"Wir brauchen die kompakte Stadt!"
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Wohnviertel hier, Gewerbe und Arbeit dort: Diese Aufteilung in Zonen ist nicht mehr zeitgemäß, sagt Architekturforscher Wolfgang Sonne. Deshalb müsse das Städtebaurecht dringend reformiert werden, um Problemen wie Klimawandel und Wohnungsnot zu begegnen.
Ute Welty: Mieten nicht nur bremsen, sondern deckeln – darüber berät der Berliner Senat heute, aber Wohnen kostet ja nicht nur, es wird auch vielfach als belastend empfunden, denn Städtebau wird nur selten als alltagstauglich, lebendig und überhaupt gelungen gestaltet.
Das Deutsche Institut für Stadtbaukunst tritt an, das zu ändern. Über eine Fördergesellschaft ist es angedockt an die Technische Universität Dortmund, und Wolfgang Sonne ist zum einen Professor an dieser TU und zum anderen stellvertretender Direktor des Institutes.
Gerade haben Sie zusammen mit Vertretungen aus 60 Städten eine Erklärung zum Städtebaurecht formuliert. Was muss sich denn am dringendsten verändern?
Sonne: Was wir heute ja brauchen, sind kompakte Städte, die sozial vielfältig sind und funktionale Mischung auch in der Stadt, im Stadtquartier erlauben. Das brauchen wir, um die Wohnungsfrage zu lösen, das brauchen wir auch, um ressourcenschonend zu bauen – Klimawandel ist das Stichwort –, und wir brauchen es auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Jetzt ist das Problem, wir haben eine Baunutzungsverordnung im Städtebaurecht, die aus einer Zeit stammt, den 60er-Jahren, wo man genau das Gegenteil wollte. Man wollte die Stadt auflockern, man wollte die Funktionen in einzelne Zonen aufteilen, und genau so steht das in dieser Verordnung drin.
Da sagen jetzt viele, das muss nach 60 Jahren einfach mal wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Wir brauchen ein Recht, was unserer Vorstellung von kompakter Stadt auch entspricht.
Häuser, die sich zu öffentlichen Räumen hin öffnen
Welty: Wie sieht denn dann diese kompakte Stadt aus?
Sonne: Das sind erst mal die Quartiere – das kann jeder erfahren –, die in den Städten eigentlich die schönsten, beliebtesten sind, die Quartiere, in die man gerne geht und in die man gerne zieht. Also zum Beispiel das teuerste Quartier Deutschlands, das Glockenbachviertel in München, das ist ein Quartier, das ist so dicht, wie es heute die Baunutzungsverordnung nicht erlauben würde, es ist aber das teuerste Viertel, sprich, es kann so falsch nicht sein.
Die Quartiere zeichnen sich dadurch aus, dass sie öffentliche Räume haben, in die man gerne geht – Straßenräume, Platzräume –, dass sie Häuser haben, die zu diesen öffentlichen Räumen sich öffnen, etwas zeigen, eine schöne Fassade ausbilden und, wichtig, dass sie Häuser haben, in denen verschiedene Dinge passieren können: Unten vielleicht ein Geschäft, oben wohnen, vielleicht auch arbeiten und dann, wichtig auch, im Hof. Dahinter kann auch was passieren, was das Ganze vielfältig und lebendig macht.
Welty: Die Mühlen der Bürokratie mahlen ja bekanntlich langsam, und auch ein Städtebaurecht ist nicht von jetzt auf gleich geändert. Es fehlen aber zurzeit schon bezahlbare Wohnungen. Wie lösen Sie dieses Ad-hoc-Problem?
Sonne: Das müssen die Städte lösen und auch die Wohnungsbauunternehmen und auch die Baugemeinschaften, wer auch immer Bauherr ist. Man kann vieles auch schon heute machen, und mit der Baunutzungsverordnung und ihren sehr abstrakten Zahlen ist ja auch noch kein guter Städtebau gemacht.
Das heißt, wichtig ist, dass wenn man heute neue Wohngebiete baut, dass man die nicht als reine Wohngebiete konzipiert, sondern als Stadtgebiete, wo man nicht nur wohnen, sondern leben kann, um es mal so schlagwortartig zu sagen, und wo auch nicht abstrakt irgendwelche Würfelchen oder Klötzchen oder Zeilen im Grünen stehen, wenn man sich nicht traut, eine Straße zu bauen, sondern wo diese Häuser sich auch zu einem öffentlichen Raum hinwenden.
Ich sage umgekehrt oft: Beim Wohnen denken wir meist an die Wohnung, und dann wird das Haus von innen her konzipiert. Wir müssen es aber genauso auch von außen konzipieren. Wie bildet das Haus, nämlich das private Haus, den öffentlichen Stadtraum? Und das ist das, was eigentlich unsere Städte so spannend und interessant und ja auch bereisenswert macht.
"Bauen muss etwas kosten, damit es Qualität hat"
Welty: Muss nicht jeder gut gemeinte Ansatz tatsächlich scheitern, solange es darum geht, eine möglichst hohe Rendite zu erzielen?
Sonne: Da sind tatsächlich Instrumente zu überlegen, wie man es schafft, das Ausweichen des Kapitals vom Aktien- oder vor allen Dingen vom Sparbuchmarkt hin ins Betongold auch wieder in gewisser Weise zu regulieren, da Regeln zu schaffen, die nicht auf Kosten des Bauens und der Stadt gehen, denn Bauen muss etwas kosten, damit es wirklich qualitätvoll ist von der Konstruktion her, sonst ist das überhaupt nicht ökologisch nachhaltig. Bauen muss in der Stadt etwas sein, was sich im Quartier, in der Stadt, alle leisten können.
Welty: Also dann doch die Mieten deckeln, wie das in Berlin jetzt gerade debattiert wird und womöglich heute entschieden?
Sonne: Da gibt es ökonomische Fachleute, die das besser beurteilen können als ich. Mir scheint eine Mietpreisbremse oder Mietendeckel vielleicht kurzfristig eine Möglichkeit, um in einer Drucksituation regulierend einzugreifen. Es ist natürlich auch ein starkes politisches Signal.
Mittelfristig oder langfristig müssen natürlich auch gedeckelte Wohngebäude erhalten werden. Sie können nicht 50, 60, 70 Jahre da einen Sanierungsstau produzieren, und es muss – weil ja die Nachfrage da ist –, es muss auch neu gebaut werden. Das heißt, es muss gut und vor allen Dingen langfristig städtisch neu gebaut werden. Allein ein Deckel reicht nicht. Wohnungsbauprogramm, Stadtbauprogramm muss man auch machen.
Welty: Wenn Sie jetzt gerade diese Erklärung herausgegeben haben und wir über Prognosen sprechen, wann rechnen Sie mit einer Umsetzung? Haben Sie sich da einen Zeitrahmen gesetzt?
Sonne: Wir haben mit den ganzen Mitinitiatoren und Unterzeichnern keine Koalitionsvereinbarung mit Zeitplan ausgemacht! Das liegt auch nicht in unseren Händen! Ich habe bislang auch noch keine Gesetzesveränderung mitgemacht. Toll wäre, wenn das in zwei Jahren da wäre, sage ich jetzt einfach mal.
Welty: Wie wollen Sie das denn angehen? Mit wem reden Sie jetzt über diese Erklärung außer jetzt mit mir beispielsweise?
Sonne: Wir reden mit Fachleuten aller Art, und da gibt es ja sehr verschiedene. Da gibt es die Architekten, die Städtebauer, die Stadtplaner, die Raumplaner, die Verkehrsplaner, die alle auch in verschiedenen Berufsorganisationen organisiert sind.
Wir reden und haben das Ganze ja initiiert mit den Praktikern und Praktikerinnen aus den Städten, den Stadtbauräten, den Planungsdezernenten und so weiter, und wir haben auch schon erste Kontakte mit den Fraktionen im Deutschen Bundestag. Wie soll man sagen, jetzt ist der Schritt, das zu vertiefen, an den Gesetzgeber ranzugehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.