Staatstheater Ayse X in München

Schon in der Zukunft angekommen

05:14 Minuten
Das Titelbild der Veranstaltung ist eine figürliche, líegende Darstellung ohne Augen und spitzem Mund.
Das Ayşe X-Staatstheater: Diversität wird hier nicht mehr verhandelt, sondern ist schon fest etabliert. © Mehmet und Kazim
Von Tobias Krone |
Audio herunterladen
Es geht auch anders, haben sich die Macher des Staatstheaters Ayse X gedacht. Sie wollen die Theaterlandschaft radikal demokratisieren. Gestartet wird das Projekt nun in München im Theater Hoch X.
Eine Gruppe Darsteller in Jogginghosen und Turnschuhen drängt aus einer Ecke in den Probenraum hinein – den abwertenden Blick auf einen Mann gerichtet, der in der Mitte sitzt. Ein trüber Novembernachmittag in der Münchner Isarvorstadt. Das Staatstheater Ayse X probt mit einer Handvoll Darstellern die Eröffnungsinszenierung mit dem Titel "Nur ihr wisst, ob wir es geschafft haben werden!" – geschrieben vom Münchner Autor und Regisseur Emre Akal.
"Es geht um die Frage nach einer Gesellschaft in der Zukunft, die konfrontiert wird mit Objekten, Ideologien und menschlichen Eigenarten unserer Gegenwart und der Frage danach, wie sie damit umgeht und was es auslöst in dieser Gesellschaft, die am Anfang des Stücks alles Wissen über unsere Zeit heute verloren hat."

Basisdemokratie als Ziel

In der Raucherpause verrät Akal das eher abstrakte Prinzip hinter dem Stück, das sich die Gruppe selbst bei den Proben erst einmal veranschaulichen muss. Das Staatstheater Ayse X will basisdemokratisch arbeiten – ohne Intendant und Hierarchien. Die Bezeichnung Staatstheater soll bewusst irritieren, sagt die Mitgründerin und Theaterjournalistin Antigone Akgün:
"Weil wir an dieser Institution, die eine monarchische wie auch vom Nationalsozialismus sehr ambivalent geprägte Vergangenheit hatte, rütteln wollten und uns fragen wollten, wie kann man eine Institution, die in sich so geschlossen ist, so umbauen, dass sie ein Ort für die Stadtgesellschaft, aber auch ein Ort für die Kunst in Mitverantwortlichkeit werden kann."

Modell für Mitbestimmung

Wie genau das ablaufen soll – das wollen die Gründerinnen von Ayse X in Workshops und auf Diskussionsveranstaltungen im Münchner Hoch X-Theater erörtern. Naiv gehen sie nicht an die Sache heran. So wird etwa die ehemalige Vizedirektorin des Schauspiel Frankfurt, Eos Schopohl, die Erfahrungen des dortigen Mitbestimmungsmodells in den 70er-Jahren referieren – auch die Fehler, die gemacht wurden. Der Name Ayse X geht auf Ayse Cetin zurück, wie Akal berichtet:
"Eine Filmschauspielerin aus München, die mit zwölf Jahren nach Deutschland gekommen ist und in vielen Filmen mitgespielt hat. Unter anderem bei Michael Ende ‚Die unendliche Geschichte‘. Sie hat irgendwann aufgehört – sogar gebrochen mit der Schauspielerei, weil sie immer in stereotype Rollen gesteckt wurde. Sie hat sich dann in der Stadtgesellschaft eingesetzt für Frauenrechte, für LGBT+-Rechte und hat ganz große Dienste in der Stadtgesellschaft geleistet."

Der Gegenwart voraus

Viel mehr als mit dieser Ehrung möchte das Staatstheater aber gar nicht über Vielfalt im Theater sprechen, erklärt Akgün:
"Wir sind als Staatstheater der Zukunft der Gegenwart einen Schritt voraus. Das heißt, wir denken Diversität als bereits etabliert, es wird bei uns nicht verhandelt in dem Sinne, dass man darauf zeigt: Wir haben auch Leute mit anderen Hintergründen. Sondern das wird als bereits etabliert und als Normalität betrachtet."
Diese Vielfalt kann man sprachlich bei der Probe erleben – das deutsch-türkische Ensemble bespricht den symbolischen Bau einer Mauer auf der Bühne.

Heteropie als Alternativraum

Man wolle keine Utopie sein, sondern Heterotopie, also ein Alternativraum in der Gegenwart. Der soll nicht nur in München entstehen. In immer wieder neue Orte möchte sich Ayse X einquartieren, um zusammen mit der lokalen Bevölkerung das Theater neu zu gestalten.
Der Gruppe geht es um stetige Wandlung – und um ein Ende der Selbstausbeutung. Mit einem staatstheaterhaften Budget würde Ayse X anders umgehen, ist sich Akgün sicher:
"Bei uns verdienen alle gut. Weil sie sich alle einigen sollten, was sie verdienen wollen und warum. Und bei uns kann man Großes realisieren mit Bühnentechnik, muss es aber nicht. Weil manchmal der Schein des Großen doch vor dem Inhalt steht und es vielleicht an der Zeit ist, das anders zu denken."

Die erste Runde des Staatstheaters Ayse X findet von kommenden Donnerstag bis zum Sonntag im Theater Hoch X München statt. Alle Diskussionen sind frei und ohne Anmeldung.

Mehr zum Thema