"Staatssicherheitstheater"

Ein Ventil für Gegenwartsekel

Drei Männer lesen einen Stadtplan Berlin, den sie auf den Rücken eines vierten Mannes gelegt haben, der vor ihnen sitzt.
Hätte besser in die Neunzigerjahre gepasst: Haußmanns Stück "Staatssicherheitstheater" © Harald Hauswald/Volksbühne Berlin
Von Matthias Dell · 14.12.2018
In Leander Haußmanns "Staatssicherheitstheater" sieht unser Kritiker viele Männer mit Handtäschchen in krustigen Klamotten. Deren Stasi-Tätigkeit taugt Haußmann, um Abscheu über die Gegenwart auszudrücken. Doch mit dem Jahr 2018 hat das wenig zu tun.
Frank Castorf kehrte am Freitagabend in seine alte Wirkungsstätte zurück – als Gast bei der Premiere von Leander Haußmanns "Staatssicherheitstheater". Eine der wenigen Premieren, mit denen Klaus Dörr, der Interimsintendant der Berliner Volksbühne, Programm machen kann neben Gastspielen.

Männer mit Handtäschchen in krustigen Klamotten

Völlig exklusiv ist Haußmanns Stoff auch nicht, weil später noch ein Film daraus werden soll, mit denen der Regisseur sich nach "Sonnenallee" (1999) und "NVA" (2005) zum dritten Mal mit DDR-Geschichte befasst. Ludger Fuchs (Horst Kotterba) holt widerwillig seine Stasi-Akte ab, durch ihn, im Gespräch mit Gattin Ramona (Silvia Rieger) die Vergangenheit die Gegenwart vermiest, weil sich darin frühe Liebesbriefe an eine andere finden. Für die Geschichte ist der Blick zurück vor allem aber Anlass, in die Bohème des Prenzlauer Berg der Achtzigerjahre zurückzukehren, wo der junge Ludger (Matthias Mosbach) sich in die junge Ramona (Antonia Bill) verliebt. Der Abend terminiert als romantische Liebesgeschichte.
Vor allem weiß er aber nicht, was er mit dem Stasi-Ding anfangen will fürs Heute. Es gibt sehr viele Männer mit Handtäschchen und in krustigen Klamotten, die ein paar lustige Nummern hinlegen (Uwe Dag Berlin, Norbert Stöß). Eine tolle Bühne (Lothar Holler), die zu Beginn überraschend ins leere Bühnenrund hineingeragt wird: Bühnenarbeiter rollen zwei Dachgeschossteile an die Rampe und da fährt aus dem Unterboden ein dazugehöriges schön abgeranztes dreigeschossiges Haus hervor mit Kneipe, Wohnung, Stasi-Pausenraum und Ministerbüro (auch ganz lustig: Waldemar Kobus, der Mielke Kurt-Krömer-haft privatisiert).

Stasi-Überwachung als Ventil für Gegenwartsekel

Die Stasi-Überwachung dient für Haußmanns Geschichte als eine Art Erinnerungsprotokoll, in der die Ausgehorte des alten Ost-Berlin rekonstruiert werden können (am Ende wird eine der Kneipen nachgebaut auf die Bühne geschoben). Und als Ventil für Gegenwartsekel, den Uwe Dag Berlin zu Beginn in einem Monolog als schlechtes Kabarett performt.
Der Abend fühlt sich alt an – als etwas, das in den Neunzigerjahren seine Zeit gehabt hätte. Wenn es in der Post-Dercon-Zeit um die Ausräucherung und Wieder-Inbesitznahme der Volksbühne durch eine spezifische Ost-Erzählung geht, dann muss man an die CDU denken, der durch die Nichtwahl von Friedrich Merz die Reise zurück ins Museum von vor 20 Jahren erspart geblieben ist.

Ein Stück fern der Gegenwart

Am Ende erschlafft "Staatssicherheitstheater" vollends in Sentimentalität, wenn Haußmann am Kneipentresen auf der Bühne steht und mit ihm der Fotograf Harald Hauswand, dessen DDR-Schwarzweiß-Bilder die ganze Zeit über immer mal wieder auf die beiden Leinwände an den Seitenwände des Saals projiziert worden waren, inszenatorisch widersprüchlich wie Dokumente aus der DDR-Ausstellung des Deutschen Historischen Museums.
Haußmann schaut dann auf einen Auftritt Alexanders Scheers, der in "Sonnenallee" die Hauptrolle spielte des Micha Ehrenreich und sich nun Michaela nennt, aber immer noch von Detlev Buck als ABV (ebenfalls aus "Sonnenallee") nach seinem Ausweis gefragt wird. "Sonnenallee" war ein wichtiger Film über die Frage, wie man DDR-Vergangenheit erzählt. Dass Haußmann seinen eigenen Hit noch einmal aufruft, zeigt, wie fern "Staatssicherheitstheater" von der Gegenwart des Jahres 2018 entfernt ist.
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