Staatsempfang mit Tinnitus

Von Jens Rosbach |
Kein Staatsakt ohne Militärmusik. Das Stabsmusikkorps der Bundeswehr ist bei jedem großen Empfang dabei. 17 Jahre lang dirigierte Volker Wörrlein die 80 Bläser und Trommler - egal, bei welchem Wetter und welcher Hymne. Künftig will er lieber Jäger sein.
Bundeswehr-Standortkommando Berlin, Julius-Leber-Kaserne. Ein ungewöhnliches Offiziersbüro - mit Kuckucksuhr, Hirschgeweih, dickem Teppich und schwarzer Ledercouch. Willkommen bei Oberstleutnant Volker Wörrlein, Chef des Stabsmusikkorps der Bundeswehr. Wörrlein ist ein braungebrannter 62-Jähriger, der gern verschmitzt guckt. Sofort ist klar: Unter der grauen Uniform steckt ein humorvoller, äußerst emotionaler Mensch:

"Ich habe am Anfang noch mit Holztaktstöcken dirigiert. Habe aber einen dermaßen dynamischen Auftakt, dass Holztaktstöcke tatsächlich weggebrochen sind. Und seitdem mir das zum dritten Mal passiert ist, hab ich dann auf Kunststoff gewechselt. Und insofern hab ich dann diese preisgünstige Variante gewählt. 17,80 Mark damals mein erster Taktstock aus Kunststoff, der, glaube ich heute noch existiert."

Volker Wörrlein ist - mit rund 80 Bläsern und Trommlern - bei allen wichtigen Staatsempfängen dabei. Sein Orchester intoniert dann jedes Mal die deutsche und die jeweilige ausländische Nationalhymne. Schreiten Staatsgast und Bundeskanzlerin Angela Merkel die Ehrenformation ab, kommen sie am Kapellmeister dicht vorbei:

"Dreißig Zentimeter! Wir schauen uns fest in die Augen. Ich bemühe mich, nicht zu zwinkern in dem Augenblick."

Der oberste Staats-Musiker muss jederzeit perfekt funktionieren. Selbst bei strömendem Regen. Sein feuchtester Auftritt war ein Empfang des damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau:

"Nach ungefähr drei Minuten macht einem der Regen nichts mehr aus. Denn dann ist man an sich schon durch. Und dann merkt man langsam, wie das Wasser am Körper längs in die Stiefel läuft. Das war ein von drei Mal, wo ich aus den Stiefeln Wasser kippen konnte. Das war also schon knackig."

Auch Demonstranten können den Protokoll-Künstler nicht aus dem Takt bringen. Als im vergangenen Frühjahr Bundespräsident Christian Wulff verabschiedet wurde, protestierten Schaulustige mit Vuvuzelas gegen den korruptionsverdächtigen Politiker. Doch das Militär-Orchester machte einfach etwas lauter "rumsdada":

"Also man fühlt sich natürlich gestört, aber man schüttelt das ab."

Die Bundeswehr-Musiker können die meisten Nationalhymnen im Schlaf spielen. Manchmal ist aber auch Improvisieren angesagt. Wie bei Hamid Karzei. Der afghanische Präsident hatte vor einigen Jahren seinen Besuch angekündigt. Doch in Berlin kannte niemand die damalige Hymne vom Hindukusch. Wörrlein ließ sich etwas einfallen:

"Eine Bundeswehrmaschine, die sowieso rüberflog von Kabul, hat ein Band mitgebracht. Und da war eine Orgel-Einspielung drauf - diese Hymne. Die hab ich mir dann erstmal 20 Mal angehört, um überhaupt zu begreifen, was da musikalisch vor sich ging. Und dann fing ich langsam an, Noten zu schreiben. Und auf diese Art und Weise kam dann diese erste afghanische Hymne zustande."

Afghanistan hat für Wörrlein eine ganz persönliche "Note". Denn vor drei Jahren war er selbst vor Ort - um das dortige Stabs-Musikkorps aufzubauen. Die Kabuler Künstler hatten während der Taliban-Herrschaft ihre Instrumente vergraben müssen. Nun buddelten sie die Raritäten wieder aus - für das neue Orchester. Da Wörrlein nicht Paschto spricht und die Afghanen nicht Deutsch, verlief die Schulung nonverbal:

"Ohne Übersetzung, nur durch die Musik. Und eine Viertelnote ist bei denen genau so lang wie bei uns 'ne Viertelnote. Und als wir nach vier Monaten dann weggingen, den Grundstock hatten sie drin."

Der Offizier dient mittlerweile seit 42 Jahren als Militärmusiker. Er dirigierte verschiedene Bundeswehr-Musikkorps, bis er vor 17 Jahren das Stabsmusikkorps übernahm. Die vielen lauten Märsche haben ihm schon vor geraumer Zeit ein Ohrenpfeifen beschert:

"Ich habe einen Tinnitus, seit 30 Jahren. Kann sich ja unterschiedlich schwer ausprägen. Und die Form, die ich habe, mit der kann ich leben."

Wörrlein stammt aus Mittelfranken. Als Jugendlicher spielte er in einer evangelischen Kirchgemeinde Orgel und Posaune. 1969 kam er - über die Musik - zur Bundeswehr. Weil dort Fagottisten gefragt waren, lernte er auch noch das Holzblasinstrument. Doch bald schon nervte ihn das viele Üben; das Dirigieren reizte ihm mehr. So verkaufte der Künstler sein Fagott:

"Fagotte sind ja teuer. Von dem Geld habe ich dann das Beste getan, was ich je getan hatte: Hab mir einen Porsche gekauft und hatte damit mehr Erfolg als mit dem Fagott."

Erfolg - was für einer?

"Na gut ... . Die Damen!"

Wörrlein geht auch offiziell auf die Pirsch. Denn er ist nicht nur Staats-Kapellmeister, sondern auch Jagdbeauftragter der Bundeswehr in Berlin. Als solcher betreut er Militärs und Diplomaten, die einen Hirsch oder ein Wildschwein erlegen wollen. Nun marschiert der Militärmusiker in den Ruhestand. Wörrlein hat zwei Töchter, 15 und 32 Jahre alt - ist aber geschieden. So hat er nun viel Zeit, um ganz den Wald zu genießen. Piano, ohne Trommelwirbel und Strammstehen:

"Ich habe einen Hund. Einen Dackel, einen Teckel. Der wird ausgebildet zum perfekten Jagdhund. Manchmal habe ich das Gefühl, der bildet mich auch noch aus, der Hund. Aber es klappt auf jeden Fall. Und dann machen wir das, was uns gefällt."
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