Staatsbesuch von Xi Jinping

Wirtschaftliche Partnerschaft, mehr nicht

Eberhard Sandschneider im Gespräch mit Gabi Wuttke |
Eberhard Sandschneider, Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), hat davor gewarnt, die Beziehungen zwischen Deutschland und China überzubewerten. Die Chinesen würden in Europa, und auch in der Ukraine, ganz eigene Interessen verfolgen, die vor allem wirtschaftlicher Art seien.
Gabi Wuttke: Die Umwelt schützen, Energie sparen, das Bürokratiemonster schrumpfen, die Korruption weiter bekämpfen – so hat Chinas Botschafter in Deutschland Ziele der neuen Führung in Peking gerade umrissen. Heute, nach sechs Besuchen von Angela Merkel der erste Gegenbesuch eines chinesischen Staatsoberhaupts seit acht Jahren. Xi Jinping gibt sich in Berlin die Ehre – die Luft ist hier auf jeden Fall besser als in Peking. Die Atmosphäre auch? Eberhard Sandschneider ist der Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik und Chinakenner. Schönen guten Morgen, Herr Sandschneider!
Eberhard Sandschneider: Schönen guten Morgen, Frau Wuttke!
Wuttke: Hat Peking wirklich erkannt, was für ein Umweltdesaster die letzten 30 Wirtschaftsboomjahre angerichtet haben oder ist der Umweltschutz ein volkswirtschaftlicher Faktor?
Sandschneider: Letzteres ist er natürlich auch, weil er Kosten verursachen wird für die chinesische Regierung. Aber ich glaube, niemand muss der chinesischen Regierung erklären, dass Umweltschutz wichtig ist. Dazu muss man auch kein großer Umweltexperte sein, es reicht, wenn man in Peking einfach mal auf die Straße geht. Und dann begreift nicht nur der normale Mensch auf der Straße, sondern eben auch die Führung, es ist höchste Zeit, gegen diese Umweltverschmutzung, die sich über 30 Jahre durch den Raubbau an der Umwelt aufgebaut hat, dringend etwas zu tun. Die volkswirtschaftlichen Kosten übrigens, beispielsweise in der Gesundheitsfrage, gehen rasend schnell nach oben. Der Handlungsbedarf ist klar. Niemand muss den der chinesischen Regierung erklären.
Wuttke: Wenn jetzt also gesagt wird, China will an dieser Stelle, auch an dieser Stelle, von Deutschland lernen, wie verstehen Sie das?
Sandschneider: Also zunächst einmal braucht China, das ist völlig klar, um diese Umweltschäden bewältigen zu können, auch in hohem Maße Technologie. Technologie, die es gerade in Deutschland an vielen, vielen Stellen gibt. Insofern ist das Interesse Chinas an deutscher Umwelttechnologie beispielsweise, auch an dem einen oder anderen politischen Schritt, den Deutschland gegangen ist in den letzten Jahren, außerordentlich hoch.
Wuttke: Wirtschaft, China, Deutschland, Europa – ein Viererschritt, der irgendwie zusammengehört. Manche stellen diesen Besuch von Xi Jinping absolut unter das Motto: Wie steht es um die Wirtschaft? Wo sind die Interessen deckungsgleich? Herr Sandschneider, was verstehen Sie denn unter einer strategischen Partnerschaft zwischen Europa und China?
Sandschneider: Ich habe große Zweifel, ob dieser Begriff tatsächlich zutrifft. Ich weiß natürlich, dass man in Europa und auch in Deutschland unglaublich gerne von strategischen Partnerschaften spricht, aber strategische Partnerschaften setzen beispielsweise auch einen Grundkonsens, vielleicht sogar an Werten, aber mindestens an Interessen voraus. Da muss man schon ein Fragezeichen setzen. Es ist eine wichtige Partnerschaft, die man vielleicht insofern als strategisch bezeichnen kann, als die Aufmerksamkeit insbesondere der Wirtschaft, aber auch der Politik, jeweils gegenseitig enorm hoch ist. Und das ist auch die Symbolwirkung dieses Staatsbesuches durch Präsident Xi Jinping. Es geht darum, die politischen Beziehungen, insbesondere die wirtschaftlichen Beziehungen weiterhin auf einem stabilen Pfad zu halten. Das ist im Interesse von beiden Seiten, und an der Stelle überschneiden sich dann auch die strategischen Erwartungen.
Wuttke: Der erste Besuch von Xi Jinping als Staatspräsident in Europa war lange geplant. Er reist mit einem riesigen Wirtschaftstross an. Rückt aber Russlands Expansionspolitik die EU und China zwangsläufig in diesen Tagen enger zusammen?
Sandschneider: Nicht zwangsläufig. China beobachtet, glaube ich, mit großer Distanz die Situation, die sich da, und zwar für beide Seiten, die sich in der Krim ergeben hat. Einerseits ist alles, was an Selbstbestimmung von Volksteilen, von ethnischen Gruppen, grenzt für China natürlich an Teufelszeug mit Blick auf Tibet und Xinjiang. Andererseits liegt es im Interesse Chinas, vielleicht an die größeren Reservemöglichkeiten russischer Ressourcen heranzukommen, wenn der Westen da die Türen zu schlägt. Aber einen Konflikt zwischen dem Westen und Russland im Stile des bekannten Kalten Krieges, das ist wiederum auch nicht im Interesse Chinas, weil es letztlich auch den chinesischen Wirtschaftsbeziehungen auf globaler Ebene schaden würde. Im Augenblick wartet China das ab. Und ich glaube, China ist in einer guten Position, das abwarten zu können, und am Ende letztlich die Vorteile für sich selbst einzustreichen.
Wuttke: Was sind denn für die Chinesen bis heute die neuralgischsten Punkte in ihrer Geschichte mit Russland?
Sandschneider: Die Geschichte mit Russland ist außerordentlich wechselreich. Es begann natürlich, wenn Sie nur die Zeit von 1949 betrachten, mit einer engen Form der Zusammenarbeit, die 1960 in einen tiefen Konflikt gemündet ist, der 1969 sogar zu militärischen Auseinandersetzungen führte. Während der Tian'anmen-Aufstände 1989 ist Gorbatschow nach vielen Jahren zum ersten Mal wieder nach China gekommen, und seither beäugen die beiden sich einerseits mit Interesse, andererseits aber auch auf einem sehr, sehr geringen Vertrauensniveau. Man traut sich, auf Deutsch gesagt, nur so weit, wie man sich sieht. Also, Sie sehen, das Wechselverhältnis zwischen Russland und China war sehr, sehr schillernd.
Wuttke: Was wäre denn der „worst case“, den Putin aus Sicht Chinas jetzt verfolgen könnte?
Sandschneider: Der „worst case“ ist sicherlich eine weitere Expansion Russlands mit weiteren Konfliktsteigerungen in Osteuropa. Letztendlich muss man hinzu sagen: Aus strategischer Sicht ist diese Region der Welt für China außerordentlich wichtig, insbesondere auch die Ukraine. China bezieht Waffen aus der Ukraine, China bezieht Produkte aus der Ukraine. China hat die Ukraine vor allem aber auch ausersehen als ein Einfallstor für chinesische Investoren nach Mittel- und Osteuropa. Das ist das strategische Interesse Chinas. Und wenn militärische Irritationen, ausgelöst durch Herrn Putin, dieses Ziel stören, dann ist das natürlich außerordentlich nachteilig aus chinesischer Sicht.
Wuttke: Das lässt darauf schließen, dass der Begriff der territorialen Integrität, den die Europäische Union mit Blick auf die Ukraine gerade gerne gebraucht, genauso wie China mit Blick auf Russland und die Ukraine, ein äußerst zwiespältiger ist.
Sandschneider: Ja, das ist ein Begriff, den jede Seite in jeder beliebigen Situation genauso auslegt, wie es ihr jeweils passt. Das kann man in diesen Tagen wieder am praktischen Beispiel beobachten. Es geht nicht nur um Sachkonflikte, es geht nicht nur um militärische Konflikte. Es geht immer auch um Symbolik und um den berühmten Kampf um die Oberhoheit über Begriffe. Der Begriff der territorialen Integrität fällt genau in diese Kategorie.
Wuttke: Und die Einmischung in innere Angelegenheiten, die sich China auch immer verbittet – Herr Sandschneider, noch ein kurzes Wort: Gibt es auf deutscher Seite die Möglichkeit, nicht vor die Wand zu fahren?
Sandschneider: Na ja, das ist auch wieder eine Auslegungsfrage. Für uns sind manchmal Dinge völlig normal, die für China gleich als Einmischung in die inneren Beziehungen ausgelegt werden. Wenn man das positiv findet, kritisiert man es nicht, wenn man es negativ findet, nagelt man es an die Wand. Also auch da gilt das Spiel der Worte in der internationalen Politik, daran werden wir uns gewöhnen müssen. China legt seine Interessen anders aus als wir unsere.
Wuttke: Sagt im Deutschlandradio Kultur Eberhard Sandschneider, Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Ich danke Ihnen, einen guten Tag!
Sandschneider: Bitte sehr.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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