Die pandemieresistente Stadt
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Fahrrad statt Öffis, Homeoffice, leere Einkaufsstraßen: Corona hat den Alltag der Menschen und das Stadtbild verändert. Aber die Stadt von heute wird den Anforderungen der Pandemie nur schwer gerecht. Was können wir daran ändern?
Öfter von zu Hause arbeiten, weniger Bus und Bahn fahren, mehr zu Fuß gehen: Die Corona-Pandemie verändert unser Verhalten – und damit die Anforderungen an die Städte, in denen wir leben, wohnen und arbeiten.
Und sie deckt auf, dass die Städte diesen Anforderungen derzeit oft nur schwer gerecht werden.
"Das Wichtige an der Coronakrise ist, dass es ein Weckruf ist. Ein Weckruf dahingehend, dass wir als Gesellschaft und als Städte verwundbar gegenüber Krisen sind, dass Sicherheit kein Garant ist", sagt Felix Beer.
Er ist Techniksoziologe am Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung IZT in Berlin. Der Grund für die Verwundbarkeit während der momentanen Pandemie liegt in der Vergangenheit, so Felix Beer, in alten Defiziten des Städtebaus.
Frühere Pandemien führten zu Stadtumbau
Rückblick: Europa im 19. Jahrhundert. Cholera und Typhus haben den Kontinent fest im Griff. In dicht besiedelten Armenvierteln breiten sich die Krankheiten besonders stark aus. Zu jener Zeit boomen Städtestatistiken: Verbreitungskarten und Fallzahlen geraten ins öffentliche Interesse.
Schließlich tragen langfristige hygienische Maßnahmen dazu bei, die Infektionen einzudämmen.
"Das heißt vor allem, dass tatsächlich Wasserleitungen gebaut wurden und dass Schwemmkanalisation gebaut wurde", erklärt Christa Kamleithner.
"Das war ganz neu, dass Städte nun von Netzen durchdrungen wurden und damit die Stadt auch erst als Ganzes verstanden wurde. Die Idee, dass wir das Wasser einfach aufdrehen, ist ein völlig neues Prinzip, das im Grunde mit den Pandemien im 19. Jahrhundert entstanden ist."
Die "funktionale Stadt" schafft Probleme
Der Wunsch nach verbesserter Hygiene und öffentlicher Gesundheit wurde damals ein wesentlicher Antrieb des Umbaus der Städte, sagt Christa Kamleithner, Architekturtheoretikerin an der Brandenburgischen Technischen Universität in Cottbus. Das Konzept der "funktionalen Stadt" war geboren.
"Alles findet separiert statt: Wohnen, Arbeiten, Erholung, zum Teil weiträumig voneinander entfernt", erklärt sie. "Und hinter diesem Stadtkonzept stehen eigentlich hygienische Ideen. Man wollte geringere Dichte haben, die Bevölkerung lockerer verteilen und das Problem war aber: Das konnten sich nicht alle leisten. Also die Hygiene war mit ein Grund für diese Separierung, die uns heute behindert. Heute sagen wir, das ist nicht pandemieresistent, weil das dazu führt, dass wir uns in den öffentlichen Nahverkehr quetschen müssen. Genau mit den Folgewirkungen dieses Konzepts kämpfen wir heute."
Die Lockdowns lassen die Innenstädte veröden, Pendler nutzen wieder verstärkt das Auto aus Angst vor Ansteckung. Zugleich entsteht aus der Krise heraus eine Gegenbewegung: Der Fahrradverkehr boomt, unbürokratisch und spontan entstehen viele Kilometer Popup-Radwege.
Weg vom Auto – hin zu den Fahrrädern
Vor der Krise war das Auto für viele Menschen alternativlos, sagt Felix Beer vom Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung.
"Und so ist in einer gewissen Weise die Corona-Situation zu einem Reallabor für die nachhaltige Verkehrswende geworden", erklärt er, "von einer Stadt, die eben die Alternativlosigkeit des Autos überwindet und die Raumverteilung neu bestimmt vom Auto hin zu Fahrrädern."
Auch die Umwidmung von Fahrbahnen zu Fußwegen oder von Parkplätzen zu Grünzonen etwa könnte Platz schaffen für die städtische Bevölkerung, auch unter der Vorgabe von Social Distancing. Und je mehr Orte und Möglichkeiten Städte bieten, um Probleme öffentlich, kreativ und flexibel zu lösen, desto resilienter können sie sein.
Denn, so Felix Beer, die gegenwärtigen und künftigen Krisen müssen solidarisch bewältigt werden, nicht nur im Fall von Pandemien.
"Der Klimawandel steht ins Haus, der digitale Wandel, soziale Polarisation", sagt er. "Das heißt, nach der Krise bedeutet sozusagen auch vor der nächsten Krise. Deswegen ist es auch jetzt ganz zentral, dass wir die ganzen Umbauprozesse, die jetzt in Gang geschoben werden mit großen Investitionen, auch direkt an unsere Nachhaltigkeitsziele knüpfen."
Die 15-Minuten-Stadt der kurzen Wege
Hochaktuell ist derzeit etwa das Konzept der 15-Minuten-Stadt: Alles ist fußläufig oder per Fahrrad in kürzester Zeit erreichbar. Überall soll es alles geben. Resilienz heißt hier Redundanz, sagt Christa Kamleithner.
"Hätten wir überall kleine Einkaufsmöglichkeiten und Betriebe, hätten wir viele Probleme eigentlich nicht", erklärt sie. "Das heißt, diese Gleichverteilung von öffentlichen Einrichtungen, von Betrieben ist ein wahnsinnig tolles Konzept. Aber eigentlich steht unsere gesamte Ökonomie, die auf Konzentration hinausläuft, dem entgegen. Man hat also einiges zu tun, wenn man das wirklich erreichen möchte. Das ist eine politische Aufgabe größeren Maßstabs."
Wien, Amsterdam und Kopenhagen setzen auf die 15-Minuten Stadt, Oslo bereits seit 2015. Die norwegische Hauptstadt zählt dabei auf viele Kiezquartiere, so Felix Beer.
"Kiezquartiere, die in sich geschlossen autark sind", erklärt er. "Die gut vernetzt sind, in denen es eine hohe Diversität gibt, ein hohes Angebot von kritischen Infrastrukturen. Die dadurch oft auch aus der sozialen Perspektive besser funktionieren, weil es ein größeres Gemeinschaftsgefühl gibt. Es gibt mehr Durchmischung, es gibt mehr Begegnungsorte und Kontaktpunkte zwischen den Menschen in diesen Städten, weil Kultur und öffentlicher Raum nicht gesondert sind von Wohnungsquartieren.
Soziale Ungleichheit abbauen
Dennoch – die historische Forschung zeigt: Letztlich ist es nicht die Art und Dichte der Bebauung einer Stadt, die entscheidend beeinflusst, wie gesund ihre Bewohner durch eine Pandemie kommen – sondern die Größe des Wohnraums pro Kopf. Und es sind nach wie vor die armen Bevölkerungsschichten, die in kleinen Wohnungen leben.
Eine gesunde und krisenfeste Stadt, sagt Christa Kamleithner, muss daher vor allem eine sozial gerechte Stadt sein.
"Das heißt: Alles, was in Richtung soziale Gleichheit führt, müsste man eigentlich angehen", sagt sie. "Es bedarf eines ganz neuen Umdenkens, was soziale Situierung betrifft, dass es nicht um rein technische und städtebauliche Maßnahmen geht, sondern tatsächlich um soziale Maßnahmen. Und eine andere Wohnraumversorgung ist wirklich ein politisches Problem."