier als lender of last resort (deutsch: Kreditgeber der letzten Instanz, Anmerkung der Redaktion) auftreten würde“, sagt der Wirtschaftshistoriker Schui von der Uni St. Gallen.
Im Ausland werde oft mit „einer gewissen Verwunderung“ auf die deutschen Debatten über Schulden geblickt, sagt die Finanzhistorikerin Stefanie Middendorf von der Universität Jena. Der „Sonderweg“ der deutschen Finanzgeschichte werde kritisch gesehen.
Middendorf sieht die Ursache für die deutsche Eigenart weniger in der oft in diesem Zusammenhang angeführten Hyperinflation der Weimarer Republik, sondern vielmehr in einer „langen, schon ins 19. Jahrhundert zurückgehenden kulturellen Prägung, oder einer moralischen Erziehung der Deutschen in Richtung von Sparsamkeit“.
Die Historikerin Stefanie Middendorf
Die Historikerin Stefanie Middendorf sieht eine kulturelle Prägung der Deutschen in Richtung Sparsamkeit.© picture alliance / dpa / Jörg Carstensen
Middendorf spricht von „so einer Art bürgerlichen Wertehimmel“, wonach das Sparen eine „deutsche Tugend“ sei. Die Nationalsozialisten hätten dies unter dem Begriff des „eisernen Sparens“ genutzt, um damit auch den Zweiten Weltkrieg zu finanzieren. Auch nach 1945 sei mit der Sparkultur und dem Slogan der „sparsamen Nation“ Politik gemacht worden. Die Historikerin sieht aber Anzeichen dafür, dass sich in der jüngeren Generation an der deutschen Selbstwahrnehmung als „Spar-Weltmeister“ etwas zu verschieben beginnt.

Wieso Ökonomen Deutschland jetzt zu Schulden raten?

„Ob wir aus diesem Jahrzehnt mit einer Staatsverschuldung von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts herausgehen, macht makroökonomisch wirklich kaum einen Unterschied, für Frieden und Freiheit in Europa aber einen sehr großen Unterschied“, sagt Moritz Schularick, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft der Tagesschau.
Seine Forscherkollegen kommen in einer Untersuchung zu dem Schluss: „Die Sicherheit Europas sollte nicht wegen fiskalischer Regeln wie der Schuldenbremse aufs Spiel gesetzt werden, sonst könnte sich der schwerwiegende Fehler der britischen Spar- und Appeasement-Politik der 1930er Jahre wiederholen.“
Sowohl die ökonomische Theorie als auch empirische Ergebnisse legten den Schluss nahe, „dass Deutschland und Europa kurzfristig vor allem auf Schuldenfinanzierung setzen sollten, um die Verteidigungsausgaben schnell zu steigern“. Andere Ökonomen sehen die Schuldenpläne kritisch. Man dürfe den Reformbedarf durch Verschuldung nicht immer weiter hinauszuschieben, sagt etwa die Wirtschaftsweise Veronika Grimm.

Wie hoch sind die deutschen Schulden und wie stark werden sie wachsen?

Ende des Jahres 2023 betrug die Staatsverschuldung Deutschlands rund 2,45 Billionen Euro. Diese Zahl bezieht sich auf den öffentlichen Gesamthaushalt. Dazu gehören die Haushalte vom Bund, der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände sowie der Sozialversicherung (einschließlich aller Extrahaushalte).
Demnach ist die Staatsverschuldung im Vergleich zum Vorjahr um 3,3 Prozent gestiegen und erreichte einen neuen Höchststand. Für 2024 kam auf Bundesebene noch eine Nettoneuverschuldung von rund 33 Milliarden Euro hinzu. Für 2025 gibt es bisher wegen des Scheiterns der Ampelkoalition noch keinen Haushalt.
Grafik Staatsverschuldung von Deutschland von 1950 bis 2023 (in Milliarden Euro)
Die Entwicklung der deutschen Staatsverschuldung seit 1950 (in Milliarden Euro)© Statista / Statistisches Bundesamt
Wie stark die deutschen Schulden wachsen werden, bleibt angesichts der noch laufenden Regierungsbildung abzuwarten. Union und SPD, die die nächste Bundesregierung bilden wollen, planen eine massive Ausweitung der Verschuldung. Mit einem schuldenfinanzierten Sondervermögen von 500 Milliarden Euro soll Deutschland „wieder in Form“ gebracht werden, heißt es im Sondierungspapier – durch Investitionen in Straßen, Schienen, Bildung, Digitalisierung, Energie und Gesundheit. Für alle Verteidigungsausgaben, die über ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts hinausgehen, soll die Schuldenbremse ausgesetzt werden.

Wie stark sind andere Staaten verschuldet?

Ein Blick auf die sogenannten Maastricht-Kriterien in der Europäischen Union zeigt, dass die Bundesrepublik Deutschland im EU-Vergleich eher mäßig verschuldet ist. Nach Maßgaben der Maastricht-Kriterien entspricht der Schuldenstand Deutschlands rund 62 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Den Kriterien zufolge sollen 60 Prozent des eigenen Bruttoinlandprodukts nicht überschritten werden. Mehrere andere Staaten haben einen deutlich höheren Schuldenstand als die Bundesrepublik – nämlich teils deutlich über 100 Prozent.
Grafik. Verschuldung gemäß Maastricht-Vertrag in Prozent des BIP von 1991 bis 2023
Verschuldungsquoten europäischer Staaten gemäß Maastricht-Vertrag in Prozent des Bruttoinlandprodukts von 1991 bis 2023.© Eurostat / Statista

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