"Staatlich sanktionierter Diebstahl"
Wenn Staat und Banken zum Zocken verleiten: Vor dem Hintergrund der Hoeneß-Affäre übt der Berliner Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann massive Kritik an der Schweiz. Politisch müsse nun endlich der internationale Informationsaustausch durchgesetzt werden.
Stephan Karkowsky: Die "Zeit" führt ein erstes Interview mit Uli Hoeneß, und der macht anscheinend alles richtig, denn seitdem ist er nicht mehr nur der Steuerbetrüger mit der Doppelmoral, von dem selbst die Kanzlerin enttäuscht ist, sondern er sagt so Dinge wie: "Da begann die Hölle für mich" oder "Ich habe Tag und Nacht gezockt". Er inszeniert sich als Opfer, und sogar zur Abbitte bei der Kanzlerin sei er bereit. Wer will da noch nachtreten?
Tatsächlich verstellt der Blick auf die Personalie Hoeneß das größere Problem, dass Millionären Steuerbetrügereien offenbar leicht gemacht werden, während jeder kleine Handwerker akribisch alles abrechnen muss. Über die Rolle der Banken und des Staates als Mittäter möchte ich diskutieren mit einem Wirtschaftsethiker, der mit seinen offenen Worten schon mehr als einmal angeeckt ist, mit Ulrich Thielemann. Guten Morgen!
Ulrich Thielemann: Guten Morgen!
Karkowsky: Vormals Universität St. Gallen, jetzt habilitiert und Gründer des Berliner Thinktanks "MeM – Denkfabrik für Wirtschaftsethik". Herr Thielemann, sind Sie eigentlich wirklich in St. Gallen rausgeflogen, weil Sie 2009 im Bundestag gesagt haben, die Schweiz habe kein Unrechtsbewusstsein bezüglich der steuerlichen Behandlung von Steuerausländern?
Thielemann: Ich war jedenfalls chancenlos für die Nachfolge des von Peter Ulrich jahrelang besetzten Lehrstuhls für Wirtschaftsethik, das kann man, glaube ich, schon sagen. Ja, das war eine ziemlich heiße Zeit damals, vielleicht kurz erwähnt, ich war im Deutschen Bundestag im Finanzausschuss bei der Anhörung und wurde gefragt, ist so ein Gesetz, das da diskutiert wurde, das ist dann das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz geworden, was ja heute eher toter Buchstabe ist, weil es keine Steueroasen mehr gibt nach diesem Gesetz. Und danach begann das, was man heute – ich benutze den Begriff ungern, ich sag es mal – Shitstorm auf mich los.
Das ging ziemlich heiß her in den Medien, also da wurde gesagt, Thielemann, der Wirtschaftsethiker aus St. Gallen, der sagt, die Schweizer hätten kein Unrechtsbewusstsein ganz generell. Es ging ziemlich hoch her, den Anfeindungen war ich ausgesetzt und auch der Rektor der Universität stellte dann meine Entlassung in Aussicht, was dann dazu führte, dass doch die Wissenschaftsfreiheit hochgehalten wurde und er unter Druck geriet. Ich bekam dann immer mehr Solidaritätsadressen. Jedenfalls, langer Rede kurzer Sinn, es hat dazu geführt, dass ich jetzt in Deutschland bin und hier die Denkfabrik aufgebaut habe oder weiterhin versuche, diese aufzubauen, und da eine kritische Wirtschaftsethik betreibe, und da ist die Gerechtigkeit der Besteuerung ein ganz wichtiger Baustein.
Karkowsky: Damals war ja auch die Argumentation der Schweizer Banken, warum sollten wir ein Unrechtsbewusstsein haben, wenn wir nicht gegen geltende Gesetze verstoßen. Haben die damit nicht recht gehabt?
Thielemann: Ja, aber die Gesetze selber sind ja Unrecht, und das ist sehr eindeutig.
Karkowsky: Für wen, muss man fragen.
Thielemann: Sind die Unrecht? Ja, die sind Unrecht für die ehrlichen Steuerzahler. Die sind Unrecht gegenüber denjenigen, denen sowieso Steuerhinterziehung, selbst wenn sie es wollten, gar nicht möglich ist, nämlich den Arbeitnehmern, denen ja die Steuern gleich abgezogen werden, in der Schweiz übrigens ganz genauso. Die Verweigerung des Informationsaustausches, darum geht es in diesem internationalen Feld. Das ist eine Art Diebstahl, die staatlich sanktioniert ist. Das ist Unrecht, was da …
Karkowsky: Das ist natürlich eine politische Meinung, keine juristische. Aber nun kommt ja wieder Bewegung in die Sache. Kaum wird mal ein großer Fisch erwischt und öffentlich, wie jetzt Uli Hoeneß, schon meldet sich die Schweiz und bietet an, ja, wir können gern noch mal über das gescheiterte Steuerabkommen reden. Bräuchten wir mehr Fälle wie Hoeneß, damit die Schweiz auch die letzten Widerstände aufgibt?
Thielemann: Ja, ich glaube tatsächlich, im Moment geht die ganze Welt auf diesen automatischen Informationsaustausch. Die G20 haben sich ja dafür ausgesprochen. Und die Schweiz kann denen wahrscheinlich nicht mehr Nein sagen. Ich hab mich sehr gewundert über diese Aussage, und Walter Borjans, der Finanzminister Nordrhein-Westfalens, der ja einer der Vorkämpfer ist für die Einführung des automatischen Informationsaustauschs und der zu Recht das schweizer-deutsche Abkommen abgelehnt hat, hat gleich gesagt, ja wunderbar, dass ihr das macht, aber die Zeichen sind so hin auf den automatischen Informationsaustausch gerichtet, das kann nur eine Abkürzung sein, kein Unterlaufen dieses Informationsaustausches, und wir reichen gerne die Hand und gehen in Verhandlungen.
Karkowsky: Sie hören den Berliner Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann. Herr Thielemann, dieser Informationsaustausch auf EU-Ebene, das bedeutet, alle Informationen über steuerpflichtige Einkünfte auf allen Konten der EU müssten dann jederzeit nachvollziehbar sein. Da sagt nun der Schweizer Außenminister Didier Burkhalter von der FDP nicht etwa, ja, das machen wir, sondern er sagt, für ihn sei das "Kafka". Ginge es nicht auch anders als nur mit dem gläsernen Steuerbürger.
Thielemann: Nein, natürlich geht das nicht anders. Ich meine, entweder, wir haben eine Besteuerung, und zwar eine gleichmäßige Besteuerung, eine Einkommensbesteuerung, und zwar für Arbeitnehmer wie Kapitaleinkommensbezieher, wie Rentiers, muss man ja sagen, gleichermaßen, oder wir haben das nicht. Und dann werden eben Kapitaleinkommen privilegiert. Die wurden ja zu Zeiten vor der neoliberalen Wende Anfang der 80er-Jahre, da wurde ja viel höher besteuert. Da hatten wir Steuersätze, auch in den USA übrigens, von 70 Prozent. Das war die Zeit des Wirtschaftswunders, und das ist kein Zufall.
Denn es ist möglich, gigantische Vermögensberge sozusagen anzuhäufen, und zwar gerade mit Hilfe von Steueroasen. Und die machen ja große Schwierigkeiten, nämlich die führen zu Finanzkrisen, weil die Beschäftigten nicht mehr in der Lage sind, die Renditen zu erwirtschaften, die da erwartet werden. Und das ist auch eine wesentliche Ursache für die Finanzkrise. Die Ursache der Krise ist eigentlich die Hofierung des Kapitals.
Karkowsky: Lassen Sie uns mal anhand des Falles Hoeneß nachvollziehen, was da eigentlich geschehen ist, also unter Vorbehalt, nach all dem, was wir heute wissen. Er hat erzählt, beim Börsencrash 2001 verliert der Börsenspekulant Uli Hoeneß viel Geld. Er sagt, da war ich richtig klamm. Kann man sich kaum vorstellen. Doch anstatt wie so viele Deutsche dann daraus zu lernen und die Finger von den Aktien zu lassen, leiht ihm sein Freund, der frühere Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus, ein paar Millionen Euro zum Zocken. Das scheint ganz gewöhnlich gewesen zu sein. Die packt Hoeneß auf ein Schwarzgeldkonto in der Schweiz, von dem der Fiskus in Deutschland nichts weiß. Wenn er damit dann an der Börse Gewinne erwirtschaftet hat, waren die auch schon vor Einführung der Kapitalertragssteuer 2009 in Deutschland steuerpflichtig?
Thielemann: Ja, selbstverständlich waren die steuerpflichtig. Die waren natürlich auch vorher steuerpflichtig und sind auch nachher steuerpflichtig. Ich meine, ganz hat man die Steuerpflicht für Kapitaleinkommen ja nicht abgeschafft, man hat sie nur deutlich reduziert.
Karkowsky: Nun sagen die Schweizer Banken noch, diese Gewinne gehen uns nichts an. Wir bieten unseren Kunden einen sicheren Hafen für ihr Geld, und wir sind nicht Spitzel ausländischer Finanzbehörden. Was ist daran verkehrt.
Thielemann: Daran ist verkehrt, dass das Besteuerungsrecht eines Staates an den Wohnsitz der Steuerbürger geknüpft ist. Und das ist auch ganz richtig so, denn in dem Land, in dem man seinen Wohnsitz hat, dauerhaften Aufenthalt hat, da nutzt man ja auch die öffentliche Infrastruktur und da soll man eben seine Steuern zahlen. Und diese Steueroase, die Schweiz, erlaubt es sich dann eben, diese Steuerbürger, die mit dem Land ja sonst gar nichts zu tun haben, von der Besteuerung zu befreien, und das ist eine Art staatlich sanktionierter Diebstahl. Weil diese Steuermittel gehören dem Wohnsitzstaat. Das hat man in der Schweiz nicht verstanden.
Karkowsky: Die Opposition im bayerischen Landtag wirft daraufhin der CSU Beihilfe zur Steuerhinterziehung vor, weil Bayern bekannt ist dafür, viel zu wenige Steuerfahnder einzusetzen. Sie als Kapitalismuskritiker greifen das System ja gern als solches an. Also die Banken machen Geschäfte, die Politik lässt sie machen, Kapitaleinkünfte werden grundsätzlich anders behandelt als Einkünfte durch Arbeit, das ist ungerecht, das haben Sie schon oft kritisiert. Wo aber sollte man denn ansetzen, um das System zu ändern, denn zunächst mal hat es ja der Wähler in der Hand, Regierungen damit zu beauftragen. Das tut er aber nicht.
Thielemann: Ja, wir leben ja auch in einer marktkonformen Demokratie. Lassen Sie mich vielleicht drei Sätze ausholen. Also: In der BWL findet man es ganz normal, dass die Investoren, die Aktionäre beispielsweise bei Aktiengesellschaften, die gelten da als Prinzipale. Das Management ist der Agent dieser Prinzipale. Prinzipal heißt, denen stehen alle Vorrechte zu. Alle übrigen sind nur Zuträger bestenfalls, Produktionsfaktoren. Das Kapital ist also der Prinzipal, nach offizieller Lesart, der Unternehmen. Das Kapital ist aber viel mehr, es ist der Prinzipal dieser Welt. Als Alan Greenspan gefragt wurde, wer soll der nächste Präsident werden, hat er geantwortet, zunächst einmal dies: Es ist vollkommen egal, wer der nächste Präsident werden wird, weil die Welt wird durch die Kräfte des Marktes, vor allem des Kapitalmarktes, regiert.
Karkowsky: Damals war er noch Präsident der amerikanischen Notenbank?
Thielemann: Genau. Das war bei der ersten Obama-Wahl. Es gibt weitere Hinweise. Tietmeyer hat bereits 1996 gesagt, ihr Politiker wisst ja gar nicht, wie sehr ihr schon von den Finanzmärkten regiert werdet.
Karkowsky: Präsident der Deutschen Bundesbank.
Thielemann: Ganz genau. Das sind die Prinzipale dieser Welt. Die Vermögenden.
Karkowsky: Hätte nun Schwarz-Gelb das Steuerabkommen mit der Schweiz durchgekriegt, dann hätte der Schweizer Staat brav für Uli Hoeneß und andere die Steuern abgeführt, der Staat hätte seine Kassen füllen können und die Weste von Hoeneß wäre weiß geblieben, was vielen Fußballfans lieber wäre. Wäre das besser, als ihn jetzt beispielhaft für Tausende von Steuerverbrechern an den Pranger zu stellen?
Thielemann: Natürlich wäre das schlechter gewesen (…). Weil es geht darum, dass die Weltgemeinschaft sich koordiniert und dazu kommt, dass das Kapital endlich wieder angemessen besteuert wird. Und dafür ist der Informationsaustausch, übrigens auch für die Trusts, auch für das Verstecken hinter juristischen Personen der sehr Vermögenden eine Notwendigkeit. Nur dann können wir zurück dazu, was man mal Wohlstand für alle nannte. Natürlich ist es richtig, um auf Ihre Frage zu kommen, dass das Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz gescheitert ist, weil, das hatte nur einen Sinn: Das hatte nur den Sinn, weiterhin ein sogenanntes Abgeltungsregime aufrechtzuerhalten und zu verhindern, dass der automatische Informationsaustausch stattfindet.
Der Fall Hoeneß ist dafür nicht schrecklich wichtig, weil es dabei vor allen Dingen darum geht, das Schwarzgeld zu besteuern. Denn der Hoeneß hat ja angeblich seine Millionen versteuert und nur die Zinsen, nur die Steuern auf die Zinsen nicht gezahlt. Das ist nicht gerade eine lässliche Sünde, aber das sind eher Peanuts gegenüber dem Schwarzgeldtransfer. Das heißt, es wird das Schwarzgeld überhaupt nicht besteuert, und das sind natürlich ganz, ganz andere Größenordnungen. Und das unterläuft eben die Besteuerung des Kapitals, und diese Nichtbesteuerung des Kapitals hat eben zu diesem Kapitaltopf geführt, der uns heute die großen Probleme bereitet.
Karkowsky: Wenn Staat und Banken zum Zocken verleiten. Zum Fall Uli Hoeneß der Berliner Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann. Herr Thielemann, vielen Dank!
Thielemann: Ja, vielen Dank auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Tatsächlich verstellt der Blick auf die Personalie Hoeneß das größere Problem, dass Millionären Steuerbetrügereien offenbar leicht gemacht werden, während jeder kleine Handwerker akribisch alles abrechnen muss. Über die Rolle der Banken und des Staates als Mittäter möchte ich diskutieren mit einem Wirtschaftsethiker, der mit seinen offenen Worten schon mehr als einmal angeeckt ist, mit Ulrich Thielemann. Guten Morgen!
Ulrich Thielemann: Guten Morgen!
Karkowsky: Vormals Universität St. Gallen, jetzt habilitiert und Gründer des Berliner Thinktanks "MeM – Denkfabrik für Wirtschaftsethik". Herr Thielemann, sind Sie eigentlich wirklich in St. Gallen rausgeflogen, weil Sie 2009 im Bundestag gesagt haben, die Schweiz habe kein Unrechtsbewusstsein bezüglich der steuerlichen Behandlung von Steuerausländern?
Thielemann: Ich war jedenfalls chancenlos für die Nachfolge des von Peter Ulrich jahrelang besetzten Lehrstuhls für Wirtschaftsethik, das kann man, glaube ich, schon sagen. Ja, das war eine ziemlich heiße Zeit damals, vielleicht kurz erwähnt, ich war im Deutschen Bundestag im Finanzausschuss bei der Anhörung und wurde gefragt, ist so ein Gesetz, das da diskutiert wurde, das ist dann das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz geworden, was ja heute eher toter Buchstabe ist, weil es keine Steueroasen mehr gibt nach diesem Gesetz. Und danach begann das, was man heute – ich benutze den Begriff ungern, ich sag es mal – Shitstorm auf mich los.
Das ging ziemlich heiß her in den Medien, also da wurde gesagt, Thielemann, der Wirtschaftsethiker aus St. Gallen, der sagt, die Schweizer hätten kein Unrechtsbewusstsein ganz generell. Es ging ziemlich hoch her, den Anfeindungen war ich ausgesetzt und auch der Rektor der Universität stellte dann meine Entlassung in Aussicht, was dann dazu führte, dass doch die Wissenschaftsfreiheit hochgehalten wurde und er unter Druck geriet. Ich bekam dann immer mehr Solidaritätsadressen. Jedenfalls, langer Rede kurzer Sinn, es hat dazu geführt, dass ich jetzt in Deutschland bin und hier die Denkfabrik aufgebaut habe oder weiterhin versuche, diese aufzubauen, und da eine kritische Wirtschaftsethik betreibe, und da ist die Gerechtigkeit der Besteuerung ein ganz wichtiger Baustein.
Karkowsky: Damals war ja auch die Argumentation der Schweizer Banken, warum sollten wir ein Unrechtsbewusstsein haben, wenn wir nicht gegen geltende Gesetze verstoßen. Haben die damit nicht recht gehabt?
Thielemann: Ja, aber die Gesetze selber sind ja Unrecht, und das ist sehr eindeutig.
Karkowsky: Für wen, muss man fragen.
Thielemann: Sind die Unrecht? Ja, die sind Unrecht für die ehrlichen Steuerzahler. Die sind Unrecht gegenüber denjenigen, denen sowieso Steuerhinterziehung, selbst wenn sie es wollten, gar nicht möglich ist, nämlich den Arbeitnehmern, denen ja die Steuern gleich abgezogen werden, in der Schweiz übrigens ganz genauso. Die Verweigerung des Informationsaustausches, darum geht es in diesem internationalen Feld. Das ist eine Art Diebstahl, die staatlich sanktioniert ist. Das ist Unrecht, was da …
Karkowsky: Das ist natürlich eine politische Meinung, keine juristische. Aber nun kommt ja wieder Bewegung in die Sache. Kaum wird mal ein großer Fisch erwischt und öffentlich, wie jetzt Uli Hoeneß, schon meldet sich die Schweiz und bietet an, ja, wir können gern noch mal über das gescheiterte Steuerabkommen reden. Bräuchten wir mehr Fälle wie Hoeneß, damit die Schweiz auch die letzten Widerstände aufgibt?
Thielemann: Ja, ich glaube tatsächlich, im Moment geht die ganze Welt auf diesen automatischen Informationsaustausch. Die G20 haben sich ja dafür ausgesprochen. Und die Schweiz kann denen wahrscheinlich nicht mehr Nein sagen. Ich hab mich sehr gewundert über diese Aussage, und Walter Borjans, der Finanzminister Nordrhein-Westfalens, der ja einer der Vorkämpfer ist für die Einführung des automatischen Informationsaustauschs und der zu Recht das schweizer-deutsche Abkommen abgelehnt hat, hat gleich gesagt, ja wunderbar, dass ihr das macht, aber die Zeichen sind so hin auf den automatischen Informationsaustausch gerichtet, das kann nur eine Abkürzung sein, kein Unterlaufen dieses Informationsaustausches, und wir reichen gerne die Hand und gehen in Verhandlungen.
Karkowsky: Sie hören den Berliner Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann. Herr Thielemann, dieser Informationsaustausch auf EU-Ebene, das bedeutet, alle Informationen über steuerpflichtige Einkünfte auf allen Konten der EU müssten dann jederzeit nachvollziehbar sein. Da sagt nun der Schweizer Außenminister Didier Burkhalter von der FDP nicht etwa, ja, das machen wir, sondern er sagt, für ihn sei das "Kafka". Ginge es nicht auch anders als nur mit dem gläsernen Steuerbürger.
Thielemann: Nein, natürlich geht das nicht anders. Ich meine, entweder, wir haben eine Besteuerung, und zwar eine gleichmäßige Besteuerung, eine Einkommensbesteuerung, und zwar für Arbeitnehmer wie Kapitaleinkommensbezieher, wie Rentiers, muss man ja sagen, gleichermaßen, oder wir haben das nicht. Und dann werden eben Kapitaleinkommen privilegiert. Die wurden ja zu Zeiten vor der neoliberalen Wende Anfang der 80er-Jahre, da wurde ja viel höher besteuert. Da hatten wir Steuersätze, auch in den USA übrigens, von 70 Prozent. Das war die Zeit des Wirtschaftswunders, und das ist kein Zufall.
Denn es ist möglich, gigantische Vermögensberge sozusagen anzuhäufen, und zwar gerade mit Hilfe von Steueroasen. Und die machen ja große Schwierigkeiten, nämlich die führen zu Finanzkrisen, weil die Beschäftigten nicht mehr in der Lage sind, die Renditen zu erwirtschaften, die da erwartet werden. Und das ist auch eine wesentliche Ursache für die Finanzkrise. Die Ursache der Krise ist eigentlich die Hofierung des Kapitals.
Karkowsky: Lassen Sie uns mal anhand des Falles Hoeneß nachvollziehen, was da eigentlich geschehen ist, also unter Vorbehalt, nach all dem, was wir heute wissen. Er hat erzählt, beim Börsencrash 2001 verliert der Börsenspekulant Uli Hoeneß viel Geld. Er sagt, da war ich richtig klamm. Kann man sich kaum vorstellen. Doch anstatt wie so viele Deutsche dann daraus zu lernen und die Finger von den Aktien zu lassen, leiht ihm sein Freund, der frühere Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus, ein paar Millionen Euro zum Zocken. Das scheint ganz gewöhnlich gewesen zu sein. Die packt Hoeneß auf ein Schwarzgeldkonto in der Schweiz, von dem der Fiskus in Deutschland nichts weiß. Wenn er damit dann an der Börse Gewinne erwirtschaftet hat, waren die auch schon vor Einführung der Kapitalertragssteuer 2009 in Deutschland steuerpflichtig?
Thielemann: Ja, selbstverständlich waren die steuerpflichtig. Die waren natürlich auch vorher steuerpflichtig und sind auch nachher steuerpflichtig. Ich meine, ganz hat man die Steuerpflicht für Kapitaleinkommen ja nicht abgeschafft, man hat sie nur deutlich reduziert.
Karkowsky: Nun sagen die Schweizer Banken noch, diese Gewinne gehen uns nichts an. Wir bieten unseren Kunden einen sicheren Hafen für ihr Geld, und wir sind nicht Spitzel ausländischer Finanzbehörden. Was ist daran verkehrt.
Thielemann: Daran ist verkehrt, dass das Besteuerungsrecht eines Staates an den Wohnsitz der Steuerbürger geknüpft ist. Und das ist auch ganz richtig so, denn in dem Land, in dem man seinen Wohnsitz hat, dauerhaften Aufenthalt hat, da nutzt man ja auch die öffentliche Infrastruktur und da soll man eben seine Steuern zahlen. Und diese Steueroase, die Schweiz, erlaubt es sich dann eben, diese Steuerbürger, die mit dem Land ja sonst gar nichts zu tun haben, von der Besteuerung zu befreien, und das ist eine Art staatlich sanktionierter Diebstahl. Weil diese Steuermittel gehören dem Wohnsitzstaat. Das hat man in der Schweiz nicht verstanden.
Karkowsky: Die Opposition im bayerischen Landtag wirft daraufhin der CSU Beihilfe zur Steuerhinterziehung vor, weil Bayern bekannt ist dafür, viel zu wenige Steuerfahnder einzusetzen. Sie als Kapitalismuskritiker greifen das System ja gern als solches an. Also die Banken machen Geschäfte, die Politik lässt sie machen, Kapitaleinkünfte werden grundsätzlich anders behandelt als Einkünfte durch Arbeit, das ist ungerecht, das haben Sie schon oft kritisiert. Wo aber sollte man denn ansetzen, um das System zu ändern, denn zunächst mal hat es ja der Wähler in der Hand, Regierungen damit zu beauftragen. Das tut er aber nicht.
Thielemann: Ja, wir leben ja auch in einer marktkonformen Demokratie. Lassen Sie mich vielleicht drei Sätze ausholen. Also: In der BWL findet man es ganz normal, dass die Investoren, die Aktionäre beispielsweise bei Aktiengesellschaften, die gelten da als Prinzipale. Das Management ist der Agent dieser Prinzipale. Prinzipal heißt, denen stehen alle Vorrechte zu. Alle übrigen sind nur Zuträger bestenfalls, Produktionsfaktoren. Das Kapital ist also der Prinzipal, nach offizieller Lesart, der Unternehmen. Das Kapital ist aber viel mehr, es ist der Prinzipal dieser Welt. Als Alan Greenspan gefragt wurde, wer soll der nächste Präsident werden, hat er geantwortet, zunächst einmal dies: Es ist vollkommen egal, wer der nächste Präsident werden wird, weil die Welt wird durch die Kräfte des Marktes, vor allem des Kapitalmarktes, regiert.
Karkowsky: Damals war er noch Präsident der amerikanischen Notenbank?
Thielemann: Genau. Das war bei der ersten Obama-Wahl. Es gibt weitere Hinweise. Tietmeyer hat bereits 1996 gesagt, ihr Politiker wisst ja gar nicht, wie sehr ihr schon von den Finanzmärkten regiert werdet.
Karkowsky: Präsident der Deutschen Bundesbank.
Thielemann: Ganz genau. Das sind die Prinzipale dieser Welt. Die Vermögenden.
Karkowsky: Hätte nun Schwarz-Gelb das Steuerabkommen mit der Schweiz durchgekriegt, dann hätte der Schweizer Staat brav für Uli Hoeneß und andere die Steuern abgeführt, der Staat hätte seine Kassen füllen können und die Weste von Hoeneß wäre weiß geblieben, was vielen Fußballfans lieber wäre. Wäre das besser, als ihn jetzt beispielhaft für Tausende von Steuerverbrechern an den Pranger zu stellen?
Thielemann: Natürlich wäre das schlechter gewesen (…). Weil es geht darum, dass die Weltgemeinschaft sich koordiniert und dazu kommt, dass das Kapital endlich wieder angemessen besteuert wird. Und dafür ist der Informationsaustausch, übrigens auch für die Trusts, auch für das Verstecken hinter juristischen Personen der sehr Vermögenden eine Notwendigkeit. Nur dann können wir zurück dazu, was man mal Wohlstand für alle nannte. Natürlich ist es richtig, um auf Ihre Frage zu kommen, dass das Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz gescheitert ist, weil, das hatte nur einen Sinn: Das hatte nur den Sinn, weiterhin ein sogenanntes Abgeltungsregime aufrechtzuerhalten und zu verhindern, dass der automatische Informationsaustausch stattfindet.
Der Fall Hoeneß ist dafür nicht schrecklich wichtig, weil es dabei vor allen Dingen darum geht, das Schwarzgeld zu besteuern. Denn der Hoeneß hat ja angeblich seine Millionen versteuert und nur die Zinsen, nur die Steuern auf die Zinsen nicht gezahlt. Das ist nicht gerade eine lässliche Sünde, aber das sind eher Peanuts gegenüber dem Schwarzgeldtransfer. Das heißt, es wird das Schwarzgeld überhaupt nicht besteuert, und das sind natürlich ganz, ganz andere Größenordnungen. Und das unterläuft eben die Besteuerung des Kapitals, und diese Nichtbesteuerung des Kapitals hat eben zu diesem Kapitaltopf geführt, der uns heute die großen Probleme bereitet.
Karkowsky: Wenn Staat und Banken zum Zocken verleiten. Zum Fall Uli Hoeneß der Berliner Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann. Herr Thielemann, vielen Dank!
Thielemann: Ja, vielen Dank auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.