Stadtentwicklung

Ulms Rezept gegen hohe Mieten und Grundstückspreise

10:44 Minuten
Neu gebaute Häuser in weißer Farbe stehen im Dezember 2019 entlang einer Straße in Ulm in Baden-Württemberg, gegenüber Felder, darüber blauer Himmel.
In Ulm könnten sich Familien mit Kindern den Bau eines Eigenheims noch leisten, sagt der zuständige Stadtvertreter. © imago images / Westend61
Von Thomas Wagner |
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Anders als in vielen Städten steigen in Ulm die Preise für Mieten und Baugrund meist nur moderat: Denn die Stadt erwirbt im großen Stil Bauland und verkauft es dann an Häuslebauer oder Investoren. Das könnte schon bald nicht mehr ausreichen.
Vom höchsten Kirchturm der Welt schallt es weit in die Straßen und Gassen der Innenstadt hinein. Ulm, die baden-württembergische Stadt an der Donau, direkt an der Grenze zu Bayern, war in den zurückliegenden Jahren stets auf Expansionskurs: neue Gewerbegebiete, neue Baugebiete, ein stetiger Zuwachs der Einwohnerinnen und Einwohner auf derzeit knapp 127.000. Und wo immer mehr Menschen leben, geht es in der Fußgängerzone unter dem Münsterturm ab und an um ein Thema, das vielen auf den Nägeln brennt: Wie sieht es aus bei Mieten und Grundstückspreisen?
"Ich kann mich erinnern, als Kind, da haben wir eine städtische Wohnung gehabt", sagt ein Mann. "Der Vater hat 1800 Mark verdient, und die Miete hat 80 Mark gekostet. Und heute ist ungefähr der Mietanteil die Hälfte vom Netto-Einkommen."
Eine Frau erklärt: "Dass sie Sozialwohnungen bauen, das weiß ich. Und im Speckgürtel von Ulm gibt es viele Baugebiete, wo Einfamilienhäuser geplant sind." Eine andere Frau: "Ich glaube, Ulm ist günstiger als Stuttgart."

Grundstückskauf auf Vorrat

Wohl wahr: In Ulm wohnt sich es günstiger als in der Landeshauptstadt – zur Miete und im, wie die Schwaben sagen, eigenen Häusle.
"Unsere Grundstückspreise sind erschwinglich, keine Frage: Wir haben Grundstücke im Einfamilienhausbereich erschlossen zwischen 150 und 300 Euro pro Quadratmeter und leisten damit einen Beitrag, dass Familien mit Kindern sich den Bau eines Eigenheims noch leisten können. Bei den Mieten ist es ähnlich: Auch da, im Geschosswohnungsbau, haben wir Preise, die im Vergleich zu anderen Orten in Deutschland günstig liegen."
Ulrich Soldner, ein älterer, freundlich lächelnder Herr Anfang 60, erzählt gerne über Mietpreisentwicklungen und Grundstückspreise in Ulm; vor allem darüber, dass die Grundstückspreise für Eigenheime gut ein Drittel unter denen in vergleichbaren baden-württembergischen Städten liegen. Bei den Mieten ist es ähnlich: Die fallen im Durchschnitt immer noch über zehn Prozent niedriger aus als in den meisten anderen Städten ähnlicher Größe. Soldner leitet im Ulmer Rathaus die Abteilung Liegenschaften und Wirtschaftsförderung. Die städtische Grundstückspolitik ist ein Stück weit auch sein kommunalpolitisches "Baby" gewesen. Und sie gestaltet sich völlig anders als in den meisten Städten ringsum.
"Was wir anders machen, ist, dass wir seit Langem ganz gezielt Grundstücke auf Vorrat aufkaufen und uns einen Grundstücksfonds anlegen." So seien sie vorbereitet, "dass wir diese Grundstücke später entweder für die Aufgabenerfüllung der Stadt bei Bedarf einsetzen können oder als Tauschland".

Grundstücksspekulationen den Riegel vorschieben

Kurz und bündig: Die Stadt hortet Grundstücke, wo immer sie welche kriegen kann. Das ist aber nur eine Säule der Ulmer Grundstückspolitik. Die zweite Säule bezieht sich auf die Art und Weise, wie in Ulm neue Baugebiete ausgewiesen werden.
"Die Stadt geht nach dem Prinzip vor: Baurecht entsteht erst dann, wenn die Stadt Ulm Eigentümerin von allen Grundstücken ist, zu 100 Prozent. In großen Baugebieten arbeiten wir dann in Bauabschnitten, sodass eben ein Bauabschnitt nach dem anderen kommt, je nachdem, ob die Stadt dann das Eigentum komplett hat."
Durch beide Maßnahmen – Aufkauf vieler Grundstücke, die zum Verkauf stehen, und der städtische Eigentumsvorbehalte für neue Grundstücke – erreicht die Stadt eines: dass Grundstücksspekulationen so gut es geht ein Riegel vorgeschoben wird – vor allem in neuen Baugebieten. Dort können sich die Preise nicht, wie so häufig üblich, durch das freie Spiel der Marktkräfte nach oben schaukeln. Denn sie gehören ja, bevor sie an Häuslebauer oder Investoren weiterverkauft werden, nur einem Eigentümer: der Stadt Ulm.
Und da gilt: "Der Gemeinderat beschließt die Preise. Das bedeutet, dass der Preis fest ist. Es gibt keinen Verkauf von kommunalen Grundstücken zum Höchstpreis, und man schaut dann eben, wer am meisten bietet. Das machen wir in Ulm nicht. Die Preise werden vorher festgelegt."

Dauerhaft am Mietspiegel orientieren

Vergeben werden Eigenheimgrundstücke nach ganz bestimmten Kriterien: "Junge Familien mit Kindern unter 18 sind unsere Hauptzielgruppe. Klar, die haben den größten Wohnungsbedarf. Die wollen wir bedienen aus kommunalem Besitz."
Doch auch der Mietwohnungsbau wird mit der besonderen Ulmer Grundstückspolitik angekurbelt. Dabei geht es um Gebäude, die Investoren auf den ehemals städtischen Grundstücken in Neubaugebieten errichten.
Ein Bagger hebt in Ulm in Baden-Württemberg eine Baugrube aus. Im Hintergrund ist ein Mehrfamilienhaus im Rohbau zu sehen.
30 Prozent der neu gebauten Wohnungen in Ulm müssen zunächst bis zu 30 Prozent unter Mietspiegel-Niveau angeboten werden.© imago images / imagebroker
"Dazu hat der Gemeinderat im letzten Jahr beschlossen, dass mindestens 30 Prozent aller Wohnungen, die in einem solchen Haus entstehen, im Geschosswohnungsbau preisgünstige Wohnungen sind. Zwischen zehn und 30 Jahre bleiben die dann im Bestand dessen, der die Häuser baut."
Damit seien sie "sichere Mietwohnungen", weil sich die Mieten dauerhaft am Ulmer Mietpreisspiegel orientieren müssen: Zunächst liegen sie bis zu 30 Prozent unter Mietspiegel-Niveau. Und wenn sie aus dem Bestand herausgefallen sind, dürfen die Mieten auch nur in dem Rahmen steigen, den der Mietspiegel vorgibt.

Niedrigere Miete, aber Rabatt auf den Kaufpreis

Ulm, Grimmelfinger Weg, im Stadtteil Oberer Kuhberg: Ein Baukran transportiert unentwegt Materialien auf das Dach des Rohbaus einer Wohnanlage. Daneben: Betonmischer, Bagger, Lkw. Der Bauherr sitzt dagegen in einem historischen, mit reichlich Holz verkleideten eingeschossigen Gebäude zwischendrin.
Johannes Völk ist, wie man im Schwäbischen landläufig sagt, ein "Baulöwe". Der Geschäftsführer der Völk Immobilien GmbH und der gleichnamigen Hausverwaltungsgesellschaft macht in Wohnungsbau. Wer durch das Fenster seines Unternehmenssitzes blickt, der erkennt schnell: Hier geht was.
"Ein Teil dieses Areals, das wir Hattler Areal nennen, haben wir beplant und bebaut, aktuell 31 Wohnungen im ersten Bauabschnitt, welche bereits fertiggestellt sind und auch übergeben sind an die Eigentümer und Mieter. Und im zweiten Abschnitt entstehen nochmals 41 Wohnungen."
Auch anderswo in Ulm hat Völk Wohngebiete hochgezogen. Etwa die Hälfte aller von ihm bebauten Grundstücke befand sich in neu ausgewiesenen Baugebieten und gehörte somit, bevor Völks Bagger anrückten, der Stadt Ulm.
Damit rechnet sich die Ulmer Grundstücksvorhaltepolitik für alle: auch für den Investor, der zwar auf städtischen Grundstücken zu annehmbaren Preisen 30 Prozent Wohnraum mit verbindlich günstigen Mieten hochziehen muss, 70 Prozent solcher Wohnungen aber auf dem freien Markt anbieten kann. Und auch die Wohnungen, deren Mieten auf Jahre hinweg um rund ein Drittel günstiger als der Durchschnitt des Mietspiegels sein müssen, lassen sich mit der Förderung durch das Landeswohnbauprogramm Baden-Württemberg ganz gut an private Investoren verkaufen.
"Weil die klassischen Kapitalanleger ja auch einen günstigeren Preis bekommen, 20 Prozent unter Neupreis, wegen der niedrigen Miete, welche sie zehn Jahre garantieren müssen." Für sie sei das ein sehr probates Mittel. "Sie haben einen sicheren Mieter. Und sie können zweijährlich die Mieten erhöhen im Rahmen der Mietspiegelsituation. Das heißt: Die Mieten steigen ganz normal, nur eben immer auf einer weniger höheren Basis, als wenn ich frei vermietete Wohnungen habe."

Höherer Preisdruck durch Stuttgart 21?

Klingt kompliziert – heißt aber nichts anderes, als dass durch die Ulmer Grundstücksvorhaltepolitik und die damit verbundene Auflage zum Bau von Wohnungen mit günstigen Mieten das Mietniveau insgesamt niedriger bleibt als in anderen Städten. Und nicht nur das: Dadurch, dass die Stadt selbstständig als Grundstücksauf- und Verkäufer auftritt, nimmt sie Einfluss auf die Immobilienpreise insgesamt – und verhindert nach Ansicht von Johannes Völk überbordenden Preispoker.
"Das ist ein wichtiges Instrument, um diese Preissteigerungen in einem liberalen Maß zu halten. Sobald die Stadt Ulm dieses Vorkaufsrecht ausübt, ist sie im Besitz des Grundstücks. Und das ist nicht mehr für Spekulationen offen, dass sich nicht mehr jeder gegenseitig hochbietet."
Geziegelte Dächer von Wohnhäusern stehen eng gedrängt in der Altstadt von Ulm in Baden-Württemberg. 
Nicht überall in Ulm greift das Modell zur Eindämmung der Preissteigerungen für das Wohnen.© imago images / Ralph Peters
Das gelingt allerdings nicht in jedem Fall: In Stadtteilen, in denen keine neuen Baugebiete ausgewiesen werden, gilt nach wie vor das freie Spiel der Marktkräfte. Doch in den neuen Baugebieten hat die Stadt von der Preisentwicklung her den Daumen drauf – und nicht nur das: Manchmal lässt sie auch selber bauen – durch die Ulmer Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft GmbH (UWS), an der die Stadt Ulm die Mehrheitsanteile hält. 7000 Wohnungen zählt der Bestand des Unternehmens, so UWS-Chef Frank Pinsler:
"Wir haben auch über 400 Wohnungen im Bau. Dazu sind in der Regel über ein Drittel bis 40 Prozent der Wohnungen gefördert. Wir bauen schon seit einigen Jahren mit Höchstdruck."
Denn der Siedlungsdruck wächst beständig: Wenn die Neubaustrecke der Bahn im Zuge des Großprojektes Stuttgart 21 erst einmal fertiggestellt sein wird, liegt die Landeshauptstadt nur noch knapp etwa eine halbe Fahrstunde mit der Bahn entfernt. Menschen, die in Stuttgart arbeiten, werden sich dann verstärkt in Ulm nach Wohnraum umschauen – wegen der günstigeren Konditionen dort. Das, so wird befürchtet, könnte die Preise für Grund und Boden in die Höhe treiben – auch für den sozialen Wohnungsbau der UWS.

Der Schneider von Ulm und die Bodenpolitik

Die langjährige Ulmer Bodenvorratspolitik helfe der "Ulmer Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft GmbH", dass sie ausreichend Grundstücke zur Verfügung habe, sagt ihr Chef, Frank Pinsler. Diese Politik sei ein entscheidender Vorteil, "weil es uns gelingt, damit Grundstücke zu normalen Preisen zu erwerben, auch für uns als Gesellschaft mit dem Hintergrund des bezahlbaren Wohnens", so Pinsler. "Wenn die Grundstücke ins Bodenlose steigen, wird dann auch der Bau bezahlbaren Wohnraums schwierig bis unmöglich. Man sieht das dann an den Hotspots in Stuttgart und in München, wo mit viel Energie entgegengesteuert werden muss."
Ulrich Soldner, der durch das historische Schwörhaus, eine Art Stadtmuseum in der Innenstadt, führt, sagt: "Hier haben wir den Schneider von Ulm." So wie bereits seit Jahrhunderten.
Soldner zeigt auf den sogenannten "großen Schwörbrief" aus dem Jahr 1397 und erklärt: Er besage, dass die Einigung zwischen den Ständen zustandegekommen ist, und man sich auf das Gemeinsame besonnen hat.
"Und das ist die Basis der Ulmer Bodenpolitik. Es geht letztlich darum, auch den sozialen Frieden zu wahren. Es ist ein großes gesellschaftspolitisches Ziel." Je stärker es ins Bewusstsein rücke, wie wichtig kommunaler Besitz sei, desto besser. "Das sollte eigentlich selbstverständlich sein", betont Ulrich Soldner.
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