"odysseus.Live“ am Staatstheater Nürnberg
Am Staatstheater Nürnberg feiert die Regisseurin Cosmea Spelleken mit ihrer neuen Produktion, „Odysseus.Live“ bald Premiere. © picture alliance / imageBROKER / Norbert Probst
Hybride Theater-Talkshow
06:02 Minuten
Das Staatstheater Nürnberg wird während der Inszenierung "odysseus.live“ zum Fernsehstudio, die Zuschauerinnen und Zuschauer zum Talkshow-Publikum - entweder Vorort oder im Internet. Die Regisseurin Cosmea Spelleken steckt noch in letzten Proben.
Während der Corona-Lockdowns gingen die Theater mit großem Aufwand auf Sendung: Streams und Digitaltheater, zum Schauen und zum Mitmachen. Das Digitale war der Rettungsanker in einer ansonsten theaterlosen Zeit. Mindestens einen echten Hit hat das Online-Theater tatsächlich hervorgebracht: „werther.live“ der Regisseurin Cosmea Spelleken.
Die Inszenierung war ein Home-Office- und Multi-Screen-Theater über jugendliche Liebe sehr frei nach Goethe, das Tausende Menschen im Stream verfolgten. Am Staatstheater Nürnberg arbeitet Spelleken jetzt für ihre neue Produktion, „odysseus.Live“ erstmals auch auf der analogen Bühne und für ein Publikum im Saal. Dem Digitalen bleibt sie aber trotzdem treu.
Odysseus nach seiner Irrfahrt
Odysseus, der Held der Odyssee, ist wieder da, nach zehn Jahren Irrfahrt. Die Regisseurin Cosmea Spelleken holt ihn auf die Bühne und vor die Kamera. Odysseus der Listenreiche, der Abenteurer, der Held. Warum ausgerechnet ihn?
"In den Medien heute geht es immer mehr darum, schnell ein Statement zu treffen: Ja das ist ein Held, das ist kein Held", sagt Spelleken während einer Probenpause. Für sie ist Odysseus ein sehr heutiger Held, weil er extrem ambivalent sei. Er lasse sich nicht in irgendwelche Kategorien von gut oder böse, richtig oder falsch einordnen.
Die hybride Fassung des Homer-Epos „odysseus.Live“ ist eine Koproduktion mit dem Bayerischen Rundfunk und wird zur Premiere am Donnerstag 29. September zeitgleich in den Kammerspielen des Staatstheaters Nürnberg und im Internet zu sehen sein. Die Zuschauerinnen und Zuschauer sind als Talkshowpublikum entweder im in den Kammerspielen eingerichteten Studio oder vor dem heimischen Endgerät Teil der fiktiven Welt. Sie können live Fragen an die Figuren stellen und ihnen in der Pause persönlich begegnen. Auf Instagram kann man „Studio Ithaka“ (@studio.ithaka) und Königssohn Telemachos (@telemachos_official) folgen und mit ihnen interagieren.
Spelleken erzählt die Geschichte ihres Antihelden als Talkshow. Er ist darin so zerrissen wie die großen Romanhelden der Moderne von Alfred Döblins Franz Biberkopf im Roman "Berlin Alexanderplatz" oder Werner Herzogs Fitzcarraldo im gleichnamigen FIlm. In der Welt von Twitter und Instagram mit ihrer schnelllebigen Beurteilungs- und Verurteilungskultur würde Odysseus heute keinen Shitstorm überstehen.
Amadeus Köhli gibt den plappernden und sich gelegentlich verplappernden Talkmaster zwischen TV-Sendungen wie „Vera am Mittag“ und „Markus Lanz“. Und die Frage nach der Reisedauer ist erst der Anfang, verspricht Spelleken: "Es gibt aber ein klares Gerüst und am Ende gibt es auch eine Eskalation, es muss einen narrativen Bogen haben."
Doppeltes Erleben
Auch bei „odysseus.Live“ wird das Publikum wie bei einer richtigen Talkshow den Geständnissen des Odysseus-Clans vor Ort im Theater und online im Livestream am Computerbildschirm beiwohnen – und zwei ganz unterschiedliche Shows erleben: "Wenn ich im Theater sitze, bin ich Teil der Show und trage zur Entwicklung des Stückes bei", sagt die Regisseurin.
"Außerdem kann ich mich vor Ort freier entscheiden: Wen beobachte ich gerade. Zu Hause, wenn man das am Bildschirm verfolgt, wie man das bei einer Talkshow gängigerweise macht – sieht man das, was die Talkshow einem zeigen möchte – man kann sich damit auseinandersetzen – ist das jetzt das, was die Person wirklich fühlt oder ist das inszeniert durch die Blickführung."
Die Talkshow inszeniert Realität als Wortgefecht, als entlarvendes Bekenntnis – genauso wie das Theater und die Liveübertragung – und wenn die Schauspielerinnen und Schauspieler auf der Bühne in Nürnberg und vor der Kamera gut sind, entlarven sie die Wirklichkeit, die Talkshows behaupten, als großes Spiel.