In unserer Sommerreihe "Stadt Land Karte" widmen wir uns der Bedeutung der Kartographie heutzutage.
Loblied auf den Stadtplan
Von wegen veraltet: Unser Autor liebt und sammelt Stadtpläne und will die Vorurteile vertreiben. Nach Lust und Laune greift er in seine Schatzkiste und eignet sich unnützes Wissen an über Orte, die er nie besucht hat. Das findet er entspannend.
Sammler sind glückliche Menschen, behauptete Goethe und ich als bekennender Stadtplansammler weiß: der Mann hatte recht. Meine Familie belächelt mich, lässt mich aber gewähren.
Stadtpläne brauchen nicht viel Platz und überdies gehe ich meiner Sammlerlust zwar mit Sorgfalt nach, aber lasse doch die wahre Leidenschaft lieber schlummern: sie könnte mich finanziell ruinieren.
Meine Sammlung ist mit rund 100 Stadtplänen eher von bescheidenem Umfang, sie gehorcht auch keinerlei Ordnung: eine große Kiste, in der die Schätze liegen, je nach Tageszeit und Stimmung greife ich hinein und finde etwa – Anchorage. Waren Sie je in Anchorage? Ich auch nicht, aber ich weiß jetzt, wie man vom Anchorage Memorial Park Cemetery – ich liebe auch Friedhöfe - über die Eagle Street und die 10th Avenue zum Mahnmal für die Veteranen und von dort zum Captain Cook Monument kommt: nämlich weiter über die I-Street bis zur West 3rd Avenue, würde ich mich rechts halten, käme ich zum Alaska Railroad Depot und zur Salmon Viewing Platform, dorthin aber will ich ja nicht: ich halte mich also links und stehe vor Captain Cook, den ich sehr verehre. Ich ahne, was Sie jetzt denken: was soll das? Wozu will da einer wissen, wie man in Anchorage vom Memorial Park Cemetery zum Captain Cook Monument kommt? Und sehen Sie: genau das ist es. Ich will es gar nicht wissen, ich hätte genauso gut über den Western Drive beim Hafen landen können - ich gehe mit den Augen spazieren, erfahre, dass man in Anchorage die Straßen auch nach dem Alphabet sortiert, A-Street, B-Street, C-Street usw. – auch dies völlig überflüssiges Wissen, aber gerade darum so unglaublich entspannend.
Viele Vorurteile gegenüber dem Stadtplan
War dieser erste Teil meines Lobliedes auf den Stadtplan eher den träumerischen Aspekten des Metiers gewidmet, soll es nun mehr um die Praxis gehen. Welche Vorurteile es gegenüber dem Stadtplan in der Öffentlichkeit gibt, erfährt sehr gut, wer sich zum Beispiel im Frühstücksraum eines deutschen Hotels umhört.
"Mein Fall ist es nicht! Ich finds natürlich auch unpraktisch, diese Pläne, die man immer so auffalten musste. Das ist auch beim Autofahren, wenn man alleine fährt, nicht so kompatibel… ne grosse Karte so während der Fahrt zu falten."
Eine junge Dame, gefragt, was sie in fremder Stadt zur Orientierung braucht: "Navi, definitiv. Ich glaube, ich habe noch nie in einen Stadtplan reingeschaut! Wirklich nicht!"
Auch die älteren Herrschaften, die ich anspreche, benutzen praktisch keine Stadtpläne mehr.
"Nee, nee, nee… die Stadtpläne, die ich habe, die sind so veraltet, dass selbst die Namen nicht mehr stimmen."
Obwohl derselbe Herr die beeindruckende Geschichte eines Freundes zu erzählen hat:
"Der hatte zu DDR-Zeiten einen Stadtplan von New York bekommen und zwar zu Weihnachten. Und war darüber so glücklich, dass er ihn binnen kurzer Zeit fast auswendig gelernt hatte. Er kannte New York von dem Stadtplan her besser als manche, die aus westlichen Gegenden dorthin gereist sind. Und nach der Wende ist er nach New York, das war eines der ersten Ziele, das er ansteuerte und hat sein Wissen und seine Euphorie dort richtig ausgelebt."
New York liegt natürlich auch in meiner Kiste, ein Etikettenschwindel übrigens, denn diese Pläne zeigen immer nur Manhattan. Wer aber auch Pläne der Bronx, von Brooklyn, Queens und Staten Island in seiner Kiste hat, der könnte an einem schönen, verregneten Novemberabend...
aber es sollte ja jenseits der träumerischen Aspekten des Metiers jetzt mehr um die Praxis gehen. In Stadtpläne aus Papier kann man seine Wege einzeichnen. Auf alten Plänen findet man womöglich, mit flüchtiger Hand an den Rand geschrieben, die Telefonnummer einer Zufallsbekanntschaft von unterwegs, vielleicht ruft man sie aus einer Laune heraus an, wer weiß, was sich daraus ergibt… versuchen Sie das mal mit Ihrem Navi!
aber es sollte ja jenseits der träumerischen Aspekten des Metiers jetzt mehr um die Praxis gehen. In Stadtpläne aus Papier kann man seine Wege einzeichnen. Auf alten Plänen findet man womöglich, mit flüchtiger Hand an den Rand geschrieben, die Telefonnummer einer Zufallsbekanntschaft von unterwegs, vielleicht ruft man sie aus einer Laune heraus an, wer weiß, was sich daraus ergibt… versuchen Sie das mal mit Ihrem Navi!
Ein Segen für die Orientierung
"Wenn das Navi ausfällt, sich aufhängt oder irgendwo Strassen gesperrt sind, die das Navi nicht drauf hat...dass man (auf dem Stadtplan) nachgucken kann, wo man eventuell auf anderen Wegen hinkommt, dass man das Navi dann neu justieren kann."
So wird ein Schuh daraus: vom Stadtplan ausgehend das Navi justieren.
"Als Fussgänger in fremden Städten hab ich immer einen Stadtplan dabei!"
In einer Sache sind sich alle, die ich beim Frühstück gestört habe, einig: die Stadtpläne vom Abreißblock, wie sie in Hotels ausliegen, sind ein Segen für die Orientierung in fremder Umgebung. Alte Pläne sind eine Fundgrube zur Orientierung in der Geschichte: ein Stadtplan von "Berlin – Hauptstadt der DDR" aus dem Jahr 1976, darin "Westberlin" absurderweise nur als weißer, unbewohnter Fleck angezeigt wird oder: ein Plan Londons aus Tudor-Zeiten, 1520, zur Themse hin offen, ansonsten Stadtmauer, dicht an dicht kleine Häuser, außerhalb gelegen und sehr groß: der Tower. Ein Blick und man erkennt, wie verlassen war, wer im Tower gefangen saß.
Erinnern Sie sich noch an Anchorage? An den Weg vom Memorial Park Cemetery zum Captain Cook Monument? Wenn ja, sollten Sie sich vielleicht auch so eine kleine Kiste anlegen?
Bei mir geht’s heute nach Pnomh Penh.