Stadt mit apokalyptischem Charakter
80.000 verlassene Einfamilienhäuser, Bezirke ohne Supermärkte, geschlossene Schulen und bis zu 70 Prozent Arbeitslosigkeit: In Detroit hat die Journalistin Katja Kullmann ein "Dritte-Welt-Panorama" vorgefunden. Wer Geld hat, habe die Stadt längst verlassen und sich im wohlhabenden weißen Speckgürtel angesiedelt.
Liane von Billerbeck: Sie gilt als die brutalste, schmutzigste, ärmste, bemitleidenswerteste Großstadt der USA: Detroit. Nun hat die Stadt Insolvenz angemeldet, aber in den Ruinen der Innenstadt siedeln sich Künstler an, Menschen mit alternativen Lebenskonzepten. Detroit wird schon mal mit Berlin der Nachmauerfallzeit Anfang der 90er verglichen. Das Interesse der Kulturwirtschaft an der verfallenden Innenstadt wirkt manchmal fast schon obszön, und seitdem die Pleite der Stadt bekannt geworden ist, jubeln die Investoren.
Die Journalistin und Autorin Katja Kullmann hat Detroit besucht und ein Buch darüber geschrieben: "Rasende Ruinen – wie Detroit sich neu erfindet". Grüße Sie, Frau Kullmann!
Katja Kullmann: Hallo!
von Billerbeck: Hat Sie das überrascht, dass Detroit nun offiziell insolvent ist?
Kullmann: Nein. So zynisch es klingt, muss man ja eigentlich sagen, jeder hat damit gerechnet. Es ist ja auch eine Insolvenz, die fast, kann man sagen, in so zwei, drei Schritten vorbereitet wurde in dem Sinn, dass Detroit schon seit einigen Jahren über den Gouverneur von Michigan, der heißt Rick Snyder, ist ein Republikaner, dem man so ein bisschen Tea-Party-Nähe unterstellt, Detroit als Stadt ist also von diesem Gouverneur im Bundesstaat sowieso schon hart rangenommen worden.
Schon vor anderthalb Jahren wurde ja eingesetzt eine Art Unternehmensberater, ein Mister Orr, der die ganzen letzten zwei Jahre die Geschäfte des Bürgermeisters schon überwacht hat in ökonomischer Hinsicht, der Detroit auch nicht retten konnte vor der Pleite jetzt. Aber es war wahrscheinlich einfach abzusehen. Diese Stadt ist einfach ein ökonomisch dysfunktionales Ding, muss man ja so sagen.
von Billerbeck: Nun haben Sie Detroit besucht, wie haben Sie das erlebt, wie lebt es sich da im Herzen dieses Molochs?
Die Journalistin und Autorin Katja Kullmann hat Detroit besucht und ein Buch darüber geschrieben: "Rasende Ruinen – wie Detroit sich neu erfindet". Grüße Sie, Frau Kullmann!
Katja Kullmann: Hallo!
von Billerbeck: Hat Sie das überrascht, dass Detroit nun offiziell insolvent ist?
Kullmann: Nein. So zynisch es klingt, muss man ja eigentlich sagen, jeder hat damit gerechnet. Es ist ja auch eine Insolvenz, die fast, kann man sagen, in so zwei, drei Schritten vorbereitet wurde in dem Sinn, dass Detroit schon seit einigen Jahren über den Gouverneur von Michigan, der heißt Rick Snyder, ist ein Republikaner, dem man so ein bisschen Tea-Party-Nähe unterstellt, Detroit als Stadt ist also von diesem Gouverneur im Bundesstaat sowieso schon hart rangenommen worden.
Schon vor anderthalb Jahren wurde ja eingesetzt eine Art Unternehmensberater, ein Mister Orr, der die ganzen letzten zwei Jahre die Geschäfte des Bürgermeisters schon überwacht hat in ökonomischer Hinsicht, der Detroit auch nicht retten konnte vor der Pleite jetzt. Aber es war wahrscheinlich einfach abzusehen. Diese Stadt ist einfach ein ökonomisch dysfunktionales Ding, muss man ja so sagen.
von Billerbeck: Nun haben Sie Detroit besucht, wie haben Sie das erlebt, wie lebt es sich da im Herzen dieses Molochs?
"Diese Stadt ist einfach ein ökonomisch dysfunktionales Ding"
Kullmann: Ja, das war ganz interessant. Ich habe einen Monat dort verbracht, kannte mich in Amerika gut aus, war wirklich das erste Mal in Detroit, kannte natürlich, wie Sie vorhin schon gesagt haben, die berühmten Bilder der Ruinen vom großen Bahnhof, der leer steht seit 20 Jahren, bis hin zu diesen 80.000 ungefähr verlassenen Einfamilienhäusern, diese kleinen, typischen weißen Einfamilienhäuser.
Ich wusste also von Fotos durchaus, was einfach vom Raum her allein schon auf mich zukommt, das war dann trotzdem eine überwältigende Erfahrung, einfach durch diese Leere, die Verlassenheit zu fahren. Es hat allein vom Stadtbild her durchaus schon einen apokalyptischen Charakter, muss man sagen, also traurig, irgendwie auch irritierend, wie auf so einem Parallelplaneten – das war die erste Aussicht von außen sozusagen.
Je näher ich dann aber der Stadt gekommen bin, das heißt, je mehr ich mit Menschen gesprochen habe, von Technomusikern über Obdachlosen sozusagen, auch mit Investoren ein paar, desto mehr hat sich das Bild dann gedreht als ein irgendwie dann doch wirklich wahnsinnig lebendiger Ort. Im Buch habe ich es so formuliert, dass es letztlich bei aller Härte einer der menschlichsten Orte ist, die ich je kennengelernt habe. Und das hat damit zu tun, wie Menschen, die quasi als Abgehängte dort verweilen müssen, sich teilweise selber organisieren, wie Solidaritäten da ganz neu erwachsen, parallel dazu, dass es aber natürlich tatsächlich wahnsinnig viel Kriminalität gibt, Bandenkriege. Es sind so mehrere, zwei, drei Welten nebeneinander, die in Detroit in dem Sinne existieren.
von Billerbeck: Klingt sehr gegensätzlich: einerseits Solidarität der Abgehängten, andererseits große Kriminalität. Jetzt haben wir eine insolvente Stadt, das muss doch Schattenseiten haben für das ganze öffentliche Leben in Detroit.
Kullmann: Ich glaube, es ist verheerend. Ich war jetzt selber, weil ich natürlich verbunden bin mit Menschen der Stadt, auch noch mal geschockt über das, was im Grunde jetzt schon im Raum steht und diskutiert wird, dass diese Insolvenz jetzt wirklich da ist, verschärft im Grunde nur das, was schon seit Jahren in Detroit passiert – man nennt es immer dann so Kürzung der öffentlichen Gelder.
von Billerbeck: Klingt so harmlos, nicht?
Ich wusste also von Fotos durchaus, was einfach vom Raum her allein schon auf mich zukommt, das war dann trotzdem eine überwältigende Erfahrung, einfach durch diese Leere, die Verlassenheit zu fahren. Es hat allein vom Stadtbild her durchaus schon einen apokalyptischen Charakter, muss man sagen, also traurig, irgendwie auch irritierend, wie auf so einem Parallelplaneten – das war die erste Aussicht von außen sozusagen.
Je näher ich dann aber der Stadt gekommen bin, das heißt, je mehr ich mit Menschen gesprochen habe, von Technomusikern über Obdachlosen sozusagen, auch mit Investoren ein paar, desto mehr hat sich das Bild dann gedreht als ein irgendwie dann doch wirklich wahnsinnig lebendiger Ort. Im Buch habe ich es so formuliert, dass es letztlich bei aller Härte einer der menschlichsten Orte ist, die ich je kennengelernt habe. Und das hat damit zu tun, wie Menschen, die quasi als Abgehängte dort verweilen müssen, sich teilweise selber organisieren, wie Solidaritäten da ganz neu erwachsen, parallel dazu, dass es aber natürlich tatsächlich wahnsinnig viel Kriminalität gibt, Bandenkriege. Es sind so mehrere, zwei, drei Welten nebeneinander, die in Detroit in dem Sinne existieren.
von Billerbeck: Klingt sehr gegensätzlich: einerseits Solidarität der Abgehängten, andererseits große Kriminalität. Jetzt haben wir eine insolvente Stadt, das muss doch Schattenseiten haben für das ganze öffentliche Leben in Detroit.
Kullmann: Ich glaube, es ist verheerend. Ich war jetzt selber, weil ich natürlich verbunden bin mit Menschen der Stadt, auch noch mal geschockt über das, was im Grunde jetzt schon im Raum steht und diskutiert wird, dass diese Insolvenz jetzt wirklich da ist, verschärft im Grunde nur das, was schon seit Jahren in Detroit passiert – man nennt es immer dann so Kürzung der öffentlichen Gelder.
von Billerbeck: Klingt so harmlos, nicht?
"Viele Leute können sich kein Auto mehr leisten - und sitzen fest"
Kullmann: Genau, man kann das relativ an zwei Beispielen ganz konkret mal in Detroit ausmachen. Es ist einmal zum Beispiel das Bussystem, das ist eine wahnsinnig große Fläche, viele Leute – dritte Generation Arbeitslosigkeit – können sich kein Auto mehr leisten, in der Stadt, die für Autos ausgelegt ist. Das heißt, wenn Sie in einem Viertel wohnen, wo das Busnetz sowieso nicht mehr funktioniert, es werden einfach Strecken gestrichen, weil seit Jahren Busfahrer entlassen werden, kommen Sie - ganz praktisch - nicht vom Fleck. Sie kommen nicht aus dieser Ecke.
Daran gekoppelt ist eine Tatsache, dass es tatsächlich kaum noch Supermärkte und Lebensmittelläden gibt. So sitzen Sie also auf Ihren Lebensmittelgutscheinen und können die quasi nur umtauschen in Tankstellen oder so Laker Stores, so Kiosken, wo es Fertiggerichte gibt.
Das ist mal so ein Ding, und ein anderes, ganz drastisches Beispiel, was Kürzung der öffentlichen Gelder bedeutet, das stand heute in den US-Zeitungen, die neueste Statistik: Wenn Sie eine Ambulanz rufen, einen Krankenwagen oder eine Polizei, weil irgendwas los ist, dauert es im Schnitt 58 Minuten, bis jemand kommt. So, wenn jetzt also diese ganzen Ressourcen weiter gekürzt werden – man muss es so zusammenfassen, die Säulen des zivilen Gemeinwesens brechen jetzt wahrscheinlich noch weiter ein. Schulen, 60 Grundschulen sind alleine im Jahr 2011 dichtgemacht worden in einer Stadt, die also wirklich ein Riesen-Bildungsproblem hat, und werden zum Beispiel ersetzt, jetzt noch mehr, durch sogenannte Charter Schools – Charter wie Charterflug. Das sind private Grundschulen, von Stiftungen getragen, die erst mal kostenlos sind, na ja, und dann erklärt man so, das ist doch demokratisch, weil wir nehmen die Kinder per Losverfahren auf. Da muss man sagen, das hat mit Demokratie natürlich nichts zu tun, wenn Sie als Lotterie Ihre Bildung da versuchen zu bekommen. Diese Dinge, die Härten nehmen jetzt natürlich zu, abgesehen davon, dass noch mal zehn Prozent, 20 Prozent Gehaltskürzungen jetzt schon im Raum stehen für die öffentlichen Angestellten.
von Billerbeck: Nun haben Sie den Ausdruck dysfunktionale Stadt benutzt, Frau Kullmann, das heißt ja, es gibt nicht nur diese Abgehängten, diesen abgehängten Teil der Stadt, der also riesige Probleme hat, sondern es gibt in den Außenbezirken auch einen recht wohlhabenden Teil von Stadtbewohnern, vier Millionen, glaube ich, meist Weiße. Wie haben Sie das erlebt?
Kullmann: Das hat mich tatsächlich fast mit am meisten überwältigt. Auch da gibt es eine Metapher – ganz drastisch -, in den 70er-Jahren hat man in Detroit den Spruch geprägt von der Chocolate City und den Vanilla Suburbs, also der dunklen Innenstadt – übersetzt, es sind 87 Prozent zum Beispiel einfach Schwarze, frühere Arbeiterfamilien, die dort ausharren müssen. Und außen herum tatsächlich sozusagen die großen Autofirmen und Investoren. Und die Leute, die eben sozusagen doch irgendwie über die Krise ganz gut hinweg gekommen sind, gelinde ausgedrückt, und das eben noch ganz stark an diese Hautfarbe gekoppelt, das hat mich überwältigt in der Härte.
Daran gekoppelt ist eine Tatsache, dass es tatsächlich kaum noch Supermärkte und Lebensmittelläden gibt. So sitzen Sie also auf Ihren Lebensmittelgutscheinen und können die quasi nur umtauschen in Tankstellen oder so Laker Stores, so Kiosken, wo es Fertiggerichte gibt.
Das ist mal so ein Ding, und ein anderes, ganz drastisches Beispiel, was Kürzung der öffentlichen Gelder bedeutet, das stand heute in den US-Zeitungen, die neueste Statistik: Wenn Sie eine Ambulanz rufen, einen Krankenwagen oder eine Polizei, weil irgendwas los ist, dauert es im Schnitt 58 Minuten, bis jemand kommt. So, wenn jetzt also diese ganzen Ressourcen weiter gekürzt werden – man muss es so zusammenfassen, die Säulen des zivilen Gemeinwesens brechen jetzt wahrscheinlich noch weiter ein. Schulen, 60 Grundschulen sind alleine im Jahr 2011 dichtgemacht worden in einer Stadt, die also wirklich ein Riesen-Bildungsproblem hat, und werden zum Beispiel ersetzt, jetzt noch mehr, durch sogenannte Charter Schools – Charter wie Charterflug. Das sind private Grundschulen, von Stiftungen getragen, die erst mal kostenlos sind, na ja, und dann erklärt man so, das ist doch demokratisch, weil wir nehmen die Kinder per Losverfahren auf. Da muss man sagen, das hat mit Demokratie natürlich nichts zu tun, wenn Sie als Lotterie Ihre Bildung da versuchen zu bekommen. Diese Dinge, die Härten nehmen jetzt natürlich zu, abgesehen davon, dass noch mal zehn Prozent, 20 Prozent Gehaltskürzungen jetzt schon im Raum stehen für die öffentlichen Angestellten.
von Billerbeck: Nun haben Sie den Ausdruck dysfunktionale Stadt benutzt, Frau Kullmann, das heißt ja, es gibt nicht nur diese Abgehängten, diesen abgehängten Teil der Stadt, der also riesige Probleme hat, sondern es gibt in den Außenbezirken auch einen recht wohlhabenden Teil von Stadtbewohnern, vier Millionen, glaube ich, meist Weiße. Wie haben Sie das erlebt?
Kullmann: Das hat mich tatsächlich fast mit am meisten überwältigt. Auch da gibt es eine Metapher – ganz drastisch -, in den 70er-Jahren hat man in Detroit den Spruch geprägt von der Chocolate City und den Vanilla Suburbs, also der dunklen Innenstadt – übersetzt, es sind 87 Prozent zum Beispiel einfach Schwarze, frühere Arbeiterfamilien, die dort ausharren müssen. Und außen herum tatsächlich sozusagen die großen Autofirmen und Investoren. Und die Leute, die eben sozusagen doch irgendwie über die Krise ganz gut hinweg gekommen sind, gelinde ausgedrückt, und das eben noch ganz stark an diese Hautfarbe gekoppelt, das hat mich überwältigt in der Härte.
"Das berührt einen Europäer, diese Härte von Klassenunterschied"
Man kann das so übersetzen, Sie fahren, wenn Sie in Detroit in der Innenstadt sozusagen anfangen über die Hauptachse, die Woodward Avenue, die 13 Meilen, raus aus der Stadt, über die berühmte Eight Mile, da gibt es einen Film von Eminem drüber, das ist eine Ghettostraße sozusagen, und dann fahren Sie noch eine halbe Stunde weiter, und auf einmal sind die Bürgersteige geputzt, die Hecken gepflegt, die Golfclubs um die Ecke. Und es liegen 20 Minuten Fahrzeit zwischen diesen beiden Welten. Das berührt einfach einen Europäer, weil man in der Härte – es ist im Grunde ein Dritte-Welt-Panorama, diese Härte von Klassenunterschied.
Na ja, und dann kann man natürlich überlegen, wie kommt es eigentlich, die US-Nachrichten schreiben zurzeit, dass die Automobilindustrie wieder im Aufschwung ist, wie kommt es, dass man dann dieses Fleckchen Detroit, dieses gebeutelte, nicht ein bisschen, dass man denen unter die Arme helfen kann. Denn natürlich, das Problem, das Detroit hat, es gibt keine Steuereinnahmen, weil die Leute eben arbeitslos sind, bis zu 70 Prozent in manchen Vierteln, und dementsprechend, wie ich schon gesagt habe, keine Handelsketten, nichts ist mehr dort. Ringsherum sitzt aber das Geld, und es ist einfach wahnsinnig schwer zu vermitteln, selbst einem Europäer, wie da die Solidaritätslinien auch auf Bundesstaatsebene laufen, und die Leute macht das wahnsinnig wütend. Und fast kann man jetzt so ein bisschen den Eindruck aktuell gewinnen – ich halte gar nichts von Verschwörungstheorien, aber es ist schon merkwürdig –, das "Forbes"-Magazin, das ist eines der einflussreichsten Wirtschaftsmagazine in den USA, titelt heute so halbwegs zynisch "Detroit ist pleite, und die Unternehmer jubeln". Das hat damit …
von Billerbeck: Das heißt, es gibt was zu haben dort, das ist immer so, Morgenluft wittern die.
Kullmann: Das hat wieder mit der Dysfunktionalität zu tun beziehungsweise, Sie kennen den begriff im Deutschen ja inzwischen langsam auch, dieses Prinzip der Public Private Partnership, also der Punkt, dass Unternehmen eigentlich öffentliche Plätze oder Sportanlagen oder Einrichtungen übernehmen. Dann heißt es bei uns in Deutschland, die So-und-so-Arena, nicht wahr, im Fußball zum Beispiel – dieses Prinzip ist eine der Rettungsstrategien, die man seit Jahren sowieso schon anwendet in Detroit. Es gibt reduzierte Steuerzonen, heißt es, man versucht also, ein paar Unternehmer doch in die Stadt zu locken, die dürfen dann zehn Jahre quasi gewerbesteuerfrei günstig Büros in schönen alten Wolkenkratzern einrichten, zahlen keine Steuern, in der Hoffnung, dass dadurch die Stadt belebt wird.
Nun wird es sicherlich für diese Investoren jedenfalls natürlich noch leichter, weil Detroit eben jetzt das Problem hat, diese Insolvenz, es ist noch nicht ganz raus, wie das rechtlich aussieht, aber im Grunde steht anheim, dass Detroit wirklich seine letzten Reichtümer verkaufen muss und wirklich zwangsweise verkaufen muss für die Gläubiger, die also Anleihen an der Stadt haben. Und das sind dann natürlich noch mehr Gebäude, es geht teilweise um die Kunst, es ist ein großes Kunstmuseum mit wertvollen van Goghs und Monets und so weiter – heute habe ich gerade gesehen, da ist ein Bericht im US-Fernsehen, was man davon verscherbeln kann –, also womöglich jetzt tatsächlich das Tafelsilber geht auch noch weg.
von Billerbeck: Das klingt so nach dem alten Muster, die Verluste werden sozialisiert und die Gewinne werden privatisiert.
Kullmann: Absolut.
von Billerbeck: Das wird auch in Detroit passieren?
Kullmann: Ehrlich gesagt, ich glaube, es ist genau das Prinzip. Es ist ein sehr hartes, ein sehr amerikanisches Prinzip. Es wird ja auch in Amerika gerade sehr stark diskutiert, was ist eigentlich von Amerika an sich übrig, verscherbeln wir uns nicht gerade selber, auch in anderer Hinsicht. Und genau die Prozesse, die ja auch in Deutschland ganz, ganz stark diskutiert werden, die wir kennen, das ist ja das Interessante an Detroit, dass es oft wie ein Dia-Negativ, wie ein Spiegelbild umgekehrt ist zu Prozessen, die wir auch in Deutschland in Städten haben, also die Frage, wir nennen es Gentrifizierung, Detroit hat eigentlich das gegenteilige Problem, zu wenig Leute mit Geld, also De-Gentrifizierung.
Und irgendwie, diese privaten Investitionen und die Rechnungen, dass sich das rechnen könnte, und die Stadt als Spekulationsobjekt, das schrillt in Detroit nun gerade sehr grell uns auch entgegen. Und es ist eigentlich, würde ich sagen, die andere Seite derselben Medaille: Wollen wir Städte als Renditeobjekt behandeln, mit Stadtmarketing und Pipapo, oder geht es darum, dass man einen gemeinschaftlichen, demokratischen, sozialen Ort erhält und schafft? Und die Fragen werden dort jetzt so auf amerikanischem Format verhandelt gerade.
von Billerbeck: Katja Kullmann war das, Detroit-Besucherin und Autorin des bei Suhrkamp erschienenen Buches "Rasende Ruinen – wie Detroit sich neu erfindet". Danke Ihnen für das Gespräch!
Kullmann: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Na ja, und dann kann man natürlich überlegen, wie kommt es eigentlich, die US-Nachrichten schreiben zurzeit, dass die Automobilindustrie wieder im Aufschwung ist, wie kommt es, dass man dann dieses Fleckchen Detroit, dieses gebeutelte, nicht ein bisschen, dass man denen unter die Arme helfen kann. Denn natürlich, das Problem, das Detroit hat, es gibt keine Steuereinnahmen, weil die Leute eben arbeitslos sind, bis zu 70 Prozent in manchen Vierteln, und dementsprechend, wie ich schon gesagt habe, keine Handelsketten, nichts ist mehr dort. Ringsherum sitzt aber das Geld, und es ist einfach wahnsinnig schwer zu vermitteln, selbst einem Europäer, wie da die Solidaritätslinien auch auf Bundesstaatsebene laufen, und die Leute macht das wahnsinnig wütend. Und fast kann man jetzt so ein bisschen den Eindruck aktuell gewinnen – ich halte gar nichts von Verschwörungstheorien, aber es ist schon merkwürdig –, das "Forbes"-Magazin, das ist eines der einflussreichsten Wirtschaftsmagazine in den USA, titelt heute so halbwegs zynisch "Detroit ist pleite, und die Unternehmer jubeln". Das hat damit …
von Billerbeck: Das heißt, es gibt was zu haben dort, das ist immer so, Morgenluft wittern die.
Kullmann: Das hat wieder mit der Dysfunktionalität zu tun beziehungsweise, Sie kennen den begriff im Deutschen ja inzwischen langsam auch, dieses Prinzip der Public Private Partnership, also der Punkt, dass Unternehmen eigentlich öffentliche Plätze oder Sportanlagen oder Einrichtungen übernehmen. Dann heißt es bei uns in Deutschland, die So-und-so-Arena, nicht wahr, im Fußball zum Beispiel – dieses Prinzip ist eine der Rettungsstrategien, die man seit Jahren sowieso schon anwendet in Detroit. Es gibt reduzierte Steuerzonen, heißt es, man versucht also, ein paar Unternehmer doch in die Stadt zu locken, die dürfen dann zehn Jahre quasi gewerbesteuerfrei günstig Büros in schönen alten Wolkenkratzern einrichten, zahlen keine Steuern, in der Hoffnung, dass dadurch die Stadt belebt wird.
Nun wird es sicherlich für diese Investoren jedenfalls natürlich noch leichter, weil Detroit eben jetzt das Problem hat, diese Insolvenz, es ist noch nicht ganz raus, wie das rechtlich aussieht, aber im Grunde steht anheim, dass Detroit wirklich seine letzten Reichtümer verkaufen muss und wirklich zwangsweise verkaufen muss für die Gläubiger, die also Anleihen an der Stadt haben. Und das sind dann natürlich noch mehr Gebäude, es geht teilweise um die Kunst, es ist ein großes Kunstmuseum mit wertvollen van Goghs und Monets und so weiter – heute habe ich gerade gesehen, da ist ein Bericht im US-Fernsehen, was man davon verscherbeln kann –, also womöglich jetzt tatsächlich das Tafelsilber geht auch noch weg.
von Billerbeck: Das klingt so nach dem alten Muster, die Verluste werden sozialisiert und die Gewinne werden privatisiert.
Kullmann: Absolut.
von Billerbeck: Das wird auch in Detroit passieren?
Kullmann: Ehrlich gesagt, ich glaube, es ist genau das Prinzip. Es ist ein sehr hartes, ein sehr amerikanisches Prinzip. Es wird ja auch in Amerika gerade sehr stark diskutiert, was ist eigentlich von Amerika an sich übrig, verscherbeln wir uns nicht gerade selber, auch in anderer Hinsicht. Und genau die Prozesse, die ja auch in Deutschland ganz, ganz stark diskutiert werden, die wir kennen, das ist ja das Interessante an Detroit, dass es oft wie ein Dia-Negativ, wie ein Spiegelbild umgekehrt ist zu Prozessen, die wir auch in Deutschland in Städten haben, also die Frage, wir nennen es Gentrifizierung, Detroit hat eigentlich das gegenteilige Problem, zu wenig Leute mit Geld, also De-Gentrifizierung.
Und irgendwie, diese privaten Investitionen und die Rechnungen, dass sich das rechnen könnte, und die Stadt als Spekulationsobjekt, das schrillt in Detroit nun gerade sehr grell uns auch entgegen. Und es ist eigentlich, würde ich sagen, die andere Seite derselben Medaille: Wollen wir Städte als Renditeobjekt behandeln, mit Stadtmarketing und Pipapo, oder geht es darum, dass man einen gemeinschaftlichen, demokratischen, sozialen Ort erhält und schafft? Und die Fragen werden dort jetzt so auf amerikanischem Format verhandelt gerade.
von Billerbeck: Katja Kullmann war das, Detroit-Besucherin und Autorin des bei Suhrkamp erschienenen Buches "Rasende Ruinen – wie Detroit sich neu erfindet". Danke Ihnen für das Gespräch!
Kullmann: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.