Staatsrechtler: Wulffs Rücktritt ist unvermeidlich
Christian Wulffs Autorität sei in einer Weise beschädigt, dass keine andere Alternative als der Rücktritt mehr bleibe, betont Staatsrechtler Christoph Degenhart vor dem Hintergrund des sich abzeichnenden Immunitätsaufhebungsverfahrens gegen den Bundespräsidenten.
André Hatting: Die Staatsanwaltschaft Hannover will es jetzt ganz genau wissen. Sie hat beantragt, die Immunität des Bundespräsidenten aufzuheben, nur dann kann sie gegen Christian Wulff strafrechtlich ermitteln wie gegen jeden anderen Normalbürger auch. Diese Entscheidung ist einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik und sie wird nicht ohne Folgen bleiben, selbst wenn sich herausstellt, dass Christian Wulff unschuldig sein sollte. Am Telefon ist jetzt Christoph Degenhart, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Leipzig. Guten Morgen, Herr Degenhart!
Christoph Degenhart: Guten Morgen!
Hatting: Vorteilsannahme im Amt, so lautet der Verdacht. Warum hat denn die Staatsanwaltschaft Hannover erst jetzt diesen Verdacht ausgesprochen?
Degenhart: Nun, ich denke, sie hat sehr sorgfältig und deshalb auch etwas länger ermittelt, was in so einem Fall ja auch geboten ist. Und ich denke auch, dass ausschlaggebend war, wie ja auch in der Pressemitteilung verlautet wurde, aktuelle Medienberichte, also die Angelegenheit mit dem Urlaub auf Sylt und der Bürgschaft für diesen Herrn Groenewold oder wie er hieß. Ich denke, dass das letztlich die ausschlaggebenden Punkte waren, weil es hier doch zu offensichtlich war, der Zusammenhang.
Hatting: Aber der Urlaub mit dem Filmproduzenten Groenewold und auch diese Bürgschaft, das sind ja alles keine neuen Fakten.
Degenhart: Ich denke, das ist erst wohl kurzfristig aufgetaucht, das stand nicht von Anfang an zur Debatte. Und daraufhin musste doch etwas näher ermittelt werden.
Hatting: Jetzt muss der Bundestag darüber entscheiden, ob er die Immunität des Bundespräsidenten aufhebt. Die Mehrheit gilt als sicher, es reicht eine einfache Mehrheit. Was darf die Staatsanwaltschaft dann, was sie jetzt noch nicht darf?
Degenhart: Sie darf normal ermitteln, sie darf ihn vernehmen beispielsweise als Beschuldigten. Sie darf beispielsweise Dokumente anfordern, sie darf erforderlichenfalls Zeugen befragen und auch Unterlagen beschlagnahmen, selbst Durchsuchungen vornehmen.
Hatting: Es gilt wie bei jedem anderen auch natürlich die Unschuldsvermutung.
Mal angenommen, es erweist sich, dass Christian Wulff tatsächlich sich der Korruption schuldig gemacht hat, darf er dann juristisch nicht mehr Bundespräsident sein?
Degenhart: Korruption, es ist jetzt Vorteilannahme, aber juristisch sieht das Grundgesetz und sehen die einschlägigen Normen hierfür keinerlei Regelungen vor. Schlicht deshalb, weil man das für nicht vorstellbar hielt. Aber wenn Sie jetzt rein nach dem Grundgesetz gehen: Die einzige Möglichkeit, den Bundespräsidenten aus seinem Amt zu drängen, ist die Präsidentenanklage, die aber hier wiederum nicht eröffnet ist, weil sie voraussetzt eine Pflichtverletzung in Bezug auf sein Präsidentenamt.
Hatting: Das ist ja nicht der Fall, denn alle Vorwürfe beziehen sich ja auf seine Zeit als Ministerpräsident in Niedersachsen. Das bedeutet also, selbst ein verurteilter Bundespräsident dürfte Bundespräsident bleiben?
Degenhart: Ich sehe hier momentan keine andere Möglichkeit, das ist richtig. Aber ich denke, politisch ist er dann nicht haltbar.
Hatting: Es ist ja so und wir haben das gerade auch wieder festgestellt, dass der Bundespräsident in Deutschland fast sakrosankt ist. Er kann nicht abgewählt werden, auch Verfahren gegen ihn sind schwierig. Es gibt den Vorwurf, Christian Wulff würde das ausnutzen, indem er die Affäre aussitzt. Finden Sie, dass man das Grundgesetz dahingehend ändern müsste, um eben auch Maßnahmen gegen einen Bundespräsidenten leichter machen zu können?
Degenhart: Ich bin nicht dafür, bei jedem Anlass gleich das Grundgesetz zu ändern. Und ich hoffe, dass diese Affäre einmalig bleibt.
Hatting: Sie sagen, bei jedem Anlass. Aber das ist ja schon ein schwerwiegender Anlass.
Degenhart: Das ist ein schwerwiegender Anlass, aber wie gesagt, ich hoffe, dass diese Affäre wirklich einmalig bleibt.
Hatting: Von Ernst Mahrenholz, Verfassungsrechtler a. D., haben wir bei uns im Programm gehört, dass das Wahlverfahren für den Bundespräsidenten geändert werden solle. Er hat gefordert, dass in Zukunft die Bevölkerung den Bundespräsidenten wählen solle. Wie finden Sie die Idee?
Degenhart: Dieser Vorschlag wurde schon öfters gebracht. Ich halte ihn prinzipiell für gut. Auf der anderen Seite müsste dann meines Erachtens die Stellung des Bundespräsidenten insgesamt verändert werden. Also, ein Bundespräsident, der direkt vom Volk gewählt wird, dann aber beschränkt ist auf die mehr oder weniger repräsentativen Funktionen, die jetzt der Bundespräsident hat, das passt irgendwie nicht zusammen. Und in Staaten, in denen der Präsident, Demokratien, in denen der Präsident direkt gewählt wird, hat der Präsident auch eine größere juristische Machtfülle als nach dem Grundgesetz.
Hatting: Wie zum Beispiel in Frankreich, würde Ihnen so was vorschweben, fänden Sie das gut?
Degenhart: Ein Umbau zu einer Präsidialdemokratie im französischen Sinne ist bei uns nicht möglich und hat auch anderweitig Nachteile. Aber zumindest sollte seine Stellung wesentlich stärker ausgebaut werden.
Hatting: Apropos Stellung: Kein Amt in Deutschland, kein politisches Amt in Deutschland ist so sehr mit der Person verknüpft wie die des Bundespräsidenten, eben weil er politisch kaum Funktionen hat, er ist vor allem Repräsentant. Viele sagen jetzt, dass die ganze Affäre um Christian Wulff auch das Amt des Bundespräsidenten in Deutschland beschädigt habe. Sehen Sie das auch so?
Degenhart: Ich sehe das auch so. Und ich möchte das mit den nur repräsentativen Funktionen und der fehlenden politischen Einflussnahme so nicht unterschreiben. Wir werden in nächster Zeit eine Reihe von hoch umstrittenen, auch in der Bevölkerung sehr kontroversen Gesetzesvorhaben bekommen, im Zusammenhang vor allem mit der Europäischen Union, mit der Euro-Rettung und in diesem Zusammenhang. Hier hat der Bundespräsident die Aufgabe, zu prüfen, ob die Gesetze verfassungskonform sind oder ob sie beispielsweise in einem fragwürdigen Eilverfahren durch den Bundestag geschleust wurden. Und ein Bundespräsident, der politisch angeschlagen ist und dessen Amt beschädigt ist, der wird hier nicht das persönliche Standing, die Unabhängigkeit aufbringen, hier eine unabhängige, verfassungskonforme Entscheidung zu treffen. Deshalb sollte man also auch diese Aufgaben des Bundespräsidenten keineswegs für zu gering erachten. Und es liegt derzeit ein Antrag, ein Schreiben des Bundestagsabgeordneten Gauweiler an den Bundespräsidenten vor, in dem er aufgefordert wird, das aktuelle Gesetz zur Verstärkung des Rettungsfonds nicht zu unterschreiben wegen schwerwiegender verfassungsrechtlicher Bedenken. Ein Bundespräsident, der abhängig ist vom Wohlwollen der politischen Mehrheit, wie soll der hier das Stehvermögen aufbringen, sich hier dem politischen Druck zu widersetzen?
Hatting: Sollte er, sollte Christian Wulff zurücktreten, und zwar, egal, wie das Verfahren gegen ihn ausgeht?
Degenhart: Wenn Sie mich so fragen: Ich glaube, dass sein Amt in der Tat und seine persönliche Autorität in einer Weise beschädigt ist, dass keine andere Alternative mehr verbleibt.
Hatting: Christoph Degenhart, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht in Leipzig an der dortigen Universität war das. Herr Degenhart, ich bedanke mich für das Gespräch!
Degenhart: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Links bei dradio.de:
Staatsanwaltschaft beantragt Aufhebung von Wulffs Immunität -
Anfangsverdacht wegen Vorteilsannahme und -gewährung
Andrea Nahles (SPD): Weiteres Verbleiben Wulffs im Amt undenkbar
SPD-Generalsekretärin fordert schnelle Suche nach möglichem Kandidaten
"Das Amt ist vom Bundespräsidenten selbst schon zurückgetreten"
Ex-Verfassungsrichter Mahrenholz fordert neuen Wahlmodus
Oppermann: Wulff ist nicht mehr tragbar als Bundespräsident - SPD-Politiker spricht sich für einen überparteilichen Kandidaten aus
Lötzsch: Richard von Weizsäcker ist "der Maßstab für einen Bundespräsidenten" - Die Vorsitzende der Partei Die Linke über eine mögliche Wulff-Nachfolge
Goppel: Die jetzige Situation beschädigt das Amt des Bundespräsidenten - CSU-Politiker warnt aber vor einseitiger Schuldzuweisung im Fall Wulff
Christoph Degenhart: Guten Morgen!
Hatting: Vorteilsannahme im Amt, so lautet der Verdacht. Warum hat denn die Staatsanwaltschaft Hannover erst jetzt diesen Verdacht ausgesprochen?
Degenhart: Nun, ich denke, sie hat sehr sorgfältig und deshalb auch etwas länger ermittelt, was in so einem Fall ja auch geboten ist. Und ich denke auch, dass ausschlaggebend war, wie ja auch in der Pressemitteilung verlautet wurde, aktuelle Medienberichte, also die Angelegenheit mit dem Urlaub auf Sylt und der Bürgschaft für diesen Herrn Groenewold oder wie er hieß. Ich denke, dass das letztlich die ausschlaggebenden Punkte waren, weil es hier doch zu offensichtlich war, der Zusammenhang.
Hatting: Aber der Urlaub mit dem Filmproduzenten Groenewold und auch diese Bürgschaft, das sind ja alles keine neuen Fakten.
Degenhart: Ich denke, das ist erst wohl kurzfristig aufgetaucht, das stand nicht von Anfang an zur Debatte. Und daraufhin musste doch etwas näher ermittelt werden.
Hatting: Jetzt muss der Bundestag darüber entscheiden, ob er die Immunität des Bundespräsidenten aufhebt. Die Mehrheit gilt als sicher, es reicht eine einfache Mehrheit. Was darf die Staatsanwaltschaft dann, was sie jetzt noch nicht darf?
Degenhart: Sie darf normal ermitteln, sie darf ihn vernehmen beispielsweise als Beschuldigten. Sie darf beispielsweise Dokumente anfordern, sie darf erforderlichenfalls Zeugen befragen und auch Unterlagen beschlagnahmen, selbst Durchsuchungen vornehmen.
Hatting: Es gilt wie bei jedem anderen auch natürlich die Unschuldsvermutung.
Mal angenommen, es erweist sich, dass Christian Wulff tatsächlich sich der Korruption schuldig gemacht hat, darf er dann juristisch nicht mehr Bundespräsident sein?
Degenhart: Korruption, es ist jetzt Vorteilannahme, aber juristisch sieht das Grundgesetz und sehen die einschlägigen Normen hierfür keinerlei Regelungen vor. Schlicht deshalb, weil man das für nicht vorstellbar hielt. Aber wenn Sie jetzt rein nach dem Grundgesetz gehen: Die einzige Möglichkeit, den Bundespräsidenten aus seinem Amt zu drängen, ist die Präsidentenanklage, die aber hier wiederum nicht eröffnet ist, weil sie voraussetzt eine Pflichtverletzung in Bezug auf sein Präsidentenamt.
Hatting: Das ist ja nicht der Fall, denn alle Vorwürfe beziehen sich ja auf seine Zeit als Ministerpräsident in Niedersachsen. Das bedeutet also, selbst ein verurteilter Bundespräsident dürfte Bundespräsident bleiben?
Degenhart: Ich sehe hier momentan keine andere Möglichkeit, das ist richtig. Aber ich denke, politisch ist er dann nicht haltbar.
Hatting: Es ist ja so und wir haben das gerade auch wieder festgestellt, dass der Bundespräsident in Deutschland fast sakrosankt ist. Er kann nicht abgewählt werden, auch Verfahren gegen ihn sind schwierig. Es gibt den Vorwurf, Christian Wulff würde das ausnutzen, indem er die Affäre aussitzt. Finden Sie, dass man das Grundgesetz dahingehend ändern müsste, um eben auch Maßnahmen gegen einen Bundespräsidenten leichter machen zu können?
Degenhart: Ich bin nicht dafür, bei jedem Anlass gleich das Grundgesetz zu ändern. Und ich hoffe, dass diese Affäre einmalig bleibt.
Hatting: Sie sagen, bei jedem Anlass. Aber das ist ja schon ein schwerwiegender Anlass.
Degenhart: Das ist ein schwerwiegender Anlass, aber wie gesagt, ich hoffe, dass diese Affäre wirklich einmalig bleibt.
Hatting: Von Ernst Mahrenholz, Verfassungsrechtler a. D., haben wir bei uns im Programm gehört, dass das Wahlverfahren für den Bundespräsidenten geändert werden solle. Er hat gefordert, dass in Zukunft die Bevölkerung den Bundespräsidenten wählen solle. Wie finden Sie die Idee?
Degenhart: Dieser Vorschlag wurde schon öfters gebracht. Ich halte ihn prinzipiell für gut. Auf der anderen Seite müsste dann meines Erachtens die Stellung des Bundespräsidenten insgesamt verändert werden. Also, ein Bundespräsident, der direkt vom Volk gewählt wird, dann aber beschränkt ist auf die mehr oder weniger repräsentativen Funktionen, die jetzt der Bundespräsident hat, das passt irgendwie nicht zusammen. Und in Staaten, in denen der Präsident, Demokratien, in denen der Präsident direkt gewählt wird, hat der Präsident auch eine größere juristische Machtfülle als nach dem Grundgesetz.
Hatting: Wie zum Beispiel in Frankreich, würde Ihnen so was vorschweben, fänden Sie das gut?
Degenhart: Ein Umbau zu einer Präsidialdemokratie im französischen Sinne ist bei uns nicht möglich und hat auch anderweitig Nachteile. Aber zumindest sollte seine Stellung wesentlich stärker ausgebaut werden.
Hatting: Apropos Stellung: Kein Amt in Deutschland, kein politisches Amt in Deutschland ist so sehr mit der Person verknüpft wie die des Bundespräsidenten, eben weil er politisch kaum Funktionen hat, er ist vor allem Repräsentant. Viele sagen jetzt, dass die ganze Affäre um Christian Wulff auch das Amt des Bundespräsidenten in Deutschland beschädigt habe. Sehen Sie das auch so?
Degenhart: Ich sehe das auch so. Und ich möchte das mit den nur repräsentativen Funktionen und der fehlenden politischen Einflussnahme so nicht unterschreiben. Wir werden in nächster Zeit eine Reihe von hoch umstrittenen, auch in der Bevölkerung sehr kontroversen Gesetzesvorhaben bekommen, im Zusammenhang vor allem mit der Europäischen Union, mit der Euro-Rettung und in diesem Zusammenhang. Hier hat der Bundespräsident die Aufgabe, zu prüfen, ob die Gesetze verfassungskonform sind oder ob sie beispielsweise in einem fragwürdigen Eilverfahren durch den Bundestag geschleust wurden. Und ein Bundespräsident, der politisch angeschlagen ist und dessen Amt beschädigt ist, der wird hier nicht das persönliche Standing, die Unabhängigkeit aufbringen, hier eine unabhängige, verfassungskonforme Entscheidung zu treffen. Deshalb sollte man also auch diese Aufgaben des Bundespräsidenten keineswegs für zu gering erachten. Und es liegt derzeit ein Antrag, ein Schreiben des Bundestagsabgeordneten Gauweiler an den Bundespräsidenten vor, in dem er aufgefordert wird, das aktuelle Gesetz zur Verstärkung des Rettungsfonds nicht zu unterschreiben wegen schwerwiegender verfassungsrechtlicher Bedenken. Ein Bundespräsident, der abhängig ist vom Wohlwollen der politischen Mehrheit, wie soll der hier das Stehvermögen aufbringen, sich hier dem politischen Druck zu widersetzen?
Hatting: Sollte er, sollte Christian Wulff zurücktreten, und zwar, egal, wie das Verfahren gegen ihn ausgeht?
Degenhart: Wenn Sie mich so fragen: Ich glaube, dass sein Amt in der Tat und seine persönliche Autorität in einer Weise beschädigt ist, dass keine andere Alternative mehr verbleibt.
Hatting: Christoph Degenhart, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht in Leipzig an der dortigen Universität war das. Herr Degenhart, ich bedanke mich für das Gespräch!
Degenhart: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Links bei dradio.de:
Staatsanwaltschaft beantragt Aufhebung von Wulffs Immunität -
Anfangsverdacht wegen Vorteilsannahme und -gewährung
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Goppel: Die jetzige Situation beschädigt das Amt des Bundespräsidenten - CSU-Politiker warnt aber vor einseitiger Schuldzuweisung im Fall Wulff