Städtebau

Spekulanten verdienen an ihren Gegnern

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Umkämpftes Spekulationsobjekt? - Besetzes Haus in der Rigaer Straße in Berlin. © Deutschlandradio - Thilo Schmidt
Von Max Thomas Mehr · 17.07.2016
Städte müssen im Ideen-Wettbewerb streiten, wie sie sich entwickeln wollen, fordert der Berliner Journalist Max Thomas Mehr. Allein Mietpreise auszubremsen oder Neubau und Sanierung zu verweigern, würde lediglich den Spekulanten in die Hände spielen.
In den Metropolen explodieren die Mietpreise. Dabei drängen die Europäer unvermindert in Städte und Ballungsräume, auch in deutsche. Von Freiburg bis Kiel wird längst jeder Quadratmeter Boden dreimal begutachtet, um Baugrundstücke zu entwickeln, für neue Wohnungen, Büros und Geschäfte.
Selbst ein Weltkriegsbunker, der brach vor sich hingammelte, wird plötzlich zum begehrten Objekt für einen Investor; nur weil er wie in Hamburg mitten in der Stadt steht.
In Berlin, wo die Bodenpreise lange zögerten, bis sie sich verdoppelten, ließ eine neue Protestkultur nicht lange auf sich warten. Einst retteten Hausbesetzer heruntergekommene Mietskasernen vor dem Abriss, sanierten sie oftmals in Eigenregie und belebten so wieder ganze Viertel.

Gentrifizierungsgegner nehmen Wohnungsmangel in Kauf

Heute ist es nur der revolutionäre Gestus, den "Gentrifizierungsgegner" von ihnen geerbt haben. Anders als ihre Vorfahren schaffen sie nicht zusätzlichen Wohnraum, sondern bekämpfen ihn. Denn Sanierung und Neubau klingen nach Luxus. Und Luxus verändert den Kiez, könnte ihn teuer machen und würde Platz für die Falschen schaffen, die man nicht zu Nachbarn will.

Doch Wohnungsmangel kommt nicht minder teuer. Zudem bremst er die Stadtentwicklung aus. Sicher, früher wurde das Quartier entkernt und begrünt, der Raumbedarf anspruchsvoller und Parkplätze wurden zur Pflicht. Doch heute ist urbanes Bauland so knapp geworden, dass die Preise jede Kalkulation verderben, die Soziales im Sinn hat.

Wie funktioniert heute ein Stadtmodell aus Wohnen und Arbeiten?

Konnten Hausbesetzer noch Hand anlegen, müsste eine Protestbewegung von heute erst einmal nachdenken, wie sich das urbane Leben entwickeln und wer aus der Stadtgesellschaft welche Rolle übernehmen sollte.
Wie also könnte eine kiez-nahe, eine Berliner Mischung von Wohnen, Arbeiten und Ausgehen künftig funktionieren? Wie soll eine soziale Mischung aussehen, die vernachlässigte Brennpunkte in der City ebenso vermeidet wie problematische Schlafsiedlungen am Rande der Stadt.
Die Lösung mutet wie eine sanfte Kehrtwende an. Sie heißt "Verdichten". Dachgeschoße auszubauen, reicht da nicht. Heute geht es um mehr: Gebäude aufstocken, Baulücken schließen, Park- und Friedhofsränder einbeziehen, Gewerbehöfe erneuern oder umgestalten.
Private Bauherren wie Wohnungsbaugesellschaften müssten für passgenaue Projekte interessiert werden. Urbanität entsteht nie am Reißbrett. Sie ist das Ergebnis zahlloser individueller Interessen und eigenwilliger Versuche. Sie entsteht im Miteinander und in der Konkurrenz der Traditionen wie der Lebensentwürfe. Urbanität entwickelt sich im Spannungsverhältnis zwischen Demokratie und Markt.

Verdichten schafft in Innenstädten ausreichend Raum

Und das Verrückte ist, in der Berliner Innenstadt, der einstigen Hochburg der Hausbesetzer, gäbe es dafür genug Platz. Anderswo, in der City von Paris beispielsweise leben nämlich mehr als fünfmal so viele Einwohner auf jedem Quadratkilometer.
Doch dieser Streit wird in der alteingesessenen Mieterstadt nicht ausgetragen. Stattdessen sollen 50.000 Wohnungen auf der grünen Wiese gebaut werden. Nur der Anteil subventionierter Sozialwohnungen erregt noch die Gemüter.
Der Gentrifizierungsgegner, der einstige Hausbesetzer mit Pachtvertrag, der Miteigentümer einer Hausgemeinschaft oder der Altmieter einer städtischen Wohnung verteidigt derweil seinen Kiez, da ihn Mietwucher meist persönlich nichts angeht. Dass sein Protest ihn zum nützlichen Idioten von Spekulanten macht, merkt er noch nicht einmal.
Würden innerstädtische Bezirke kleinteilig und behutsam verdichtet, spiegelten sich die Baukosten durchaus in höheren Mieten. Ein besseres Wohnungsangebot hielte im Gegenzug aber den Preisspiegel in Schach. Sanierung und Neubau zu verweigern, treibt ungebremst den Mietzins, ohne dass Wohnungssuchende und Kommune eine Gegenleistung erhalten - in Form von mehr Qualität.

Max Thomas Mehr, Jahrgang 1953, ist freischaffender politischer Journalist und Fernsehautor. Er hat die Tageszeitung "taz" mitbegründet. Für das Drehbuch des Films "Sebnitz: Die perfekte Story" (produziert von ARTE/MDR) wurde er mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet.

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