Teju Cole: Jeder Tag gehört dem Dieb
Verlag Hanser Berlin, Berlin 2015
174 Seiten, 18,90 EUR
Liebeserklärung an Lagos
Teju Cole lebt seit vielen Jahren in den USA, aber er kehrt immer wieder in sein Heimatland Nigeria zurück. In der Hauptstadt Lagos ist auch sein jüngstes Buch angesiedelt. Die kurzen Szenen, die er erzählt, drehen sich vor allem um eines: Um Geld und seine Bedeutung im Alltag.
Nach langen Jahren der Abwesenheit kehrt der 1975 in Amerika geborene Autor Teju Cole zurück nach Nigeria. Dort ist er groß geworden. Von dort ging er mit 17 Jahren wieder weg, zurück nach Amerika. In den USA studiert er Kunstgeschichte und entdeckt die Fotografie als Ausdrucksmittel ebenso für sich wie die Literatur.
2011 erscheint sein Roman "Open City" - ein vielschichtiges Stadtporträt über New York aus der Perspektive eines passionierten Flaneurs – und löst international begeisterte Kritiken aus. Ein Stadtporträt mit vielerlei Bezügen ist auch "Jeder Tag gehört dem Dieb", 2007 erstmals in einem kleinen nigerianischen Verlag erschienen. Die Handlung ist rasch erzählt: Ein junger Mann – groß geworden in Nigeria, beheimatet in Amerika – kehrt nach langen Jahren der Abwesenheit zurück nach Lagos, die Heimatstadt seiner Kindheit. In tagebuchartigen Momentaufnahmen hält er die einzelnen Stationen seiner Reise fest: vom Antrag für einen neuen nigerianischen Pass auf dem Konsulat über die Ekstase der Ankunft und die Desillusionierungen des Wiedersehens bis hin zur von Fieber getrübten Abreise und der erneuten Ankunft in einem von Schnee bedeckten New York.
Und doch ist dies kein autobiographischer Roman. Von Anfang an in dieser Reise, die auch den Lesern eine Reise in das Erstaunen eröffnet, spielt Teju Cole nämlich mit unseren Erwartungen und Vorstellungen: Korruption – so zeigt uns beispielsweise schon die Eröffnungsszene im Konsulat – ist nicht allein in Afrika zuhause. Sie hat ihren Platz auch in einem wohlgeordneten Rechtssystem wie Amerika. Korruption ist die Grundmalaise, um die viele der kinematographisch gehaltenen, knappen Szenen kreisen.
Der Erzähler als Fremder und Einheimischer
Geld ist das Schmiermittel in dieser Gesellschaft, die sich somit selbst aushöhlt – und in der sich doch, so erkennt der Erzähler, die wenigstens den Luxus der Moral leisten können. Dieser gebrochene und somit stets doppelte Blick ist dabei das grundlegende Raster des Buches: Der Erzähler ist Fremder und Einheimischer. Sein vom Westen geprägter Humanismus reibt sich an den Widersprüchen der nigerianischen Wirklichkeit; sein Herz aber klopft angesichts der kreativen Energie, die der oftmals doppelbödigen und daher tückischen Wirklichkeit Nigerias zueigen ist.
Aus eben diesem Chiasmus bezieht auch der Text seine ganz eigene Kraft. Wenn sein Erzähler von der literarischen Textur des Lebens in Lagos – wo elfjährige Straßendiebe gelegentlich bei lebendigem Leib verbrannt werden – schwärmt, ist das zwar ebenso dem Luxus desjenigen geschuldet, der nicht täglich die eigene Kreativität gegen die Zumutungen des Molochs Lagos verteidigen muss. Doch "Jeder Tag gehört dem Dieb" ist vor allem eins: eine Liebeserklärung an eben jene Momente der Schönheit und Kreativität, die sich auch an Orten wie Lagos finden – und sei es die Straße der Sargbauer, in der die Ordnung der Welt für einen Moment noch einmal in perfekter Balance zu verharren scheint. Teju Cole erweist sich also schon in diesem frühen Buch als ein wunderbarer Dieb von Geschichten, deren offene Blende auch unsere Augen weitet.