Die Röhrbeins wollten von der Stadt aufs Land, andere ziehen in die umgekehrte Richtung. Warum eine französische Familie das beschauliche Dorfleben aufgab, um in Berlin Fuß zu fassen, lesen und hören Sie hier.
Das Herz schlägt für das Sauerland
Ein Winterurlaub im Sauerland, im kleinen Dorf Fleckenberg - und der Entschluss stand fest: Die Röhrbeins aus Gelsenkirchen verkauften ihr Haus und zogen aufs Land. Auch drei Jahre nach dem Umzug ist die Familie noch immer froh über die Entscheidung.
"Wir haben 2013 Urlaub gemacht im Sauerland in Fleckenberg, fanden es einfach extrem schön, von der Landschaft her, von den Leuten, vom Umfeld her, was man unternehmen kann, ham dann einfach gemerkt, die ganze Familie blüht auf, rückt näher zusammen und haben einfach die Möglichkeit hier ein ganz anderes Leben zu führen, der Lebensstandard ist ganz anders. Und haben dann tatsächlich entschieden, nach zwei Wochen Urlaub in Fleckenberg, das ist unsere Heimat, hier fühlen wir uns super aufgenommen, hier wollen wir unseren zweiten Lebensabschnitt verbringen. Erst so aus Spaß und aus Spaß wurde dann Ernst. Hätte mir das jemand vor 4 bis 5 Jahren gesagt, hätte ich gesagt, nein, du bist doch verrückt."
Thorsten und Carmen Röhrbein sind in Gelsenkirchen geboren und aufgewachsen. Er spielte in der Jugend auf Schalke Fußball. Sie führte einen Schreibwarenladen. Ganz in der Nähe hatten sie ein großes Haus. Der Familienvater pendelte, selbst als er für Firmen in Köln und Düsseldorf arbeitete. Und jetzt – drei Jahre nach dem Umzug ins Sauerland – sind sie überzeugte Sauerländer. Jetzt trainiert Thorsten Röhrbein Kindermannschaften und die Torwarte beim FC Fleckenberg-Grafschaft. Und er spielt selbst bei den Alten Herren mit. Der Zusammenhalt in dem hübschen Fachwerkdorf mit rund 1500 Einwohnern beeindruckt ihn ...
"Das Vereinsleben auf dem Land ist anders als in der Stadt. Beim Sportwochenende wird geholfen beim Aufbau, beim Abbau, die Leute helfen unentgeltlich beim Thekendienst, das ist ein Mehrwert, das gibt’s in der Stadt nicht. In der Stadt möchte man bedient werden, am besten auch für alles bezahlt werden und hier passiert zu 99 Prozent alles mit ehrenamtlichen Helfern und das ist einfach ein tolles Gefühl in dieser Gemeinschaft aufgenommen worden zu sein."
Von Anfang an aufs Dorfleben eingelassen
Das liegt zum einen daran, dass sich die ganze Familie Röhrbein von Anfang an mit vollem Herzen auf das Dorfleben eingelassen hat. Die vier waren bei allen Festen und Aktivitäten in Fleckenberg dabei. Der Terminkalender war voll, erinnert sich Carmen Röhrbein. Inzwischen fiebert sie gemeinsam dem Schützenfest entgegen – ein Gefühl, das sonst nur waschechte Sauerländer kennen. Auch für die 15-jährige Milena ist es das Highlight des Jahres …
"Man trifft sich halt mit den Freundinnen, man verbringt die ganzen drei Tage zusammen, fährt Autoscooter, man tanzt gemeinsam. Wir können und kein Jahr ohne Schützenfest mehr vorstellen. Hier gehört es dazu. Diese drei Tage wo man einfach ausgelassen feiert. Natürlich fließt da auch viel Alkohol, das ist ja das was viele dem Landleben nachsagen. Ich wollte es nicht mehr missen, die wichtigsten drei Feiertage würde ich sagen."
Klar, dass die Röhrbeins auch noch in den Schützenverein eintraten. Und klar auch, dass die Fleckenberger solche Neubürger mit offenen Armen aufnahmen.
"Normalerweise hier in der Umgebung ist es so, dass die Leute eher mal wegziehen. Wenn einer zurückkommt ist ne Überraschung und wenn sich jemand bei so nem Verein, der auch immer Leute sucht, freiwillig meldet, ist das ne Überraschung. Wenn der dann auch noch Ahnung hat, weil er das Fußballspielen richtig gut gelernt hat, ist das natürlich umso schöner."
... sagt Guido Vollmers, der Jugendleiter beim FC Fleckenberg, selbst ein Rückkehrer ins Sauerland.
"Und das ist, glaube ich, auch ein guter Tipp für jemanden, der in so einer Ortschaft wie Fleckenberg oder allgemein gesprochen im Sauerland ankommen will, da sind die Vereine natürlich eine gute Möglichkeit und wenn man das, was man gut kann, mitbringt, dann stehen einem die Türen weit offen hier."
Fleckenburg hielt einige Überraschungen bereit
Aber Fleckenberg hielt für die drei Röhrbein-Frauen auch außerhalb des Vereinslebens eine Überraschung bereit – Auras Kurstudio. Ein kleines Fitnessstudio am Rande des Dorfes mit Zumba, Step-Aerobic, Pilates und Yoga. Auf die geliebte Tanzgymnastik mussten die drei also auch im Sauerland nicht verzichten …
"Nein auf keinen Fall, die Nachbarin hat gesagt, komm doch mal mit, ich zeig dir das mal. Wir sind dann gucken gegangen, da war ich ganz überrascht gewesen. Aura hat gesagt, egal ob Jeans oder so, jetzt wird mitgemacht. Direkt unter die Fittiche genommen. Wir haben uns direkt angemeldet."
Auch die Töchter Milena und Isabel sind begeistert ...
"Also, ich hätte nie gedacht, dass es hier ein Fitness-Studio gibt. Ich bin ehrlich, mir gefällt das hier sogar noch mehr, weil man mit der ganzen Tanzgruppe halt befreundet ist. Man hält zusammen, freut sich auf die Auftritte, man trifft sich vorm Auftritt, macht sich die Haare. Das gibt’s halt alles nicht in Gelsenkirchen ..."
"Wir waren da auch nicht alle zusammen befreundet. So mit meiner Freundin hier vom Tanzen mache ich auch so noch was in der Freizeit zusammen und das war halt in Gelsenkirchen nicht so."
Milenas Freundin Hannah kann es gar nicht glauben, dass zwei Mädels aus der Stadt sich so wohl im Sauerland fühlen.
"Ja viele wollen ja hier irgendwann mal weg, vom Land in die Stadt und die kommen von der Stadt aufs Land. Für viele Jugendliche hier ist das Land langweilig, die wollen lieber in die Stadt."
Für Milena und Isabel ist es umgekehrt. Sie genießen im Sauerland viel mehr Freiheiten als in Gelsenkirchen …
"Man macht eigentlich jeden Tag was zusammen, also in Gelsenkirchen habe ich mich nicht so oft verabredet, hier geht man auch einfach mal raus, setzt sich auf ne Bank und redet miteinander, und in Gelsenkirchen wäre das undenkbar gewesen. Ja, das ist einfach so, dass man in Gelsenkirchen nach 18 Uhr nicht mehr raus konnte, weil Mama und Papa Angst hatten, dass was passiert und dann hat man sich meistens in der Wohnung getroffen oder im Garten."
Gelsenkirchen war mal schön
Und dann erklärt Vater Thorsten Röhrbein, warum es die Familie in Gelsenkirchen nicht mehr ausgehalten hatte …
"Gelsenkirchen ist vor vielen Jahren eigentlich noch eine sehr schöne Stadt gewesen meiner Meinung nach, es waren viele Geschäfte in unserem Wohnumfeld. Es hat dann angefangen, dass der erste Metzger geschlossen hat, die erste Bäckerei, der Frisör, der Blumenladen die Drogerie. Gelsenkirchen hat das Problem, dass sozialtechnisch halt vieles verkehrt läuft. Wir haben Jahre lang die höchste Arbeitslosenquote gehabt, Einwohner mit Migrationshintergrund, ist extrem gestiegen die Zahl, so dass man ganze Stadtteile – ja verwahrlost hat. Es ist nicht mehr schön gewesen. Unheimlich viel Dreck, unheimlich laut, Kriminalitätsrate ist extrem gestiegen in unserem Stadtteil und das waren so die ausschlaggebenden Gründe, weil wir wollen ja, dass die Kinder behutsam groß werden und auch was von der Kindheit haben und das ist dort einfach nicht mehr gegeben gewesen."
In Schmallenberg hat die Familie jetzt eine große Wohnung mit einem großen Garten gemietet. Eigentlich zieht es sie ins Nachbardorf Fleckenberg, doch da haben sie noch nichts Passendes finden können. Auch in Gelsenkirchen lebten sie im eigenen Haus, aber:
"Allerdings ist ein Unterschied, wenn Sie mitten in der Stadt ein Haus haben, der Verkehr zum einen, es ist eine unheimliche Lärmbelästigung, und im Garten haben Sie nicht die Möglichkeiten wie hier im Sauerland, also da hören sie nicht so viel Vögel zwitschern, die Luft ist schlechter und sie fühlen sich trotzdem eingeengt. In der Stadt nutzen Sie das Haus eigentlich zum Wohnen, nicht zum Leben."
Die Oma, die anfangs mit nach Schmallenberg zog, sah das allerdings anders. Heute lebt sie wieder in Gelsenkirchen.
"Die hat sich einfach nicht wohlgefühlt. Die kam mit den Leuten nicht so zurecht. Sie sagte, der Bus fährt nur jede Stunde, die Stadt war ihr zu weit weg. Und sie wollte auf jeden Fall wieder zurück und fühlt sich jetzt auch wieder sehr wohl."
Die übrigen Röhrbeins finden Schmallenbergs Abgeschiedenheit und die mageren Busverbindungen gar nicht so dramatisch. Sie schafften sich sofort einen Zweitwagen an.
"In Gelsenkirchen bin ich eigentlich kaum Auto gefahren, weil, man konnte alles zu Fuß erreichen. Hier im Sauerland habe ich sofort gesagt, jetzt muss ein Wagen her, braucht man auf jeden Fall. Und auch dass wir 50 Minuten zur Autobahn brauchen, finde ich nicht schlimm. Es ist ein entspanntes Fahren, mir macht es nichts aus."
Und die 15jährige Milena ist stolze Besitzerin eines Motorrollers.
"Also ich fahr damit immer zur Schule mit meinen Freundinnen wenn schönes Wetter ist, und jetzt sind wir letztens nach Oberkirchen zum Schützenfest gefahren. Am Tag fahren wir glaube ich viele Kilometer. Mit Freunden machts auch noch mehr Spaß zu Fahren. Wir machen dann meistens noch immer Pause beim Bäcker und dann reden wir noch ein bisschen. Also das macht schon mehr Spaß wie im Bus."
Drei Bewerbungen, drei Zusagen, keine Job-Probleme
Für die elfjährige Isabel muss noch öfter das Mama-Taxi fahren.
Carmen Röhrbein arbeitet Teilzeit in einer Boutique, damit sie Zeit für Haus, Kinder und Hund hat. Und auch für ihren Mann war es kein Problem, im Sauerland einen neuen Job zu finden. Drei Bewerbungen – drei Zusagen, erzählt er:
"Ich bin eigentlich gelernter Kaufmann, hab viele Führungspositionen gehabt, bin aber aufgrund des Wechsels zu dem Entschluss gekommen, mehr Zeit für die Familie zu haben. Es ist ne Firma, die stellt Rohrbiegemaschinen her, ein recht großer Arbeitgeber, wo ich im Einkauf tätig bin, wo ich einfach Spaß hab an der Arbeit. Es ist kein Ziehen, kein Stechen, anders als es in den Großstädten zum Teil ist, jeder versucht der Größte zu sein und möglichst schnell Teamleiter, und das macht wirklich Spaß, ich gehe sogar nach dem Urlaub wieder gerne arbeiten."
So hat der Familienvater auch bei der Arbeit eine familiäre Atmosphäre gefunden. Nur für die Kinder war der Start in der Schule schwer. Isabel geht zur Hauptschule, Milena zur Realschule.
"Am Anfang wars schwierig, weil hier die Anforderungen halt höher sind. Also ich musste mit dem Stoff halt viel dafür tun da hinter her zu kommen. In Gelsenkirchen waren die Schulen halt nicht so weit."
"Dadurch dass der Stadtteil das Migrationsproblem hatte, also in Zahlen kann man sagen, dass eine Klasse mit 30 Kindern hat 25-26 Kinder mit Migrationshintergrund gehabt. Dass man dann den Stoff nicht so voran bringt, ist denke ich mal verständlich. Man muss da einfach eine Lösung finden."
Die beste Spontan-Entscheidung des Lebens
Die Bilanz der Röhrbeins nach drei Jahren: Der Umzug ins Sauerland war die beste Spontan-Entscheidung ihres Lebens. Milena vermisst manchmal das Shoppen im Centro in Oberhausen, der Vater einen großen Baumarkt – sonst ist für die Familie alles perfekt.
Und im nächsten Jahr hat sich Thorsten buchstäblich die Krönung vorgenommen.
"Auf jeden Fall werde ich das probieren. Das wäre für mich das absolute Highlight in den letzten 42 Jahren einmal sagen zu können, ich bin Fleckenberg Schützenkönig geworden. Ich kann mir im Moment nichts Größeres vorstellen."