Jan Gehl: Städte für Menschen
Übersetzt von Annette Wiethüchter
Jovis Verlag, Berlin, 2015
304 Seiten, 32 Euro
Der Mensch im Mittelpunkt
Weniger Beton, weniger Verkehr, mehr Platz für Menschen: Jan Gehl zeigt in seinem Buch "Städte für Menschen", wie sich Metropolen auch mit wenig Mitteln menschenfreundlicher gestalten lassen.
Wie wollen wir leben? Wie beeinflusst Architektur Menschen? Wie sieht eine lebenswerte Stadt aus? Wie eine gelungene Stadtplanung? Solche Fragen stellt sich Jan Gehl seit Jahrzehnten. Da der dänische Architekt auch Antworten darauf gefunden hat, gilt er heute als weltweit einflussreichster Stadtplaner.
Den Anregungen und Planungen Gehls ist es zum Beispiel zu verdanken, dass seine Heimatstadt Kopenhagen zu den fußgänger- und fahrradfahrerfreundlichsten gehört, dass aus dem Problemviertel rund um den New Yorker Times Square ein sicheres Gebiet wurde oder dass extreme Asphaltschneisen in Moskau zu weniger monotonen Flächen umgestaltet werden konnten.
Keine Stadtplaner-Bibel
Wenn solch ein Visionär 44 Jahre nach seinem berühmten Erstlingswerk "Leben zwischen Häusern" (auf deutsch erst 2012) seine grundlegenden Ideen in einem 300 Seiten starken Buch bündelt, klingt das viel versprechend. Tatsächlich hat Jan Gehl mit dem reich bebilderten Band "Städte für Menschen" jedoch nicht die Stadtplaner-Bibel geschrieben, die sich erwarten ließ.
Gehl hat sein Buch in sieben Kapitel unterteilt, in denen er seine Kernthesen vorstellt und anhand von Beispielen erläutert. Zunächst beschreibt er, wie autogerechtes Bauen und die Bevorzugung von solitären Monumentalgebäuden mit ihren öden Umgebungszonen den öffentlichen Raum und das öffentliche Leben zerstört hätten.
Dagegen setzt der mittlerweile fast 80-jährige Däne gebetsmühlenartig die Bedeutung des menschlichen Maßes. Der Mensch und seine Bedürfnisse müssten auf der stadtplanerischen Agenda ganz oben stehen. Also: weniger Autoverkehr, breite Bürgersteige, einladende Plätze und Straßenmöbel, eine freundliche Beleuchtung und viele Grünflächen. Das wirkt banal, doch so banal sei es eben, meint Gehl.
Mehr Lebensqualität
Seine stärksten Argumente sind Beispiele aus den Metropolen dieser Welt; nebensächlich, dass es fast nur Städte sind, in denen er selbst tätig war. So kann Gehl zeigen, dass fließende Übergangszonen zwischen öffentlichem und privatem Raum - dazu zählen etwa Vorgärten - die Lebensqualität erhöhen. Oder dass gestaltete Erdgeschossflächen - mit transparenten Ladenzeilen wie sie die Apple Stores bieten - städtischer Ödnis entgegenwirken. Auch dass mehr Straßen mehr Verkehr bedeuten, weniger aber nicht automatisch mehr Stau, belegt Gehl mit Zahlen und Fakten. Lobenswert ist zudem, dass der Autor Gestaltungsinstrumente nennt und auch für hoffnungslos verbaute Städte eine Art Erste-Hilfe-Kasten hat.
Problematisch an Gehls Werk sind die vielen Redundanzen, wie etwa die fast schon penetrante Betonung des menschlichen Maßes und eine Überdosis Binsenweisheiten. Dass sich Menschen im Grünen wohler fühlen als in einer Betonwüste wundert wenig. Wie sich mehr Grün allerdings durchsetzen lässt, lässt der Autor offen. Außerdem bleibt unverständlich, dass Gehl die Entwicklung der letzten Jahrzehnte ausblendet - längst ist nicht mehr nur das Auto zentral für eine moderne Stadtplanung. Und selbst die von ihm so gehassten Hochhäuser gibt es vereinzelt schon begrünt. So wirkt dieser Band leicht verstaubt. Schade.