Evan Osnos: Große Ambitionen. Chinas grenzenloser Traum
Suhrkamp Verlag, Berlin 2015
535 Seiten, Hardcover 24,95 Euro, Ebook: 21,99 Euro
Motor des Aufstiegs oder Hemmschuh
Evan Osnos' Buch "Große Ambitionen" widmet sich dem chinesischen Aufstiegsmodell – und seinen Konsequenzen für den Westen. Ohne rhetorische Einseitigkeit richtet der Ex-China-Korrespondent des "New Yorker" seinen Blick auf die harten Fakten.
Ist die staatliche Hyper-Präsenz im ökonomisch boomenden China ein Motor des Aufstiegs oder nicht doch eher ein Hemmschuh, wie die Wirtschaftstheoretiker Milton Friedman und Friedrich Hayek bereits vor Jahrzehnten lehrten?
Evan Osnos, von 2005 bis 2013 China-Korrespondent des "New Yorker", möchte es sich mit der Antwort nicht so einfach machen. In seinem mit dem National Book Award prämierten Buch "Große Ambitionen" erinnert er erst einmal an das Gegenläufige. Zwar wächst nirgendwo sonst die Zahl der neuen Milliardäre so schnell wie in China, stieg das Durchschnittseinkommen von 200 Dollar im Jahre 1978 auf gegenwärtige sechstausend Dollar – und dennoch:
"China bleibt trotz seiner heiß laufenden Wirtschaft eine arme Nation, in der eben jenes durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen so hoch liegt wie im Japan des Jahres 1970. Hinzu kommt, dass die arbeitende Bevölkerung bis 2030 um 67 Millionen Menschen schrumpfen wird; eine Zahl, die der Gesamtbevölkerung Frankreichs entspricht."
Starker Staat plus Marktwirtschaft
Was also ist zu tun – und wer sollte es bewerkstelligen? Eine Frage, die im Übrigen auch den krisengeschüttelten Westen umtreibt.
Osnos hält deshalb die inner- und außerhalb Chinas aufgekommene Diskussion um die (vielleicht) erfolgversprechende Kombination aus starkem, regulierendem Staat plus Marktwirtschaft für eine entscheidende Zukunftsdebatte. Anstatt jedoch ein Loblied des autoritären Kapitalismus anzustimmen, erinnert er an das Fragile einer solchen Modernisierung:
"Auf jeden Lee Kuan Yew kommen unzählige Mobutu Sese Sekos".
Will heißen: Das illiberal prosperierende Singapur bleibt die Ausnahme, der bodenschatzreiche failed state Kongo die Regel. Überdies, so ein von ihm zitierter chinesischer Ökonom, sei die wirtschaftlich hemmende Korruption ja erst durch die staatliche Alleinverfügungsgewalt über die Ressourcen entstanden.
Staatliche Unterstützung der Besten
Dennoch denkt auch er eine Symbiose zwischen marktradikaler "Chicago-Schule" und Pekinger Staatspräsenz:
"Eine 'weiche' Industriepolitik, in der ein lebhafter freier Markt neue Industrien und Unternehmen hervorbringt und der Staat die Besten auswählt, um diesen Branchen durch Steuererleichterungen und den Aufbau von Infrastruktur unter die Arme zu greifen – wie es etwa beim Bau von Häfen und Schnellstraßen überall in der Volksrepublik der Fall war."
Derlei sind keine ideologischen Spiegelfechtereien, sondern betreffen auch uns im Westen. Im Guten wie im Schlechten: Was sich in China ökonomisch und politisch tut, hat Auswirkungen auf die ganze Welt. Es ist Evan Osnos' Verdienst, ohne rhetorische Einseitigkeit den Blick auf eben jene Hard Facts gerichtet zu haben.