Städtische Nachverdichtung

Streit um neuen Wohnraum

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Neubaugebiet in Freiburg. In Deutschland fehlen hunderttausende bezahlbare Wohnungen. : Foto: Winfried Rothermel | Verwendung weltweit
Neue Häuser braucht das Land: In Deutschland mangelt es an bezahlbaren Wohnungen. © picture alliance / Winfried Rothermel
Von Thilo Schmidt |
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Grund und Boden sind teuer geworden. In großen Städten wollen deshalb kommunale Wohnungsunternehmen bestehende Quartiere nachverdichten, um günstigen Wohnraum zu schaffen. Das führt immer öfter zum Widerstand der Bestandsmieter.
Das Kietzer Feld ist eine Wohnsiedlung aus den Sechziger- und SiebzigerJahren in Berlin-Köpenick, naturnah zwischen dem Wasser der Dahme und den Müggelbergen gelegen: viergeschossige Häuserzeilen, mit viel Platz und viel Grün dazwischen wie bei vielen Großsiedlungen aus dieser Zeit, und auch genug Platz, um weitere Häuser zu bauen.
Susanne Willems von der "Bürgerinitiative Kietzer Feld" kämpft gegen die 15 Wohngebäude, die die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Degewo hier bauen will. Sie sagt, diese Fünfgeschosser würden überhaupt kein Maß der vorhandenen Bebauung aufnehmen und die gewachsenen Innenhöfe zerstören.
Dirk Seubert, Abteilungsleiter Neubau bei der Degewo, hat zum Ortstermin im Kietzer Feld die Pläne für das Bauvorhaben mitgebracht. Aus den Plänen geht hervor, wie die 15 Neubauten auf dem weitläufig bebauten Quartier stehen. Man erkenne diese Zeilen, sagt er. Immer am Ende entstehe ein Neubau. So entstünde eine Hofsituation. Neubau- und die Bestandsmieter würden in diesen Hof reingucken. Das ist auch der Hintergrund für den städtebaulichen Entwurf.

Bauland ist fast unbezahlbar

Wie auch in anderen Städten, ist Bauland in Berlin mittlerweile derart teuer, dass die städtischen Wohnungsbaugesellschaften darauf angewiesen sind, bestehende Quartiere zu verdichten, um sozialverträgliche Mieten anbieten zu können.
Die Degewo schafft so in ganz Berlin neue Wohnungen im vierstelligen Bereich.

Gespräche und Workshops mit den Bewohnern

Katrin Baba-Kleinhans ist Quartiersmanagerin bei der Degewo. Sie weiß, wie skeptisch viele Mieter dem Bauvorhaben gegenüberstehen. Beispiele nennt sie einige: Das Grün, der Baum, der vorm Fenster seit Jahren stehe und nun nicht mehr da sei, der Parkplatz, der vor der Tür vielleicht nicht mehr vorhanden ist.
Baba-Kleinhans und ihre Kollegen haben mit den Bewohnern in Versammlungen, Workshops und auf Begehungen gesprochen und dabei Bedenken und Wünsche aufgenommen. Das hat manchmal auch zu neuen Lösungen geführt.
"Wir planen hier einen Gemeinschaftsgarten", erzählt Baba-Kleinhans. "Der war gewünscht, auch von Anwohnern. Das kristallisierte sich im Rahmen eines Workshops heraus."
Der Bürgerinitiative reicht das jedoch nicht. Sie will den Bau der Wohnhäuser verhindern. Allerdings: Die erste Bodenplatte ist schon gegossen.

Einige Mieter sind aufgebracht

Zu den etwa zwanzig Bestandsgebäuden auf dem etwa zehn Hektar großen Gebiet kommen 15 Gebäude hinzu. Sie sind ein Stockwerk höher, aber viel schmaler als die bestehenden Häuser und auch zukünftig ist viel Platz für Gärten und Grünflächen, so lassen es zumindest die Baupläne vermuten.
Einige der Mieter sind trotzdem aufgebracht. Eine Anwohnerversammlung ließ die Degewo prophylaktisch von Sicherheitspersonal schützen, sagt Degewo-Quartiersmanagerin Baba-Kleinhans.
Neue Wohnungen bauen, das ist wichtig, sagt auch Reiner Nagel. Er ist Architekt, Stadtplaner und Vorsitzender der Bundesstiftung Baukultur. Aber die Verdichtung des städtischen Raums müsse für alle ein Gewinn sein, für die neuen und die alten Mieter. Deshalb müssten die Bewohner bei solchen Bauprojekten wirklich beteiligt werden.
"Es ist ja nur halb richtig, dass es eine offene Beteiligung ist. Eine komplett offene Beteiligung müsste ja den Fall beinhalten, dass man nicht baut. Insofern geht es in einer ersten Phase darum, zu identifizieren: Was ist gut machbar, was können wir auch verantworten? Und dann den Prozess umzudrehen in Richtung eines Change-Managements: ein anderer Prozess, bei dem eine getroffene Entscheidung kommuniziert wird und viele davon überzeugt werden sollen und mitgehen können."
Und dazu gehöre ebenso: Auch wenn die Baustelle abgeräumt ist, darf dieser Prozess nicht zu Ende sein.

Es fehlt die Unterstützung der neuen Bewohner

Auch eine andere städtische Wohnungsbaugesellschaft, die Howoge, verdichtet in ihrem Bestand nach. Fast 500 zusätzliche Wohnungen entstehen dadurch in den nächsten Jahren. Für die Nachverdichtung in einem Gebäudeensemble in Berlin-Lichtenberg wird sie von den Bestandsmietern scharf kritisiert.
Die Howoge ist darauf angewiesen, auf eigenem Grund zu bauen, um günstige Mieten anbieten zu können. Zudem ist die Howoge auf die Mieter zugegangen, aber ein offener Prozess war es nicht.
Dass gebaut wird, war für die Howoge immer klar, erläutert deren Geschäftsführer Ulrich Schiller. "Es ist ganz, ganz schwer, so ein Gebäude zu verteidigen. Es lässt sich ja nicht bestreiten: Natürlich wird es mehr Schattenwurf geben. Es lässt sich auch nicht bestreiten, dass mehr Menschen in einem Quartier die bestehende Infrastruktur nutzen werden. Ja, das ist so."
50 neue Wohnungen will die Howoge in Lichtenberg bauen – die Hälfte davon sollen Sozialwohnungen sein, die in Berlin dringend gebraucht werden.
Geschäftsführer Ulrich Schiller sagt: "Sehr schwierig ist, dass in diesen partizipativen Prozessen die Menschen nicht gehört werden können, die zukünftig einmal hier wohnen werden. Das heißt: Uns fehlt im Grunde die Unterstützung derer, für die wir den Wohnraum schaffen."
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