Parteiverbote in der deutschen Geschichte
Der NPD droht ein Parteiverbot, es wäre das erste seit vielen Jahrzehnten in Deutschland. Für uns ist das ein Anlass, auf die Geschichte solcher Entscheidungen zu blicken - von Bismarcks Sozialistengesetzen bis zum KPD-Verbot 1956.
"Parteien können dann verboten werden, wenn sie, das steht so im Artikel 21, wenn sie darauf ausgehen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung umzustürzen."
Dieter Grimm ist emeritierter Professor für öffentliches Recht und war Bundesverfassungsrichter.
"Kritisieren darf jeder. Man darf in Deutschland sagen: Demokratie ist keine gute Staatsform und was anderes wäre besser. Das ist erlaubt. Aber wenn man beginnt, den Versuch zu machen, sie über den Haufen zu werfen, dann kann ein Verbot eingreifen. Und diese Grenze ist nicht immer ganz leicht zu ziehen. Was ist Kritik, u.a. auch scharfe Kritik, und was ist ein Versuch zum Umsturz?"
Die Geschichte der Parteiverbote in Deutschland beginnt nicht erst mit dem Grundgesetz. Schon im deutschen Kaiserreich versuchte Reichskanzler Otto von Bismarck 1878 mit dem Sozialistengesetz, die Sozialdemokraten ins parlamentarische Aus zu katapultieren. Die Sozialdemokratie setzte sich intensiv für die demokratischen Gleichheitsrechte ein und befand sich in fundamentaler Opposition zum politischen System des Kaiserreiches, eine Bedrohung für Bismarck. Das Verbot ging einher mit Ausweisungen und Presseverboten. Trotzdem konnte sich die Sozialdemokratische Partei konsolidieren.
"Die SPD entstand wie viele andere Arbeiterparteien im 19. Jahrhundert in der Welt in einer Zeit, in der die gesellschaftlichen Klassengegensätze extrem groß wurden und in einer Zeit, in der die anderen Parteien, die liberalen Parteien aber eben auch die konservativen es nicht schafften, die Arbeiterklasse auf ihre Seite zu ziehen."
Sagt der Historiker Dominik Rigoll, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam.
"Diese Probleme, und diese gesellschaftlichen Verwerfungen, verbunden mit der Industrialisierung natürlich, waren so groß, dass man sie nicht einfach verbieten konnte. Das heißt, man konnte die Entwicklung vielleicht verlangsamen, indem man die SPD verbot oder die andere Methode war dann, indem man selbst Sozialgesetze erließ, wie Bismarck das tat, aber man kann die Entwicklung nicht aufhalten."
1890, zwölf Jahre nach dem Inkrafttreten des Verbots, waren die Sozialdemokraten stärker als zuvor. Warum?
"Als die Sozialdemokratie 1878 bis 1890 verboten war als Vereinigung und als Partei, war sozusagen die Hochzeit, in der sich der Klassenkampf entwickelte."
Kathrin Groh ist Professorin für öffentliches Recht an der Universität der Bundeswehr in München.
"Das ist eine politische Strömung gewesen, die aus dem Gesellschaftsbild überhaupt nicht raus zu denken gewesen ist. Dazu kam, und das ist das, was bei den Rechtswirkungen oder Rechtsfolgen des grundgesetzlichen Parteiverbotes so nicht passieren kann, dass damals die Vorstellung herrschte, Parteien sind Vereine und als Vereine werden sie auch verboten. Aber die Verbotswirkungen können eben auch nur so weit reichen, wie der Verein reicht."
Das Großwerden der NSDAP
Die Parteien wurden als Vereine gegründet und hatten keinen Sonderstatus. Sie konnten durch polizeiliche Anordnungen verboten werden. Ihre Abgeordneten als frei gewählte Volksvertreter behielten aber ihre Sitze im Parlament. Wenn heute in Deutschland eine Partei verboten wird, verliert sie auch ihre Mandate. Das war damals, als die Parteien noch als Vereine organisiert waren, anders.
"Parteien wurden verboten, aber alle Abgeordneten dieser Partei, die in den Parlamenten saßen, durften da drin bleiben und durften von da aus natürlich auch weiter agitieren. Parlamentsreden sind immer schon öffentlich geworden, veröffentlicht worden, also konnten die damit sozusagen über staatliche Organe weiterhin in die Öffentlichkeit rein wirken."
Deshalb hatte Bismarcks Versuch, mit Verboten Politik zu machen und die Opposition zu schwächen, nicht die erwünschte Wirkung – im Gegenteil: Bismarck musste nach der Aufhebung der Sozialistengesetze 1890 abdanken, die SPD schwenkte programmatisch noch weiter nach links, wurde immer stärker und zog nach den Wahlen 1912 als stärkste Fraktion in den Reichstag ein.
Friedrich Ebert nach seiner Vereidigung zum Reichspräsidenten 1919: "Meine Damen und Herren! Wenn wir unser Vaterland auf Grundlagen aufbauen wollen, die unvergänglich und unzerstörbar sein sollen – die innige Liebe zur Heimat, zum Volksstamm, dem der einzelne entsprossen ist – und dazu soll kommen die eigene Arbeit am Ganzen, das Sich-in-Dienststellen in die Interessen des Reichs, …in diesem Geiste lassen Sie mich zu meinem Teil die Verfassung halten, vertiefen und schützen."
Dem Kaiserreich folgte nach dem Ersten Weltkrieg die Republik. Mit Friedrich Ebert wurde 1919 der Vorsitzende jener Partei zum Präsidenten gewählt, die mit Bismarcks Sozialistengesetzen eigentlich von der politischen Bühne hatte verschwinden sollen. Wie wirkte sich diese Erfahrung auf den Umgang mit unliebsamen Parteien aus? Auch in der Weimarer Republik gab es Parteiverbote. Sie sollten nicht dazu dienen, politische Gegner auszuschalten. Stattdessen ging es darum, die Demokratie vor den Feinden der freiheitlichen Verfassung zu retten. So wurde nach dem Hitlerputsch von 1923 die NSDAP verboten. Aber auch in der Weimarer Republik war das Parteiverbot lediglich ein Vereinsverbot. Die Parteien hatten nach wie vor keinen Sonderstatus, sie waren immer noch rechtlich als Vereine organisiert. Noch gab es kein Parteienprivileg mit strengen Verbotsvoraussetzungen, und die Wirkung von Verboten war begrenzt, denn Abgeordnete von verbotenen Parteien durften in den Parlamenten bleiben.
"Und bei der NSDAP kommt noch dazu, dass in der Weimarer Republik, nicht wie jetzt unter dem Grundgesetz, eine zentrale Bundesinstanz, also ein Bundesorgan, über ein bundesweites Verbot einer Partei entschied, sondern in der Regel die Länder die Parteiverbotsgesetze, also das Republikschutzgesetz vor allen Dingen, vollzogen. Und je nachdem, wie die politische Richtung und die Regierung in den einzelnen Ländern bestückt war, so wurde dieses Verbot auch gehandhabt. Und das hieß für die NSDAP, die konnte Partei-Hopping betreiben. Wenn sie in Preußen verboten war, dann verlagerte sie ihren Schwerpunkt eben nach Bayern. Parteizentrale der NSDAP in München. Da war man relativ sicher vor Verfolgung, und da konnte man dann groß werden."
Die Möglichkeit, das Verbot trickreich zu umgehen, nutzte die NSDAP geschickt. Hinzu kam, dass sie durch den Erfolg der italienischen Faschisten und durch die Wirtschaftskrisen Rückenwind bekam – so der Zeithistoriker Dominik Rigoll:
"Insbesondere von der Weltwirtschaftskrise. Auch hier waren die Krisen so massiv, war auch die Schwächung der liberalen Demokratien so massiv, so strukturell angelegt, dass ein Parteiverbot da wenig brachte. Es konnte allenfalls ein paar Jahre lang die NSDAP an gewissen Aktivitäten hindern, aber letztlich, wenn die Demokratie so schwach war wie die Weimarer Demokratie, musste dann die NSDAP auch irgendwann sich durchsetzen. Also Verbot mag vielleicht in so einem Fall, in dem die Partei die Geschichte auf ihrer Seite hat, die Entwicklung verzögern, aber aufhalten kann sie sie natürlich nicht."
Zumindest war niemand da, der die verfassungsfeindliche Partei aufgehalten hätte.
Am 30. Januar 1933 wurde Hitler zum Reichskanzler ernannt – und in den nächsten Monaten erledigte er, was er angekündigt hatte: die Beseitigung der demokratischen Ordnung. Die Grundrechte wurden außer Kraft gesetzt. Der Reichstag verabschiedete das Ermächtigungsgesetz, mit dem er sich selbst als zweite Gewalt im Staat entmachtete und dem Kanzler erlaubte, ohne Zustimmung des Reichstags, des Reichsrats und des Reichspräsidenten Gesetze zu erlassen. Die logische Konsequenz dieser Politik war, dass bald alle Parteien verboten wurden, außer der einen: Die NSDAP hatte nun das Monopol, das Land zu regieren – jene Partei, die man in der Weimarer Republik mit einem Parteiverbot bekämpft hatte. Dass es dafür gewichtige Gründe gegeben hatte, wurde mit jedem Tag klarer, an dem der Unrechts- und Willkürstaat durchgesetzt wurde – mit dem bitteren Ende: Zweiter Weltkrieg, Zusammenbruch des Reiches.
Am 30. Januar 1933 wurde Hitler zum Reichskanzler ernannt – und in den nächsten Monaten erledigte er, was er angekündigt hatte: die Beseitigung der demokratischen Ordnung. Die Grundrechte wurden außer Kraft gesetzt. Der Reichstag verabschiedete das Ermächtigungsgesetz, mit dem er sich selbst als zweite Gewalt im Staat entmachtete und dem Kanzler erlaubte, ohne Zustimmung des Reichstags, des Reichsrats und des Reichspräsidenten Gesetze zu erlassen. Die logische Konsequenz dieser Politik war, dass bald alle Parteien verboten wurden, außer der einen: Die NSDAP hatte nun das Monopol, das Land zu regieren – jene Partei, die man in der Weimarer Republik mit einem Parteiverbot bekämpft hatte. Dass es dafür gewichtige Gründe gegeben hatte, wurde mit jedem Tag klarer, an dem der Unrechts- und Willkürstaat durchgesetzt wurde – mit dem bitteren Ende: Zweiter Weltkrieg, Zusammenbruch des Reiches.
Nach dem Zweiten Weltkrieg
1945 Vier Besatzungszonen. Vier Jahre später zwei Staaten.
Die DDR wurde nach dem Vorbild der sowjetischen Besatzungsmacht aufgebaut – faktisch als Ein-Parteien-Staat, obwohl auch andere Parteien zugelassen waren. Aber die wurden in die Nationale Front eingefügt, in der die Vorherrschaft der SED garantiert war. In den Westzonen, die sich zur Bundesrepublik zusammenschlossen, sorgten die Westalliierten dafür, dass es einen zweiten Anlauf zum Aufbau einer Demokratie gab – die zugleich im Kalten Krieg ein Bollwerk gegen den sowjetischen Kommunismus sein sollte.
Die DDR wurde nach dem Vorbild der sowjetischen Besatzungsmacht aufgebaut – faktisch als Ein-Parteien-Staat, obwohl auch andere Parteien zugelassen waren. Aber die wurden in die Nationale Front eingefügt, in der die Vorherrschaft der SED garantiert war. In den Westzonen, die sich zur Bundesrepublik zusammenschlossen, sorgten die Westalliierten dafür, dass es einen zweiten Anlauf zum Aufbau einer Demokratie gab – die zugleich im Kalten Krieg ein Bollwerk gegen den sowjetischen Kommunismus sein sollte.
"Der Parlamentarische Rat beginnt seine Tätigkeit in einer völlig ungewissen Zeit."
Konrad Adenauer, der Vorsitzende der neu gegründeten CDU, eröffnete am 1. September 1948 die erste Sitzung des Parlamentarischen Rates in Bonn. Die 65 stimmberechtigten Mitglieder, darunter vier Frauen, sollten auf Geheiß der alliierten Siegermächte USA, Frankreich und Großbritannien eine Verfassung für die drei Zonen im Westen Deutschlands ausarbeiten. Das Wort Verfassung wurde gemieden, denn eine Verfassung sollte nur für ganz Deutschland gelten. Die Bezeichnung Grundgesetz stammte von Carlo Schmid, dem bekannten Staatsrechtler, der für die SPD im Parlamentarischen Rat saß. In seiner Grundsatzrede vom 8. Mai 1948 - "Was heißt eigentlich Grundgesetz" – sprach er über Demokratie und über die allgemeine Gleichheit und Freiheit der Bürger. Und er sprach schon damals, in der zweiten Sitzung des Parlamentarischen Rates, über notwendige Absicherungen gegen die Feinde der Demokratie.
"Ich für meinen Teil bin der Meinung, dass es nicht zum Begriff der Demokratie gehört, dass sie selber die Voraussetzungen für ihre Beseitigung schafft. Ja, ich möchte weiter gehen. Demokratie ist nur dort mehr als eine bloße Zweckmäßigkeitsentscheidung, wo man den Mut hat, an sie zu glauben als etwas für die Würde des Menschen Notwendiges. Wenn man aber diesen Mut hat, dann hat man auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber, die die Demokratie missbrauchen, um sie aufzuheben."
Nach den Erfahrungen von Weimar wollten die Mütter und Väter des Grundgesetzes ein Staatsgebilde schaffen, das gegen die Feinde der Demokratie möglichst gut gewappnet sein sollte. So kam Artikel 21 ins Grundgesetz, eine verfassungsrechtliche Innovation, für die es bis dahin kein Vorbild gab. Verfassungsrechtler Dieter Grimm:
"In der Demokratie schien es notwendig, dass man den Schutz für politische Parteien höher hängte. Und deswegen also ein Verbot nicht durch die Bundesregierung wie bei Vereinigungen, sondern ein Verbot nur durch das Bundesverfassungsgericht und auch nur auf Antrag von drei Staatsorganen: Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat sind diejenigen, die den Antrag stellen können. Also, die Hürden sind höher gelegt durch das Grundgesetz, aber eben im Wissen darum, dass eine Demokratie ohne frei gebildete Parteien nicht funktionieren kann. Und Eliminierung einer Partei, hinter der ja auch Wähler stehen, aus dem politischen Prozess ist ein schwerwiegender Vorfall."
Parteienverbote in der Bundesrepublik
Das Grundgesetz spiegelt die gewachsene Bedeutung der Parteien für den demokratischen Staat wider: Sie sind keine Vereine mehr, sondern genießen mit dem Parteienprivileg einen besonderen Status:
"Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit."
So beginnt Artikel 21 des Grundgesetzes, der der Exekutive die Möglichkeit entzieht, selbst über ein Parteienverbot zu entscheiden.
"Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht."
In der Geschichte der Bundesrepublik hat es nur zweimal ein Parteiverbot gegeben. Das erste wurde bereits am 23. Oktober 1952 vom damaligen Bundesverfassungsgerichtspräsidenten Hermann Höpker-Aschoff verkündet:
"Im Namen des Volkes, römisch Eins, erstens, die Sozialistische Reichspartei ist verfassungswidrig. Zweitens, die Sozialistische Reichspartei wird aufgelöst."
Die Sozialistische Reichspartei, kurz SRP, war mit ihren 10.000 Mitgliedern die größte rechtsextreme Nachkriegspartei und unterhielt Nebenorganisationen wie die "Reichsjugend" und die paramilitärische "Reichsfront". Für das Verbotsverfahren hatte sich vor allem der damalige Bundesinnenminister Robert Lehr stark gemacht.
"Im Inneren sind weite Kreise unseres Volkes zutiefst darüber enttäuscht und beunruhigt, dass erneut eine politische Richtung totalitären Charakters unter uns das Haupt erheben kann."
Die SRP hatte 1951 knapp acht Prozent bei den Landtagswahlen in Bremen und elf Prozent in Niedersachsen erreicht. Die parlamentarischen Erfolge der SRP und der Druck der Alliierten veranlassten die Bundesregierung letztlich zu dem Verbotsantrag vor dem Bundesverfassungsgericht. Ganz anders verhielt es sich beim zweiten Parteiverbot, das fast gleichzeitig beantragt wurde, aber erst 1956 von Josef Wintrich, Höpker-Aschoffs Nachfolger, verkündet wurde:
"Im Namen des Volkes, erstens, die Kommunistische Partei ist verfassungswidrig. Zweitens, die Kommunistische Partei Deutschlands wird aufgelöst."
Während die SRP die Angst vor einer Wiederkehr des Nationalsozialismus weckte, wurde die KPD vor allem als Bedrohung im Kalten Krieg, im Kampf gegen den Kommunismus, wahrgenommen. Allerdings war bei der KPD – im Unterschied zur SRP – erkennbar, dass sie in der Bevölkerung kaum Resonanz fand. Dominik Rigoll:
"Sie war extrem geschwächt durch zehntausende von Kommunisten, die im Dritten Reich ermordet oder eingesperrt wurden, von vielen, vielen Kommunisten, die in die DDR gegangen waren, weil es da was aufzubauen oder was zu reißen gab."
Hinzu kam, dass Politik und Justiz in der jungen Bundesrepublik schon lange vor 1956 hart gegen Kommunisten vorgingen.
"Das politische Strafrecht, das wirklich hunderte von tatsächlichen oder vermeintlichen Kommunisten in ihrer Existenz bedrohte, setzte schon 1951, 1952 ein, also dadurch war die Partei geschwächt. Dann war sie geschwächt, als sie als verlängerter Arm der SED im Westen agierte und kaum westlich adäquate Politik betrieb und sich auf diese Weise selbst isolierte."
Umstrittenes KPD-Verbot
Die Wahlerfolge der KPD hielten sich in engen Grenzen. Bei der Bundestagswahl 1949 erhielt sie 5,7 Prozent der Stimmen, 1953 verfehlte sie mit nur noch 2,2 Prozent klar den Einzug ins Bonner Parlament. Dennoch sollte das starke Schwert des Parteiverbots die KPD treffen. Das hatte auch mit der innen- und außenpolitischen Lage zu tun, meint die Jura-Professorin Kathrin Groh:
"Die KPD stellt sich immer als Opfer des Kalten Krieges dar, und ein bisschen Wahres ist da sicherlich dran. Die Bundesrepublik stand damals unter dem starken Eindruck, dass der Ostblock sozusagen entstand. Polen wurde kommunistisch, Ungarn wurde kommunistisch. Der Korea-Krieg begann. Die Entwicklung in der DDR konnte man natürlich hautnah verfolgen. Und Adenauer damals verfolgte eine ganz andere Strategie, nämlich die der Westintegration. Und da grätschte die KPD rein. Also, die KPD schloss sich an die SED an. Die wollte die Wiedervereinigung mit der DDR unter der Bedingung, dass alle Truppen abzogen. Das kam natürlich alles gar nicht in Frage. Adenauer wollte die Souveränität der Bundesrepublik zurückgewinnen, kämpfte für die Wiederbewaffnung. Dagegen organisierte die KPD, so wie man's aus Weimarer Zeiten kannte, mit viel Agitation und Volksentscheid. Da waren die Politiker sehr dünnhäutig zu der Zeit natürlich. Und insofern kam dann auch, um den Alliierten auch den Westanschluss ans Herz zu legen, das KPD-Verbot."
1951 stellte die Bundesregierung beim Verfassungsgericht den Antrag, die KPD als verfassungswidrig einzustufen und zu verbieten. Von Anfang an war das umstritten. Die lange Verfahrensdauer bis zum Urteil lässt darauf schließen, dass die Richter erhebliche Zweifel am Sinn des Verbots hatten. Vielen schien es unverhältnismäßig zu sein und nicht die ultima ratio in einer Demokratie, in der Meinungsfreiheit in der politischen Willensbildung ein hohes Gut ist. Vielleicht ist es kein Zufall, dass die beiden Parteienverbote in der Frühzeit der Bundesrepublik verfügt wurden, als die Demokratie noch unsicher zu sein schien.
"Die Bundesrepublik ist vielleicht wider Erwarten eine unglaublich stabile Demokratie geworden, die auch von einer Überzahl an Demokraten bevölkert wird, die natürlich auch wahnsinniges Glück gehabt hat, dass sie auch wirtschaftlich ein stabiler Staat geworden ist, und in der es keine verfassungspolitischen Krisen gegeben hat in dem Ausmaße, dass man auf die Idee hätte kommen müssen, mit Parteiverboten noch mal einzuschreiten."
NPD-Verbot: Im ersten Anlauf wegen V-Leuten gescheitert
Verfassungswidrige Organisationen – wie die rechtsradikale Wiking-Jugend – sind nach 1956 des Öfteren verboten worden. Das kann die Bundesregierung verfügen. Aber den Versuch, eine Partei zu verbieten, gab es erst 2001 wieder, als Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat ein Verbot der 1964 gegründeten NPD beantragten. Das Verfahren scheiterte, bevor es in Karlsruhe zur Verhandlung kam, weil V-Leute des Verfassungsschutzes in der Führungsebene der Partei saßen und möglicherweise die Entscheidungen der NPD beeinflusst hatten. Nach dem Fehlschlag unternahm der Bundesrat einen neuen Anlauf – dieser Antrag aus dem Jahr 2013 wird nun vor dem Verfassungsgericht verhandelt.
"Es ist ja ein Verfahren ähnlich wie ein Strafprozess, ähnlich in der Weise, dass es darum geht, Dokumente, Zeugenaussagen, Äußerungen und was auch immer an Nachweis für die Bekämpfungsintention beigebracht werden kann, zu untersuchen. Das kommt normalerweise im Verfassungsgericht nicht vor. Hier operiert es selbst wie ein unteres Gericht, also wie ein erstinstanzliches Gericht. Und das ist das Verfassungsgericht nicht gewöhnt. Und weil ja auch viele Richter im Bundesverfassungsgericht sind, die selbst nicht in der Gerichtsbarkeit angefangen haben, haben sie das auch nicht gelernt. Also insofern ist das eine andere Sorte Verhandlung. Und es wird interessant sein, das zu beobachten."
Wer eine Partei verbieten lassen will, muss nachweisen, dass diese Partei ihre verfassungswidrigen Ziele "aktiv kämpferisch und aggressiv" verfolgt, das wurde im KPD-Urteil von 1956 festgelegt. Ob das im aktuellen Verfahren gelingen kann, ist umstritten. Die einen sehen bereits im martialischen Auftreten der Neonazis und ihren hasserfüllten Parolen diese Aggressivität erfüllt. Den anderen reicht dies nicht aus, das seien reine Äußerlichkeiten, im Übrigen sei die Partei bedeutungslos und ohne Einfluss. Bei Bundestagswahlen ist sie nur ein einziges Mal in die Nähe der fünf Prozent-Hürde gelangt: 1969, mit 4,3 Prozent. Sollte das Bundesverfassungsgericht dem Verbotsantrag zustimmen, wird die NPD den Weg nach Straßburg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beschreiten.
"Oft wird gesagt, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine sehr konkrete Gefährdung der demokratischen Ordnung verlangt, dass man gleichsam kurz davor steht, einen Umsturz zu erleben, in dem die demokratische Regierung abgeschafft wird. Ganz so ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nach meiner Wahrnehmung nicht."
Franz C. Mayer, Professor für Europa- und Verfassungsrecht an der Universität Bielefeld. Er hat die Erfahrung gemacht, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auch im Parteiverbotsverfahren sehr wohl die näheren Umstände des Einzelfalls prüft, die Verhältnismäßigkeit abwägt und auch die Argumente aus den Mitgliedsstaaten hört.
"Es kommt vielleicht noch ein weiteres hinzu, speziell für Deutschland. Es ist ja unschwer zu erkennen, dass das Parteiverbotsverfahren gerade in Deutschland eine historische Vorgeschichte hat, dass man eben letztlich über die Erfahrung der Nazi-Diktatur dazu gelangt ist, keine Freiheit für die Feinde der Freiheit geben zu wollen und man hier eine gewisse historische Begründung für diesen schwerwiegenden Eingriff in das Demokratieprinzip in Deutschland ja besonders plausibel machen kann.
Und wenn ich das vergleiche mit anderen historisch motivierten Rechtsverkürzungen, denken Sie an das Verbot der so genannten Auschwitzlüge, das ja auf einer oberflächlichen Ebene mit der Meinungsäußerungsfreiheit nicht ohne weiteres zusammenpasst. Dann stellt man fest, dass die Gerichte auf allen Ebenen, national aber eben auch überstaatlich, durchaus bereit waren, solche historisch bedingten Sonderbegründungen für Eingriffe in Deutschland in Anbetracht der völlig offensichtlichen unbestreitbaren deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert anzuerkennen. Also mit anderen Worten, es könnte gut sein, dass das hier auch noch mal eine Rolle spielt, dass das jetzt ausgerechnet aus Deutschland kommt."
Pro und Contra eines NPD-Verbots
Wie das Verfahren letztlich ausgeht, interessiert Kathrin Groh nicht so sehr wie die Frage, dass es überhaupt ein Verbotsverfahren gegen die NPD gibt. Die Professorin für öffentliches Recht hält ein Parteiverbot heute nicht mehr für zeitgemäß.
"Es ist tatsächlich kein unmittelbares Ideologieverbot. Es ist ein Organisationsverbot. Die Frage ist immer: Was soll mit diesem Organisationsverbot getroffen werden? Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben sich das damals tatsächlich so vorgestellt, aus den Eindrücken der Weimarer Demokratie, dass Parteien Massenorganisationen einer Massendemokratie sind, dass Menschenmassen in ihnen diszipliniert werden und als Parteisoldaten sozusagen geschult werden, um mit massivem Druck dann politische Ideen in den politischen Prozess reinzubringen. Das hat damals Sinn gemacht, sicher, weil Parteien so organisiert waren. Aber wenn man in unsere Zeit rein schaut: Die Volksparteien stehen bald ohne Volk da. Die Parteibindungen lösen sich immer weiter auf. Die Gesellschaft wird zu einer individualisierten Gesellschaft, die sich politisch ganz anders integriert als über Parteien, nämlich viel anarchischer, viel dezentralisierter über das Internet, diese politischen Ideen dann auch in die Mitte der Gesellschaft rein bringt, denke ich, dass letztlich ein Organisationsverbot nicht das richtige Mittel ist mehr heute, um quasi gefährlichen politischen Ideen vorbeugen zu können."
Würden rechtspopulistische Bewegungen wie "Pegida" oder die Partei "Alternative für Deutschland", AfD, mehr Zulauf bekommen, wenn die NPD verboten würde? Das könnte ein unerwünschter Nebeneffekt eines Parteiverbots sein. Dieter Grimm:
"Damit ist zu rechnen. Deswegen ist es auch immer eine Frage des politischen Kalküls für die Antragsteller: Wollen sie diese Gefahr auf sich nehmen? Welche Gefahr scheint ihnen größer? Ist die Gefahr größer, dass die NPD als Partei weiter existiert oder ist die Gefahr größer, dass sie aus dem Untergrund operiert oder dass andere Parteien größer werden?"
Wie wichtig ist die Möglichkeit eines Parteienverbots für den Schutz der Demokratie?
Wie wichtig ist die Möglichkeit eines Parteienverbots für den Schutz der Demokratie?
Dominik Rigoll ist grundsätzlich gegen ein Parteiverbot.
"Weil ein Verbot wirklich ein großer Eingriff in die parlamentarische Demokratie ist und weil ich den Tenor der Verfassungsgerichtsurteile der 50er-Jahre in dieser Hinsicht sehr mag, die den Regierungen den Auftrag geben, bitte wägt ganz genau ab, ob dieses Verbot wirklich gerechtfertigt ist, weil wir eine Gefahr für die Demokratie haben oder für die freiheitlich-demokratische Grundordnung haben."
Andererseits, meint der Zeithistoriker, hänge es ganz stark davon ab, wie "freiheitlich-demokratische Grundordnung" definiert wird.
"Wenn wir freiheitlich-demokratische Grundordnung nur dadurch definieren, dass wir sagen, wir wollen den Staatsapparat schützen oder die Institutionen oder so, dann würde ich sagen, dann müssen wir vielleicht die NPD gar nicht verbieten. Aber wenn wir verhindern wollen, dass sich der öffentliche Diskurs immer weiter radikalisiert, wenn wir verhindern wollen, dass immer mehr an Hass gegen Leute mit Migrationshintergrund, gegen Juden, gegen Obdachlose, gegen Liberale, Demokraten, you-name-it, dass solche Parolen weiter in der Luft sind und sie sind ja leider nicht nur in der Luft, sondern dienen auch Leuten, die Gewalt tatsächlich anwenden, die morden, die Häuser anstecken, die andere Menschen bedrohen als Legitimierung, als Selbstvergewisserung, es liegt doch in der Luft. Wenn man sagt, Verfassungsschutz bedeutet auch, zum Beispiel Menschen mit Migrationshintergrund davor zu schützen, von Nazis angegriffen zu werden, dann bin ich vielleicht dann doch etwas positiver dem Verbot gegenüber eingestellt."
Die Ambivalenz, die Dominik Rigoll hier ausdrückt, kennt auch der Verfassungsrechtler Franz C. Mayer.
"Es ist, glaube ich, in jeder Hinsicht ein Ausweis von Stärke einer Demokratie, dass eine Demokratie offen sagt, keine Freiheit für die Feinde der Freiheit. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch ein Ausweis von Stärke, wenn man als Demokratie davon ausgeht, dass man es nicht nötig hat, solche extremistischen Kräfte zu verbieten. Es sind letztlich doch faktische Fragen, faktisch-politische Fragen, auf die es ankommt."
Hätte die Weimarer Republik durch ein wirksames Verbot der NSDAP überlebt? Hätte die SRP die frühe Bundesrepublik ernsthaft in Gefahr gebracht? Die Geschichte liefert nur Anschauungsmaterial, aber keine Antworten auf solche Fragen. Daher wird es auch bei der Entscheidung der Verfassungsrichter in Karlsruhe die Ambivalenz geben, die Franz C. Mayer konstatiert:
"Es liegt ja in einer gewissen deutschen bundesrepublikanischen Tradition, dass man solche Fragen, bei denen man vielleicht auch dann als Demokrat letztlich ein Stück weit unauflösbar ambivalent bleibt, politische Fragen eben dann einfach durch das Verfassungsgericht entscheiden lässt, dazu hält man sich das Verfassungsgericht. Und man wird sehen, ob die Entscheidung, die dort produziert wird, eine echte Entscheidung ist oder letztlich auch nur die Entscheidung, nicht zu entscheiden."