Ja, ich fühl mich immer, als ob ich irgendwie was Illegales tue.
Staatenlosigkeit
Christiana Bukalo ist in München geboren und dennoch staatenlos. © Toni Reuter
Ein Leben ohne Pass in Deutschland
07:36 Minuten
Etwa 100.000 Menschen in Deutschland haben eine ungeklärte oder keine Staatsangehörigkeit. Christiana Bukalo, vor 27 Jahren in München geboren, ist eine davon. Ihr Leben ohne Pass steckt voller Hürden.
Christiana Bukalo öffnet die Tür ihrer Münchner Wohnung. Seit ihrem Studium wohnt sie wieder in ihrer Geburtsstadt. Aufgewachsen ist sie in Puchheim, etwa 20 Kilometer außerhalb. In Puchheim ging sie in den Kindergarten und in die Grundschule, hier hat sie Fahrradfahren gelernt, sich in der Kirche engagiert und Abitur gemacht. Ihr Leben ist dennoch geprägt von ihrer Staatenlosigkeit.
„Ich wünschte, man könnte sagen, es ist nicht so wichtig, weil, ich habe ja meine Freunde und Freundinnen und ich habe einfach tolle Menschen, die meinen Weg begleitet haben. Und ich wünschte, man könnte sagen, das reicht völlig und das andere ist egal. Das Problem ist, dieses Gefühl ist immer noch umschlossen von der Tatsache, dass ich einfach hier nicht sicher bin und nicht sicher weiß, dass ich für immer hier sein kann.“
Früh gemerkt, dass ihr etwas fehlt
Zu Bildung hatte sie immer Zugang, erzählt sie. Der Schulbesuch ist in Deutschland nicht an die Staatsangehörigkeit geknüpft. Sie hat aber früh gemerkt, dass ihr etwas fehlt.
„Ich habe das eigentlich meistens vor allem nach den Sommerferien gemerkt, weil alle immer von ihrem Sommerurlaub erzählt haben und wir ja gar nicht verreisen konnten.“
Sommerurlaube im Ausland – ohne Pass undenkbar. Aber auch schon die Fahrt in den nächsten Landkreis war im Prinzip nicht möglich. Denn für ihre Eltern – geflohen aus Westafrika, in Deutschland haben sie Asyl beantragt – galt die Residenzpflicht. Das heißt: Die Familie durfte den Landkreis, in dem ihre Unterkunft lag, nur mit Genehmigung der Ausländerbehörde verlassen. Das galt auch für Klassenfahrten, erzählt Christiana.
„Da habe ich meistens oder immer eine Sondergenehmigung gebraucht. Und da hatte ich das Glück, dass wir einen Schuldirektor hatten, zumindest im Gymnasium, einen, der das tatsächlich beantragt hat für mich. Es ist total nett, und ich bin da sehr, sehr dankbar dafür. Es war aber trotzdem sehr, sehr unangenehm für mich, dass ich wieder dieses einzige Kind bin, für das solche Schritte nochmal unternommen werden müssen, damit ich eine Woche lang aufs Schullandheim mitfahren kann.“
Aufwachsen mit „ungeklärter Staatsbürgerschaft“
Christiana Bukalo wächst mit einer „ungeklärten Staatsbürgerschaft“ auf. Diesen Status hat sie von ihren Eltern geerbt. Die Eltern hatten zwar Papiere aus ihrem Heimatland dabei, diese haben der Ausländerbehörde als Nachweis aber nicht gereicht.
„Man hat irgendwie ganz unterbewusst immer dieses Gefühl, dass man irgendwie zeigen muss, dass man es verdient hat, hier zu sein. Und dass es okay ist, dass man hier ist. Und ja genug Wertschätzung und auf gar keinen Fall irgendetwas falsch oder schlecht machen.“
Verzweiflung an Formularen
Sie passt sich an, will alles richtig machen, findet aber keine Informationen. Wo kann sie ein Konto eröffnen, wie einen Führerschein machen, was gibt sie bei Buchungen im Internet an? Immer wieder große Hürden. Sie hat an der Medienhochschule studiert, kennt sich aus mit digitalen Medien, verzweifelt aber regelmäßig an Formularen im Internet.
Mit 18 Jahren bekommt Christiana Bukalo zum ersten Mal ein Reisedokument. Bei Flugbuchungen muss meist eine Nationalität angegeben werden. Die Option „ungeklärte Staatsbürgerschaft“ oder „Staatenlos“ gibt es da aber nur selten.
„Ich hatte das einmal, da bin ich geflogen. Und da wurde ‚staatenlos‘ auch als Option angegeben. Das habe ich angegeben, das habe ich sofort bereut, also das Flugzeug wurde dann ganz lange angehalten, als ich dann vor Ort war. Eine halbe Stunde tatsächlich. Das war für mich extrem unangenehm, weil das Personal dann am Flughafen nicht wusste, was das jetzt bedeutet.“
Immer wieder muss sie sich und ihren Status erklären.
Rechtlicher Bund durch Staatsangehörigkeit
Mit einer Staatsangehörigkeit wird ein rechtlicher Bund zwischen einer Regierung und einer Person geschlossen – mit Pflichten und Rechten. In einem Internet-Video der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen klingt das so:
„Mit der Einbürgerung sind viele Vorteile verbunden. Die Einbürgerung bringt einen unbeschränkten Rechtsstatus, sie dürfen an allen Wahlen teilnehmen und auch selbst bei Wahlen antreten. Sie können im öffentlichen Dienst arbeiten und sie können ohne Visum in viele Länder der Welt reisen.“
Christiana Bukalo darf nicht wählen
Christiana Bukalo fehlen diese Rechte. Sie kann nicht teilhaben, sie darf nicht wählen.
„… und deswegen wird auch oft davon gesprochen, dass einfach Staatenlosigkeit auch eine Menschenrechtsverletzung ist, einfach weil Staatenlose oft keinen Zugang haben zu Rechten, die einfach teilweise wirklich ganz grundlegende Menschenrechte sind.“
Bittsteller-Position vor dem Staat
Deutsche Staatsbürgerin kann sie nur unter bestimmten Bedingungen werden. Sie braucht zum Beispiel ein unbefristetes Aufenthaltsrecht – das kann sie nur bekommen, wenn ihre Staatsangehörigkeit geklärt ist oder sie von der Ausländerbehörde offiziell als Staatenlose anerkannt wird. Wie ihre Eltern ist sie in Deutschland lange nur geduldet, fühlt sich abgewiesen.
„Weil man immer in dieser Bittstellerposition ist vor dem Staat. Man bittet ja wirklich jedes Mal darum, dass man bleiben darf. Und dass man hier sein darf. Und ich muss schon sagen, dass es für mich schon stark dieses Gefühl von Abweisung hervorruft.“
Mangel an Schutz
Staatenlosen fehlt es auch an Schutz. Bei Katastrophen im Ausland, bei Entführungen oder Kriegen haben deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger einen Rechtsanspruch auf Hilfe. Droht Lebensgefahr, werden Rückholungen organisiert, wie im Herbst aus Afghanistan oder die Rückholung von Reisenden zu Beginn der Corona-Pandemie. Staatenlose haben keine Regierung, die ihnen in solchen Fällen hilft.
Vor drei Jahren musste Christiana Bukalo wieder einmal ihren Aufenthaltsstatus verlängern lassen. Sie hat bei der Behörde alle Papiere abgegeben, ein Dreivierteljahr lang nichts gehört – und bekam dann einen Ausweis, in dem das Kürzel XXA steht. Die international amtliche Bezeichnung für staatenlose Menschen. Damit war sie offiziell eine Staatenlose.
Hadern mit dem Konzept "Staatsangehörigkeit"
Nach all den Jahren mit einer „ungeklärten Staatsangehörigkeit“ eine Erleichterung für sie. Sie kann jetzt nicht mehr abgeschoben werden – denn in welches Land sollte das geschehen?
Und sie kann schneller einen Einbürgerungsantrag stellen, schneller deutsche Staatsbürgerin werden. Inzwischen hadert sie aber mit dem Konzept „Staatsbürgerschaft“. Sie hinterfragt es immer mehr.
„Steuern sind auch nicht an meine Nationalität geknüpft. Die zahle ich, seitdem ich hier arbeite. Und das interessiert mich tatsächlich einfach: Wieso wurden gewisse Dinge in Abhängigkeit von der Nationalität gesetzt und andere nicht? Und ist das noch das, wie wir das heute wollen? Oder gibt es auch andere Dinge, mit denen man sicherstellen kann, dass ich nicht irgendwie eine Gefahr für Deutschland darstelle, auch wenn ich keine geklärte Staatsangehörigkeit habe.“
Die Hoffnung, anzukommen
Letztendlich bleibt aber auch bei ihr die Hoffnung anzukommen. Nach 27 Jahren in Deutschland endlich dazuzugehören, mit allen Rechten und Pflichten.
„Wir sind Menschen und wir sind Lebewesen, die sich nach Verbindung und Zugehörigkeit sehnen, und natürlich wollen wir, dass mal ein Land, in das man kommt, sagt: ‚Hey, schön, dass du hier bist, du gehörst jetzt dazu.‘“